Bartholomäus Edenschläger
Coronalist (Folge 4)
Aintlich wolltich ja mich schon letztens wieder melden, aber zu die Zeit is so viel passiert, dat musstich ersma orntlich vaarbeiten. Nich dattse denken, ich wär in Urlaub gewesen. Ich doch nich! Mitten in de Pandemie tu ich doch nich bei de zweite Welle helfen. So weit kommt dat noch!
Nä, ich hab diesen ganzen Leichtsinn genau beobachtet, hab mich so meine Gedanken gemacht und natürlich auch viel gelesen in der Richtung. Und dann war ich auch noch in Karantäne. Nä, kein Corona, ich nich, Erna auch nich! Dafür sind wa viel zu vorsichtig.
Vorstellen muss ich mich ja wohl nich mehr, oder? Na gut, ich heiß Heinz Klugscha, 79, deutscher Sozialdemokrat, früher Werkmeister, IG Metall und Betriebsrat, verheiratet mit gerade schon genannte Erna, die zehn Jahr jünger is. Und ich bin dä Opa von Ann-Christin (10) und Daniel (5). Die wohnen mit mein Sohn unten int Haus, ja, und natürlich mit seine Frau Anna. Datt die aintlich en thailändischen Namen hat, dat wissen Se bestimmt noch.
Ja, wie isset zu diese Karantäne gekommen? Wie et imma so is bei mich: ich wollt kucken, ob da alles richtig läuft, bei den Tönnies nämmich und den sein Lockdaun.
Nä, dat mit den Tönnies, da hab ich so’n Hals gekriecht! Ich hab immer gesacht: Die zweite Welle kommt, dat is sicher wie dat Amen inne Kirche. Ja, dat se getz beinah aus Gütersloh rübergeschwappt wär, dat hab selbs ich nich geahnt. Ich hätt ja auf Duisburg getippt, weil da dat Ende vonne neue Seidenstraße ist und diese Chinesen da massenhaft frei rumlaufen tun. Aber so kannet kommen, sachich mal.
Also getz hat Tönnies mit seine Arbeitssklaven aus Osteuropa beinahe de zweite Welle auf sein Gewissen gehabt. Wennze da überhaupt von Gewissen reden kanns, bei diesen Fleischbaron und Schalke-Boss! Ja kannze viel erzählen: Dat kommt alles nur von diese böse Subunternehmen mit ihre Werkverträge! Mann, dat wissen wa doch! Klar, die ham sich bein Tönnies die Klinke inne ungewaschne Hände gegeben und bitte-bitte gemacht: „Könn Se nich noch en Eins-A-Subunternehmen für Arbeitssklaven gebrauchen?“ – Und Tönnies dann: „Wat, so wat gibbet bei uns? Hab ich ein Schwein! Aber Sklaverei gibtet bei uns nich. Ich will damit nix am Hut haben. Ich zahl euch pro Tonne, und wat die Malocher angeht, dat geht mich nix an.“ Aber getz ma in Ernst: Dieser Tönnies is ein Ausbeuter, wie er im Buche steht. Willma sagen: Inner SPD is nich so schnell von Ausbeutung de Rede, aber hier stimmt dat mal, auch wenn dat eben Malocher ausn armen Osten von Europa sind, die mit die paar Mäuse da noch einigermaßen über de Runden kommen tun.
Nä, bei diese Arschgeige von Tönnies, da krieg ich echt die Pimpernellen! Ich hab immer Respekt vor anständige Unternehmer gehabt – und die haben mich auch Respekt gezeigt. Ich weiß noch genau, wie wir damals vom Betriebsrat gefordert haben, datt im Sommer der Betrieb morgens schon ab sechs losgehn sollte, weil et namittachs ehmt total heiß wurd in de Hallen, datte dir auf de Fräse Spiegeleier braten konnst. Ja, hin und her, ich sachma, da wollte de Betriebsleitung zuerst gar nix von wissen. Dann wären die Leute ja schon am Nammittach zu Hause, und watt die dann de ganze Zeit tun täten. Früher zu Bett würden die auch nich gehen – datt war schon nach Sommerzeit – und dann kämen die morgens nich aus de Betten – in der Richtung. Ich dann: Hamse ma gesehn, wie fertig die Leute am Namittach in diese Affenhitze sind? Die malochen viel langsamer, und der Ausschuss liegt bei 10 Prozent. Gut, die ham dat dann probeweise gemacht, und hastenichgesehn ging de Produktivität hoch, und dann war die Sache in trockene Tücher. So ham wir de Arbeitswelt humanisiert sachichma. Inzwischen tun diese ganze mechanischen Arbeiten schon lange Roboter machen. Damit muss sich kein Mensch mehr abrackern. Dat is inne Fleischindustrie noch anders, obwohl ich hab gelesen, datta auch schon viel von so Automaten gemacht wird. Bestimmt sind deshalb die Firmen auch alle plötzlich so dafür, datti Werkverträge abgeschafft werden. Würd mich nich wundern, wenn der Tönnies noch Staatsknete für die Digitalisierung von seine Zerlegerei kriegen täte.
Auf eine Weise hat der Mann ja auch für de Volksgesundheit sein Beitrag geleistet. Ich weiß gar nich, wer auf die Idee gekommen is, da die ganze Belegschaft zu testen. Aber dat Ergebnis war doch geil: Rund 20 % Infizierte! Dat hat et vorher noch nich gegeben. Fast alle haben doch schon gedacht: Ach, de Pandemie is getz vorbei, lassen wa mal wieder die Sau raus. – Urlaub, Party, Grillen undsoweiter! Aber nixda getz kam wieda Lockdown. Klar, hat der Laschet von ne CDU ers nich gewollt. Gütersloh – da sitzen Bertelsmann, Miele und wie se alle heißen. Ein von de reichere Kreise hier in NRW – genau wie übrigens auch Heinsberg. Und der Laschet muss natürlich auch an de Bauern denken. Die bleiben da getz auf ihre Schweine sitzen, die fressen denen de Haare vom Kopp und werden fetter und fetter. Wer will sowat denn noch aufn Grill haben? Und wenn der Tönnies am Tach 25 Tausend Schweine geschlachtet hat, kannze ja ausrechnen, watta von Schweineberg sich anhäufen tut. Da ham die Zuchteber ers mal Ruhe, obwohl – die dürfen ja schon lange nich mehr auf die Sau, wird ja alles künstlich gemacht. Aber dat führt getz zu weit ab. Jedenfalls, der Laschet hätte bestimmt gern mehr Rücksicht aufe CDU-Bauern genommen. Aber mein Genosse Lauterbach hat den dann vor sich her getrieben. Wat der Mann für eine Ahnung hat! Reiseverbot für Gütersloh und Warendorf hat der gefordert. Richtig so! Wenn man dat Virus ausrotten will, muss dat sein, so leid et mich für de Menschen tut. Ich find den Lauterbach knorke. Manchmal sehe ich ne Gefahr aber noch eher als der. Nehm wa mal diese Hygienedemos mit all die Spinner und Rechten und Verschwörungstheoretiker. Wenn die da ohne Mundschutz und Abstand rumgrölen und ihre Aerosole mit all die Viren verspritzen, dann is dat eine Gefahr für de ganze Gesellschaft und gehört verboten. Hab ich schon vor Wochen gesagt. Sozialdemokraten ham sich immer schon dafür engagiert, Gefahren vonne Gesellschaft abzuwenden: Noske, Zörgiebel, Severing, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder undsoweiter. Kann ich hier gar nicht alle aufzählen, aber glauben Se mir, ich kenn mich aus. Wissen is Macht! Die konnten nich immer zimperlich sein!
Aber wie konnte et überhaupt dazu kommen? Also bei Tönnies, mein ich getz. Ich hab schon lange Klimaanlagen in Verdacht gehabt. Ersma nur in New York, aber inne Schlachthöfe gibbet sowat auch, wegen de Haltbarkeit von dat Fleisch, datta keine Keime sich im Schnitzel breitmachen tun. Und, Bingo!, die Untersuchung von diese Wissenschaftler hat dat auch rausgefunden. Natürlich auch, datt diese Arbeitssklaven da in össelige Kabäusken in Massen aufeinander hocken tun und de Viren auch nach Feierabend noch bequem von einen zum andern rumfitschen können, dat et nur so fluppt.
Damit musset getz vorbei sein: Wat mich betrifft, könnten se diese Killerfabriken gleich ganz plattmachen tun. Ich gebet zu, datt ich früher gern ma Fleisch gemampft hab. Noch früher, bis in die Sechziger, gabet ja bei uns zu Haus kaum Fleisch, höchstens an Sonntag ma Braten oder Schnitzel, sons nur billige Blutwurst, Panhas oder mal ne Bratwurst, wennt hoch kam. Getz, wo wa da sonne vegane Enkeltochter direkt im Haus haben, kriechich nur noch ganz selten wat mit Fleisch, meistens an Kegelabend, wo et dat Blag nich mitkriegt. Ich sach nur: Wenn wir vonne IG Metall so knallhart gewesen wärn wie dieset ganze vegane und vegetarische und watweißich Blagenzeug, wat wir getz hier rumlaufen haben, dann hätten wa schon längs Bürgerkrieg gehabt. Manchmal träum ich ja von Sozialpartnerschaft mit meine Enkelin. Aber bei Fleisch is dat nich drin. Ich glaub, ich muss der mal diesen Attila-Spinner madig machen. Ich mein, ich weiß doch auch, datteti Tierkes schlecht geht. Als kleinen Dötz bin ich jeden Samstag an Viehhof vorbeigelatscht. Wir hatten ja noch ganz normal Schule dann. Und Samstag wurd immer dat Viehzeug rangekarrt. Dat durfte dann noch en Wochenende da sowat wie Urlaub machen, und montags ginget ab in Schlachthof gleich nebenan. Am Dienstag konntest dann de Fettschmelze überall riechen. Ja, um Schlachthof gabet hohe Mauern, da konnteste nix sehen, aber beim Viehhof schon. Wir warn ja auch nicht zimperlich mit Tiere, aber wat diese Treiber da mit de arme Tierkes angestellt haben, dat war nich schön. Immer draufgehauen, damit se noch schneller von LKW runter waren. Und mit die Elektroschocker immer hinten inne Fott, datt die gequiekt haben wie sons wat, voll die Panik, sachichma. Aber wennet zu Hause ma Fleisch gab, hab ich et trotzdem gegessen, keine Frage. Ich komm aber n bisken ab. Wat wollt ich noch gleich sagen? Richtig! De zweite Karantäne für Erna und mich.
Also, wat der geschätzte Genosse Lauterbach verlangt hat, dat hab ich glaub ich schon gesagt: Aber Ausreiseverbot für Warendorf und Gütersloh, dat ging mit de Landesregierung nich.
Paar Tage nach den Lockdown für Gütersloh und Warendorf hab ich mich doch tatsächlich inne Karre gesetzt, um zu kucken, ob die dat auch wirklich ernst meinen und kontrollieren tun. Klar war dat en Risiko für mich, aber ich hatt natürlich Maske auf die ganze Zeit, fünf Ersatzmasken mit, Gummihandschuhe an, hinterher die Karre desinfiziert, also Erna hat dat gemacht. Die durfte natürlich nich mit, weil dat Risiko dann doch zu hoch gewesen wär, dat wir beide uns infizieren.
Inne Stadt hab ich immer auf Umluft eingestellt, damit von draußen keine Viren sich reinmogeln. Dann, auffe Autobahn, volle Pulle Lüftung an, falls et doch dat ein oder ander Corona reingeschafft hat, aba natürlich nich Klima an, weil diese Viecher sich schließlich bei sonne Kälte vermehren wie de Karnickel. Ich also bis kurz vor de Kreisgrenze gepest, und wat sollich sagen – kein einzigen Wachtposten, keine Straßenkontrolle, nix, gar nix! Un dat soll Lockdown sein? Du konntes wirklich ohne Problem rein und raus aus den Kreis Warendorf, egal wie. Dat wär ja mal wirklich sinnvoll gewesen, de Bundeswehr da in Innern einzusetzen. Und nich nur die paar Männekes für de Gesundheitsämter. Alle hundert Meter Posten mit Gewehr, ABC-Schutzausrüstung, son Marderpanzer quer übere Bahn und de Bundesstraßen und solls ma sehn, wie die dann schön da in Karantäne bleiben täten. Wär für de Jungs doch kiki gewesen! Und da hätt man ja auch ma von de Ostzone wat lernen können. Da hätt dat Unrechtsregime wenigstens im Nachhinein noch wat Gutet gehabt. Aba nix da! Keine Sau zu sehen!
Natürlich wollt ich gleich wieder zurück, nachdem dat ich paar Handyfotos zum Beweis gemacht hab. Ja, und getzt kommtet! Ich konnt natürlich nich anne Kreisgrenze auffe Bahn wenden. Musstich also ersma weiterfahrn bis anne nächste Ausfahrt. Die war aber schon in diese Lockdown-Zone. Da hattich die Arschkarte. Hätteta ma Erna hören solln, als ich für die gesacht hab: Hömma, Ernaken, wir müssen wat bekakeln. Ich war voll in diese Coronazone gewesen. Bleib mich bloß von Leib. Wir müssen zurück auf Los. Zwei Wochen Karantäne wieder. Man, wat war die Erna da am rumbandusen! Getz, nach drei Wochen weiß ich, datta kein Corona in de Bude rumschwirren tat. Aber wenn, dann hätten de Viren Freifahrtschein für Erna ihre Aerosole gehabt. Und auch mit mein Sohn gabet Knatsch. Und Anna sacht ja nur nix, dat is so in Thailand wegen der ihre Kultur. Da kann ich mit lehm.
Allet ging also wieder von vorn los. Nich rausgehen, einkaufen lassen organisieren, Abstand halten, getrennt schlafen, Handschuhe tragen, Hände zigmal am Tach 20 Sekunden waschen, Klo desinfizieren, Maske tragen, alle zwei Stunden Fieber messen, natürlich inne Futt, sons isset nich genau. Thermometer desinfizieren, alles immer desinfizieren. Zum Glück gibtet inzwischen Desinfektionszeug wie Sand am Meer und die Erna hat diesmal nich auch noch Hexenschuss gekriegt. Bei de erste freiwillige Karantäne war dat ein echtet Problem, weil se sich drei Tage lang dat Thermometer nicht allein hinten reinfummeln konnte. Und dat musste ja, weil uns da schon glasklar war, wat fürn fiesen Möpp Corona doch iss: Dat macht dich ruckzuck zum Pflegefall. Oder auch nich, aber wat weiß man schon, man steckt ja nich drin. Und dafür muss Fiebermessen eben sein. Erna wollt ers nix davon wissen, aber dann hab ich ihr ma die Schote aus meine frühe Jugend vertellt, von diesen Zeltlager mitte Falken. Da gab et natürlich kein Corona, aber auch damals inne Fuffzigerjahre wusste man nie genau. Et gab da so viel Malässen, und die waren damals viel gefährlicher als heut, weil et ja noch nich so viel Impferei gegeben hat, ja und da hat uns ein son junger Betreuer wirklich geholfen. Kannze mir glaum. Wat hat der sich gekümmert! Jeden Abend is der durch alle Zelte geschlappt und hat da bei de Jungs – Mädkes gabet ja nich in diese Freizeiten, war also allet einfacher – hat da also sein Fiebermesser, noch richtig eins mit analogen Quecksilber, wat noch so richtig lang drinbleiben musst bei uns Rotzlöffel inne nackte Futt gesteckt, ganz vorsichtig natürlich, und er hat dat Teil gedesmal desinfiziert oder so. Wenn son Lorbass geklemmt hat, hat er ihm die Futt bisken getätschelt, damit dat Thermometer nich noch zerbricht. Weiß ich noch alles ganz genau – und, wat soll ich sagen: Nich einer is in die zwei Wochen krank geworden. Der wusste, watta tat, alle Achtung! Kein Wunder, datt ich immer an diesen Falkenbetreuer denken muss, wenn ich den Lauterbach sehe.
Na gut, Erna hat sich dat angehört, war aber nich direkt Feuer und Flamme, als ich wegen einsfuffzig Abstand mit diesen alten Müllgreifer ankam, natürlich picobello desinfiziert. Ablesen musste se selbst, claro, desinfizieren auch. Is ja inzwischen bekannt, datt Corona sich gerne inne untere Ausscheidungsdingens da tummelt. Schon bevor dat Virus überhaupt woanders erwischt worden ist. Obwohl – kann dat denn sein? Muss ich nomma nachlesen.
Jedenfalls können Se sich ausmalen, wat fürn Brass wir alle auf den Tönnies haben, datt der uns nomma zwei Wochen Karantäne eingebrockt hat, un dat für nix und wieder nix.
Aber getz zisch ich mir ersma n Bierken aufn Balkon, damit ich wieder runterkomme. Is inzwischen nich mehr so schön abends, weil kein Arsch mehr für de Pfleger klatschen tut bein Sonnenuntergang. Ich mach dat immer noch, auch wenn die bei VERDI sind – wenn überhaupt! Ich sachma, is schließlich Einheitsgewerkschaft und wir sind immer für gute Arbeit! Prösterchen!
1.8.2020