Bartholomäus Edenschläger
Der Coronalist spricht (Folge 1)
Ja, natürlich gebe ich Ihnen gerne Auskunft über unsere Quarantäne. Keine Frage! Wenn ich in meinem Alter – also ich werde bald 80 – und ich tue alles dafür, dass ich das auch noch erlebe! – wenn ich etwas zur Aufklärung beisteuern kann, ist das für mich Lohn und Ehre genug. Aber es geht gar nicht um mich, sondern um uns alle. Wir haben jetzt die erste Corona-Welle in Deutschland erstmal mit einem blauen Auge hinter uns. Aber wir sind noch ganz am Anfang der Pandemie, das muss allen klar sein. Das sagt die Wissenschaft, das sagt die Politik. Und das sage ich auch.
Ich mache kein Her daraus: Ich bin Deutscher, Gewerkschafter und Sozialdemokrat, stehe also für Disziplin und Solidarität. Ohne beides kommen wir nicht durch die Krise. Das weiß ich aus Erfahrung, denn ich hab schon so einige Krisen erlebt in meinem langen Leben. Und ich habe alle überlebt, auch diese – zumindest bis heute. Ich habe es mit meiner Frau, meinem Sohn, meiner Schwiegertochter und meinen beiden Enkeln geschafft, diesem heimtückischen Coronavirus nicht zum Opfer zu fallen. Wir haben uns nicht infiziert, weil wir uns alle strengstens an die Regeln gehalten haben. Und wenn ich jetzt durch dieses Zoom-Interview dazu beitragen kann, dass das auch andere tun, dass diese großartige Disziplin nicht nachlässt, dann macht mich das stolz. Leider sieht es momentan so aus, als würden zu viele Menschen in unserem Lande leichtsinnig.
Medien finde ich sehr wichtig. Das hat der Altbundeskanzler Gerhard Schröder gewusst. Der konnte gut damit umgehen. Wir wissen ja alle, welche unheilvolle Macht die Nazis über die Medien ausgeübt haben. Zum Glück gab es damals noch kein Fernsehen. Wer weiß, ob sonst nicht noch Schlimmeres passiert wäre.
Aber es kommt natürlich darauf an, wer die Medien für seine Zwecke benutzt. Und da hab ich bei Ihnen vollstes Vertrauen, dass das für eine gute Sache ist. Es geht in dieser Zeit (also Mitte Mai 2020) darum, den Durchhaltewillen in der Corona-Krise zu stärken, damit wir in dieser schweren Zeit auch Opfer bringen und daran wachsen. Da hat mir Bundespräsident Steinmeier in seiner Osteransprache aus dem Herzen gesprochen.
Das mit den Medien ist mir spätestens 1977 klar geworden, als die RAF den Schleyer entführt und später ermordet hat, da hat sich mir gezeigt, wie man mit Medien Menschen auch zum Positiven beeinflussen kann.
Anfangs hast du noch in der Firma öfter gehört so was wie klammheimliche Freude, dass sie da endlich mal den Richtigen erwischt hätten – alles ziemlich gemeines Zeug, auch wenn da rein sachlich viel Richtiges dran war – SS-Vergangenheit, schlagende Verbindung, knallharter Aussperrungsbefürworter bei Streiks undsoweiter, das fand ich als Gewerkschafter auch nicht gut, im Gegenteil. Das Gerede natürlich alles hinter vorgehaltener Hand, war ja am Arbeitsplatz. Ich als Vorarbeiter hab aber doch einiges aufgeschnappt. Und dann hatte die Firmenleitung eine geniale Idee. Weil das eben so ein nationaler Notstand war, durfte man bei der Arbeit ausnahmsweise Radio hören, also uns Vorarbeitern wurde von den Meistern gesteckt, wir sollten da mal ein Auge zudrücken, wegen dem Informationshunger. Und guck an! Desto länger die Entführung dauerte, je länger die Leute in der Firma die Radiosendungen hörten, desto seltener traute sich noch jemand, irgendetwas Negatives über das arme Opfer zu sagen. Abends konnten wir auch noch alle Fernsehen gucken und haben da den armen Mann mit der Papptafel um den Hals gesehen. Das war schon schockierend. Sonst immer im piekfeinen Anzug im Mercedes Und dann wurden die anderen Stimmen – will mal sagen: die bisher schweigende Mehrheit – immer lauter: Exekution der Terroristen, einen nach dem anderen, bis die den Schleyer freilassen. Es ahnte ja keiner, dass der Strauß das tatsächlich vorgeschlagen hat in diesem Notkabinett oder wie das hieß. Ja, und als die Sache dann gegessen war, wenn ich mal so salopp sagen darf: ‚Landshut‘ entführt, GSG9 in Mogadischu, Schleyer ermordet, RAF-Führung Selbstmord in Stammheim, da fing die Zeit der Fahndungsplakate an, auf denen richtig lustvoll die Visagen von den Toten und gefangenen Terroristen durchgestrichen wurden, auch auf der Arbeit, durchaus.
Klar, Terroristen und Viren kann man nicht einfach vergleichen. Für Viren kann man keine Fahndungsplakate aufhängen, und man weiß auch nicht, ob man welche eliminiert hat oder nicht. Doch der Einsatz von Desinfektionsmittel gibt einem jedenfalls ein gutes Gefühl.
Aber klar denkt man als älterer Mensch oft an früher und vergleicht. Mich wundert dabei so manches. Beispiel Arbeitsmoral. Was mussten wir früher in der Firma aufpassen, dass die einfachen Malocher kein Scheiß bauen – mit oder ohne Absicht. Dass die kein Firmeneigentum geklaut haben. Ham se natürlich trotzdem, aber ohne Aufsicht wär dat noch viel schlimmer gewesen.
Wenn ich dagegen meinen Oskar sehe – gut, der hat studiert, der steht nicht in irgendeiner Werkstatt, sondern sitzt normalerweise im Büro, aber trotzdem: Wat der getz inne Coronakrise in seinem Home Office leistet – alle Achtung! Und sein Frau auch – von wegen halbtags! Also ich krieg das ja nicht so direkt mit, wegen Kontaktverbot – und da halt ich mich wirklich streng dran, aber die rotieren da ganz schön, und dann ham sie ja auch noch die Blagen den ganzen Tag um die Beine, denn die dürfen ja nicht zu Oma und Opa hoch.
Manchmal hört man ja schon, dass es da Probleme gibt. Da wird’s schon mal lauter, Kommunikation hin, Kommunikation her. Ach ja, ich hab noch nicht erzählt, dass wir im gleichen Haus wohnen, eigentlich in meinem Haus, also in dem von mein Frau und mir. Aber man weiß ja nie was kommt und so haben wir Oskar vor paar Jahren das Haus geschenkt und haben hier lebenslanges Wohnrecht im ausgebauten Dachgeschoss. Unten ist dann noch die Einliegerwohnung vermietet. Die musste damals sein – ich sag nur Paragraph 7b – sonst hätten wir uns das Haus gar nicht leisten können. Ist aber jetzt schon seit ein paar Jahren abbezahlt.
Die Einliegerwohnung hat einen Extra-Eingang, aber wir leider nicht. Das ist jetzt in Corona ein echtes Problem. Weniger die Treppen. Mein Frau und ich sind noch recht fit. Sie ist jetzt 75, ich werd 80, aber wir sind beide im Sportverein und noch ganz gut beisammen. Klar, ein paar Malessen hat jeder. Aber die Treppen machen uns noch nichts aus.
Eigentlich haben wir bisher unser Leben ganz gut gemeistert, wenn der kleine Scherz erlaubt ist. Als einfacher Arbeiter Baujahr 41 bis zum Werksmeister hiochgearbeitet, Auto, Haus, Familie, dann glücklicherweise schon mit 60 in Vorruhestand ohne Abzüge wegen Werksrente. Dass der Blüm tot ist, tut mir übrigens echt leid, auch wenn ich natürlich immer SPD war. Ich hab schon zu Erna gesagt: Wirst sehen: Jetzt, wo der Nobby den Löffel abgegeben hat, ist auch die Rente nicht mehr sicher. Und wer soll sich jetzt in den Talkshows so für die kleinen Leute einsetzen?
Aber zurück zu Corona. Das kam, als Blüm noch lebte, im Frühjahr. Oder schon im Winter? Ja, Karneval in Heinsberg und Ischgl, das muss noch Winter gewesen sein, klar. Obwohl ja immer mehr rauskommt, dass Corona schon älter ist. Jetzt ist schon der letzte Oktober in Verdacht.
Erna, kannst du mal Kaffee machen, ich bin gerade im Zoom Meeting und erzähle denen, wie wir mit Corona so zurecht kommen, bitte Erna! Ja, ich habe doch „bitte“ gesagt! Nein, ich kann hier nicht weg.
Also Corona. Das hat natürlich alles durcheinander gebracht.
Anfangs hatten wir ja noch keine Ahnung, watta auf uns zukommt. Obwohl ich hab schon im Januar – oder war es Februar gesagt: „Na, ich weiß nicht. Diesen Chinesen kann man nich trauen. Das kann noch schlimm enden.“ Aber da dachte ich natürlich an China und Asien und so, nicht an uns hier.
Klar weiß ich, dass es hier viel Chinesen gibt, also dass es wegen der Globalisierung auch nen regen Austausch gibt. Selbst hier im Ruhrpott stolperst du ja an jeder Ecke über Chinesen. Ganz schlimm wird es in Duisburg wohl werden, von wegen „Neue Seidenstraße“. Obwohl, wenn du dir die Ansteckungszahlen da anguckst, ist das gar nicht so schlimm wie woanders, wo wahrscheinlich kaum Chinesen sind. Dat verstehe wer will!
Ja, wie auch immer, das führt getz aber zu weit ab.
Also bis März war alles noch so wie immer, aber dann, Mitte März, ich weiß es noch wie heute: am 18. März kam dann die Rede von der Merkel im Fernsehen. Da wussten aber alle: Jetzt wird es ernst! Bis auf die Corona-Leugner, Nazis, Reichsbürger, Impfgegner und andere Spinner. Die haben den Schuss nicht gehört.
Da ging so ein Ruck durch Deutschland. Hat schon mal irgendein Bundespräsident gesagt: „Es muss ein Ruck gehen durch Deutschland.“ Ich glaub, es war dieser Herzog. Aber dann ist der Ruck wohl nicht passiert. Ich habe jedenfalls nichts davon gespürt, ich war meinich auch kurz vor der Rente. Aber jetzt, bei dieser Merkelrede, da hab ich den Ruck direkt persönlich gespürt. Gut, als kleines Kind hab ich den Krieg nicht so bewusst erlebt, ich kannte es ja auch nicht besser, aber ich weiß noch ganz gut, wie die Erwachsenen Angst hatten bei Fliegeralarm und wenn die Bomben fielen. Und als die Merkel dann gleich am Anfang vom Zweiten Weltkrieg geredet hat, da wurde mir ganz mulmig und ich wusste sofort, das wird ernst. Da kam das alles wieder hoch. Und dann auch noch der Vergleich mit der Wiedervereinigung. Ich mein, GroKo hin oder her – Merkel war nie meine Lieblingskanzlerin. Sie war CDU, ich SPD. Basta! Das war hier früher so. Wenn einer von meinen Kumpels auf der Arbeit CDU gewählt hätte, also der hätte von uns aufs Maul gekriegt. Nein, nicht von mir persönlich, aber schon von uns. War damals einfach so. Und wenn jemand nicht inne Gewerkschaft wollte, konnte er sich gleich ne andere Arbeit suchen. Da gab’s klare Fronten.
Aber als die Frau Merkel so von Corona als eine „Herausforderung für unser gemeinsames solidarisches Handeln“ redete, alle Achtung, da wurden sogar mir als altem Sozi die Augen feucht. Also klar, dass diese Corona- Pandemie eine sehr ernste Sache war.
Erna hat den Krieg ja nicht mehr miterlebt. Auf sie hat das anders gewirkt, aber sie hat auch wieder nur die Hälfte mitgekriegt von der Rede, weil sie eben schwerhörig ist. Statt „solidarisch“ hat sie nur „Soli“ verstanden und meinte gleich ziemlich bissig: „Au, das wird wieder teuer für uns.“ Es ist ja nicht so, dass es in unserer Ehe immer nur Sonnenschein gegeben hat – im Herbst sollte eigentlich ganz groß Goldene Hochzeit gefeiert werden, aber wer weiß, ob dann das dann schon wieder erlaubt ist. Es droht ja die zweite Welle, auch wenn Deutschland die Kurve tatsächlich ziemlich flach halten konnte. Irgendwo habe ich gelesen, die wär schon flach gewesen, als die Merkel gerade geredet hat, aber das glaubichnich. Nä, dann wär ja fast alles für die Katz gewesen, was dann kam. Nä, das kann nicht sein. Und guck mal: Italien, Spanien, Belgien, die ganzen Toten! Und Schweden! Geh mir weg mit Schweden! Die haben ihre Alten doch geopfert, um High Life zu machen. Von Trump wolln wir mal lieber gar nicht reden. Das regt mich nur unnötig auf und ruckzuck bin ich von der Risikogruppe in die Hochrisikogruppe gerutscht. Das fehlte gerade noch…
Genau: Risiko können wir uns nicht erlauben in unserem Alter, hab ich mir nach der Merkelrede gedacht. Ich gleich den Zollstock raus und Erna auf 1,50 Abstand gebracht. Nachts war das nicht so ein Problem, weil wir sowieso seit 20 Jahren getrennte Betten haben. Das war sehr vorausschauend, auch wenn es eigentlich um mein Schnarchen ging.
Am nächsten Tag wir gleich los, um alles einzukaufen. Erna hatte inzwischen verstanden, was Frau Merkel eigentlich gesagt hatte. Beim Stichwort „Wiedervereinigung“ fiel ihr sofort ein, dass die Ossis nach der Maueröffnung hier im Westen leere Regale hinterlassen hatten, und ich konnte mich noch gut an die schlechte Zeit nach dem Krieg erinnern. Ich selbst war zum Hamstern noch zu klein, kriegte aber natürlich mit, dass meine beiden älteren Brüder mit proppevollen Zügen ins Münsterland gefahren sind und mit Kartoffeln zurückgekommen sind. Ich weiß gar nicht, womit die bezahlt haben, weil: Wir hatten ja kaum was Wertvolles. Ich weiß nur noch, dass meine Mutter jahrelang nicht über den Pelzmantel hinweggekommen ist, den sie von der Winterhilfe hatte. Der wurde gegen Kartoffeln getauscht. Aber wer isst heute noch Kartoffeln? Also haben wir erst mal Nudeln auf Vorrat eingekauft. Und wer noch weiß, wie Zeitungspapier im Arsch kratzt, der holt selbstverständlich auch reichlich Toilettenpapier. Wir wussten doch damals nicht, was auf uns zukam. Also ich red jetzt vom März Zwanzigzwanzig, nicht von der schlechten Zeit nach dem Krieg. Desinfektionsmittel natürlich auf Vorrat. Wer ist schon gerne dem Virus hilflos ausgeliefert? Ich finde es zu einfach, so etwas „unsozial“ zu schimpfen. Immerhin bis ich schon seit einer halben Ewigkeit in der SPD – warten Sie, ich muss kurz nachrechnen – ja seit 62 Jahren in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands – SOZIALdemokratisch! Also „unsozial“ lass ich mich nicht schimpfen. Klar, ich hab auch mal die GRÜNEN gewählt, aber nur, weil die auch so für’s Gemeinwohl sich einsetzen. Also, wissen Sie – „unsozial“? Nä. Nicht ich. Ich betreibe gezielte Vorratshaltung mit Augenmaß. Wir wissen ja jetzt, wohin die „Just-inTime-Produktion“ uns führen kann.
Und wissen Sie was? Ich hatte Recht! Wir haben das Desinfektionszeug täglich gebraucht – Unmengen davon! Und wir haben überlebt – bisher jedenfalls. Versuchen Sie doch jetzt mal Desinfektionsmittel irgendwo zu kaufen! Sie werden nichts finden, nichts! Ich habe also sehr vorausschauend gehandelt.
Als es losging mit dem Lockdaun, hatten wir alles im Haus, was wir brauchen. Aber es wurde trotzdem eine harte Zeit. Eigentlich bis heute, trotz der Lockerungen. Und man weiß nicht, was noch kommt!
Aber, wie Sie sehen – wir haben überlebt! Wir stehen gut da – ich mein jetzt nicht nur meine Familie, nein Deutschland! Die SPD hat schon in den Siebzigern unter Helmut Schmidt – immer noch mein Lieblingskanzler – einen sehr klugen und erfolgreichen Wahlslogan gehabt: „Modell Deutschland“. Den könnte man heute wieder so benutzen. Man muss nur mal lesen, was die anderen Länder so über uns schreiben – also Deutschland und die Coronaseuche: Null Kritik, nur Lob! Und ich habe nach Kräften dazu beigetragen – also ich und meine Frau bzw. meine Frau und ich, meinen Sohn, meine reizende Schwiegertochter und meine süßen Enkel, die ihre Großeltern viele Wochen lang nicht besuchen durften.
Ach, die Zeit ist schon vorbei? Also diese Konferenz meinich Ja, schade eigentlich, dass ich jetzt irgendwie zu der häuslichen Quarantäne fast nicht mehr gekommen bin. Ja, beim nächsten Mal mehr. Da gibt es noch viel zu erzählen. Ich freu mich schon drauf. Ja, Tschökes! Und bleiben Sie gesund! Danke, wird schon! Erna, wink doch auch mal.
Bartholomäus Edenschläger
14.5.2020