2. Der Krieg um die Haushalte
Was könnte außer dem Wetter unpolitischer und unverdächtiger sein als unsere Nahrungsmittel? Unsere Ernährungsweise ist jedoch ein reines Produkt des Kalten Krieges. Es bedurfte nicht der donnernden Schlagzeile vom Lancet vom Oktober 2020, „Covid-19 is not a pandemic“, um zu bemerken, dass Covid der Name ist, den man dem zufälligen Zusammentreffen eines Krankheitserregers mit einem krankhaften Terrain gegeben hat, dass aus Fettleibigkeit und Bluthochdruck, Diabetes und Mangelerscheinungen, Asthma und Emphysem, Elend und Bewegungsmangel besteht. In den vergangenen zwei Jahren ist es der Fiktion des Virus als einer feindlichen, die Menschheit unterschiedslos angreifenden Einheit gelungen, das Offensichtliche zu verdrängen: Covid ist eine Zivilisationskrankheit wie Krebs. Angesichts des für die meisten Betroffenen harmlosen Charakters dieses Leidens, muss man zugeben, dass eine Ursache weniger im Virus selbst zu suchen wäre als vielmehr im normalen Krankheitszustand dieser Welt. Wenn es einen Fall gibt, in dem man mit Claude Bernard sagen kann, „die Mikrobe ist nichts; das Terrain ist alles“, dann ist das SARS-CoV-2. So hollywoodreif es auch in Szene gesetzt seien mag, wir haben es hier nicht mit Yersinia pestis zu tun. Die verteufelte Infektionskrankheit dient hier dazu, die chronischen Krankheiten zu verschleiern, die man akzeptiert. Ganz wie die Impfkampagnen von Bill Gates in Afrika dazu dienen, die GVOs (gentechnisch veränderte Organismen) und Pestizide von Bayer-Monsanto zu verdecken, deren Angebot er außerdem sicherstellt. Direkt neben Coca-Cola, dessen ernährungstechnische Vorzüge allgemein bekannt sind. Bereits in den 1950ern haben Ernährungswissenschaftler ermittelt, „dass eine wachsende Anzahl von Daten die Hypothese derjenigen bestätigen, die die amerikanische Ernährungsweise an sich für krankhaft halten.“ (Harry Marks, Evidenzbasierte Medizin, 1999). Der schädliche Charakter des Bewegungsmangels, des weißen Mehls, des Zuckers, des bei jeder Mahlzeit eingenommenen Fleischs, die ganzen Banalitäten rund um Arteriosklerose, Cholesterin oder die Mittelmeerdiät – all das geht auf amerikanische Studien aus den 1950er Jahren zurück. Aber „jede öffentliche Infragestellung der amerikanischen Standarddiät griff eines der ersten Symbole des amerikanischen Wohlstands an. […] Schlussfolgerungen aus vergleichenden Studien, die die schädlichen Auswirkungen der ‚normalen‘ amerikanischen Diät zeigten, schienen bereits ‚antiamerikanisch‘, ein schwerer Vorwurf in Zeiten des Kalten Krieges.“ (Ebd.). Als man in den frühen 1960er Jahren zwischen zwei Wegen wählen musste, um das Problem anzugehen – der eine bestand in einer groß angelegten Vergleichsstudie, die in vivo die langfristigen Auswirkungen verschiedener Diäten beobachtete und der andere, genannt „Coronary Drug Project“, bestand lediglich darin, neue Moleküle zur „Behandlung“ von Arteriosklerose zu testen und dabei die amerikanische Diät sowie die damit verbundenen enormen industriellen Interessen beizubehalten –, ahnt man leicht, welcher Weg gewählt wurde und welcher Weg weiterhin gewählt wird, mittels einiger im Anschluss an die Nutella-Werbung gebrachter, doppeldeutiger Botschaften über die Notwendigkeit, weder fett noch salzig noch zuckrig zu essen.
Wie man sieht, ist selbst unsere Ernährung dual.

Eine ebenso erwiesene und inzwischen dank allerlei freigegebener Archive dokumentierte Tatsache ist, dass das moderne häusliche Ideal des ausgestatteten, industrialisierten, taylorisierten Heims seit dem Marshallplan und vielleicht sogar schon früher als trojanisches Pferd im Kampf gegen den „Kommunismus“ diente. Die großen amerikanischen Ausstellungen We’re Building a Better Life oder America at Home oder die American National Exhibition machten in den 1950er Jahren ihre Weltreise bis nach Moskau, mit ihren idealen Küchen, den neuesten Inneneinrichtungen aus Bakelit, ihren Modellhäusern für Modellbürger, Buckminster Fullers geodätischen Kuppeln und der historischen „Kitchen Debate“, bei der Chruschtschow und Nixon 1959 in Moskau inmitten der verblüfften russischen Ausstellungsbesucher einander entgegentraten.
Die banalste, unpolitischste, naivste Häuslichkeit wurde als eine psychologische Kriegswaffe gegen die kommunistische Bedrohung ersonnen. Und sie ist das auch geblieben. 1951 veröffentlichte der amerikanische Soziologe David Riesman eine Fiktion mit dem Titel „Nylonkrieg“. Er stellt sich die „Operation Wohlstand“ vor: Die Amerikaner bombardieren Russland mit Damenstrümpfen und später mit allerlei modernen Haushaltsgeräten, die sie mit Flugzeugen über dem ganzen Land auskippen. Er berichtet im Stil einer ironischen Reportage über diese neue Episode des Kalten Krieges. „Hinter dem ersten Überfall am 1. Juni standen jahrelange geheime und komplizierte Vorbereitungen und eine Idee von entwaffnender Einfachheit: Wenn man es dem russischen Volk ermöglichen würde, von Amerikas Reichtum zu kosten, könnte es nicht länger Herren dulden, die ihnen Panzer und Spione statt Staubsauger und Schönheitssalons geben.“
Ganz wie jeder beliebige Hanswurst auf der gegenwärtigen politischen Bühne teilte Eisenhower auf einer Pressekonferenz im Juli 1958 mit: „Wir sind nicht dabei, im absoluten Grauen zu versinken“, um zögerlich anzuschließen: „Aber wir führen auch kein Leben mehr, das man gerne normal nennen würde“.
In dieser „nicht ganz normalen“ Zeitspanne bildete man dann die Utopie einer vollständig gezähmten Existenz, von der man behauptet, dass sie uns gerade aufgezwungen wird.
Eine dumme Utopie des Kalten Krieges.
Eine ganze Lebensweise.
Eine ganze Glücksvorstellung.
Die tatsächlich alles andere als „normal“ ist.