Redebeitrag auf der Kundgebung gegen den „Nahost-Kongress“ der Kalaschnikow
Nicht die allerschlechtesten Teile der Linken in Deutschland haben sich unter dem Sammelbegriff Antifa durch die 90er Jahre gemogelt. Immerhin ist dabei anfangs deutlich gemacht worden, dass man die Herstellung wieder nur eines deutschen Staates nicht für einen Glücksfall der Geschichte hielt, sondern für die Rücknahme einer der wenigen praktischen Konsequenzen, welche die Welt aus dem Nationalsozialismus gezogen hat, und damit ein beunruhigendes, Böses verheißendes Ereignis. Klar schien damals weiter, dass der nationale Rausch der sogenannten Wendetage die selbe Stimmungslage war, die sich dann wenig später beispielsweise in Rostock an den aufs Neue entdeckten Feinden des deutschen Volkes austobte. Wozu die deutsche demokratische Volksgemeinschaft fähig war und ist, zeigte sich praktisch in den Pogromen Anfang der 90er Jahre, die Asyldebatte war der staatliche und politische Beitrag dazu. Diese Erkenntnisse waren zu dieser Zeit weitgehend Konsens in ‚der Antifa‘.
Dennoch blieb dies folgenlos. Bald darauf schon betrieb man ‚Antifa-Arbeit‘ und spielte Ersatz-Staatsschutz: Man recherchierte den Nazis hinterher bis in die letzten Verästelungen auch noch der unbedeutendsten ihrer Gruppierungen, organisierte Demo um Demo auch noch gegen das allerkleinste ihrer Treffen mit möglichst breiten Bündnissen. Man kannte bald kaum ein anderes Thema mehr als die Anti-Nazi-Aktivität. Gesellschafts- und Staatskritik – praktisch wie theoretisch – gerieten zum Anhängsel oder blieben gänzlich auf der Strecke. Dass das prophezeite Vierte Reich, dass man sich als die Wiederholung des Dritten vorstellte, partout nicht kommen wollte, dass die Nazi-Parteien bis heute eine Randerscheinung blieben und eben weiterhin nicht den Anklang bei den Deutschen fanden, den sie sich selbst erhofften und die Antifa befürchtete, störte die Umtriebigkeit auf der Linken wenig.
Erst als im Sommer 2000 von Staats wegen erklärt wurde, dass das allzu forsche Ausländer-Klatschen durch die rechten NGOs ein Ende haben solle, war das Antifa-Selbstbild im Kern getroffen. Hatte man sich doch nicht nur antifaschistisch gewähnt, sondern auch revolutionär, staatsfeindlich – gerade eben wegen seines entschlossenen Antifaschismus und trotz aller an den deutschen Staat gerichteten Forderungen und Appelle, die zum Politikmachen, dem Steckenpferd der Antifa, eben dazugehören. ‚Staat und Nazis Hand in Hand‘ – solche Parolen mussten fortan den Aktivisten im Hals stecken bleiben. Doch es folgte nicht der Moment, in dem es den revolutionären Antifaschisten wie Schuppen von den Augen fiel, dass man sich Jahr um Jahr auf der falschen Fährte befunden hatte; dass, während man dabei war, eine möglichst lückenlose Kartei der aktiven Freunde des historischen Nationalsozialismus anzulegen, einige rührige Freunde Deutschlands – viele davon klassische Bündnispartner der Antifa – den Anschluß des Landes an große, machtvolle Zeiten bewerkstelligt und dabei die deutsche Zwischenkriegszeit beendet hatten. Die in Regierungsämter gelangte rot-grüne Zivilgesellschaft führte den ersten deutschen Krieg seit der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands – wie selbstverständlich gegen Jugoslawien, einen Gegner Nazi-Deutschlands – und zeigte mit der Begründung dieses Krieges durch Auschwitz, was zeitgemäßer Revisionismus ist. Dass die bürgerlichen Demokraten und Demokratinnen Antiamerikanismus wie Antisemitismus auch besser und volksnaher drauf haben als die Nationaldemokraten, ist wohl in den letzten Wochen und Monaten hinlänglich deutlich geworden.
Doch nicht Selbstkritik folgte auf all die Ernüchterung und Nachdenken darüber, was denn nun ‚antifaschistisch‘ und ‚revolutionär‘ bedeuten könnten, wenn es sichtlich das, wofür man es gehalten hatte, nicht gewesen ist. Stattdessen vollzogen die Einen den insgeheim lang ersehnten Rückzug ins Private; die vollends Bewusstlosen sprangen auf die nächste gerade zur rechten Zeit aufblühende Bewegung der sogenannten Globalisierungskritiker mit auf, bei denen sich ähnlich viel zu rühren schien wie in den seligen Zeiten der guten alten Antifa; Dritte wiederum – völlig ungerührt und von den Vorgängen in der Welt unbeeindruckt – entschlossen sich – trotz alledem – fürs Weiter- und Immer-Weitermachen, nur mit immer weniger Lust und immer mehr Verdruckstheit. Vierte gab es auch noch, die Ausnahmen, die sich vom Zusammenbrechen der herkömmlichen Antifa-Politikmuster nicht irre machen ließen, sondern die eine Neuformulierung des Antifaschismus und die Entwicklung einer entsprechenden Praxis versuchen. Aber, wie das eben mit Ausnahmen so ist, viele sind es nicht. Schließlich, um ein allerletztes, ein hinterletztes Spaltprodukt nicht zu vergessen, gibt es auch noch die Veteranen der Antifa, aus den autonomen und anderen Teilgrüppchen, die als Gäste und Referentinnen auf der Konferenz im Neuen-Deutschland-Haus nun offenbar und offensiv der Idee des völkischen Antifaschismus folgen wollen.
Hätte die Antifa als Ganzes betrachtet ihren absehbaren Niedergang und ihre offenkundig gewordene Nutzlosigkeit in Sachen Emanzipation zur Selbstkritik genutzt, wäre ein Aufruf gegen diese sogenannte ‚Nahost-Konferenz‘ samt ehemaligen Genossen nicht nur von diversen antideutschen und antifaschistischen Randgruppen verfasst worden, sondern es fände sich hier die gesamte Szene ein – jedoch nicht, um in erster Linie der völkischen Kalaschnikow und ihren Partnern deutlich zu machen, was man von ihnen hält. Dies erscheint fast als Nebensache angesichts der relativen Bedeutungslosigkeit dieser Zeitschrift und des rot-braunen Querfrontspektrums im internationalen Aufwallen des Antisemitismus. Antifaschismus heute und an dieser Stelle heißt vielmehr, die Klärung und Spaltung innerhalb der Linken voranzutreiben, indem man der Selbstverständlichkeit auch praktisch Geltung verschafft, dass dieses Spektrum nicht irgendwie doch noch, welch dröge und eklige Sachen von dort auch zu hören sind, zur Linken zählte, die ja eh schon so klein und schwach geworden sei. Ein erneuerter Antifaschismus kann und muß hier klarmachen, dass die Protagonisten der Konferenz sowieso, jedoch auch ihre Sympathisanten und Verteidiger mit der Linken etwa soviel zu tun haben wie Ernst Röhm, die Brüder Strasser oder Jassir Arafat. Aber es scheint, bei den Überbleibseln der Antifa scheint der offene Bruch mit alten Genossen und der Abschied von fade und lieb zugleich gewordenen Politik-Gewohnheiten in der Breite noch bevorzustehen. Dabei ginge es ja erst mal nur um das tatsächliche Begreifen von Banalitäten: Für Linke, die Emanzipation nicht nur als Füllwort verwenden wollen, ist links meist alles andere als das, wo links draufsteht. Und: Faschisten wiederum sind bei weitem nicht nur die, die sich selbst als solche bezeichnen.
Doch dazu müsste der Blick eben nicht mehr allein auf Deutschland gerichtet sein und vor allen Dingen nicht mehr verzerrt durch den Willen zur Suche nach den ‚Machern‘ und ‚Drahtziehern‘ im ‚braunen Netz‘, die in diesem Weltbild dann doch wieder nur die großen Verführer der im Kern guten, aber manipulierbaren Massen, des Volkes, sein können. Stattdessen muß der Faschismus erkannt werden an dem Charakteristikum, dass ihm erst sein ganzes Gefahren- und Gewaltpotential verleiht: als eine Bewegung, eine Formierung der Individuen zu Massen, die – bei all ihren internen Aversionen und Misstrauen – zum Einen das Unbehagen an der kapitalistischen Welt und sich selbst in dieser eint, zum Anderen der Wille, dieses Unbehagen loszuwerden, indem man diejenigen totschlägt, bei denen man mehr Glück oder überhaupt Glück vermutet. Zur Zeit der Pogrome von Rostock hatte man glauben können, dies sei begriffen worden, konnte man meinen, daß künftig deshalb jedes Zugeständnis an das aufs Kapital und Staat geeichte Bewusstsein der zu Massen deformierten Individuen peinlichst vermieden worden wäre. Das war ein Irrtum. Der aktuelle globale Aufschwung des Völkischen und Antisemitischen, das Entstehen einer weltweiten faschistischen Bewegung, die sich unter den verschiedensten Namen in der erbitterten Gegnerschaft zu den U.S.A. und Israel schon einig ist und mit großen Schritten der furchtbaren Variante der kapitalistischen Krisenbewältigung entgegen eilt, bietet der Linken und damit auch der Antifa nicht die Chance, sondern die Notwendigkeit zur Entscheidung: Will sie sich durch Gleichgültigkeit und Ignoranz der bedrohlichen Regression faktisch anschließen oder die gern gebrauchten, zu Floskeln heruntergekommenen Parolen vom Kampf gegen den Faschismus und gegen Volk, Staat, Nation und Kapital mit dem Ernst verwenden, den ein emanzipatorischer Anspruch verlangt. Das ist es, worum es bei dieser Kundgebung geht.
Daher wäre es allerdings verfehlt, wenn man nun meint, es reiche, umstandslos die Praktiken der Antifa von den bekennenden Nazi-Chargen weg und zu den neuen rot-braunen, islamistischen oder globalisierungskritischen Wortführern hinzuwenden, um damit doch nur das alte Spiel gegen neue Gegner zu betreiben. Damit machte man sich höchstens zum handelnden Arm der Extremismusforscher oder erreichte vielleicht das bornierte und bewusstlose Niveau der Staatsantifa Otto Schilys, der, auch wenn er kürzlich erst einige Islamistenvereine verbot, weiter Teil des Problems statt der Lösung bleiben wird, da seine Maßnahmen in der Hauptsache doch der Festigung des Zusammenhalts des deutschen Volks gegen seine Feinde dienen. Der Scheidepunkt ist, ob man sich zum Brechen aller reaktionären Kollektive, damit auch einer links-dumpfen Wohlfühlgemeinschaft, aufmacht, indem man zuallererst den Bruch mit ihnen forciert, oder ob man zur Kumpanei mit der Regression und damit zur Selbstauflösung im völkischen Allerlei bereit ist. Die hier im Neuen-Deutschland-Haus und anderswo versammelten intellektualisierenden Feinde der Emanzipation und Freunde der Barbarei haben sich für Letzteres entschieden, gehören jedoch nur zum radikalsten und wortreichsten Stoßtrupp einer Entwicklung, die längst schon als globaler Mainstream die Vereinten Nationen erfasst und zu ihren Sympathisanten im Geiste und in der Praxis längst Deutschland, die EU und die arabischen Staaten zählen kann. Es geht – wie immer – ums Ganze, letztlich um das verzweifelt dringende Gelingen des Kommunismus als Verein freier Menschen oder um das Sterben jeder Chance auf Emanzipation in der offen ausbrechenden Barbarei.