Gift N°3
Berlin Bubble
Die Berliner Verhältnisse bleiben weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Man weiß das und dementsprechend ist die Stimmung. Man muß aber natürlich die Möglichkeiten bestimmen und was ihrer Realisierung im Wege steht.
Berlin liegt in Deutschland, Deutschland liegt in der EU und die ist ein Teil des Europa genannten Zipfels von Asien also Teil der Welt. Die EU ist eine Blase. Sie glaubt sich hier aus dem gröbsten heraushalten zu können, indem man relativ produktiv ist und die Grenzen schließt. Gibt natürlich noch Diplomatie und auch Militär, aber hauptsächlich Exporte. Die EU ist im Grunde auch eine Blase in Europa. Kein Wunder das die Griechen und ihre nationale Einheitsregierung Tsipras nie über die Ukraine und nie über Bosnien reden. Sie sind Teil der EU und momentan sogar des Eurokerns derselben. An Bosniern und Ukrainern hat man da kein Interesse. Deutschland wiederum ist eine Blase in der EU: Krisengewinner durch und durch gibt es hier nicht nur Reiche und Wohlhabende sondern auch Hartz 4. Die Grenzen sind weit weg, die Armut hält sich in verdrängbaren Maßen. Und so sind die Deutschen arrogant, glauben sie hätten ihren Wohlstand wirklich verdient. Berlin nun ist eine Blase in Deutschland. Produziert wird woanders und wenn die Stadt nicht europäische Reichshauptstadt geworden wäre, sie läge in Brandenburg. Ansonsten gibt es hier Touristen. Die Lüge des wohlständigen Deutschland ist hier relativ offen. Das ist grob das Setting.
Die Leute mit denen ich rede leben innerhalb Berlins in einer Blase. Irgendwie studentisch, poststudentisch, berufsjugendlich, links. Berlin ist verhältnismäßig billig und ein wenig fancy. Gab hier früher einige Kultur und man zehrt noch davon, wenn auch im Jahre 2015 eigentlich keine Kultur mehr existiert, über die es zu denken lohnt. Es gibt hier aber insbesondere Bars und teilweise sogar Bars mit erschwinglichen Preisen und mit Raucherlaubnis. Daher kann man immerhin Leute treffen. Die Opposition hat traditionell Probleme. Im kalten Krieg ging es irgendwie noch. Die Blase war damals so hermetisch abgeriegelt, dass irgendwie eine seltsame Opposition existierte. Besetzte Häuser und so. Ringsherum war ja die DDR und die Frontstadt daher auch liberal. Seit die Stadt europäische Reichshauptstadt geworden ist und vor allem seit Europa einige fundamentale Auseinandersetzungen erlebt und zahlreiche Städte ab und an Riot haben, da ist es hier nicht einfacher geworden, wo es nicht einmal Riot gibt. Die Opposition besteht aus Zugezogenen und so ist Berlin die Summe der Provinzen. Ganze Gruppen wurden von Zugezogenen dominiert und es gibt sogar Lieder über zugezogene Linke. Allein die Menge der Linken machte allerdings einen Qualitätssprung in der gemeinsamen Aktion nötig, zumal die Polizei hier ganz gut aufgestellt ist. Die Aktivierungsenergie ist höher, die Belohnung wäre es auch. Das war schon die Situation bevor die ganzen europäischen Exilanten herkamen. Seit einigen Jahren kamen nämlich verstärkt Leute aus den Ländern der EU: Griechen, Spanier, Italiener, Franzosen. Auch aus dem Osten und dem Norden Europas. Die Verkehrssprache ist daher teilweise englisch, da einige Ausländer kein deutsch können und sich schwer tun, die Landessprache zu lernen. Diese künden von Krisenphänomenen nicht nur in der EU-Peripherie und so reicht die nach Berlin importierte provinzlinke Ideologie schon gar nicht mehr aus. Der Preis wäre noch höher: In Berlin ist der ganze gordische Knoten geknüpft, alle Widersprüche kommen zusammen, nur halt unter einer Käseglocke. Von Seiten der Verfügenden her man keinerlei Interesse, das es hier gärt und knallt. Wenn die EU eine Bestie ist, so ist ja Deutschland ihr Herz und ein Ende der Ruhe in Berlin hätte etwas ermutigendes. Insbesondere ließe sich die elende Nord-Süd-Spaltung schwerer aufrechterhalten. Das Resultat ist die objektive Ohnmacht der Oppositionellen und bekanntlich gibt es davon nirgendwo in Deutschland so viele wie in Berlin.
Jedes ernsthafte Scharmützel würde die Frage des Bürgerkriegs wieder an die Oberfläche bringen und wer fängt schon gerne einen latenten Krieg an, wenn es für die Friedlichen Hartz 4 gibt. Daher ist der Grund für die Möglichkeiten Berlins gleichzeitig auch der Grund des sozialen Friedens. Die Sozialsysteme, der irgendwie noch bezahlbare Wohnraum, der es so vielen Erlaubt in Gedanken und im Life style außerhalb des Kapitalverhältnisses zu überleben beruht auf dem Staat und sei dieser ein Stipendium einer Stiftung. Man hat hier alle Zeit, alle Fragen zu diskutieren, aber keinen Druck, auch nur eine Frage zu stellen. Statt dessen gibt es unendlich viele politische, subkulturelle oder hipsterähnliche Unterblasen, in die man sich zurückziehen kann. Jedenfalls geht nicht voran. Und so werden sich die Exilanten wahrscheinlich getrennt organisieren müssen, wenn sie etwas von der Stimmung ihrer Herkunftsländer nach Berlin importieren wollen. In Frankfurt waren es die EU-Ausländer, die den Krawall machten. Die Einheimischen kann man nur zu Disziplin auffordern: Die Kontakte müssen bei aller Trägheit aufrecht erhalten und sogar intensiviert werden. Jede Flucht in kleinliche Privatstreitigkeiten kann durch größere Klumpenbildung verhindert werden, also die Lockerung der familienähnlichen Kleinklumpen zugunsten einer durchlässigeren Szenerie. Statistisch spalten sich politisierende Freundeskreise und auf privaten Beziehungen fußende Zirkel sofort, wenn etwas interner Ärger auftaucht. Oder schlimmer, sie paralysieren sich selbst und spalten sich doch nicht. Vermengen sich aber mehrere solche Kreise zu einer gewissen Aktivität und sei es das gemeinsame Palavern und Genießen, so spalten sie sich nicht mehr so oft und die Privatstreitigkeiten müssen ausgehalten oder gelindert werden, wenn die diversen Streithähne an diversen Orten immer aufeinandertreffen können. Die jeweiligen Orte würden natürlich dadurch stärker von Konflikten durchzogen und man bekommt öfters Loyalitätsprobleme, Frustrationen und Privatiersierungswünsche. Weitet sich aber die Szenerie der Mikrozusammenhänge nicht aus, kommt es erst recht zu Loyalitätsproblemen, Frustrationen und dem Rückzugs ins Private. Man muß dem subjektiv entgegenwirken und doch die Laune nicht verlieren. Die Anstrengungen müssen einer Leichtigkeit Platz machen.
16.8.2015 – Aus Gift N°3