Epilog: Vorbereiten für die nächste Runde
Der Streik ist nicht vorbei, deshalb kann dieser Bericht keine saubere Schlussfolgerung haben. Nach dem Grand-Prix-Wochenende, als wir zu schreiben begannen, ist die Straßenpräsenz der Bewegung bis auf ein paar wenige Events zurückgegangen, es gab aber Entwicklungen an anderen Fronten. Militante sind nach nah und fern gereist, um die Neuigkeiten über den Kampf in Québec in anderen Teilen des Kontinents zu verbreiten. CLASSE hat strategische Treffen in jedem bevölkerungsreichen Wohngebiet in Québec organisiert und genauso in verschiedenen Städten in Ontario. Der Premierminister hat eine Wahl ausgerufen. Autonome Antikapitalisten haben ihren eigenen Aufruf gemacht: Sie wollen, dass vom 13. zum 17. August Leute nach Montreal kommen, um bei der Sabotage des Spezialgesetzes und des Starts des Spezialsemesters zu helfen – ganze 10 Wochen Unterricht wurden in fünf Wochen gestopft, und die letzte von der Regierung den Studenten an streikenden Schulen angebotene Gelegenheit, das Semester zu schaffen, dass aufgrund des Streiks zunächst in den Mai verlängert wurde und dann gänzlich per Dekret abgebrochen wurde.
Obwohl es die offizielle Politik von CLASSE ist, sich dem neuen Spezialgesetz zu widersetzen – das, wenn es auch schon seit über zwei Monaten auf dem Papier steht, bislang noch nicht auf Militante angewendet wurde – scheint es so, dass die Organisation sich zurückhält, Demos oder Aktionen zu organisieren, um den rentrée, die Rückkehr zum Unterricht zu blockieren. Dies ist aus ihrer Sicht vernünftig und wahrscheinlich nützlich für alle, die Rechtshilfe brauchen werden. CLASSE hat eine Menge Geld, aber der Zugang zu diesem Geld ist prekär, und es ist möglich, dass Gesetzesübertretungen mit der Einfrierung der Gelder geahndet werden würden oder durch per Bankeinzug erhobene Strafen. Dies soll nicht heißen, dass CLASSE sich davor scheut, Opposition gegen bestimmte Bestimmungen des neuen Gesetztes zu leisten. Sie wird weitermachen, störende Demos zu organisieren, die nicht mit der Polizei kooperieren, wenn es auch wahrscheinlich ist, dass sich diese Demonstrationen gegen andere Institutionen richten werden als Schulen.
Während des Sommers hat sich CLASSE darauf konzentriert, ihre Message unter den Leuten in Québec und den Studierenden von Ontario zu verbreiten. Aus einer anarchistischen Perspektive ist diese Message gelinde gesagt inadäquat. Das neue Manifest der Koalition „Teile unsere Zukunft“ – dessen englische Übersetzung noch die schlechtesten Übersetzungen Montrealer Anarchisten ziemlich gut aussehen lässt –, beinhaltet ein paar scheinheilige Bezüge auf marginalisierte Elemente in unserer Gesellschaft und andere Themen, die insbesondere Anarchisten mit aufnehmen wollten, aber das ist alles. Schlimmer noch, anstatt leidenschaftlich zu klingen, klingt es genau nach dem was es ist: dem Produkt eines Konsensprozesses unter Leuten, deren Politik- und Strategieansätze weit variieren. Folglich ist es eine Litanei des kleinsten gemeinsamen Nenners und nicht ein inspirierender Aufruf zu den Waffen.
In der Zwischenzeit läuft die Wahl an, und Pauline Marois, Vorsitzende der Parti Québécois, tut ihr bestes, um die Kraft der Streikbewegung auf ihre Wahlkampagne umzuleiten. Sie und ihr Spitzenkandidat Léo Bureau-Blouin, der bis Juni Präsident der FÉCQ war, haben die Studierendenbewegung freundlich gefragt, bitte keine Schwierigkeiten während der Kampagne zu verursachen. Dabei argumentierten sie, dass Störungen der Wiederwahlstrategie der Liberalen in die Hände spielen würden. Dies werden sie wahrscheinlich auch, aber das macht nichts. Wenn die Streikbewegung das Spezialsemester nicht wirksam sabotiert, werden jene, die sich weigern, in den Unterricht zu gehen, die Konsequenzen tragen, und das rapport de force der Bewegung wird sich maßgeblich verschlechtern, egal, welche Regierung auch immer am 4. September an die Macht kommt. Ein großer Teil der Bewegung denkt, das wichtigste sei, Charest von der Macht zu entfernen – während es für die Bewegung tatsächlich am wichtigsten wäre, auf die eigene Stärke vertrauen zu lernen.
Studierendenvereinigungen haben bereits an ein paar Schulen dafür gestimmt dem rentrée zuzustimmen. Andere, wie die am Cégep du Vieux Montréal – welche im Frühling dafür gestimmt haben, im Streik zu bleiben, bis kostenlose Bildung in Québec verwirklicht ist –, werden weiterkämpfen.
Für seinen Teil hat die CLAC eine Antiwahlpropagandakampagne gestartet und verbreitet einen Aufruf für drei Demonstrationen: eine für den Tag an dem die Wahl angekündigt wird; eine für die Vorsitzendendebatte, obwohl es anscheinend verschiedene geben wird; und eine für den Tag der Wahlen selbst.
Es ist unklar, was der Plan für die erste Woche des rentrée ist, aber es wurde eine multilinguale Webseite aufgesetzt, um Leute über die Pläne zu informieren, sobald sie beschlossen sind. Drei Cégeps öffnen am 13. August und insgesamt vierzehn in derselben Woche, aber ob die Studierendenvereinigungen ihre Streikmandate an jeder Schule bis zum 10. August verlängert haben werden oder nicht, ist noch unklar. Eine weitere Webseite wurde aufgesetzt, um Schlafplätze und Transport zu regeln.
Außerdem gab es seit dem Grand Prix zwei „nationale“ Demonstrationen, eine am 22. Juni – ein kleines und passives Event mit weniger als 100.000 Leuten – und eine weiteres am 22. Juli, welche ein bisschen größer war und ein wenig aufregender. Ein antikapitalistisches Kontingent brach vom Hauptmarsch los und widersetzte sich dem Nebengesetz P-6 und dem Spezialgesetz, obwohl die Militanten nicht mehr taten, als den Verkehr zu stören.
Am Morgen des ersten August, kündigte Jean Charest die 40te Generalwahl von Québéc an. Zufällig war dies auch die Nacht der einhundertsten aufeinanderfolgenden Nachtdemonstration, und sowohl die Studierendenföderationen als die Nachbarschaftsversammlungen hatten geplant, der Demonstration mehr Leben zu verleihen als in der letzten Zeit. Versammlungen aus den Vierteln nördlich und östlich vom Berri Square organisierten Umzüge, welche mehr Leute versammelten, da sie durch alle Nachbarschaften zogen, bevor sie den Platz erreichten.
Es gab Auseinandersetzungen mit der Polizei. Bankscheiben wurden eingeworfen, und Müllcontainer auf die Straße gezogen. Die Polizei setzte ihre üblichen Waffen ein: Schlagstöcke, Pfefferspray, Flashbang-Granaten. Insgesamt wurden 15 Leute verhaftet. Der Kampf geht weiter.