Theodora Becker
Prostitution und staatliche Kontrolle – Eine Einschätzung der gegenwärtigen Lage
Vortrag im Laidak, 19.8.2015
Verwendete Folien mit Auszügen aus den Gesetzen
Text des Vortrags
Die Auffassung, dass die Prostitution ein zentrales gesellschaftliches Problem darstelle, dem – wenn schon seine Beseitigung fast stets als unmöglich galt – mit umfassenden (sitten-)polizeilichen, medizinisch-hygienischen, ordnungspolitischen und strafrechtlichen Maßnahmen zu begegnen sei, ist etwa genau so alt wie die bürgerliche Gesellschaft. Es lassen sich dabei vier durchaus widersprüchliche, aber auch miteinander verbundene Ziele unterscheiden, die recht konstant bleiben – nur ihre Gewichtung verschiebt sich: Erstens eine Eindämmung und Einhegung der Prostitution, um ihre „entsittlichende“ Wirkung auf die Gesellschaft so gering wie möglich zu halten; zweitens eine (polizeiliche) Kontrolle der Prostitution, um die mit ihr angeblich notwendig einhergehende Kriminalität zu bekämpfen sowie die Irregularität und Informalität der Branche zu mindern: der Kampf gegen das „Milieu“; drittens gesundheitspolitische Maßnahmen, die verhindern sollen, dass durch die Risiken des wechselnden (öffentlichen) Geschlechtsverkehrs die „Volksgesundheit“ beeinträchtigt wird; sowie viertens der „Schutz“ der Prostituierten vor Ausbeutung, Gewalt und Zwang.
Unter diesen vier Aspekten lässt sich einerseits eine erstaunliche Kontinuität staatlichen Handelns feststellen. Andererseits sind die Maßnahmen in diesem Bereich von einem dauernden Widerspruch geprägt: zwischen staatlicher Kontrolle, Regulierung und Einhegung einerseits und Verbot, Verdrängung, Schikane, „aus den Augen aus dem Sinn“-Politik andererseits. Bildlich gesprochen zwischen Abdrängung der Prostitution in dunkle Winkel und dem Versuch der hellen Ausleuchtung eben dieser Schattenbereiche. Dies kann als Ausdruck sowohl der ambivalenten Haltung der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber der Prostitution, als auch des ständigen Misserfolges der politischen Maßnahmen gelesen werden.
Bei aller erstaunlichen Kontinuität ist es allerdings wichtig zu sehen, dass sich die Begründungen staatlicher Stellen für ihre sich wiederholenden Einfälle seit dem 19. Jahrhundert erheblich verschoben haben, was auf eine veränderte Sichtweise auf die Prostitution deutet. Ging es früher primär um den Schutz der öffentlichen Moral vor den öffentlichen Frauen (und den Schutz der anständigen Frauen vor dem Abgleiten in die Prostitution), so steht heute jedenfalls rhetorisch der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung der Prostituierten im Fokus staatlichen Handelns.
Der Vortrag wird sich vor diesem Hintergrund primär einer Einschätzung und Analyse der gegenwärtigen politischen Debatte und der momentan diskutierten Gesetzesvorhaben widmen: von einer Registrierungspflicht für Prostituierte über eine Kondompflicht im Sexgewerbe bis zur Konzessionierung von Bordellen. Dabei ist zumindest eines offensichtlich: dass die Wahrnehmung der Prostituierten als unmündig und hilflos noch immer eine wesentliche Voraussetzung der Prostitutionspolitik darstellt.
Theodora Becker ist aktiv in der autonomen Hurenorganisation Hydra und schreibt u. a. für Jungle World. Sie promoviert zur Zeit an der FU Berlin über eine Kritische Theorie der Prostitution.
Die Veranstaltung fand im Rahmen einer Reihe von Veranstaltungen statt, die allesamt von der Gruppe Aus Gründen gegen fast Alles veranstaltet wurden.