1. „Life is our life’s work“ (Pfizer)
Aktiv werden – jeder, jeder –, um die Kurve abzuflachen.
Zusammenstehen – alle, alle – gegen das Virus.
Wir müssen die „kollektive Immunität“ erreichen – die „herd immunity“, wie es auf Englisch so schön heißt, die Immunität der Herde.
Leben retten durch Nichtstun, vor allem durch Nichtstun.
Unser Gesundheitssystem retten, das ansonsten so gekonnt zu Fall gebracht wird.
Solidarisch sein – mit all unseren Menschenbrüdern, selbst denen, die uns das Leben vergiften – und verantwortungsvoll sein – wie die Deutschen mit ihren Schulden, könnte man meinen. Immerhin bemerkenswert, wie das Verhalten angesichts eines Virus auf wundersame Weise mit den Werten übereinstimmt, die von der Europäischen Kommission postuliert werden: Solidarität, Verantwortung, Bürgersinn.
Sich für diejenigen impfen lassen, „die nicht geimpft werden können“. Der Hirte scheut bekanntlich nicht davor zurück, seine Herde zu verlassen, um das verirrte Lamm zu retten; er kümmert sich um alle und jeden, omnes et singulatim.
Sich um sich selbst und andere kümmern – was ist das für eine seltsame Macht, die mir zuflüstert, „für mich selbst zu sorgen“? Und die darauf besteht, dass ich den Menschen um mich herum so fremd bleibe, dass sie für mich „die Anderen“ sind?
Jeden Tag beobachten, wie es um die Statistiken steht.
Und dann natürlich aus den richtigen Informationsquellen schöpfen.
Sei ein Held. Sei langweilig
Welch erstaunliche Verwandlung! Derselbe Staat, der Frankreich zum Land mit den meisten Atomkraftwerken gemacht hat, der alle Arten von „geringer“ radioaktiver Freisetzung in die Natur genehmigt und systematisch seit Jahrzehnten noch die kleinsten epidemiologischen Studien in der Umgebung von Atomkraftwerken verhindert. Derselbe Staat, der Gesetze gegen Glyphosat nur verabschiedet, um so viele Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, wie es Landwirte in der FNSEA gibt. Derselbe Staat, der für die exponentielle Zunahme von Krebserkrankungen immer nur individuelle und verhaltensbedingte Ursachen findet. Derselbe Staat, der immer noch kein Problem damit hat, dass er 90 Prozent der Antillen mit Chlordecon verseuchen ließ, und der sich nie besonders um den dort grassierenden Prostatakrebs scherte. Derselbe Staat, der sich mit dem jahrzehntelangen Rekordkonsum von Antidepressiva in seiner Bevölkerung so gut arrangiert, dass man glauben könnte, er habe sich mit dem Umstand abgefunden, die Ursache dessen zu sein. Derselbe Staat entdeckt also im Zuge der Verbreitung eines Virus, das kaum dreimal tödlicher als die saisonale Grippe ist, „das Leben“ als heiligen Wert. So heilig, dass es keinen Wert hat und jeder Preis gerechtfertigt ist.
Das erinnert einen daran, wie Monsanto nach der Verursachung der Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) das „Institut für Tiergesundheit“ ins Leben rief. Oder an den von Burger King gesponserten „American Council on Science and Health“. Daran, wie Philip Morris die „California Association for Tobacco Regulation“ gründete oder wie das Unternehmen kürzlich, nunmehr unter dem Deckmantel eines Akteurs der öffentlichen Gesundheit, erklärte: „Soweit wir wissen, hat kein anderes Unternehmen sein Geschäft so proaktiv umgewälzt wie wir, um für uns alle eine bessere Zukunft zu schmieden.“ Geneviève Fioraso, die damalige sozialistische Ministerin für Hochschulbildung und Forschung, politische Patin von Olivier Véran und Botschafterin von Minatec, bemerkte 2012 in aller Unschuld: „Die Gesundheit ist unanfechtbar. Sobald Sie auf Widerstand gegen bestimmte Technologien stoßen, müssen sie nur Patientenverbände als Zeugen zu Wort kommen lassen und plötzlich stimmen alle zu.“ Man muss sagen, dass die Sache der „Gesundheit“ die größte Schwachstelle des modernen Individuums ist. Sie berührt eine Stelle, an der wir offensichtlich wehrlos sind. In einer Welt, die kein Heil mehr verspricht, ist das Streben nach Gesundheit an die Stelle des Heils getreten – das heißt, auch wenn sich der christliche Glaube verloren hat, konnte die Sichtweise noch lange keinen Boden gewinnen, dass „es auch hier unten Götter gibt“, wie Heraklit sich ausdrückte. Die „Gesundheit“ zieht fatalerweise dieselben Usurpatoren an wie zuvor das Heil. Bernays verstand das so gut und so frühzeitig, dass er sich der Gesundheit bedienen konnte, um in die Werbung einzusteigen. Sein erster Job bestand in der Beratung eines Schauspielers, der ein Stück über einen syphilitischen Ehemann produzieren wollte und dafür ein Publikum suchte. Bernays hatte durch einen Freund Zugang zu medizinischen Zeitschriften und kam auf die Idee, offensichtlich nur zum Schein, eine Mittlerorganisation zu gründen – das „Sociological Fund Committee“ –, die sich vorgeblich für öffentliche Gesundheit und Volksbildung einsetzte. Diese bewarb das Stück ganz „uneigennützig“ als Beitrag zur gesundheitlichen Prophylaxe. Das Ganze wurde ein Erfolg und beiläufig auch die Erfindung der Werbetechnik des third party endorsement, einer Marketingtechnik, bei der sich ein Unternehmen zur Vermarktung seiner Produkte eines Dritten bedient – eines Stars, Experten, Moderators oder Influencers.
Wir sind derart empfänglich für die Sache der „Gesundheit“, weil wir in einer Welt leben, die ziemlich krank sein muss, nach ihren Leistungen im Sachen planetarer Verwüstung zu urteilen.
In einer Welt, die krank macht und in der die Menschen, die sich am besten anpassen, offensichtlich die verrücktesten sind.
In einer Welt, die aktiv daran arbeitet, Krankheiten zu produzieren, um die Heilmittel dafür zu vermarkten – zwischen 1945 und heute ist die Zahl der in den USA anerkannten psychischen Krankheiten von 26 auf 400 gestiegen, darunter die unheilbare „Oppositionelle Verhaltensstörung“ („Oppositional defiant disorder“, ODD). Die „organischen“ Krankheiten werden zunehmend als Abweichungen von den durch die Industrie eingeflüsterten Normen definiert und nicht mehr auf Grundlage des vom Patienten erlebten Zustandes. Daher nimmt die Medikalisierung im gleichen Maße zu, wie die Pflege abnimmt. Sicherlich. Aber wir sind vor allem deshalb so empfänglich für die Gesundheitsfrage, weil die Macht unsere Körper seit nun bald drei Jahrhunderten in Beschlag nimmt und die Bevölkerung „das kostbarste Gut eines Herrschers ist. Unter finanziellen Gesichtspunkten ist der Mensch das Prinzip allen Reichtums“ (M. Moheau: Untersuchungen und Betrachtungen über die Bevölkerung von Frankreich, 1778) – wobei man, nebenbei bemerkt, zu Kenntnis nehmen muss, dass die französischen Staatsdemographen des 18. Jahrhunderts selbst Stalin mit seiner Broschüre Der Mensch, das wertvollste Kapital weit voraus waren. Unsere Fruchtbarkeit, unsere Kraft und unsere Langlebigkeit sind von allgemeinem Interesse. Sie gehen mit in die Produktivitätsgleichung der Nation ein. Sie sind ihr Wettbewerbsvorteil. „Man muss die Untertanen und das Vieh vermehren“, schrieb Turmeau de La Morandière im Jahr 1763. Wir gehören uns sowohl aus staatlicher wie ökonomischer Sicht schon lange nicht mehr selbst. Diese Erfahrung machen wir übrigens jedes Mal, wenn ein schlechter Arzt uns misshandelt. Seine Taubheit wiederholt ohne Ende: „Schweigen Sie endlich still, Sie wissen nichts über Ihren Körper, Ihr Körper gehört uns, wir kennen ihn besser als Sie selbst.“ Der positivistische Philosoph Émile Littré steht ihm zur Seite: „Sobald die Krankheit einmal ausgebrochen ist, ist das Einschreiten des Arztes unumgänglich; der Kranke ist unfähig, die Natur des Übels zu bestimmen, sein Ende vorherzusehen und ihm Abhilfe zu schaffen. Das gilt auch für die Hygiene […]. Hüten Sie sich davor, ihren Sinnen zu trauen, sie sind oft trügerisch; stellen Sie sich vor: Es gibt eine Unmenge von Dingen, die sie nicht kennen, und es ist gut, wenn ein Anderer sie für Sie kennt, um ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken; verlassen Sie sich nicht nur während der Krankheit auf den Arzt, sondern informieren Sie ihn über ihre Lebensweise, darüber, was Ihnen nützt und was Ihnen schadet, über die körperlichen und geistigen Anlagen der Kinder, über die Anforderungen der von ihnen bekleideten Stellung, die Gefahren, die diese mit sich bringen könnte, und die Heilmittel, die sie bietet“ (Medizin und Mediziner, 1872) Und was glauben Sie, wozu der Fanatismus dient, mit dem der französische Staat jede Möglichkeit behindert, irgendwo anders zu gebären als unter aberwitzigen Bedingungen in einem Krankenhaus? Obwohl die einzige allen Säugetieren gemeinsame Bedingung für eine gute Geburt darin besteht, dass die Frau sich isolieren und von der Welt zurückziehen kann, an einen Ort, der ihr vertraut ist und an dem sie sich für die Geburt wohl und sicher fühlt?
Warum muss man in den allermeisten Fällen darum kämpfen, nicht im Krankenhaus zu sterben? Weil die Aneignung der beiden Extreme des Lebens dem Staat symbolisch seine Eigentumstitel auf die restlichen Lebensabschnitte bestätigt.
In Zeiten, in denen man die Wahrheit nicht unter den Tisch kehrte, machte man kein Geheimnis daraus, und so erklärte ein Abgeordneter 1793 vor dem Konvent: „Die Gesellschaft darf niemals diejenigen aus dem Blick verlieren, die mit ihr einen Vertrag geschlossen haben. Sie muss jedes Individuum im Moment seiner Geburt ergreifen und darf es bis zum Grab nicht loslassen.“
Foucault weist im letzten Text seiner Dits et ecrits – einem Seminar über die Polizei, das er 1984 in den USA abgehalten hat – auf folgende historische Kuriosität hin: Die großen Fortschritte der öffentlichen Gesundheitssysteme gehen im Allgemeinen den großen Massakern kurz voraus oder begleiten sie. Während der Französischen Revolution war das „Recht auf Gesundheit“ kaum formuliert, als sie das Signal für die großen Schlächtereien der Nationalkriege gab. 1901: das Französische Gesetz über Arbeitsunfälle. 1906: das Gesetz über die wöchentliche Ruhezeit. 1910: das Gesetz zur Schaffung der Arbeiter- und Bauernrente. 1914–1918: 1,4 Millionen „Franzosen“ abgeschlachtet.
„Man wird in der gesamten Geschichte nur schwerlich ein Gemetzel finden, dass mit denen des Zweiten Weltkrieges vergleichbar wäre, und genau in dieser Zeit wurden die großen Programme für Sozialschutz, öffentliche Gesundheit und medizinische Versorgung auf den Weg gebracht. […] Lassen Sie sich doch abschlachten, wir versprechen Ihnen ein langes und angenehmes Leben. Die Lebensversicherung geht mit einem Todesurteil einher. […] Die Bevölkerung war nie etwas anderes als das, worüber der Staat in seinem eigenen Interesse wacht, und daher kann der Staat sie selbstverständlich auch abschlachten, falls nötig. Die Thanatopolitik ist also die Kehrseite der Biopolitik.“

Darin liegt die große, die jüngste Epoche verwirrende Zweideutigkeit. Der Staat, die Gesellschaft oder die Polizei betrachten das Leben im Grunde als eine „kostbare Leihgabe“, die uns nur überlassen ist und die wir pfleglich behandeln müssen, weil sie uns nicht gehört. Dummerweise glauben wir aber, dass unser Körper uns gehört. Dass wir frei in unserem Handeln sind, in unserer Art zu leben und sogar darin, „Risiken einzugehen“. Dabei sind wir aus Sicht der Gesellschaft absolut rechenschaftspflichtig. Und hier liegt das Missverständnis. Daran versuchen uns all die zu erinnern, die uns mit der gebotenen Herablassung ständig wiederholen, dass wir „gesellschaftliche Wesen“ sind. Wie man alles tut, damit der Lohnabhängige sich für seine Arbeit interessiert, hat man alles getan, um uns für die uns eigene „Gesundheit“ zu interessieren – oder zumindest für das, was man als solche definiert hat –, ohne jedoch auch nur einen einzigen Moment an ein solches Eigentum zu glauben. Daher hat man auf höchster Ebene keinerlei Verständnis für die, die sich gegen die Impfung sträuben. So auch Patrick Zylberman: „An erster Stelle steht die Pflicht, […] das Recht kommt erst danach. […] Unsere Definition von Pflicht macht aus ihr ein Synonym für Altruismus. […] Aber es handelt sich vielleicht weniger um Altruismus als darum, sich selbst und andere zu regieren. Es geht nicht so sehr um Moral als vielmehr um Politik im Sinne des Bevölkerungsmanagements. Die Ausgangssperre und die Impfung sind zwei Kapitel dieses Regierens.“ (Der Impfstoffkrieg, Juni 2020) All diese mütterlichen Beschränkungen, all diese Restriktionen zu unserem Besten – von der Anschnallpflicht über das Rauchverbot bis hin zu den jüngsten „Gesundheitsmaßnahmen“ – sind nur Wege, um uns zu schützen, zur Not auch vor uns selbst, das heißt: uns zu schützen, insoweit wir der Gesellschaft gehören. Kein Geschenk ist kostenlos. Man hat unsere Körper eingenommen, und man hat in unsere Körper investiert. „Für die kapitalistische Gesellschaft war vor allem die Biopolitik wichtig, das Biologische, das Somatische, das Körperliche. Der Körper ist eine biopolitische Realität; die Medizin ist eine biopolitische Realität“, sagte Foucault 1974 in Rio de Janeiro in seinem ersten Vortrag, in dem er den Begriff Biopolitik benutzt. Wir sind unseren Herren verpflichtet. Es ist wie mit den Kneipenwirten und den Lockdown-Hilfen: Man hat sie nicht an sie ausgeschüttet, damit sie sich anschließend weigern, den „Gesundheitspass“ zu kontrollieren. Foucault hat das schon lange vor der Entstehung der sozialen Netzwerke beobachtet: „Diese Integration der Individuen in eine Gemeinschaft oder eine Totalität resultiert aus der ständigen Korrelation zwischen der immer weiter vorangetriebenen Individualisierung und der Befestigung dieser Totalität.“ Natürlich kommt es manchmal vor, dass diese Korrelation ins Stottern gerät. Etwa bei dieser unerklärlichen, verhängnisvollen und, gelinde gesagt, undankbaren Zurückhaltung, was die Teilnahme an dem weltweiten Experiment mit den „neuen Impfstoffen“ angeht. Im September 2021 ließ Hans Kluge, der Europadirektor der WHO, allerdings keinen Zweifel an der Logik der Operation: „Wenn wir berücksichtigen, dass Covid weiter mutieren und wie die Grippe bei uns bleiben wird, müssen wir antizipieren, wie wir unsere Impfstrategie schrittweise an die endemische Übertragung anpassen und wie wir ein sehr präzises Wissen über die Wirkung zusätzlicher Dosen erwerben können.“
Hat man in Frankreich auch kaum Distanz zu diesen Impfungen, so nimmt man gehörigen Abstand von denen, die sie verabreichen. 1789 zeigte der englische Mediziner Edward Jenner die Eigenschaften der Pockenimpfung auf. Ab 1800 wurde die Impfung in der britischen, der preußischen und der französischen Armee verpflichtend. Und während man in den Dörfern mobilmachte, wurde außerdem wild drauflos geimpft. 1805 gab es in Frankreich bereits 400.000 Geimpfte. Ein Arzt sah darin das Mittel, um „eine schöne Menschenrasse“ zu erzeugen, „geeignet, dem Staat im Ausland Respekt zu verschaffen“. Kaum war die Präfekturverwaltung eingerichtet, wies ihr der Innenminister Chaptal auch schon die Impfung als vordringliche Aufgabe zu: „Kein Gegenstand verlangt stärker nach Ihrer Aufmerksamkeit; es handelt sich hier um das höchste Interesse des Staates und um ein Mittel für die Mehrung der Bevölkerung.“ Die Impfärzte verlangten lautstark die Impfpflicht, obwohl diese Technik noch schlecht beherrscht wurde und es zu zahlreichen Todesfällen kam. Napoleon weigerte sich, die Pflicht einzuführen. Sein kaum für seine Skrupel bekannter Innenminister Fouché erwiderte 1808 auf die Angelegenheit der Impfärzte: „Die von ihnen vorgeschlagenen Zwangsmaßnahmen sind nicht durch Gesetze autorisiert und die wirksamsten Mittel, um der neuen Inokulation zum Erfolg zu verhelfen, sind Zartheit und Überredung.“ Von 1800 bis 1803 experimentierte man hemmungslos, vorzugsweise an Straßenkindern oder Waisen, nach denen niemand fragt, sollten sie sterben. Das dafür zuständige Komitee nannte sich bereits Philanthropisches Komitee. Wie es Furetière schon 1690 feststellte: „Man experimentiert mit den Heilmitteln an Personen von geringer Bedeutung“. Gegen jede Evidenz erklärte das Komitee 1804 die Impfung und ihre experimentelle Methode für vollkommen harmlos. Um jegliche Kontroverse zu unterdrücken, „verordnet der Innenminister, dass jeder Artikel über die Impfung vor seiner Veröffentlichung vom Komitee abgesegnet werden muss. Die allgemeine Presse, die 1802/03 Berichte über Ansteckungen und Rückfälle gebracht hatte, wird mundtot gemacht. Das Philanthropische Komitee wird zu einem Zentralkomitee und der Autorität des Innenministers unterstellt. Seine Mitglieder, die einflussreichsten Mediziner von Paris (Thouret, Direktor der École de Santé, Pinel, Chefarzt von Bicêtre, Mongenot, Chefarzt des Kinderhospizes usw.), werden von der Regierung bezahlt. In jedem Departement werden gleichermaßen Komitees gegründet, um mit dem Zentralkomitee zu korrespondieren. 1804 sagte ein Mediziner, der Impfstoff sei das ‚Ergebnis der in der Regierungswissenschaft erlangten Perfektion‘.“ (Jean-Baptiste Fressoz, Der Impfstoff und seine Trugbilder. Ein Wesen kreieren, um eine Bevölkerung zu verwalten. 1800–1860, 2011)
Um diese historische Parallele ganz auszuschöpfen: „Das Unwissen wird genauso produziert wie das Wissen. Was die Impfrisiken angeht, wurde das Unwissen durch ein pyramidenförmiges Informationsmanagement erzeugt, das auf mehreren Ebenen organisiert war: Die Rathäuser, die Komitees der Departements und das Zentralkomitee fungierten alle als Filter für schlechte Nachrichten. Über die Komplikationen (diverse, bisweilen gefährliche Ausbrüche) wurde in den Anmerkungsspalten in schlichter Prosa berichtet, aber die nächsthöhere Ebene griff das nur selten auf, da sie die Quantifizierung zum Ziel hatte und daher numerische Informationen bevorzugte. Die Einführung einer mehrstufigen Informationsweitergabe erlaubte es, die Wirkung der Selbstzensur der Impfärzte zu maximieren. Da der Impfstoff als vollkommen harmlos galt, muss der Gesundheitsbeamte oder der Arzt bei einem Zwischenfall außerdem befürchten, dieser werde auf seine fehlerhafte Praxis zurückgeführt. Beispielsweise führte 1820 in den Alpen die Durchreise zweier Gesundheitsbeamter zu Hunderten von Krankheitsausbrüchen. Unter 600 geimpften Personen zählte man 40 Tote. Der Impfarzt des Departements beschuldigt die Gesundheitsbeamten, den Impf- mit dem Pockeneiter verwechselt oder vermischt zu haben. Weil die Impfungen nur wenig einträglich waren, wurden sie im Allgemeinen von einfachen Gesundheitsbeamten durchgeführt. Diese erhielten von der Verwaltung des Departements magere Prämien, die von der Anzahl der verabreichten Impfungen abhingen. Wenn sie nicht besonders dickköpfig waren oder bereit, das Risiko einzugehen, als Impfgegner zu gelten und sich den Vorwürfen der Impfkomitees und Präfekten auszusetzen, war es viel bequemer, wenn sie ihre Beobachtungen unter dem Teppich kehren und ihre Skrupel für sich behalten. Die Statistik hat dabei auch eine moralische Funktion: Die Verantwortung, die Zwischenfälle zum höheren Wohl der Nation zu verschweigen, wurde ebenso über das gesamte Impfsystem verteilt wie die Arbeit, Klagen von Eltern zurückzuweisen und die Impfstoffe klinisch zu entlasten. Jede Ebene bekam ihren Anteil an Zwischenfällen, Skrupeln und Unwürdigkeiten ab. Die Statistik lieferte ein äußerst bequemes Argument: Die Impfungen, wie sie in den umfangreichen Tabellen mit ihren durchgehend leeren Spalten dargestellt werden, sind im Wesentlichen absolut ungefährlich. Die winzige Zahl von Berichten über Zwischenfälle, die es schaffen, die aufeinanderfolgenden Hindernisse der Selbstzensur, der Zensur und der peniblen Überprüfung durch das Komitee zu passieren, also kurzum die wenigen Unfälle oder Rückfälle, die unerklärlich bleiben und sich der Kenntnisnahme des Zentralkomitees aufdrängen, werden so gegen Hunderttausende problemlose Impfungen abgewogen. Und natürlich fallen sie so kaum ins Gewicht und schafften es jedenfalls nicht, die Definition der Impfung als vollkommen harmlos und vorbeugend in Frage zu stellen.“ (Jean-Baptiste Fressoz, ebd.) Während in England die Debatte wütete – was zum Aufkommen von Impfmethoden führte, die weitaus weniger schädlich waren –, sorgte diese Politik in Frankreich mit Zahlenkonstruktionen und der vollendeten Kunst der Statistik dafür, dass zwischen 1804 und 1865 keinerlei Debatte stattfand. Mitte September 2021 räumte die französische Medikamentenüberwachung 300 Fälle von Menstruationsbeschwerden in der Folge von Covid-Impfungen ein. Zum selben Datum zählte ihr britisches Gegenstück davon 30.000, eine Zahl, die ihrerseits logischerweise eine Unterschätzung darstellt. In den Augen der Verfasserin des französischen Berichts „konnte bislang kein Zusammenhang zwischen der Impfung und Zyklusstörungen hergestellt werden. Dies könnte nur durch klinische Studien überprüft werden.“ Und da diese nie durchgeführt werden …
Die Impfstoffe sind zwar nicht mehr genau dieselben, aber derjenige, der sie verabreicht, hat sich nicht geändert.