Gespräch unter vier Augen
(Anläßlich des Todes von Hermann Ludwig Gremliza)
A: Gremliza ist tot.
B: Ach ja? Und mit ihm seine Zeitung?
A: Sie braucht zumindest einen neuen Herausgeber.
B: Die Redaktion könnte das kollektiv erledigen.
A: Das wäre der Untergang dieser Zeitung.
B: Wie das?
A: Ganz einfach. Du kennst doch die Jungle World. Ohne Koschmieder waren diese Autonomen verloren.
B: Diese Spaltung der Jungen Welt war schrecklich und ich auf der falschen Seite zweier falscher Seiten.
A: Ja, jeder hat damals den Aufruhr gegen Koschmieder verstanden und doch zeigte die Rebellion gegen ihn nur die Notwendigkeit seiner Rolle.
B: Und das Feuilleton der Konkret ist auch nicht besser als die Jungle World!
A: Dieses Niveau könnte nun auf den Politikteil übergreifen. Du kennst unsere Westlinke. Mehr Moral als Politik.
B: Bei allem kenne ich die Geschichte der Taz.
A: Jedenfalls repräsentierte Gremliza die Restvernunft, indem eben neben den Schlawinern auch Leute wie Fülberth schreiben durften.
B: Der ist auch alt.
A: Selbst die Wagenknecht, als sie noch in der Kommunistischen Plattform war und Ulbricht verteidigte.
B: Lange her!
A: Und der legendäre Jürgen Elsässer.
B: Lol.
A: Robert Kurz nicht zu vergessen.
B: Gossweiler durfte zu selten schreiben!
A: Und doch durfte er den Kurz damals auf dem Was-tun?-Kongress gekonnt widerlegen.
B: Das war gut. Und Gremliza hat dort selbst Christoph Türcke gegen das von Ditfurth angeführte Publikum verteidigt.
A: Aber am wichtigsten: Er vereinigte eben auch Peter Hacks und Wolfgang Pohrt in seiner Zeitung und „irgendwie ist es diesem Blatt gelungen, im Lauf seines Daseins die wichtigsten deutschen Autoren auf seinen Seiten zu versammeln“. Sagt immerhin Peter Hacks.
B: Hacks und Pohrt. Beide tot.
A: Aber sie waren einem Wort von Pohrt nach „das Salz in der Suppe“ dieses Blattes. Die Redaktion aber vertritt nur das freilich nötige „Wasser dieser Suppe“.
B: Ich sehe das. Aber statt eines Redaktionskollektivs hat doch jetzt eh die Tochter des Gremliza das Blatt übernommen?
A: Ein schwacher König.
B: Ja. Sie schrieb bislang nichts von Belang.
A: Und doch vertritt sie die Linie Gremlizas. Das vererbte Königtum ist immerhin besser als die Machtübernahme einer linksradikalen Fronde.
B: Also geht die Entscheidung für Friederike Gremliza hin?
A: Sie war die einzige Konsequenz.
B: Ist sie bei der Redaktion beliebt?
A: Ich hoffe nicht.
B: Mich erinnert sie an Honecker. Ein schwacher König führt auch zum Untergang.
A: In diesem Fall ist es immerhin übersichtlich. Die Konkret nur ein kleiner Hofstaat gegen die DDR. Aber klar, sie braucht noch jemanden.
B: Aber wen?
A: Es gibt einen, der taugte.
B: Dann sag es.
A: Dietmar Dath.
B: Was. Von der Spex? Dieses postmoderne Blatt hat doch gerade das unleserliche Feuilleton hierzulande hervorgebracht. Generation Tocotronic.
A: Ich hätte ja Schernikau vorgeschlagen, aber der ist nun auch tot. Niemand sagt, dass Dath optimal wäre. Immerhin ist er nicht Diedrich Diederichsen und er hat sich entwickelt, was selten ist.
B: Dath mit seinem seltsamen, computergesteuerten Sozialismus mit den vier Zeitkonten für Reproduktion, Arbeit, Muße und Organisation? Wollen wir das?
A: Er soll die Konkret ja nicht vollschreiben, sondern ihr die Richtung vorgeben. Und bei allem ist er Sozialist.
B: Das bin ich auch! Aber will ich deshalb die Konkret?
A: Du hattest schon die Spex nicht. Wobei ich dich vorschlagen würde, wenn es eine Möglichkeit gäbe.
B: Unser Kreis steht nicht zur Wahl.
A: Genau. Und er schläft etwas zu lang am Morgen.
B: Gut, aber warum nun ausgerechnet Dath?
A: Dath ist nicht nur Sozialist, sondern im Grunde der einzige in Deutschland halbwegs bekannte und relativ breit akzeptierte Sozialist. Er hat am ehesten die Universalität, die man für diesen Job braucht.
B: Das stimmt. Seine Artikel für die FAZ waren auch nicht immer schlecht. Und wenn ich es so bedenke, kenne ich sogar Leute, die meinen, durch Dath zum Kommunisten geworden zu sein.
A: Und wenn er auch selbst kein besonders guter Autor ist, so kann er doch etwas schreiben und vermag so hoffentlich immerhin einen guten Autor zu erkennen. Dath schätzt als Autoren immerhin auch den erwähnten Hacks und sogar den Pohrt.
B: Manche sagen, er mag den Pohrt lieber.
A: Der zeitlichen Reihenfolge nach pfuschte ihm wohl erst Pohrt ins Hirn und dann Hacks.
B: Jedenfalls das Beste aus Ost und West. Damit steht auch er in der Linie des Gremliza. Aber würde die Redaktion ihn aushalten?
A: Respekt müsste er sich erarbeiten. Im Grunde aber muss man die Sache auch so sehen: Alleine würde er das Blatt seinerseits zu Grunde richten. Bei allem ist Dath dann doch zu eigenbrötlerisch.
B: Am Ende gar ein Sektierer.
A: Als Individuum mag er zwar seine Dogmen haben, aber er kennt und erkennt aus jeder der Scherben und Fraktiönchen der Kommunisten sicher die besten Vertreter. Irgendwer muss das Salz nun finden, das der Suppe den Geschmack verleiht.
B: Ach lies mal seine Romane. Er ist ein Langweiler und ein Bürokrat dazu.
A: Letzteres ist nicht nur schlecht. Eine Redaktion jedenfalls, die ihm zu Füßen läge wie früher dem Hermann Ludwig, das wäre nicht richtig. Und so sind Checks and Balances doch immer ein probates Mittel. Linksradikale Redaktion und sozialistischer Herausgeber müssten sich in Schach halten. Der Jungen Welt hatte das ja vor ihrer schlechten Spaltung auch gut getan. Ohne die Autonomen war sie verloren.
B: Aber kann Dietmar Dath diesen Spagat leisten?
A: Er war bei der poplinken Spex und jetzt schreibt er für die Bourgeoiszeitung, ohne dabei von der Bourgeoisie gekauft zu sein. Er hat offensichtlich ein starkes Ich, das sich nicht gleich verliert, wenn es etwas liest, das ihm nicht gefällt. Und er sollte einen Schuss guten westdeutschen Linksradikalismus schon in sich haben und so könnte er seine künftige Redaktion mit ihren Vorschlägen willig tolerieren. Selbst wenn sie den Trampert oder den Quadfasel will.
B: Auf den Moralisten Schilling könnte ich verzichten.
A: Dito
B: Aber wenn dann das Beste aller Seiten ins Blatt käme, würde ich es wieder lesen.
A: Ich nicht, aber wir sind auch nicht das Zielpublikum.
B: Aber zur Praxis: Hockt Dath nicht eben in Frankfurt und verdient gutes Geld? Gekauft oder nicht: Die Bourgeoisie zahlt besser.
A: Dietmar Dath hat auch ein wenig Ehre. Selbst Jürgen Elsässer hat für die Junge Welt auf sein Beamtengehalt verzichtet.
B: Ist das nicht ein Agent?
A: Wer weiß es. Dath war jedenfalls von Gremliza ins Auge gefasst worden, wenn nicht sogar sein Wunschkandidat.
B: Das stimmt. Aber die Verehrung, die man in der Redaktion Gremliza gegenüber an den Tag legt, ist blind und nicht politisch. Wir müssen damit rechnen, dass dieser an sich vernünftige Vorschlag nicht durchkommt, selbst wenn Dath es wollte. Am Ende wurde er von der Redaktion bereits abgelehnt? Immerhin hatte Dath bereits eine Interimskolumne und ist doch verschwunden.
A: Tatsächlich leider nur eine Schwärmerei von mir. Sie ist vernünftig und wird doch so nichts werden.
B: Aber was dann?
A: Bleibt also doch die Tochter.
B: Der schwache König.
A: Sie könnte sich Stärke borgen.
B: Von Dietmar Dath?
A: Es gibt Telefon und Mail. Im Grunde genügte das und ab und an käme ein guter Artikel ins Blatt, der sonst kaum in Betracht geriete und einer würde abgelehnt, der sonst erschiene.
B: Das könnte er bequem als Berater des Königs leisten.
A: Er müsste nichtmal nach Hamburg ziehen.
B: Und die Tochter müsste es nichtmal verraten. Sie hat ja das Erbrecht auf ihrer Seite und hoffentlich das letzte Wort in der Redaktion. Und sukzessive könnte sie die Redaktion etwas umbauen.
A: Nicht mit der Axt ins Haus. Wenn das Feuilleton künftig auch gute Sachen bringt, ist einiges gewonnen und das traue ich der Redakteurin Hofmann zu, die manchmal auch Geschmack hat. Und es gibt Ripplinger.
B: Ein falscher Fuffziger! Hast du seine letzte Kolumne gelesen? Fast ein Bewerbungsschreiben. Und er zitiert Gerhard Hanloser zustimmend.
A: Ach und du bist ein Anarchist und Sektierer. Niemand will, dass Ripplinger eine wichtige Rolle einnimmt. Aber wenn Dath den König beraten soll, braucht auch die fragmentierte Redaktionsfronde eine Figur, die sie als Einheit vorstellt. Voilà: Ripplinger.
B: Schwieriger ist jedenfalls der Politikteil. Schneider ist wahrscheinlich auch nicht mehr der Jüngste? Aber wenn ich den Politikteil lese, erkenne ich seine Handschrift.
A: Immerhin hält sich dort der Politologe Kronauer mit dem neunmalklugen Kritiker Quadfasel in Schach.
B: Ist Quadfasel nicht ein Anhänger von Hillary Clinton?
A: Er schreibt so, ja. Aber dann wäre Kronauer für China.
B: Okay sie sind es beide jeweils nicht. Und ich verstehe nun, dass auch ein Hanloser dann und wann schreiben könnte. Etwas mehr Arbeiterklasse täte diesem falschen Gegensatz gut.
A: Ach und noch was: Dath ist immerhin Antiimperialist. Die Mehrheit der Redaktion nicht.
B: So wie Gremliza. Schade, dass letzterer bei der Redaktion inhaltlich so schlecht im Kurs steht. Sie sollte ihn tatsächlich weniger verehren.
A: Und ein Wort für das Erbkönigtum: Friederike ist immerhin Hermanns Tochter!
B: Schlecht erzogen wird sie nicht sein.
A: Und vor allem wird sie einige Leitideen ihres Vaters verinnerlicht haben, die die Redaktion gerne vergessen würde.
B: Das DDR-sozialistische Moment. Ein Hauch von Lenin.
A: Korrekt.
B: Dann ist die Sache ja geklärt. Sie wird des Daths Adresse kennen. Ich habe jetzt zu tun.
A: So auch ich.