Auf dem Tresen im Mai 2019 verteiltes Flugblatt
Der äußerliche Kommunismus
Auf dem Tresen im Mai 2019 verteiltes Flugblatt. Es antwortet auf den innerlichen Kommunisten. Auf demselben Tresen wurden noch die Flugblätter „Heult leise, Besitzer!“ und „Nur was keinem gehört, kann allen gehören“ verteilt.
Auf dem Kommunistischen Tresen zirkulieren inzwischen ein paar Flugblätter. Das ist eine erfreuliche und zu begrüßende Entwicklung. Treffen wir uns im Vierwochentakt zu geistvollen Getränken und hoffentlich ebenso geistreichen Gesprächen, ist dies ein trefflicher Anlass, die in der Zwischenzeit gehegten Gedanken zu unserer gemeinsamen Sache einmal darzulegen und auf ein Blatt Papier niedergeschrieben und kopiert auf dem Tresen zur allgemeinen Kenntnisnahme zu deponieren. Und eines Tages werden wir uns möglicherweise auch trauen, das Wort zu ergreifen und an alle zu richten. Zur Vorbereitung dienen die Flugblätter. Beim Tresen im April lag ein Text mit dem Titel Der innerliche Kommunismus aus. Gegenstand dieser kurzen Abhandlung ist die Kritik an zuvor ausgelegten längeren Schriften, die sich vor allem dem Vorhaben einer praktischen Kritik der Verhältnisse verschrieben hatten. In diesen wurde gezeigt, dass eine revolutionäre Haltung auf eine Setzung nicht verzichten kann: die Idee des Kommunismus und die Handlung der Revolution stellen die Welt erst unter den Maßstab der Vernunft. Diese Haltung stehe aber, so der Vorwurf in Der innerliche Kommunismus, verkehrt zur Wirklichkeit. Es gehe nicht um Ideen und Ideologien. Im Gegenteil seien die Verhältnisse selbst schon reif, es gebe eine „revolutionäre Bewegung, die tagtäglich vor unseren Augen abläuft“, sie „muss ins Bewusstsein gehoben werden, um sie in koordinierte Bahnen zu lenken“. Denn die „Revolution wühlt in Wirklichkeit schon hier und jetzt wie ein Maulwurf im naturwüchsigen gesellschaftlichen Prozess, der in der kapitalistischen Epoche seine letzte Stufe erfährt.“ Wer sich aber mit Ideen oder deren Kritik beschäftigt, würde nur bei Romantik und Gleichgültigkeit, Weltschmerz und Groll ankommen. Mit ein paar sophistischen Wendungen wird außerdem gezeigt, dass das Kapital durch den Weltmarkt schon „die Einheit der Menschengattung“ hergestellt habe. Nun wird niemand leugnen können, dass der Weltmarkt die bornierten Provinzialismen zerstört hat, in denen die Produktion und mit ihr die Menschen zuvor gefangen waren. Zugleich wird niemand leugnen können, dass mit dem Weltmarkt die bornierten Provinzialismen wiederkehren. Wie kommt das? Der Weltmarkt ist nicht einfach die entfremdete Form einer eigentlich schon seienden Menschheit, die nur ihre uneigentliche Form abstreifen müsste, um bei sich zu landen. Dieses Verständnis einer Substanz – hier: des Menschen schlechthin –, die sich zunächst in einer verschrobenen Form entfremdet, um schlussendlich harmonisch wieder bei sich zu landen, ist nur das Resultat vieler schlechter Hegel- und Marx-Lektüren. Die Zerrissenheit der Gattung durchs Kapitalverhältnis, die antagonistischen Konflikte der Klassenkämpfe sind, wenn man sie als eine verkehrte Gedankenform auffasst, doch so real, dass sie bis zur Vernichtung führen. Wie verhält es sich denn mit der Menschheit, wenn sie erst Millionen ermordet, um zu sich selbst zu kommen? Dieses schlechterdings naive Theorem von der durch die Entfremdung zu sich kommenden Menschheit ist widerlegt durch die Wirklichkeit. Man kann nicht so tun, als wären die gesellschaftliche Kategorien wie Klasse und Klassenbewusstsein nur etwas wie Kostüme, welche sich „die Menschheit“ übergeworfen hätte, um miteinander ein bisschen Komödie zu spielen, bis man sie beiseite wirft und alles in bester Ordnung ist. Auch ist es ein Missverständnis, wenn man Praxis, also Arbeit als geschichtsbildende Kraft per se für revolutionär hält, als ob – wie behauptet wird – die Revolution schon da wäre und hier munter wühlt. Im Gegenteil: Die geschichtsbildende Kraft der Arbeit dient derzeit der Konterrevolution, sie dient weiterer Ausbeutung, Unterdrückung, Krieg und Zerstörung. Was produziert wird, ist die politische Frage unserer Zeit, nicht, dass produziert wird – was nun wirklich eine Banalität ist.
Der Marxismus-Positivismus, der durch Der innerliche Kommunismus vorgeschlagen wird, behauptet, dass die Verhältnisse selbst schon alles in sich haben, dass sie gewissermaßen schon fertig seien und alle Theorie und vor allem Philosophie unnötiger Firlefanz sei. Umgekehrt. Die Verhältnisse sprechen ja nicht. Sie wollen auch nichts von sich aus. Ob die Menschheit drauf geht oder nicht, ist ihnen reichlich schnuppe. Der Ruf, einfach nur nüchtern auf die Verhältnisse zu blicken, führt in die Irre. Wir können dann an die Verhältnisse oder den Lauf der Geschichte glauben, nur bringt das nichts. Denn das Kapitalverhältnis ist keine nüchterne Sache, die eigentlich schon die Menschheit vereint hat – nur wissen die das nicht. Man müsste ihnen also nur das falsche Bewusstsein ihres im Grunde schon richtigen Seins aufzeigen. Eine heitere Vorstellung, die aber nichts mit Marx zu tun hat. Der hat bekanntlich – wie auch Freud – nicht falsches Bewusstsein, sondern falsches Bewusstsein erzeugende gesellschaftliche Praxis kritisiert (lest und versteht die Passagen über Warenfetischismus im Kapital!). Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass die Verhältnisse schon das wollen, was wir wollen. Alles, was in ihnen als Potential einer anderen Produktionsweise und damit einer anderen Geschichte liegt, müssen wir äußerlich an sie herantragen. Dass sie im Kommunismus und nicht im Weltuntergang enden können, müssen wir praktisch beweisen. Dieses noch zu Beweisende, aber real schon angelegte, das unsere gegenwärtigen und künftigen Handlungen leiten soll, nennen wir Idee. Nur in diesem ideellen Überschuss des Subjekts über die herrschenden Verhältnisse ist der Kommunismus real. Nur der Positivismus hält Ideen für Hirngespinste, der dialektische Materialismus weiß aber um ihren realen Charakter. So sind mit die besten Waffen in unserem Kampf die Ideen, die uns die Verfasser des Innerlichen Kommunismus aus der Hand und dem Kopf zu schlagen gedenken – mit Verweis auf die ach so revolutionären Bewegungen der Jetztzeit (und damit meinen sie wirklich nur die tägliche Schufterei). Die Idee des Kommunismus ist an der Wirklichkeit gewonnen, sie ist aber mehr als die Wirklichkeit und ist vor allem gegen diese Wirklichkeit. Die Notwendigkeit der Revolution, die mit der Idee des Kommunismus verbunden ist, ergibt sich aus der Einsicht, dass der kapitalistische Produktionsprozess eben nicht schon eigentlich die große Menscheneinheit geschaffen hat, sondern an seinem Beginn die Trennung durch politisch Gewalt in der sogenannten ursprünglichen Akkumulation steht – kein Kapital ohne die mit Gewalt aufrechterhaltene Eigentumsordnung und Klassenherrschaft. Gegen die Gewalt hilft nur die Gewalt, die damit ein Ende zu machen gedenkt. Es rettet uns kein höh’res Wesen, aber die Idee, der die Treue zu halten ist. Denn „nur durch Treue vollbringt Freiheit Insubordination gegen den Befehl der Gesellschaft“ (Adorno). Glaubt an den Kommunismus. Denn er wird nicht von alleine kommen.