Redebeitrag vor der französischen Botschaft
Anlässlich der Liberation Day Rally am 8. Mai 2003
In freudiger Erinnerung an die Niederschlagung des Nationalsozialismus durch die alliierten Truppen sei an dieser Stelle, vor der französischen Botschaft, zunächst der französische Widerstand, die Resistance, gebührend erwähnt. Zeigte doch vor allem die Resistance, nachdem die regulären französischen Truppen von den deutschen überrannt worden waren, dass es im Gegensatz zu den volksgemeinschaftlichen Märchen, welche uns auch heute noch gerne von deutschen Großmüttern und Großvätern aufgetischt werden, durchaus möglich war, gegen die Nazis und ihre Kollaborateure Widerstand zu leisten – den dafür notwendigen Willen und Mut vorausgesetzt. Jedoch war der Anteil an der Befreiung vom Nationalsozialismus gemessen am Anspruch der Grande Nation eher gering. Denn die Resistance erwies sich als zu schwach, um alleine – trotz nicht geringen Rückhalts in der Bevölkerung – gegen Vichy-Frankreich und gegen die Nazibesatzer zu bestehen. Da sich zudem das Vichy-Regime anfangs auf eine breite Unterstützung durch reaktionäre Eliten sowie Militär und Teile der Bevölkerung berufen konnte, gelang die erfolgreiche Gegenoffensive erst, als die amerikanischen Truppen auf dem französischen Festland landeten. Am 25. August 1944 konnte die Resistance Paris zurückerobern, und in Allianz mit den angloamerikanischen Streitkräften wurde bis September 1944 fast ganz Frankreich befreit. In Zeiten des blühenden Antiamerikanismus werden solche störenden Erinnerungen auch in Frankreich gerne vergessen, man muss sich ja in Stellung bringen gegen aktuelle militärische Avancen der USA.
Die Franzosen befanden sich jedoch nicht immer im Verlaufe der Geschichte in einer derart misslichen Lage gegenüber den Deutschen wie im zweiten Weltkrieg. Und auch nicht immer im Bunde mit ihnen.
Als im Jahre 1789 die Große Französische Revolution aufbrach, die absolutistischen Despoten in ganz Europa das Fürchten zu lehren, erzitterte auch die Reaktion in den Gebieten des zukünftigen Rheinbundes sowie Preußens. Verhießen doch die folgende Enthauptung des Königs, die Entmachtung von Kirche und Adel sowie die Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit keine allzu rosige Zukunft für die alten Machthaber. Die Verhältnisse schienen gewaltig in Unordnung zu geraten:
Das im Zuge der Industrialisierung erstarkte, sich seiner Fähigkeiten und Macht mehr und mehr bewusst werdende Bürgertum trat an, das zu vollstrecken, was in heutiger Zeit gerne mit Begriffen wie Egoismus und Interessenspolitik verspottet wird, jedoch für die Emanzipation der Menschheit unabdingbar sein wird: Das selbstbewusste Vortragen eigener Interessen und die Bereitschaft, sie mit den dafür notwendigen Mitteln durchzusetzen. Natürlich waren es die Interessen der Bourgeoisie, auch wenn sie als die Interessen der Menschheit ausgegeben wurden. Aber immerhin wurde in Frankreich vorgemacht, dass die Menschen durchaus in der Lage sein können, ihr Geschick in die eigenen Hände zu nehmen und geschichtsmächtig zu agieren.
Doch als bald Frankreich unter Napoleon Bonaparte dazu überging, einige Errungenschaften der Französischen Revolution mittels mehrer Kriege gegen das damals wahrlich ‚Old Europe‘ zu exportieren, stellte sich heraus, dass die französische Lektion nicht gelernt werden wollte. In den Deutschen Gebieten schrie man Zeter und Mordio und glaubte in Napoleon den Gottseibeiuns nahen. Man entdeckte gegen die von außen herandringende Zivilisation das „deutsche Nationalgefühl“, wie es so harmlos in den Geschichtsbüchern genannt wird. Angestachelt von Fichte und Arndt, den Walsers und Sloterdejks jener Jahre, berief man sich auf die Germanen, die ja schon gegen die Römer sich erfolgreich den Zumutungen der Zivilisation erwehrt hatten, und zog nun gegen den Code Zivil und die Judenemanzipation ins Felde, um, wie es Fichte formulierte, „die Ursprünglichkeit als Deutsche zu wahren“. Arndt avancierte im Zuge dieser ‚Befreiungskriege‘ – in diesem Sinne wollen die Deutschen dieses Wort verstehen – zum Stichwortgeber des fortan als Erbfeindschaft bezeichneten Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich, indem er schrieb: „Ich will den Hass gegen die Franzosen nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für lange Zeit, ich will ihn für immer!“
Der Sieg dieser reaktionären Kräfte in Europa gegen die Franzosen war somit nur der vorläufige Höhepunkt im Kampf gegen die Moderne verkörpert durch Frankreich, der fortleben sollte im Kampf gegen die Ideen des Liberalismus als auch gegen die aufkommende Arbeiterbewegung und seine Exekution schließlich in der Ermordung der Juden fand.
Gemäß dem Marxschen Ausspruch, dass die Deutschen sich nie an einer Revolution beteiligt hätten, sondern nur die folgende Phase der Reaktion bei sich zuließen, setzten sie sich an die Spitze der nun folgenden Reaktion, die eigentümliche Konstellationen hervorbrachte. -So zum Beispiel 1871, als das gerade im Sieg gegen Frankreich gegründete Deutsche Reich von der französischen Bourgeoisie – man ist ja nicht nachtragend, wenn es ernst wird – ohne viel Federlesens zu Hilfe gerufen wurde, um den Versuch der Pariser Kommune, die wirkliche Emanzipation praktisch werden zu lassen, die Versprechen der französischen Revolution zu verwirklichen, mit Waffengewalt niederzuschlagen.
Seither ist es offenbar ein recht zuverlässiger Indikator für reaktionäre Zeiten, wenn der französische und der deutsche Staat sich anschicken, gemeinsame Sache zu machen.
Die Kollaboration mit den Nazis und die Mitverantwortung des Vichy-Regimes am Judenmord stellen den bisherigen Höhepunkt dieses finsteren Bündnisses dar. Doch auch nach dem 2.Weltkrieg schloss man, wie sich heute herauszustellen scheint, ein Bündnis wider die Emanzipation: Wurde der Elysee-Vertrag, an welchen jüngst mit pompösen Feierlichkeiten erinnert wurde, 1963 noch im Zeichen der Versöhnung abgeschlossen, so offenbart sich in diesen Tagen der wahre Gehalt der deutsch-französischen Freundschaft. Sei es im Verhältnis zu Israel, gegen das man innerhalb der EU offen mobil macht, oder anläßlich des jüngst erfolgreich geführten Kriegs der Alliierten gegen den Irak, gegen den die beiden Länder eindeutig Stellung bezogen: Die Achse Paris-Berlin wendet sich immer frecher werdend gegen den gemeinsamen Feind jenseits des Atlantiks.
Ob die Versuche der USA, die Formierung eines deutsch gesinnten europäischen Blocks zu verhindern, indem man sich den osteuropäischen Neumitgliedern der EU als der zuverlässigere Bündnispartner anbietet, erfolgreich sein werden, muss sich erst noch erweisen. Chirac und Schröder jedenfalls haben die Signale offenbar verstanden und bezeichnen den vermittelnden Vorschlag Polens, sich der Militärverwaltung im Irak anzuschließen, mit einer Stimme als „ungezogen“ und frech – und meinen damit natürlich eigentlich das Vorgehen der USA.
Vorbei sind sie, die Zeiten der ‚deutsch-französischen Erbfeindschaft‘ – leider, denn sie waren nur folgerichtig, solange Frankreich im Anschluss an die progressiven Tendenzen der Großen Französischen Revolution handelte. Bleibt zu hoffen, Frankreich möge noch merken, dass die deutsch-französische Freundschaft eine sehr ungleiche ist und die Grande Nation dabei doch nur den Juniorpartner, den Kollaborateur, spielen wird. Aber auf Hoffnungen ist nun mal per se kein Verlaß. Deswegen sei hier noch in aller unzulässigen Kürze und unzulänglichen Schlagworthaftigkeit daran erinnert, dass die Anhänger der Idee eines Vereins freier Menschen ihr Anliegen nicht im Streit der Nationen erfüllt bekommen werden. Stattdessen gilt es gerade im Kampf gegen Reaktion und Faschismus die Verhältnisse auf ihrem höchsten Niveau zu kritisieren, was letztlich ihre Aufhebung bedeuten muss.