Deutschland in Bernsdorf angreifen!
Redebeitrag auf einer Demonstration gegen Bernsdorf am 9.12.2001
Bernsdorf läßt sich als so etwas wie die Avantgarde Deutschlands begreifen. Eine Linke existiert hier nicht, sondern muß erst importiert werden. Die Bevölkerung setzt sich zusammen aus erklärten Nazis, reaktionärem Sympathisantensumpf und einer schweigenden oder gleichgültigen Minderheit. Die gewöhnlichen potentiellen Opfer dieses deutschen Packs haben die Flucht ergriffen, weil sie hier – völlig auf sich alleine gestellt – permanent um ihr Leben bangen müßten. Spätestens seit sich einer von ihnen gewehrt hat am 9. Dezember 2000. Sie hatten allen Grund, zu befürchten, daß die Deutschen auf ihre traditionellen Methoden der Partisanenbekämpfung zurückgreifen würden: Ein toter Deutscher muß mit einer Vielzahl toter Feinde gerächt werden.
Was aber soll nun eine linke Demonstration in diesem besonders deutschen Dorf? Sicher nicht „in ehrlicher und friedlicher Absicht gegen Rassismus und fremdenfeindliche Gewalt demonstrieren“, was der Bernsdorfer Bürgermeister gerade noch erträglich fände. Würden die Demonstranten das wollen, wären sie Teilnehmer an einem der üblichen Betroffenheitsumzüge, wie sie in Deutschland und für Deutschland bei allen möglichen Gelegenheiten so beliebt sind. Bemerkenswert genug jedoch, daß hier auch sonst niemand auf die Idee gekommen ist, dergleichen zu veranstalten. Das verweist wieder auf die Bernsdorfer Avantgarde-Rolle für ein neues altes Deutschland: Niemand hier findet es noch nötig, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Die Nazis sind „unsere Jugendlichen“ und damit basta. Wem das nicht gefällt, der soll gefälligst anderswo rumnörgeln. Was sich sonst zwar ziemlich deutlich aber doch erst allmählich abzeichnet, hat sich hier schon vollzogen: Die Bernsdorfer Zivilgesellschaft, die sich in vom Bürgermeister angeführten Nazi-Demos zeigt, ist sich selbst genug, braucht keine pfäffischen Moralapostel, liberalen Zweifler mehr und will auch niemanden haben, der den Eindruck erweckt, daß er irgendwie doch nicht ganz zum dumpfen Pack dazugehört. In Bernsdorf scheint Deutschland schon ganz zu sich selbst gekommen zu sein, ohne daß dazu ein Führer notwendig gewesen wäre, oder die Demokratie abgeschafft hätte werden müssen.
Das heißt aber, daß eine linke Demonstration in Bernsdorf nicht im geringsten darauf rechnen darf, hier irgend jemand etwas zu vermitteln, gewissermaßen die Fackel der Aufklärung nach Ostsachsen zu tragen. Die will hier niemand entgegennehmen. Diese Menschen haben sich schon entschieden – gegen die Aufklärung und für das deutsche Kollektiv. Alle Versuche, das zu ändern, werden als Fremdherrschaft und Gemütsstörung empfunden und mit den entsprechenden Mitteln von den Nazi-Bürgerinitiativen bekämpft werden. Die in Deutschland schon immer kleine liberale Öffentlichkeit, die ihre Ideale immer genau in dem Moment zu vergessen beliebt, wenn es auf diese ankäme, sucht man hier vergeblich. Die Rolle dieser liberalen Öffentlichkeit ersatzweise zu übernehmen oder das antifaschistische Gewissen dieser Gesellschaft zu spielen, was sich die Linke als Konzept gerade bei Antifademos häufig genug angeeignet hatte, wird hier endgültig kenntlich als das, was es im Kern schon immer gewesen ist: Die Aufgaben des bürgerlichen Staates und der Bürger zu übernehmen, ohne über die dafür notwendigen staatlichen Zwangsmittel zu verfügen. Eine Sisyphosarbeit ohne Aussicht auf Erfolg.
Schon aus ins Auge springenden gewissermaßen praktischen Gründen wird also die Linke auf das zurückgeworfen, was ihre Vordenker schon immer wußten und empfahlen, was aber wegen des verhängnisvollen Wunsches, Erfolg zu haben, Einfluß in dieser Gesellschaft auszuüben, leichtfertig vergessen wurde: Daß es ums Ganze geht. Daran sich nun nachdrücklich zu erinnern ist die existentiell notwendige Konsequenz, die aus der kläglichen Lage der Linken und ihrer Isoliertheit gezogen werden muß. Die Linke muß ihre Positionen rücksichtslos und ohne Kompromisse darbringen, spätestens jetzt, da es ohnehin wirklich keine gesellschaftlichen Kräfte mehr gibt, wegen denen es sinnvoll erscheinen könnte, auf gewonnene Einsichten zu verzichten, um ‚bündnisfähig‘ oder ähnliches zu werden. Wenn die Linke oder was davon übrig geblieben ist also einsehen will, daß es nichts bringt, sich dümmer zu stellen, als man ist, muß dies als Fortschritt begriffen werden. Denn dies würde die Einsicht bedeuten, daß die bisherige Praxis heutzutage nicht mehr sein kann als das selbst nach den verkrüppelten realpolitischen Maßstäben erfolglose Herumdoktern an Symptomen oder rein symbolisches Handeln. Aus dieser Einsicht müßte folgen, daß die einzige Praxis, der man ungebrochen nachgehen kann, die kommunistische Weltrevolution ist. Solange die nicht gewagt wird – und dies wird nie geschehen, wenn selbst die wenigen Linken, die es besser wissen, penetrant die Eigentumsverhältnisse verschweigen -, wenn also die selbstbewußte Aneignung der Produktionsmittel ausbleibt, wird man sich auf Ewigkeit mit Deutschen und Nazis herumzuschlagen haben, diesen Produkten der Klassengesellschaft. Die Notwendigkeit, sich mit diesen weiterhin herumzuschlagen, wird dabei hier gar nicht in Frage gestellt. Nur aus welchen Gründen und aus welcher Position heraus man dies tut, darüber sollte bei Linken doch Klarheit herrschen. Vergißt man, daß diese Verhältnisse die Barbarei immer wieder aufs Neue notwendig hervorbringen, verfällt man zwangsläufig in idealistische Phrasen. Wenn man schon zur Pseudopraxis verurteilt ist, sollte man sich seines Tuns wenigstens bewußt sein und nicht subjektiv die objektiv längst ausgemachte Verblödung nachvollziehen.+
Die emanzipatorische Umwälzung aller Verhältnisse, der Beginn der bewußten Menschheitsgeschichte ist das einzige Anliegen, das eben keine idealistische Phrase sondern das alleinige Ziel darstellt, wonach sich mit vollem Ernst streben läßt. Konfrontiert man dies mit der Realität, die ein solches Ziel notwendiger und unwahrscheinlicher denn je zugleich erscheinen läßt, ist damit auch der Ausgangspunkt bestimmt, an dem sich jede Überlegung über Praxis orientieren muß, will man nicht in halbbewußten Reformismus und linke Selbstbestätigung zurückfallen. Wir wollen alles, darunter geht nichts. Gerade wenn sonst niemand mehr von Klassenherrschaft, Produktionsverhältnissen oder Ausbeutung reden will, obwohl ja der Schlammassel, in dem die Menschheit steckt, wesentlich davon hervorgebracht wird, ist es notwendig, daß wenigstens die Linken in den Städten vom Kommunismus reden, solange sie noch die Möglichkeit dazu haben. Den Antifaschisten im Osten ist diese Möglichkeit schon jetzt verwehrt, weil sie wie Thung genug damit zu tun haben, sich selbst zu verteidigen; und – auch das sollte klar sein – am Ende ja auch dafür zu zahlen haben, was wir, zwar entschieden, aber eben doch nur verbal kritisieren.
PS: Und was tut die Linke stattdessen? Anstatt sich angesichts der desolaten Lage zusammenzuraufen und die wenigen radikalen Kräfte zu bündeln, wurde auf einer Info-Veranstaltung zu dieser Demonstration ein Redakteur der kommunistischen Zeitung Bahamas rausgeworfen.