Beitrag zur Geschichte des Illuminatenordens
„Diejenige Gesellschaft, welche, so alt sie auch seyn mag, doch erst itzt seit etlichen zwanzig Jahren in mancherley Bezug besonderes Aufsehen macht, die nicht nur von Fremden, sondern auch von ihren Mitgliedern selbst so verschiedentlich beurtheilt wird, die würklich seit langen Zeiten unter ebenso verschiedenen Gestalten erschienen, alle Augenblicke eine andere Seite gezeigt, und auch den aufmerksamsten Beobachter hintergangen hat, wird nun, da sie anfängt, sich ihrer Entwicklung oder Auflösung zu nähern, erst ein öffentlicher Gegenstand kritischer Untersuchungen, Geschichts-Vergleichungen und historischen Nachspürungen, nachdem sie fast ein ganzes Jahrhundert von einer Seite gepriesen, von der anderen verdammt, und ihr Ursprung hier von Gott, dort von dem Teufel hergeschrieben worden ist, ohne sich für beides auf historische Beweise einzulassen. Ich mag weder versteckt noch verblümt reden: es ist die Freymaurerei.“
I. Einstimmung auf das Milieu, aus dem die Hauptakteure der folgenden Geschichtserzählung hervorgingen.
Englisches Herkommen…
Ihrem Ursprung nach ist die Freimaurerei eine englische Angelegenheit. Dies deshalb, weil England das Herkunftsland der modernen Bourgeoisie ist. Im späten 17. Jahrhundert begannen Mitglieder des Londoner Bürgertums unter maßgeblicher Beteiligung hugenottischer Emigranten, die örtlichen Logen der free masons zu infiltrieren. Diese ehrwürdigen Korporationen stammten vom mittelalterlichen Bauhüttenwesen her, von dessen einstiger Meisterschaft noch heute die himmelwärts strebenden gotischen Kathedralen künden. Frei hießen diese Maurer, weil sie, im Unterschied zu gewöhnlichen Handwerkern, nicht den lokalen Zünften unterstanden, sondern eine unabhängige, kosmopolitische Assoziation bildeten, deren Dependancen überall in Europa mit der Ausführung der bedeutenden sakralen Bauvorhaben betraut waren.
Durch die Umwälzung der Produktionsverhältnisse hatten diese Vereinigungen ihren sozialen Inhalt mittlerweile weitgehend eingebüßt, so dass es den Avantgardisten der neuen Epoche nicht schwer fiel, die leere Hülle zu übernehmen und zu ihren Zwecken zu gebrauchen. Sie nannten sich spekulative Maurer, zur Unterscheidung von den operativen Maurern, da sie – Profiteure der ursprünglichen Akkumulation – nicht Hand- sondern Kopfarbeiter waren. Der Gegenstand, den sie zu bearbeiten vorhatten, war kein Steinquader, sondern ihre eigene Seele. Während der gotische Bildhauermeister sein Wesen vergegenständlichte, indem er dem Granit menschliche Züge verlieh, begriff der subjektiv gewendete bürgerliche Maurer sein inneres Selbst als den groben Granitblock, welcher durch kunstfertige Bearbeitung erst seinem Wesen gemäß gemacht werden müsse.
Meister Pilgram als Baumeister der Dombauhütte mit dem Zirkel als Zeichen seines Berufes.
Wie aber, und zu welchem Ende, behaut man seine Seele? – Homo homini lupus est. So hatte Thomas Hobbes nicht lange zuvor die Anthropologie des heraufkommenden bürgerlichen Zeitalters bestimmt und als Mittel gegen das Auseinanderfallen der Gesellschaft nur das mechanische Zusammenhalten der antagonistischen Einzelnen durch die Zentralmacht gewusst. Dem Mangel dieses offensichtlichen Notbehelfs entgegenzuwirken, war die Aufgabe, welche die Freimaurerei sich vornahm. In ihrem Grundgesetz, den Alten Pflichten aus dem Jahre 1723, lesen wir: „Der Maurer ist als Maurer verpflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen“. Das Sittengesetz wird nicht von einer äußeren Macht diktiert, sondern jedes Vernunftwesen findet es in sich selbst. Das Allgemeine ist hier nicht die Gewalt, sondern die Vernunft. Die ihm vom „großen Baumeister aller Welten“ an sich verliehene Anlage der Vernunft für sich zu realisieren – das war die Pflicht, welche der Novize auf sich nahm, wenn er sich entschloss, einer Loge beizutreten. Als Warnung, dass der Weg der Bildung harte Arbeit bedeutet, aber auch als Verheißung, dass sich die Mühe lohnen wird, stand ihm dabei das Bild des Hammer und Meißel kunstreich führenden Steinmetzes vor Augen.
Neben der Symbolik und feierlichen Ritualen wurde von den alten Maurern auch die Institution des Logengeheimnisses übernommen, welches es den Ordensmitgliedern streng verbot, gegenüber Profanen etwas über den Inhalt ihrer Versammlungen verlauten zu lassen. Auf diese Weise bildeten die Logen einen Schutzraum, welcher den zwanglosen Umgang und die offene geistige Auseinandersetzung unter Gleichgesinnten ermöglichten, die nach Ansicht der freien Maurer für die Entwicklung der freien Persönlichkeit unerlässlich war. Geschützt durch das Geheimnis konnten hier Männer in brüderlicher Eintracht miteinander konversieren, denen solcher Kontakt sonst kaum möglich gewesen wäre. Die drei großen Trennungen der alten Welt – Stände, Konfessionen, Staatsloyalitäten –, aber auch die sich abzeichnenden bürgerlichen Entfremdungen wurden innerhalb der Mauerversammlungen für aufgehoben erklärt. Hier spielte es keine Rolle, ob jemand Adliger oder Bürger, Protestant oder Katholik, Engländer oder Franzose war. Hier sollte der andere niemals nur Mittel, sondern immer auch Zweck sein, hier herrschten nicht die Prinzipien von Befehl und Gehorsam, Gewalt und Gegengewalt, sondern nur der zwanglose Zwang des besseren Arguments.
Wir haben uns jedoch den Freimaurer nicht als einen Rebellen vorzustellen. Wiewohl ideell einer höheren Ordnung verpflichtet, war er durch seine Ordensregeln doch angewiesen, die Gesetze des Staates, indem er gerade lebte, stets streng zu befolgen und überhaupt in seinem bürgerlichen Amt Eifer und Pflichterfüllung walten zu lassen. Die Loge stellte es ihren Mitgliedern frei, sich nach eigenem Ermessen in den Parteienhader der Welt zu mischen. Der Orden selbst aber trat niemals als Partei in irgendeiner öffentlichen Auseinandersetzung in Erscheinung, sondern war allgemein menschlichen Zielen verpflichtet. Um den zu dieser Zeit besonders die Gemüter erhitzenden religiösen Zwist nicht in die eigenen Reihen zu tragen, hatten die Freimaurer sich in ihrer Satzung auf den absoluten Minimalkonsens im Geiste des Deismus geeinigt, irgendein supreme being als erste Ursache anzunehmen und es ansonsten jedem Mitglied selbst zu überlassen, an konkreten Glaubensartikeln für wahr zu halten, was immer es zu seinem Seelenheil für notwendig hielt.
…französische Zuspitzung und beginnende Spaltung…
Von England aus verbreitete sich die Freimaurerei schnell über ganz Europa. Mit der Verpflanzung in eine andere Umwelt wandelte sich auch der Charakter des Logenwesens. Im liberalen England, wo die Bourgeoise durch den Klassenkompromiss der Glorious Revolution an der staatlichen Macht beteiligt war, kam den Freimaurerversammlungen eine ausgleichende, die Gegensätze zwischen den herrschenden Ständen abmildernde Funktion zu. Während Vertreter der Tories und Whigs sich im bürgerlichen Leben in den tagespolitischen Debatten befehdeten, konnten sie sich abends in vertraulicher Logen-Runde über ihre bornierten Partikularstandpunkte erheben und sich ihrer grundsätzlichen Einigkeit versichern. So kam man von Regierungsseite bald zu der Ansicht, dass es sich beim Freimaurertum, all seiner Geheimniskrämerei zu Trotz, im Grunde um ein recht harmloses, wenn nicht sogar staatspolitisch nützliches Feierabendvergnügen handle.
In den absolutistischen Staaten des Kontinents dagegen, wo sich die politische Macht am Hof konzentrierte und die Bourgeoisie, ungeachtet ihres wachsenden wirtschaftlichen Gewichts, von der Mitbestimmung in politischen Fragen ausgeschlossen war, verwandelten sich die Mauergesellschaften in Treffpunkte der Opposition. Das Netz der untereinander durch Korrespondenzen, Zirkulare, Delegationen und Konvente in ständigem Austausch stehenden Logen entwickelte sich zu einer Art Gegenöffentlichkeit, in der sich Unzufriedene verschiedener Couleur versammelten und im Schutze des Logengeheimnisses ihrem Ärger über die herrschenden Zustände unverstellt Ausdruck verliehen. Was Wunder, dass die Freimauerei immer wieder mit behördlichen Verboten und päpstlichen Bannbullen belegt wurde – was ihrer weiteren Verbreitung keinen Abbruch tat.
Besonders scharf trat der Gegensatz in Frankreich zu Tage. Der Deismus, bei den Engländern ein Ausdruck der Toleranz, verwandelte sich in den Händen der französischen Freimaurer in eine Angriffswaffe. Das abstrakte Glaubensbekenntnis sollte nicht mehr als kleinster gemeinsamer Nenner einen Ausgleich zwischen den Konfessionen ermöglichen; es diente vielmehr als Deckmantel für eine Kritik an der Religion überhaupt. Wenn man über Gott nichts aussagen kann, als dass er irgendwann einmal die Welt geschaffen hat, so brauchte man sich um ihn weiter nicht zu kümmern und konnte die seitherige Geschichte nach rein weltlichen Gesichtspunkten betrachten. Da sie den Katholizismus als wichtigste Stütze des morschen Regimes ausmachten, spielte die Dekonstruktion des religiösen Weltbildes für die französischen Aufklärer eine zentrale Rolle.
Als extremistischer Kern dieser Tendenz kristallisierte sich die Pariser Loge Les Neufs Soeurs heraus. Deren Mitglied Helvétius ließ die Maske des Deismus fallen und entwickelte dessen verschämte Religionskritik konsequent zum unverschämten areligiösen Materialismus weiter. Angehörige dieser Geheimloge taten sich auch als Verfasser öffentlich verbreiteter Schriften hervor. So hat ihr Mitglied Montesquieu ein berühmtes Werk über den Geist der Gesetze geschrieben, während andere Brüder unter der Führung von Diderot und d’Alembert eine Enzyklopädie herausgaben, um ihren scharfen Witz an einer breiten Auswahl von Gegenständen erproben zu können. Als später Benjamin Franklin, Gesandter der aufständischen Kolonien Nordamerikas, den Vorsitz der Neun Schwestern übernahm, begannen diese, eine rege Propagandatätigkeit zugunsten der Insurgenten jenseits des Atlantiks zu entfalten. Weiter gehörten zu dieser Loge die Maler Vernet und Greuze, der Bildhauer Houdon, der Dichter André Chenier, der Agitateur Abbé Sieyès, der Philosoph Voltaire und viele andere.
Neben dieser aufklärerischen, rationalistischen und freigeistigen Strömung begann sich innerhalb der französischen Maurerei auch eine romantische, mystische und okkultistische Tendenz herauszubilden. Diese Richtung vertrat die Theorie, dass die moderne Freimaurerei nicht, wie bisher angenommen, vom mittelalterlichen Bauhüttenwesen abstamme, sondern vielmehr auf die Tempelritter zurückgehe. Nach der Zerschlagung dieses Kreuzfahrerordens im 14. Jahrhundert hätten einige Angehörige der Bruderschaft in schottischen Maurerlogen Unterschlupf gefunden, unter deren Hülle sie ihren Geist über die Zeiten gerettet und später erneut ausgebreitet hätten. Neben den drei traditionellen Maurergraden Lehrling, Geselle und Meister führte dieser Flügel der Logenszene eine Vielzahl von Hochgraden ein. Die Beförderung in jede derselben war mit der Einweihung in uralte und unerhörte Mysterien verbunden; außerdem bekam man ritterliche Ehrentitel verliehen und wurde mit phantasievollen Kostümen ausstaffiert. Während in den klassischen englischen Logen alle Amtsträger demokratisch gewählt wurden, waren die Mitglieder der mystizistischen Hochgradmaurerei Unbekannten Oberen unterstellt, deren Weisungen sie unbedingten Gehorsam schuldig waren. Auch begannen zahlreiche Abenteurer und Scharlatane in diesem Milieu zu wirken, die vorgaben, über das Geheimnis der Umwandlung der Metalle Bescheid zu wissen oder Kontakt mit den Geistern Verstorbener herstellen zu können. Einer davon war der berühmte Graf Cagliostro, welcher mithilfe eines selbsterfundenen ägyptischen Ritus zahlreiche Anhänger aus besten Gesellschaftskreisen um sich scharte.
Welche Gründe können für dieses merkwürdige Schillern der französischen Maurerei zwischen Aufklärung und Antiaufklärung genannt werden? Erstens ist es darauf zurückzuführen, dass es sich bei der Opposition gegen den Absolutismus beileibe nicht um eine rein bürgerliche Angelegenheit handelte. Auch der Adel war bekanntlich vom König um seine frühere Unabhängigkeit und politische Macht gebracht worden. Wenn auch diese Konzentration der Gewalt in den Händen des Monarchen für den Fortbestand der ökonomischen Privilegien des Adelsstandes unerlässlich war, fanden sich längst nicht alle Mitglieder dieser Klasse zu solcher Einsicht in die Notwendigkeit bereit und trauerten der verlorenen Ungebundenheit ihrer Vorfahren nach. Die Bourgeoisie war gegen den König, weil sie über den Absolutismus hinaus, der frondierende Adel, weil er hinter diesen zurück wollte. Beide führten sie das Wort der Freiheit im Munde, wenn auch die einen dabei im wesentlichen an den Freihandel, die anderen eher an die ritterliche Freiheit des Fehderechts dachten. Das Ergebnis war große Konfusion.
Aber der Mystizismus innerhalb der Freimaurerei ist nicht nur auf den Widerstreit zwischen dem bürgerlichen mit dem feudalistischen Element zurückzuführen, sondern auch auf den Mangel des bürgerlichen Elements selbst. Wer bei der Formulierung, dem Maurer gehe es darum, seine Seele zu ‚behauen‘, ein wenig zusammengezuckt ist, der hatte mit seiner Irritation so unrecht nicht. Tatsächlich war die auf dem maurerischen Weg der Bildung zu erreichende Autonomie mit der Unterdrückung der eigenen Sinnlichkeit erkauft. Der deutsche Aufklärer Kant war zwar kein Logenmitglied, sprach aber durchaus in freimaurerischem Geist, wenn er ausführte, dass der am Sittengesetz orientierte Mensch einen fortwährenden Kampf zwischen Neigung und Pflicht zu bestehen habe. Wenn auch namentlich die französischen Maurerbrüder über die tugendhafte Lehre und Lebensführung des deutschen Professors heimlich gespottet haben mögen, so lässt doch eine Tatsache darauf schließen, dass sie mit sich selbst nicht ganz im Reinen waren: sie weigerten sich, wie nahezu alle Freimaurer, Frauen in ihre Logen aufzunehmen. Dies ist Ausdruck der in dieser Zeit beginnenden bürgerlichen Aufspaltung von Verstand und Sinnlichkeit, welche als Gegensatz der Geschlechter erschien. Mit dem Ausschluss der Frauen dementierte der freimaurerische Universalismus sich selbst. Wer eine Trennung akzeptiert, akzeptiert alle Trennungen. Da die bürgerliche Aufklärung nur scheinbar über die alte Welt hinaus war, wurde sie den Mystizismus nicht los, und zwar nicht nur als mitgeschleppten Rest, sondern als das Andere ihrer selbst.
…deutsche Ausartung.
Von England und Frankreich kam die Freimaurerei nach Deutschland, wo sie wiederum ein den lokalen Verhältnissen entsprechendes Gepräge annahm. Nirgends war die Neigung zu romantischem Mummenschanz so groß wie unter den deutschen Maurern. Die liberale englische Variante der Freimaurerei konnte sich hier nicht durchsetzen, stattdessen dominierte die aus Frankreich stammende templerische Hochgradmaurerei. Ein Reichsfreiherr von Hund und Altengrothau, welcher in Paris in die Mysterien der Tempelritter eingeweiht worden war, begründete das System der Stricten Observanz. Von Hund verfügte über sehr alte Dokumente, die er von den Unbekannten Oberen der im Geheimen fortexistierenden Kreuzfahrerverbrüderung empfangen haben wollte und die ihn, Hund, zweifelsfrei als den Heermeister der wiedererstandenen VII. Provinz des Tempelherrenordens auswiesen. Nachdem er einige weniger überzeugende Konkurrenten aus dem Feld geschlagen hatte, stieg seine Stricte Observanz zum führenden Freimaurerverband Deutschlands auf und begann sogar erfolgreich die Expansion ins benachbarte Ausland.
Der besondere Hang zum Obskurantismus lässt sich zum einen auf das Übergewicht des Adels in der deutschen Freimaurerei zurückführen. Aufgrund der Schwäche des Bürgertums waren unter den Mitgliedern der Logen in Deutschland mehr Adlige als Bürger, wodurch sich der ursprüngliche Charakter der Maurerei ins Gegenteil verkehrte. Aber die deutschen Bürger waren nicht nur zahlenmäßig schwach, sie litten auch in besonderem Maße unter der Geringfügigkeit ihrer Taten. Ihre französischen Standesgenossen mochten von den Staatsgeschäften ausgeschlossen sein, aber ihre merkantilen Unternehmungen waren bedeutend genug, um ihrem Ehrgeiz ein adäquates Betätigungsfeld zu geben. Derweil langweilten sich die deutschen Bürger in ihren Schreibstuben. Dieses deutsche Zuschauertum erstreckte sich sogar auf den Adel: In den deutschen Duodezfürstentümern gab es eben auch nur Duodezhofämter zu vergeben – wenig geeignet, den Tatendrang ambitionierter Edelmänner zu befriedigen. Deshalb fanden sich unter den wichtigen Funktionsträgern innerhalb des deutschen Logenwesens auffällig viele jüngere Brüder regierender Fürsten.
In Deutschland trat der der Maurerei generell eigene Aspekt des Weltflüchtigen, der Kompensation der Ohnmacht im bürgerlichen Leben durch die Ausgestaltung einer Scheinwelt als bestimmendes Moment hervor. Ordenspolitische Intrigen, Fraktionskämpfe, Streitigkeiten um Statuten und Ämter, Entlarvung und Denunziation weltanschaulicher Gegner boten denen, deren Geltungsbedürfnis und Betätigungstrieb in der offiziellen Wirklichkeit nicht befriedigt werden konnte, breite Möglichkeiten zum aktionistischen Wirken. Der Eifer, mit dem diese Ersatzhandlungen betrieben wurden, war dabei umso größer, je nichtiger sie objektiv waren. Ein Wirrwarr sich untereinander befehdender Logensysteme entstand, welches in seiner Unübersichtlichkeit nur von der zersplitterten Landkarte der offiziellen deutschen Kleinstaaterei übertroffen wurde. Als Kehrseite dieses sich selbst bis zur Lächerlichkeit ernstnehmenden Scheinaktivismus gab es wiederum Logen, welche ihr Ritual recht offen als Spielerei betrieben und jeden Anspruch fahren ließen, der auf mehr als geselliges Beisammensein bei Billard und Bier hinausgegangen wäre. Als Repräsentant dieser Richtung wäre insbesondere der Mopsorden zu nennen.
Jedoch blieb es nicht aus, dass die Beteiligten selbst die Hohlheit und Nichtigkeit ihres geheimbündischen Treibens zu ahnen begannen. Spätestens in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts machte sich allgemeine Unzufriedenheit breit; man begann, nicht mehr nur der jeweils anderen Sekte Abweichung und Verrat vorzuwerfen, sondern zunehmend das System der Freimaurerei insgesamt für reformbedürftig zu halten. Dieses Verlangen nach einer grundlegenden Revision und neuen Zweckbestimmung einer künftigen Maurerei nahm zunächst die Form eines Blicks in die Vergangenheit an: man fragte nun allerorten nach dem wahren Ursprung der Freimaurerei. Eine kritische Geschichtsforschung des Geheimordenswesens begann, welche die historische Legitimation des Heermeisters von Hund und anderer Sektenchefs negierte, ohne jedoch zu befriedigenden positiven Resultaten zu kommen.
II. „Die wahre Ontologie der Freimäurerei“ – Spekulative Begriffsbestimmung durch Gotthold Ephraim Lessing.
Weil nirgends die Sache der Freimaurerei so sehr auf den Hund gekommen war wie unter den Deutschen, wurde dort auch am dringendsten das Bedürfnis gefühlt, deren wahren Begriff aufzufinden. Das Verdienst, diesen zuerst herausgearbeitet zu haben, gebührt dem Dichter G.E. Lessing. In seinen Gesprächen für Freimäurer unternimmt er es, die orientierungslos umhertaumelnden Logenbrüder über ihren Zweck aufzuklären.
Er geht von dem allgemein bekannten Mangel aus, dass die interne Brüderlichkeit und vernunftmäßige Vereinigung auch der vorbildlichsten Loge nur Schein ist, solange die Unbrüderlichkeit und Unvernunft der äußeren Welt unverändert bestehen bleiben. Es liegt also nahe, den wahren Zweck der Freimaurerei im Hinwirken auf staatspolitische Reformen zu suchen, welche die weltliche Ordnung der Dinge den maurerischen Prinzipien gemäßer machen. Nicht wenige der französischen Logenbrüder sahen darin ja in der Tat ihre Aufgabe, der sie durch Verbreitung aufklärerischer Schriften und Inszenierung antiaristokratischer Theaterstücke gerecht zu werden suchten. Dass sie dabei ihren Zweck aus Rücksicht auf die Gefahr obrigkeitlicher Verfolgung nicht offen proklamieren konnten und daher offiziell am unpolitischen Charakter ihrer Logen festhielten, versteht sich von selbst.
Um genauer zu bestimmen, in welche Richtung diese notwendige Reform gehen soll, fragt Lessing nach dem Zweck des Staates. Der Sinn der gesellschaftlichen Vereinigung, so wird oft gesagt, sei die Glückseligkeit des Menschen. Dies könne man gelten lassen, meint Lessing, fügt aber hinzu, dass es sich dabei nicht um „die Glückseligkeit eines abgezogenen Begriffs – wie Staat, Vaterland und dergleichen sind“ – sondern „um die Glückseligkeit jedes wirklichen einzeln Wesens“ handeln müsse. „Jede andere Glückseligkeit des Staats, bei welcher auch noch so wenig einzelne Glieder leiden, und leiden müssen, ist Bemäntelung der Tyrannei. Anders nichts!“
Gemessen an diesem Anspruch sind natürlich alle real existierenden Staaten mehr oder weniger mangelhafte Mittel, um deren Zweckmäßigkeit es nicht zum besten bestellt ist. Bis hierhin würden wahrscheinlich die meisten Regierungsvertreter noch nicht einmal widersprechen. Lessing geht aber weiter, indem er sich nicht bei den Mängeln bestimmter Staaten aufhält, sondern die Übel benennt, „die auch der besten Staatsverfassung notwendig entspringen müssen“. Noch der beste Staat müsste eine Trennung von Staatsvolk und Fremden vornehmen, also den Gegensatz der Nationen konstituieren. Die Spaltung der Gattung müsste sich notwendig im Inneren reproduzieren und die Bewohner eines Staates in verschiedene Stände teilen. Diese Gegensätze im profanen Leben würden schließlich auch zur Herausbildung unterschiedlicher, den jeweiligen Lebensumständen entsprechenden Religionen führen, so dass der Antagonismus auch die geistige Sphäre beherrschen würde.
Nach Lessing ist also der Staat per definitionem unfähig, seinen Zweck zu erfüllen. Die Trennungen, welche die Freimaurerei in ihrem Inneren für ungültig erklärt, werden vom Staat notwendig aufrechterhalten, da es sein Wesen ist, die Menschen „nur durch unaufhörliche Trennung in Vereinigung zu erhalten“. Um sich zu verwirklichen, muss die Freimaurerei also nicht nur über sich selbst hinausgehen – sie muss veranlassen, dass die Menschheit über den Staat hinausgeht. Die staaten- und ständelose Weltgesellschaft – das ist nach Lessing das aufgelöste Rätsel der Freimaurerei.
Dem wahren Maurer geht es also nicht darum, gewissen Auswüchsen unvernünftiger Herrschaft entgegenzuwirken. Er beschäftigt sich weder mit karikativen Aktivitäten, wie die deutschen Logen es zuweilen tun, noch mit der Beseitigung gewisser Mängel bestehender Staatsverfassungen, wie die Franzosen sie einfordern und die Nordamerikaner sie unter der Führung des Logenmitgliedes Washington mit Waffengewalt erzwingen wollen. „Mit diesen Übeln gibt sich der Freimäurer niemals ab; wenigstens nicht als Freimäurer. Die Linderung und Heilung dieser überlässt er dem Bürger, der sich nach seiner Einsicht, nach seinem Mute, auf seine Gefahr damit befassen mag. Übel ganz anderer Art, ganz höherer Art, sind der Gegenstand seiner Wirksamkeit.“ Nicht gute Taten im herkömmlichen Sinn sind das Geschäft der Freimaurerei. „Die wahren Taten der Freimäurer zielen dahin, um größten Teils alles, was man gemeiniglich gute Taten zu nennen pflegt, entbehrlich zu machen.“ Indem sie sich verwirklicht, hebt die freimaurerische Moral sich selbst auf, weil ihr Ziel, die kosmopolitische „Ordnung ohne Regierung“ die Unterscheidung von Moral und Unmoral gegenstandslos macht.
Vor dem Hintergrund dieser Begriffsbestimmung nimmt Lessing eine Einschätzung des empirischen Logenwesens vor. Es ist klar, dass dieses mit der wahren Freimaurerei nicht deckungsgleich sein kann. Da das Endziel der vernünftigen Gesellschaft sich aus der Vernunft ergibt, kann jeder aus eigenem Nachdenken darauf kommen – d.i. Freimaurer sein – ohne je einer Loge angehört zu haben. Umgekehrt tummeln sich in den Maurerlogen Unzählige, die nicht die leiseste Ahnung von ihrem Begriff haben. Die wahre Freimaurerei beruhe nicht auf äußerlichen Ritualen, sondern „auf dem gemeinschaftlichen Gefühl sympathisierender Geister“. Dass es überhaupt eine Beziehung zwischen der Idee des Freimaurertums und seinen derzeitigen Realisationsformen gibt, erkenne man eben an deren Anspruch, wenigstens einige Trennungen der alten Welt partiell nicht anerkennen zu wollen. (Ausdrücklich betont Lessing, dass es sich bei den genannten Übeln Nation, Stand, Religion nur um diejenigen handelt, welche „auch dem kurzsichtigsten Auge einleuchten“.) Das wahre Ziel vor Augen erkennt Lessing wohlwollend noch in den seltsamsten Verirrungen der Maurer die Suche nach dem Richtigen, kann „schon in dem Spielzeuge die Waffen erblicken“. Umgekehrt schließt er es aber auch keineswegs aus, dass es sich als besser herausstellen könnte, „dem ganzen jetzigen Schema der Freimäurerei ein Ende zu machen“, um es durch eine Organisation zu ersetzen, welche eher geeignet wäre, das Menschheitsziel in Angriff zu nehmen.
Selbstverständlich weiß der wahre Freimaurer, dass es gefährlich wäre, vor der Zeit zu viel von seinen Zielen bekannt werden zu lassen. Sein Geschäft ist daher die vorsichtige, untergründige, und deshalb umso gründlichere Subversion. Niemals wird er denen, „die noch gar keine Empfindung davon haben“, die Übel der gegenwärtigen Ordnung der Dinge agitatorisch ins Gesicht schreien: „Höchstens diese Empfindung in dem Menschen von weitem veranlassen, ihr Aufkeimen begünstigen, ihre Pflanzen versetzen, bejäten, beblatten“ – darin besteht seine Aufgabe.
Bestes Bespiel für dieses vorsichtige Agieren ist die Schrift Lessings selbst, der ein Meister darin ist, in Andeutungen zu reden, den Leser die Schlussfolgerungen erraten zu lassen und sie im nächsten Absatz zu dementieren, um sich so im Zweifelsfall stets darauf herausreden zu können, es ja alles gar nicht so gemeint zu haben – mit dem Effekt, dass die Historiker bis heute rätseln, was Lessing uns nun eigentlich sagen wollte.
III. Erster Versuch der Realisierung des Begriffs durch den Illuminatenorden.
Lessing hat das Geheimnis gelüftet, nach welchem die freien Maurer der diversen Systeme vergeblich gesucht hatten. Der Versuch, den reinen Begriff in die Wirklichkeit zu überführen, wurde von Adam Weishaupt gewagt, einem jungen Professor aus Ingolstadt im tiefsten Bayern. War Deutschland insgesamt zurückgeblieben, so gehörte Bayern damals zu den zurückgebliebensten Gegenden Deutschlands. Der Jesuitenorden, das mächtige Werkzeug der katholischen Gegenreformation, war zwar 1773 offiziell für aufgelöst erklärt worden, aber seine ehemaligen Mitglieder beherrschten weiterhin die bayrischen Schulen und Universitäten. Die Tatsache, dass einer der ihren, Pater Frank, der Beichtvater des Kurfürsten Karl Theodor war, sicherte den Soldaten Jesu weitreichenden Einfluss auf die Politik des Landes.
Adam Weishaupt war selbst Jesuitenzögling gewesen. Die Patres hatten ihn Fleiß und Beharrlichkeit gelehrt, aber auch eine gehörige Abneigung gegen den Katholizismus beigebracht und damit wider Willen sein Interesse an ketzerischem Schrifttum geweckt. Nach der Charakterisierung eines späteren Mitstreiters war er „ohnleugbar ein vortrefflicher Kopf, ein tiefer Denker, und um so mehr aller Achtung und Bewunderung werth, da er seine ganze Bildung, mitten unter den Hindernissen seiner stupiden catholischen Erziehung, seinem eigenen Nachdenken und der Lectür guter Bücher zu danken hatte, deren Habhaftwerdung in dortigen Gegenden allein schon mit Schwierigkeiten verbunden ist, die Manchen abschrecken“.
Seit der ehrgeizige junge Gelehrte im Alter von 25 Jahren den Lehrstuhl für Kirchenrecht an der Universität Ingolstadt übertragen bekam, den die Jesuiten zuvor 90 Jahre ununterbrochen innegehabt hatten, lebte er in dauernder Fehde mit seinen ehemaligen Lehrern, die alles daransetzten, den Abweichler von diesem Posten wieder zu entfernen. Zu dieser Zeit war es, dass Weishaupt zum ersten Mal vom geheimen Bund der freien Maurer hörte. Die Nachricht, dass auch die Freunde der Aufklärung sich zu einem Orden zusammengeschlossen hätten, um ihren Widersachern besser zu trotzen, faszinierte ihn außerordentlich. Er machte sich die höchsten Begriffe von dieser Verbindung und wünschte nichts sehnlicher, als in sie einzutreten. Er nahm Kontakt zur nächstgelegen Loge auf, die in Nürnberg ansässig war. Dort hatte man gegen seinen Beitritt nichts einzuwenden, indessen scheiterte dieser zunächst an der hohen Aufnahmegebühr. In der Zwischenzeit las Weishaupt begierig alles, was er über die Freimaurerei in die Finger bekam. Wie sehr erstaunte er, als er darunter Bücher fand, in denen die Mysterien aller Maurergrade abgedruckt waren! Nicht weniger als die Tatsache, dass es diesem angeblichen Geheimbund offensichtlich so wenig Ernst mit seinen Absichten war, dass jedermann sie in frei verfügbaren Schriften nachlesen konnte, bestürzte ihn deren Inhalt: er entsprach in keiner Weise den hehren Vorstellungen, die er sich von einer Verschwörung für Vernunft und Freiheit gemacht hatte.
Solchermaßen enttäuscht, beschloss Weishaupt, nun eben selbst die Organisation zu schaffen, die in der Welt bereits fertig vorzufinden er offenbar vergeblich gehofft hatte. Dies war, wie er rückblickend selbst zugab, „freilich ein übereilter, tollkühner wo nicht rasender Gedanke“, da er, der die meiste Zeit seines Lebens in der Studierstube verbracht hatte, über keinerlei praktische Welt- und Menschenkenntnis verfügte und ihm an potentiellen Mitstreitern nichts als ein Häufchen „bloß studierender Inländer“ zur Verfügung stand. Als jedoch eine Loge der alchimistischen Richtung unter den Ingolstädter Studenten zu agitieren begann, wollte der um das Wohl seiner Schüler besorgte Pädagoge nicht länger warten. Am ersten Mai 1776, zwei Monate vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, wurde durch die Studenten Bauhof, Massenhausen und Merz sowie Professor Weishaupt der Bund der Illuminaten ins Leben gerufen.
Erste Krise, durch welche der Orden sich über seine Zweckbestimmung klar wird und entsprechende Verkehrsformen und Handlungsweisen zu entwickeln beginnt.
Die Geschichte des Ordens war die Geschichte einer Krise in Permanenz. Die erste Krise dauerte von 1778 bis ins Jahr 1781. Durch sie entwickelte der Bund sein politisches Programm und seine innere Struktur und verbreitete sich über Bayern.
„Der Endzweck des Ordens ist also, dass Licht werde, und wir sind Streiter gegen Finsterniß“ – gemessen an diesem Motto, mit welchem Weishaupt den Namen ‚Illuminaten‘ erläuterte, wirkten die unmittelbaren Ziele des Vereins zunächst eher bescheiden und defensiv: Als „geheime Weisheitsschule“ sollte er seinen Mitgliedern die Lektüre von Schriften und die Debatte über Gegenstände erlauben, welche im offiziellen Lehrbetrieb aufgrund der Hegemonie der Antiaufklärung nicht vorkommen durften. Außerdem sollte die wechselseitige Unterstützung einen Schutz gegen jesuitische Intrigen bieten. In einem Punkt waren die Illuminaten jedoch von Anfang an ein Orden neuen Typs: Anders als die bisherigen Logen hielten sie nicht nur ihre interne Arbeit, sondern auch ihre Existenz geheim.
Eifrig bemühten sich die Ordensgründer, unter Freunden und Gleichgesinnten neue Mitglieder für ihre Vereinigung zu gewinnen. Der illuminatische Funke sprang bald auf andere Städte über; in Freising, Ravensburg, Eichstätt und auch in der Landeshauptstadt München wurden Zweigstellen gegründet. Offensichtlich war ein Bund entschiedener Aufklärer für die unter dem geistlichen Despotismus leidenden Bürger in Bayern ein dringendes Bedürfnis der Zeit. In München konnten einflussreiche Personen gewonnen werden, darunter der Hofrat von Zwack, der Weltgeistliche und Schulinspektor Socher, der Direktor der philosophischen Klasse der Akademie der Wissenschaften Ferdinand Baader, außerdem weitere Hofbeamte, Offiziere, Lehrer, Hofmusiker und Hofbäcker. Dadurch wandelte sich der Charakter der Vereinigung stark, denn es handelte sich bei diesen Neuzugängen nicht mehr wie bisher um unbedarfte und ihren Lehrer bewundernde Studenten, sondern um erfahrene und im Leben stehende Männer, welche bezüglich der Zwecke und Mittel des Orden ihre je eigenen Vorstellungen hatten. Der Ordensgründer fürchtete die Konfusion und war deshalb der Auffassung gewesen, dass der Orden in der Aufbauphase monarchisch regiert werden müsse; erst wenn „das ganze System einmal besser reguliert“ sei, könne man sich über eine Änderung der Regierungsform unterhalten. Diesem uneingeschränkten Führungsanspruch wollten die Münchener sich nicht unterwerfen, und so musste Weishaupt nach langwierigen Querelen der Einrichtung eines Areopags zustimmen, welcher fortan als leitendes Gremium fungierte. Dadurch konnten die permanenten internen Streitigkeiten wenigstens zeitweise entschärft werden.
Endzweck und allgemeine Strategie des Ordens.
Während der Orden sich im Land verbreitete, saß Weishaupt in seiner Studierstube und arbeitete an dessen Programm. Er las und exzerpierte unermüdlich, machte Entwürfe, stritt über diese mit seinen Genossen und verwarf sie wieder. Dass es beim Verteidigungsbund nicht bleiben konnte, dass man stärker in die Offensive würde gehen müssen, um wirksam gegen die Feinde der Aufklärung vorzugehen, war ihm bald klar. Die französischen Enzyklopädisten lehrten ihn die Gottlosigkeit; an Machiavelli und anderen Historikern schulte er sein Geschichtsdenken. Es dämmerte ihm, dass man den geistlichen Despotismus nicht los wird, ohne auch den weltlichen Despotismus in Frage zu stellen. Der entscheidende Stoß, so stellte Weishaupt rückblickend fest, sei ihm jedoch von Lessings Freimaurergesprächen versetzt worden, welche erstmals „diese kosmopolitisch so wohltätige Idee“ in ihm erweckt hätten, die fortan das Ziel seines theoretischen und praktischen Treibens war.
Der Auftrag der Illuminaten stand nun also fest: Beseitigung der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Wie aber war er auszuführen? In seiner Rede an die neu aufzunehmenden Illuminates dirigentes, einem streng vertraulichen Papier, welches nur dem engsten Kreis der Verschwörer bekannt gemacht wurde, entwickelt Weishaupt die Grundzüge eines Aktionsplans. Er beginnt mit der Konstatierung der historischen Notwendigkeit der Herrschaft. Diese ergebe sich aus dem simplen Faktum, dass die Menschen in der bisherigen Geschichte in aller Regel ihre Beherrscher willig ertrugen, was sie nicht getan hätten, wenn sie ihrer Leitung nicht bedurft hätten und weiter bedürfen. „Alle Unterwerfung, auch der rohesten Menschen, ist also bedingt auf den Fall, dass ich Hilfe nötig habe, dass der, dem ich mich unterwerfe, mir sie zu leisten imstande sei.“ Wenn die Herrschaft also Folge der Schwäche der Beherrschten sei, so müsste die Überwindung dieser Schwäche die Herrschaft überflüssig machen. „Könige sind Väter; väterliche Gewalt geht mit der Unvermögenheit des Kindes zu Ende.“
Um die Unmündigkeit zu überwinden und die Fähigkeit zu erwerben, seine Geschicke ohne fremde Leitung zu bestimmen, sei Aufklärung im umfassendsten Sinne notwendig: „Aufklärung ist, zu wissen, was ich seie, was andere sein, was andere fordern, was ich fordere: zu wissen, dass ich mir nicht allein erklecklich bin, dass ich ohne Hilfe meiner Nebenmenschen nichts bin, sie als einen wesentlichen Teil meiner Glückseligkeit betrachten“. Nicht um die Aneignung von bloß „abstrakten, spekulativen, theoretischen Kenntnissen“ geht es, sondern um die Bewusstmachung der eigenen Lebensverhältnisse, die Einsicht in deren gesellschaftliche Natur und Überwindung bürgerlicher Individualborniertheit. Indem die Einzelnen sich ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bewusst würden und sich um vernünftige Kooperation bemühten, argumentiert Weishaupt, würde die staatliche Gewalt überflüssig, welche dem Bürger im gegebenen Zustand vor allem zur Sicherheit vor fremder Willkür notwendig scheine.
Untrennbar verbunden mit dem sozialen sei das individuelle Moment der Aufklärung – die Selbsterkenntnis. Deren Ziel sei nach Weishaupt die Moral, welche er definiert als „die große Kunst, vernünftig zu begehren“. Persönliche Autonomie habe das Vermögen zur Voraussetzung, sich bewusst Zwecke zu setzen, anstatt Spielball unbewusster Leidenschaften und äußerer Beeinflussung zu sein. „Die Moral ist also die Kunst, welche Menschen lehrt, volljährig zu werden … und der Fürsten zu entbehren.“
Nicht unmittelbarer Aufruf zum Umsturz ist also das Programm illuminatischer Staatsfeindlichkeit. Die bisherigen Empörungen gegen die Herrschaft seien sämtlich gescheitert, „weil die Quelle des Übels, der Mangel an Moralität, nicht verstopft war, und so lange diese im Gange ist, hilft alle Revolution nicht“. Die politische Einrichtung einer Gesellschaft richte sich stets „nach der jedesmaligen Fähigkeit und Empfänglichkeit der Menschen“, weshalb man jene nicht reformieren könne, ohne diese zu verbessern. „Wer Revolutionen bewirken will, der ändere die Sitten“, fordert Weishaupt deshalb. Dies sei den Thronen weit gefährlicher, als den Königsmord zu predigen.
Wie aber schätzt Weishaupt die Möglichkeiten solcher Wühlarbeit in seiner konkreten historischen Situation ein? Der Absolutismus habe, so der Verschwörer, ganz gegen seine Absicht die Erfolgschancen der Subversion ungemein erhöht. Dies aus zwei Gründen: Erstens zwinge die Konkurrenz der Staaten untereinander diese dazu, bei ihren Untertanen Wissenschaft und Industrie zu fördern, was Aufklärung und Fortschritt zugute käme. Zweitens hätten die Monarchen in ihrem Streben nach uneingeschränkter Souveränität die Macht der feudalen Stände gebrochen, was den Weg zur Freiheit erleichtern könnte. Voraussetzung sei allerdings, dass „der zerstörte aristocratische Theil der Regierung durch die einzig wahren Repräsentanten der Menschheit ersetzt wird“ – womit wir bei der Aufgabe der Illuminaten wären. Der bewussteste Teil der bürgerlichen Intelligenz müsse sich als geheimbündisch organisierte Avantgarde die Schlüsselpositionen der Staaten unter den Nagel reißen und den Leviathan für die Sache der Freiheit zweckentfremden. Die Idee der Fürstenerziehung, der Humanisierung der Gesellschaft durch die Humanisierung der Herrschaft, kurz: des aufgeklärten Absolutismus, ist an sich ein alter Hut. Neu ist jedoch neben dem generalstabsmäßigen Verschwörungsplanung der Illuminaten vor allem die Radikalität ihres Ziels: Zweck des Staates soll sein, das eigene Absterben vorzubereiten. Das illuminatische Programm zielt auf die Diktatur der Klasse des Bewusstseins, deren Absicht es ist, sich selbst überflüssig zu machen.
Ginge der Plan auf, so würde sich herausstellen, dass der Despotismus dank einer „ungeheuren Metamorphose“ selbst die Grundlagen der Freiheit hervorgebracht habe. Misslinge die Operation jedoch, so könne nach Weishaupt die Epoche einen düsteren Ausgang nehmen: Nachdem die Monarchen, gestützt auf ihre hochgerüsteten stehenden Heere, alle Zwischengewalten beseitigt hätten, werde sich eben dieses Werkzeug ihrer Allgewalt irgendwann gegen sie selbst kehren, und eine außer Rand und Band geratene Soldateska werde, vergleichbar mit der Zeit der spätrömischen Soldatenkaiser, die Herrschaft über das Abendland antreten.
Die Erziehung der Erzieher.
Der Größe des cosmopolitischen Ziels waren die vorgefundenen Organisationsweisen des unernsten deutschen Logenwesens in keiner Weise angemessen. Die Illuminaten mussten sich also nicht nur dem Inhalt, sondern auch der Form nach als Orden neuen Typs konstituieren. Die Vereinigung war im Begriff, so formulierte es später der Illuminat Bode, die spekulative Maurerei hinter sich zu lassen und auf einer höheren Stufe zur praktischen Maurerei zurückzukehren. Um die planmäßige Zersetzung der alten Welt zu beginnen, musste eine schlagkräftige Verschwörertruppe geschmiedet werden. Als Vorbild diente Weishaupt dabei der feindliche Jesuitenorden. Dessen disziplinierte Hierarchie, mit deren Hilfe nicht unerhebliche Teile Europas für den Katholizismus zurückgewonnen werden konnten, sollte übernommen, aber einem völlig entgegengesetzten Zweck unterstellt werden: anstatt um die Verewigung der Herrschaft ging es um deren Abschaffung. Nicht um Konservierung ihrer Macht musste es der Führung zu tun sein, sondern darum, sich selbst entbehrlich zu machen, indem sie ihre Gefolgschaft schrittweise zu eigenständigem Handeln befähigt. Die künftigen Erzieher des Menschengeschlechts mussten allererst selbst erzogen werden.
Ausgangspunkt war dabei die Erkenntnis, dass die aufzunehmenden Kandidaten unmittelbar kaum taugten. „Die Gesellschaft kann die Leute nicht brauchen, wie sie sind, sondern sie sollen erst werden, wozu man sie nötig hat,“ schärfte Weishaupt seinen Genossen ein. Es schien der Ordensspitze angesichts dessen ratsam, ihre letzten Absichten nicht nur vor der großen Öffentlichkeit, sondern zunächst auch vor der Mehrzahl ihrer Mitglieder geheim zu halten. Diese mussten erst allmählich an das Licht gewöhnt werden, bei dessen Verbreitung sie mitwirken sollten. In den Statuten für die unteren Grade wurden die Ordensziele daher in recht allgemeine Formeln gehüllt: „dem Menschen die Vervollkommnung seines Verstandes und moralischen Charakters interessant zu machen, menschliche und gesellschaftliche Gesinnungen zu fördern, der notleidenden und bedrängten Tugend gegen das Unrecht beizustehen“ – darin bestehe „der einzige und nicht kolorierte Endzweck der Gesellschaft.“ Sollte es vorkommen, dass der Kandidat im Laufe der Zeit noch weitergehende Absichten des Ordens entdecke, so sei es umso besser für ihn – beweise das doch, dass man in seinem Verein „wider die Gewohnheit anderer Gesellschaften mehr halte, als man sich anheischig gemacht.“ – Eine weitere Vorsichtsmaßregel war die Verwendung von Geheimnamen für die interne Korrespondenz. Weishaupt, zum Beispiel, führte innerhalb des Ordens den Namen des Spartakus.
Die Befähigung zu eigenständigem Handeln erforderte die Bekämpfung des Vorurteils auf allen Ebenen. Der auf den Lebenden lastende Alp der toten Geschlechter musste abgeschüttelt, alle bewusstlos übernommenen Denkweisen durch kritische Reflexion aufgelöst werden. Dies konnte natürlich nicht erreicht werden, indem die Illuminaten einfach die verkehrten Vorstellungen durch neue, aufgeklärte Glaubenssätze ersetzten, die sie wiederum dogmatisch lehrten. Es ging weniger um das Aufstellen einer neuen Lehre, sondern vielmehr um das Einüben einer neuen Methode des Denkens. Aufgabe der Illuminaten sei es, so Weishaupt, ein bestimmtes Milieu zu schaffen, welches die Entfaltung des verflüssigenden Denkens fördert: „Eine Gesellschaft, welche eine höhere Sittlichkeit befördern will, muss also selbst in diesem Stücke nicht von der Theorie ausgehen; sie muss machen, dass jeder die Theorie, die man lehren wollte, sozusagen selbst erfindet. Diese Theorie muss ein selbst erzeugtes, kein adoptiertes Kind sein. Die geheime Verbindung muss Situationen veranlassen, welche Bedürfnis nach solchen Grundsätzen erwecken, welche auf diese Grundsätze unwiderstehlich führen; sie muss machen, dass jeder durch die Tat lernt und die Erfahrungen und Prämissen sammelt, welche auf die wahren Resultate führen.“
Der Gang der Bildung sollte dabei bei der Anwendung des kritischen Verstandes auf das unmittelbare Alltagsleben beginnen und erst später zur politischen Infragestellung des Ancien Régime ausgeweitet werden. Weishaupt: „Mit Staats- und Religionsbüchern müßen wir bey Anfängern behutsam seyn. … Wenn sie die Politic vor der Moral lernen, werden Schelmen daraus.“ Die Schulung der praktischen Menschenkenntnis sollte zunächst im Vordergrund stehen. Die Ordensbrüder sollen sich in geselligen Verkehr begeben, sich um Kontakt zu Menschen verschiedener Stände bemühen, deren Lebensweise, Vorstellungen und Haltungen beobachten, die Natur der menschlichen Leidenschaften erforschen. Es wurde empfohlen, die gemachten Erfahrungen in einem Tagebuch festzuhalten und von bemerkenswerten Personen Charakterstudien anzufertigen. Das Erlernen fremder Sprachen wurde dringend angeraten; Sofern ein Mitbruder eine Reise ins Ausland unternehmen wollte, um den Kreis seiner Erfahrung zu erweitern, erklärte sich der Orden bereit, für die Kosten aufzukommen.
Damit solche praktischen Experimente erfolgreich sein konnten, durfte jedoch auch die theoretische Bildung nicht vernachlässigt werden. Zu diesem Zweck wurde jedem Illuminaten die Lektüre gewisser Bücher vorgeschrieben:
1) Seneca Phil.
2) Epictet
3) Antonins Betrachtungen über sich selbst
4) Plutarchs Lebensbeschreibungen
5) Seine moralischen sowie auch alle anderen Schriften
6) Von Wielands Werken:
Agathon, Goldener Spiegel, Geheime Beiträge
7) Tobias Knaut
8) Hirschfeld, Vom großen Manne und Von heroischen Tugenden
9) Popes Versuch über den Menschen
10) Smith, Theorie des Moralischen
11) Basedows Practische Philosophie für alle Stände
12) Meiners Philosophische Schriften
13) Abbt, Vom Verdienste
14) Montaignes Versuch
15) Helvétius, Vom Geist
16) La Bruyère, Charakter
17) Alle Bellegardische Schriften sowie auch
18) Von Lenoble, Weltschule
Bei der Lektüre sollte jedoch stets darauf geachtet werden, die fremden Gedanken durch eigene Überlegung zu überprüfen. Um diese zu fördern, wurden den unteren Ordensgliedern von ihren Vorgesetzen gelegentlich Fragen aufgegeben, welche sie in Form kleiner Aufsätze zu erörtern hatten. Überhaupt sollte man mehr Zeit mit eigenem Nachdenken und Beobachten als mit dem Lesen verbringen.
Da man das Ziel hatte, sich zu geschichtlichen Individuen auszubilden, war die Lektüre räsonierender (d.i. kritischer) Historiker von größter Wichtigkeit. Diese „entwöhnen den Menschen von dem unphilosophischen Wahne, als ob Alles, was Heute ist, allezeit gewesen wäre, allezeit und in Ewigkeit seyn müsste: sie belehren, dass alles ein Kind der Zeit und der Umstände sei.“ Um den großen Eingriff in die Zeit vorzubereiten, war es unerlässlich, das Denken der Geschichte oder das geschichtliche Denken zu erlernen, welches darin besteht, „durch fortgesetzte scharfe Beobachtungen aus dem bisherigen Gang der Natur ihren künftigen zu bestimmen, so gar das Gesetz und die Regel zu finden, nach welchem sie arbeitet, und noch weiter fortschreiten wird.“
Auf ihrem Bildungsweg waren die angehenden Verschwörer nie sich selbst überlassen, sondern wurden stets von den sorgenden Augen ihres jeweiligen Vorgesetzten beobachtet, dem sie regelmäßig über ihre Fortschritte Rechenschaft abzulegen hatten:
„Zu diesem Ende überreicht jeder zu Ende jedes Monats seinen Oberen ein verschlossenes Blatt, in welchem er anzeigt:
1) Was er als ein Vorurteil ansehe.
2) An wem er solches wahrgenommen.
3) Welche Vorurteile er an sich entdeckt.
4) Welche bei ihm die herrschenden Vorurteile und wie viel solche seien.
5) Wie viel und welche er schon geschwächet oder gar ausgerottet habe.“
Diese Berichte, so Weishaupt, seien „bey uns eben soviel, als bey den Jesuiten die Beicht war.“ Sie sollten die Neulinge zu mehr Ernsthaftigkeit erziehen und zur Selbstreflexion anregen.
Freiherr von Knigge tritt auf den Plan. Die wirkliche Spaltung der Freimaurerei.
Es ist nun an der Zeit, die Leser mit dem Mann bekannt zu machen, der den Orden über die Grenzen des engen Provinzialismus hinausführte und ihn von Grund auf revolutionierte. Die Rede ist vom freien Herrn Adolph von Knigge, den man auch als den zweiten Ordensgründer bezeichnet hat. Knigge war in fast jeder Hinsicht der Antipode Weishaupts. War dieser ein Stubengelehrter, der seine Vaterstadt kaum verlassen hatte, so war jener, zumindest für deutsche Verhältnisse, ein Mann von Welt. Als Edelmann ohne Land und Vermögen war er viel herumgekommen und hatte die verschiedensten Tätigkeiten ausgeübt, war Diener an mehreren Höfen gewesen, hatte eine Meerschaumpfeifenfabrik und ein Hoftheater geleitet. Später versuchte er sich nicht ohne Erfolg als freier Schriftsteller und verfasste mit flinker Feder eine Vielzahl von Romanen, moralischen Betrachtungen, philosophischen Abhandlungen und politischen Traktaten. Während Weishaupt in seiner Abgeschiedenheit still und geduldig an seinem Plan arbeitete, hielt es Knigge in seiner hitzigen, unsteten Art nirgends lange aus. War jener ein nüchtern rationalistischer Kopf, so ließ dieser sich von seinen Leidenschaften fortreißen und neigte zur Schwärmerei. In zwei Punkten aber stimmten die konträren Charaktere völlig überein: im Hass auf den Despotismus und dem dringenden Wunsch nach einer vernünftigen Einrichtung der Welt.
Natürlich war Knigge auch mit dem Mikrokosmos der Freimaurer gut bekannt, in deren Kreisen er seit seiner Studienzeit verkehrte. Auf der Suche nach Bundgenossen wie nach Einsicht in die verborgenen Zusammenhänge der Welt war er durch die verschiedenen Systeme gewandert und hatte sich in deren Mysterien einweihen lassen. Von den dabei gemachten Erfahrungen in jeder Hinsicht unbefriedigt, hatte er einige Projekte zur Reform der Maurerei in Gang gebracht, die jedoch ohne Ausnahme scheiterten.
Im Jahre 1780 traf Knigge in Frankfurt auf den Grafen Constanzo, der dort im Auftrag der Illuminaten die Lage sondierte. Der bayrische Emissär fasste Vertrauen zu dem energisch der Aufklärung verschriebenen Freiherrn und weihte ihn in die Pläne seines Ordens ein. Knigge war sofort hellauf begeistert, bat um Aufnahme in diese seinen Vorstellungen so sehr entgegenkommende Organisation und versprach, alles in seiner Macht stehende für deren Ausbreitung zu tun. Sein Plan ging darauf hinaus, seine zahlreichen Verbindungen zu verschiedensten Personen im geheimbündischen Milieu zu nutzen, um dieses systematisch zu unterwandern und zu veranlassen, „dass unsere Leute in den Logen der verschiedenen Systeme die Oberhand bekämen, um den müßigen Orden der Freimaurer für die gute Sache in Tätigkeit zu setzen“. „Wir sammeln in der Stille die besten unter den Freymaurern, und anderen Menschen“, erläuterte Knigge sein Vorhaben: „Warum aber eben unter Freymaurern? Weil diese Männer suchen, folglich Bedürfnis haben, und auch schon der so nötige esprit de Corps unter ihnen ist. Daraus formen wir eine geheime Freymaurerei!“ So konfus und zersplittert die diversen Geheimbünde auch waren, sie waren sich doch immerhin einig in ihrer Unzufriedenheit mit der offiziellen Welt des Ancien Régime und in der diffusen Sehnsucht nach einer besseren Ordnung der Dinge. Sie besaßen schon den Traum von einer Sache, von der ihnen nur noch das Bewusstsein fehlte, um sie ganz zu besitzen.
Knigges Auftauchen bei den Illuminaten beendete die erste Krise der Organisation. Angesichts der sich jetzt eröffnenden Perspektiven gelang es, die internen Streitigkeiten vorerst beizulegen und alle Kräfte auf die Verwirklichung des großen Unterwanderungsplans des Freiherrn zu konzentrieren. Der Zeitpunkt schien außerordentlich günstig. Wie bereits erwähnt, befand sich die Freimaurerei seit Ende der 70er Jahre in einer tiefen Krise. Angesichts der Untergrabung der Autorität ihrer Oberen mittels Quellenkritik und historischer Polemik herrschte unter den Mitgliedern der verschiedenen Systeme große Verwirrung. Die Bindungen an die alten Lehren waren schwach geworden, das Bedürfnis nach Klärung und die Empfänglichkeit für neue Ideen waren groß.
Ein Anzeichen, dass die Krise in ein fortgeschrittenes Stadium eingetreten war und einer Lösung entgegentrieb, war die Herausbildung politischer Lager. Etwa zeitgleich mit der Konstitution der Illuminaten am äußersten linken Rand des Freimaurerspektrums machten am äußersten rechten Rand als deren Widerpart die Rosenkreuzer verstärkt von sich reden. Beide Orden waren straff organisiert und hatten ein explizit politisches Programm: im Falle der Rosenkreuzer die Bekämpfung der Aufklärung und die Verteidigung der Religion und einer ständischen Variante des Absolutismus. Beide betrachteten den pluralistischen Sumpf der Freimaurerei als ihre „Pflanzschule“, konkurrierten also heimlich um Einfluss in den offiziell geduldeten Logen, die sie als Agitationsfeld und Tarnorganisation gebrauchten. Mit dieser expliziten Frontbildung wurde die wirkliche Spaltung der Freimaurerei eingeleitet, welche den Gegensatz zwischen Rationalismus und Irrationalismus auf ein höheres Niveau hob, weil er nun nicht mehr als einer zwischen Ancien Régime und freimaurerischer Gegenwelt erschien, sondern sich als Gegensatz innerhalb der Opposition selbst zu erkennen gab.
Seinen offiziellen Austragungsort erhielt diese Gegensatz auf dem Konvent von Wilhelmsbad im Sommer 1782. Der Mythos der Stricten Observanz war so dünn geworden, dass Herzog Ferdinand von Braunschweig, der neue Großmeister der mächtigen Logenvereinigung, sich entschloss, die Flucht nach vorn anzutreten: In einem Zirkular leugnete er nun plötzlich selbst jede Verbindung des Ordens zu den Tempelrittern und erklärte die Existenz unbekannter Oberer für eine Fiktion. Ritual, Verfassung, weltanschauliche Ausrichtung und praktischer Zweck der Vereinigung wurden von der eigenen Führung zur Disposition gestellt und sollten auf einer großen Delegiertenkonferenz neu bestimmt werden. Es war ein Ereignis von europäischem Rang: Nicht nur reisten von Skandinavien über die Schweiz bis zur Walachei aus aller Herren Länder Vertreter der Ordensprovinzen an, um über das Schicksal ihres Vereins mitzuentscheiden, auch die in anderen Systemen organisierten Maurer blickten gebannt nach Willhelmsbad, denn es war klar, dass die künftige Ausrichtung der Stricten Observanz für die Freimaurerei insgesamt von Bedeutung sein würde.
Grob lassen sich die Deputierten in drei Fraktionen unterteilen: Erstens die Rationalisten, welche die Freimaurerei zur kompromisslosen Agentur der Aufklärung modeln und von allem mystischen Ballast befreien wollten, zweitens die Irrationalisten, welche eben diesen Ballast zum Hauptzweck erheben wollten, drittens die formellen Zentristen um den Ordenschef Herzog Ferdinand, deren wesentliches Interesse die Bewahrung der Einheit war und die zu diesem Zweck einen kompromisslerischen Plan vorlegten. Die Illuminaten, die mit zwei Vertretern den rationalistischen Flügel stärkten, verfolgten eine Doppelstrategie: der Maximalist Ditfurth sollte durch religionsspöttische Reden die Vertreter der Reaktion so lange provozieren, bis diese sich zu ungeschminkten Äußerungen hinreißen lassen und sich dadurch in den Augen der Mehrheit der Konferenzteilnehmer diskreditieren würden. Derweil wollte Knigge sich im Hintergrund halten und durch vertrauliche Gespräche abseits der offiziellen Sitzungen die besten Köpfe des verunsicherten Mittelfelds auf die Seite der Ratio ziehen. Die Rosenkreuzer hatten es nicht geschafft, einen eigenen Vertreter in den Konvent einzuschleusen, standen aber mit anwesenden Vertretern des Irrationalismus in Verbindung.
Die Debatten wurden erbittert geführt, endeten aber letztlich ohne eindeutigen Sieg einer Partei. Die Zentristen wollten es allen recht machen und überzeugten deshalb keinen; anstatt der Reaktionäre diskreditierte Ditfurth durch sein hitzköpfiges Vorgehen eher sich selbst und spaltete damit die aufklärerische Fraktion; den Mystikern mangelte es an einem klaren Konzept und einer überzeugenden Führungspersönlichkeit. Das schlussendlich doch verabschiedete Reformprogramm war eine Totgeburt, die kaum ernstgenommen wurde. Was der große Erneuerungskonvent der Stricten Observanz hätte werden sollen, entpuppte sich de facto als Auflösungsveranstaltung.
Spektakuläre Ausbreitung und zweite Krise des Illuminatenordens.
Nach der Bankrotterklärung seines Dachverbandes war das mitteleuropäische Logenwesen in rapider Auflösung begriffen. Knigge, der zunächst schwer über das untaktische Vorgehen seines Genossen Ditfurth in Wilhelmsbad geschimpft hatte, musste bald zugeben, dass die jetzt entstandene Lage der auf die Spitze getriebenen Konfusion eigentlich das Beste war, was den Verschwörern hatte passieren können. „Die erfahrnen Maurer taumeln nun in allerhand Systemen herum, und suchen Licht: giebt man den Würdigeren nur einen Fingerzeig, so laufen sie mit der brennendsten Begierde, und glühendem Herzen einem nach,“ berichtet beispielsweise ein illuminatischer Kundschafter aus Wien. Anstatt sich, wie ursprünglich geplant, per feindlicher Übernahme der Stricten Observanz zu bemächtigen, war den Illuminaten jetzt die Aufgabe gestellt, deren Konkursmasse produktiv zu nutzen.
Sie schienen die Anforderung mit Bravour zu meistern. Von Knigges Frankfurter Illuminatensektion wurde ad hoc der Plan eines Eklektischen Bundes entworfen, welcher als Sammelbecken der heimatlos gewordenen Maurer dienen sollte. Er war als lockere Assoziation freier Logen ohne Systemzwang konzipiert, die auf dem Minimalkonsens der Rückkehr zu den drei altenglischen Maurergraden und dem Prinzip der brüderlichen Gleichheit beruhte und es darüber hinaus jeder Mitgliedsloge freistellte, ihre spezielle Ausrichtung selbst zu definieren. Damit sollte der fruchtlose Parteienhader unterbunden werden, der sich stets an den nichtigsten Gegenständen zu entzünden pflegte. Nach und nach sollten aus diesen Logen dann die aufgewecktesten Köpfe für den höheren Orden der Illuminaten gewonnen werden; wer jedoch „nicht Fähigkeiten genug zeigte, in unserem Systeme weiter fortzurücken“, der hatte „in der Freymaurerey ein weites Feld, seine Muße auf Entzifferung von Hieroglyphen und auf die unbedeutenden Logen-Arbeiten zu verwenden.“
Parallel zur Verschickung des Gründungsmanifestes des Eklektischen Bundes setzte Knigge seinen schon vor Wilhelmsbad begonnenen Werbefeldzug fort. Er bereiste alle wichtigen Städte und suchte überall, die vernünftigen Männer für den Illuminatenbund zu gewinnen. Zu diesem Zweck hatte er in Windeseile einen vollständigen neuen Ordensplan formuliert, der sich an Weishaupts Entwürfen orientierte, der Form nach aber gewisse Zugeständnisse an den Mystizismus machte, die er angesichts des Bewusstseinstandes des Publikums für notwendig hielt. So wurde das schrittweise mitzuteilende Ordensprogramm in ein regelrechtes Hochgradsystem verpackt, in welchem die drei klassischen Maurergrade die Grundlage bildeten, worauf Stufen wie die der „höheren Mysterien“ oder der „Schottischen Ritter“ folgten. Auch getraute Knigge sich nicht, auf gewisse symbolische Handlungen und Rituale ganz zu verzichten. Das wichtigste Zugeständnis, das aber auch schon in Weishaupts Entwürfen zu finden war, bestand darin, die Kritik der Religion nicht als offene Negation zu formulieren, um eine Wiederholung der Fehler des Herrn Ditfurth in Wilhelmsbad zu vermeiden. Vielmehr rückte man dem christlichen Mythos auf den Leib, indem man ihn mit den Mitteln der Ratio scheinbar affirmativ erklärte und damit aber als Mythos auflöste. Weishaupt gefiel diese Lösung so gut, dass er beim erneuten Lesen des von ihm formulierten Regentengrades entzückt ausrief: „Ich glaube nun beynahe selbst, dass, so wie ich es erkläre, es wirklich die geheime Lehre Christi war, die Freyheit auf diese Art unter den Juden einzuführen: ich glaube selbst, dass die Freymaurerey verborgenes Christenthum ist, wenigstens passet meine Erklärung der Hierogliphen vollkommen dahin, und auf diese Art, wie ich dass Christenthum erkläre, darf sich kein Mensch schämen, ein Christ zu sein; denn ich lasse den Namen, und substituiere ihm die Vernunft.“
Die Agitationsreisen des Wanderpredigers Knigge waren ungeheuer erfolgreich; binnen kurzer Zeit gelang es ihm, an die 500 Personen aus dem ganzen Reichsgebiet und dem benachbarten Ausland zu akquirieren. Neben den Sektionen München und Mainz etablierten sich als neue illuminatische Zentren die Freimaurerloge Zur wahren Eintracht in Wien, welche von dem Naturforscher Ignaz von Born und dem Publizisten Joseph von Sonnenfels geleitet wurde, sowie der Weimarer Kreis um die Herzogin Anna Amalia, wo der Publizist Bode, der Hofprediger Herder, der Geheime Rat Goethe und der Prinzenerzieher Wieland für den Orden arbeiteten. Weiter traten bei u.a. der Berliner Buchhändler und Publizist Nicolai, der Züricher Pädagoge Pestalozzi, der Bonner Hoforganist Neefe – der Musiklehrer Ludwig van Beethovens war – sowie der Mannheimer Schauspieler Johann Michael Böck, welcher bei der Uraufführung von Schillers Räubern die Rolle des Karl Mohr gespielt hatte.
Anna Amalia. Stellte freundlicherweise ihren herzöglichen Hof
als situationistischen Stützpunkt zur Verfügung.
Auch beim Marsch durch die offiziellen Institutionen, zu dessen Vorbereitung die Unterwanderung der maurerischen Scheinwelt ja letzten Endes betrieben wurde, waren erste Erfolge zu vermelden. Nach Angaben des Ordensmitglieds Constanzo waren von den 142 Räten der bayrischen Administration 21 Illuminaten, welche unter anderem im Revisionsgericht, im Hofrat, im Geistlichen Rat sowie im Kommerzien-Kollegium saßen. Im Zensurkollegium waren die illuminatischen Mitglieder sogar in der Mehrheit. Ein später von Staatsschutz beschlagnahmtes internes Papier über die „Progressen des Ordens im politischen Fache“ für die Jahre 1783/ 84 berichtet unter anderem über die Besetzung von vier Kirchenkanzeln und zweier Professorenstellen durch Ordensmitglieder, die Requirierung staatlicher Gelder sowie die Vertreibung einiger Jesuiten aus ihren öffentlichen Positionen. In München hatten die Illuminaten ein eigenes Versammlungshaus erworben, worin sie eine Bibliothek sowie eine naturwissenschaftliche Sammlung einrichteten.
Die durch Knigges Werbeoffensive verursachte spektakuläre Expansion des Illuminatenbundes leitete zugleich dessen zweite Krise ein, die mit dem Untergang des Ordens endete. Indem man sich entschlossen hatte, Nachlassverwalter der aufgelösten Stricten Observanz zu werden, hatte man auch das ganze Elend der bisherigen Freimaurerei auf sich genommen: „Nun gab es unter uns erklärte Deisten; religiöse Schwärmer; Grübler; Alchymisten; Theosophen; Leute, die Ruhe liebten und nicht gern arbeiteten, fleißige und thätige Menschen; Herrschsüchtige; Ehrgeizige; Ahnenstolze; Solche, die Beförderung im bürgerlichen Leben, und Andere, die Hülfe und Unterstützung bey gelehrten Unternehmungen suchten; Einige, die an Feierlichkeiten Vergnügen fanden, und Andre, die alles, was Cäremonie hieß, verachteten; Philosophen und Philosophaster“ – so beschrieb Knigge die von ihm selbst angeworbene bunte Truppe. Neben der allgemeinen Untätigkeit der meisten Mitglieder, die, wie Weishaupt schrieb, „die Wirkung vor der Ursache verlangen“ und meinten, durch den bloßen Beitritt zu einer großen Zielen verpflichteten Organisation sofort selbst zu einem großartigen und bewunderungswürdigen Individuum zu werden, entwickelte sich der linke Radikalismus zu einem ernsthaften Problem: es mehrten sich die Berichte von übereifrigen und unvorsichtigen Brüdern, welche durch öffentlich zur Schau getragene Irreligiösität die Gemüter gegen sich aufbrachten und so eine staatliche Verfolgung des Bundes geradezu herausforderten.
Angesichts dieser Situation kam es unter den Ordensoberen zu erbittertem Streit. Weishaupt schimpfte über die von Knigge eingeführte „Verbreitungssucht des Ordens“, die „uns den Kopf kosten kann“: „Was thue ich mit so vielen Leuten, wenn sie nicht gut und brauchbar sind?“ Um möglichst viele Anhänger zu gewinnen, habe Knigge die taktisch notwendige Verwendung freimaurerischer Rituale bis zur platten Anbiederung übertrieben und sich sogar ein lächerliches Priestergewand ausgedacht, welches die Ordenskommandanten während der Sitzungen tragen sollten. Er, Weishaupt, sei dagegen im Grunde stets der Ansicht gewesen, dass man gar nicht agitieren, sondern ruhig im Verborgenen wirken und darauf vertrauen solle, dass sich „der Ruff von unseren Anstalten verbreite“ und sich sympathisierende Geister beizeiten selbst um Kontakt bemühen würden. – Das von ihm gewählte Vorgehen sei notwendig gewesen, verteidigt sich Knigge, da ohne ihn Weishaupts „mit einigen ohne Auswahl zusammen gerafften jungen Leuten angefangener Orden ein elendes Ding seyn würde“ und nie über die geographischen und geistigen Grenzen des bayrischen Provinzialismus hinausgekommen wäre. Er kritisierte Weishaupts despotischen Führungsstil und setze sich für „eine Art von republicanischer Regierung“ des Orden ein. – Der Vorwurf, er führe sich auf wie ein „Jesuiten-General“, fechte ihn nicht an, entgegnete Weishaupt: seine autoritäre Führung sei absolut notwendig, wolle man nicht in die alte freimaurerische Konfusion zurückfallen. Alle Republikanisierungsideen seien verfrüht, „um so mehr da ich sehr wenige Areopagiten habe, die arbeitsam sind, auf die ich mich verlassen kann, und die die Kunst, Menschen zu dirigieren, nicht bloß allein theoretisch wissen, sie auch ausführen können und noch dazu das selbst sind, wozu sie andere machen sollen.“
Die Plausibilität von Weishaupts Ausführungen ist nicht ganz von der Hand zu weisen, jedoch fällt der Vorwurf mangelnder Führungskompetenz an seine bayrischen Subcommandantes auch auf ihn selbst zurück. Durch die Erweiterung waren mittlerweile erfahrene und kampferprobte Aufklärer zu den Illuminaten gestoßen, die es nicht einsahen, sich „von einem Professor aus Ingolstadt wie Studenten“ behandeln zu lassen. Nur weil er den Anfang gemacht hatte, war Weishaupt längst nicht mehr der Erste im Orden. Zu nennen wäre hier die Wiener Loge, die weitgehend autonom agierte und deren Verhalten den misstrauischen Weishaupt argwöhnen ließ, sie wolle den ganzen Orden „zum Sclav von Österreich“ machen. Als eine gewisse Berichtigung der Verhältnisse kann es daher angesehen werden, dass die Weimarer Illuminaten sich eigenmächtig als Vermittler in den Führungsstreit des Ordens einschalteten: Sie zitierten Knigge herbei und befragten ihn im Hause Goethes eingehend über die Querelen; am Ende des Treffens wurde von den Anwesenden die Einrichtung eines erweiterten Führungsgremiums beschlossen, dem neben den bayrischen Areopagiten auch die illuminatischen Mitglieder des Weimarer Hofs angehören sollten.
Doch auch dieses Manöver konnte den Zerfall nicht aufhalten, die innere Zerrüttung des Bundes war schon zu weit fortgeschritten. Nachdem eine Gruppe von bayrischen Patrioten, die versehentlich in den cosmopolistischen Illuminatenbund geraten waren, ihren Irrtum bemerkten und ihre ehemaligen Genossen in einer Flugschrift mit dem Titel: Ueber Freymaurer. Erste Warnung denunziert hatte, brach die von Weishaupt seit langem befürchtete Repression über den Orden herein: Am 16. August 1785 verbot die Regierung des Kurfürstentums Bayern auf ihrem Territorium alle geheimen Verbindungen und begann mit der strafrechtlichen Verfolgung von deren Mitgliedern. Der Staat vollstreckte damit nur das Urteil, welches der Illuminatenbund längst über sich selbst gefällt hatte.
IV. „Über den Umgang mit Menschen“ – Illuminatismus ohne Orden.
Gemessen an den staatsfeindlichen Zielen des Illuminatenordens waren die der Aufdeckung der Verschwörung folgenden polizeilichen Maßnahmen vergleichsweise unspektakulär: Die meisten in öffentlichen Ämtern befindlichen bayrischen Ordensmitglieder wurden ihrer Posten enthoben, einige erhielten Geldstrafen, wurden des Landes verwiesen oder entzogen sich der staatlichen Verfolgung durch Flucht. Weishaupt fand Asyl beim Herzog Ernst von Sachsen-Gotha, der selbst Illuminat war und sich weigerte, den Ordensgründer an die bayrischen Behörden auszuliefern. Kurz nach dem Bekanntwerden des bayrischen Verbotsedikts erklärte der damalige Nationalobere der Illuminaten, Graf Stolberg-Roßla, den Bund offiziell für aufgelöst.
Schwerer als die unmittelbare Verfolgung der Ordensmitglieder wog der nun einsetzende Stimmungsumschwung in der Öffentlichkeit. Als der bayrische Staatsschutz eine Sammlung von bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmten Originalschriften des Geheimbundes veröffentlichte, war dies der Beweis für den lange gehegten Verdacht, die Aufklärung wolle die Stützen von Thron und Alter untergraben und die Grundlagen der sittlichen Ordnung zerstören. Selbst viele ehemalige Ordensmitglieder der unteren Grade waren entsetzt, als sie von den wahren Zielen und Machenschaften ihrer Führungsspitze erfuhren, und befürworteten nachträglich das Verbot. Eine Flut von wüsten Polemiken prasselte auf die eingeschüchterte Aufklärungsbewegung ein, die jeden noch so vorsichtigen Kritiker der bestehenden Verhältnisse als Illuminat und Staatszersetzer denunzierten. Die publizistische Kampagne markiert die Geburtsstunde des politischen Konservatismus in Deutschland. Die rückwärtsgewandten Kräfte erhielten starken Auftrieb, aufklärerische Zeitschriften wurden viel stärker reglementiert als bisher, verdächtige Gesellschaften jeder Art vom Staat bespitzelt oder verboten.
Was taten die Illuminaten in dieser Situation? Während wir über das Wirken des Geheimbundes vor dem Verbot relativ gut unterrichtet sind, ist über die spätere Phase weniger bekannt. Dies muss nicht heißen, dass diese unwichtiger gewesen sei, sondern eventuell nur, dass die Subversiven nunmehr vorsichtig genug waren, sich nicht erwischen zu lassen, weshalb in den Polizeiarchiven nichts über ihre Taten nachlesen ist. (Eine Ausnahme bilden hier einige Wiener Logenmitglieder, deren Namen später im Zusammenhang mit einer jakobinischen Verschwörung wieder auftauchten, welche mit einer Reihe von Hinrichtungen endete.) Sicher ist, dass der Illuminatenbund, nach seiner offiziellen Auflösung, im nördlichen Teil Deutschlands im Verborgenen fortwirkte, wobei das Zentrum in Thüringen lag. Als wichtiger Organisator gilt dabei Christoph Bode, welcher im Jahre 1787 in Ordensangelegenheiten nach Paris reiste, was später Anlass zu vielfältigen Spekulationen über den Zusammenhang von Illuminatismus und französischer Revolution gab. – Es bietet sich hier noch ein breites Feld für Forschungen zur Vorbereitung künftiger Subversion. An dieser Stelle soll es jedoch genügen, zum Abschluss kurz auf eine post-illuminatische Schrift einzugehen, welche noch heute dem Namen nach vielen bekannt ist, die aber selten gelesen und noch seltener verstanden wird: Knigges 1788 erschienenes Buch Über den Umgang mit Menschen.
Sein Anliegen sei es, so schreibt Knigge im Vorwort, das zu verbreiten, „was die Franzosen esprit de conduite nennen“: die Kunst, mit Menschen umzugehen. Es sei ihm dabei nicht etwa darum zu tun, „ein Komplimentierbuch“ zu schreiben: Wie man das Besteck bei Tische richtig hält, wie man seinen Hut beim Grüßen lupft, „und dergleichen Regeln mehr zu geben, dazu ist hier nicht der Ort.“ Mit solchen Belanglosigkeiten wolle er sich nicht abgeben, zumal sie jedem halbwegs wohlerzogenen Menschen ohnehin „in der ersten Jugend schon eingeprägt worden“ seien. Wenn Knigge aus seinen Erfahrungen „einer nicht kurzen Reihe von Jahren, in welchen ich mich unter Menschen aller Arte und Stände umhertreiben lassen“, für die junge Generation einige Resultate festhält, so möchte er damit keine Tipps für Karrieristen geben, wie man durch Anpassung an bestimmte vorgegebene Konventionen sein individuelles Vorwärtskommen im bürgerlichen Leben beschleunigen kann. Vielmehr geht es darum, die Konventionen der unterschiedlichen Milieus zu kennen, um sie subvertieren zu können. Bei allem Spott über die wunderlichen Verhaltensweisen und Ansichten von Personen unterschiedlichster Couleur liegt Knigges Hauptaugenmerk immer auf der Veränderlichkeit der menschlichen Natur. Stets ist er bemüht, die Borniertheit der Leute aus ihren bornierten Lebensverhältnissen zu erklären. Er gibt Anregungen zu Experimenten, um Phlegmatiker zur Tätigkeit zu reizen, Schüchterne aufzuwecken, Spießer zu verdrießen, Schwärmer zu necken, Misanthropen umgänglicher zu machen, Hochmütige zu beschämen und dazu beizutragen, dass Menschen von allerlei Denkungsart „von verjährten Gewohnheiten sich losmachen“. Um dem übertriebenem Respekt gegenüber der Obrigkeit entgegenzuwirken, widmet Knigge der Verächtlichmachung der höheren Stände viele Seiten. Es geht darum, in umfassendem Sinne die Sitten zu bessern, was – wir erinnern uns – Adam Weishaupt zufolge der sicherste Weg ist, um Revolutionen auszulösen.
Bis hierher decken sich die von Knigge im Umgang mit Menschen aufgezeigten Perspektiven weitgehend mit dem in den unteren Graden des alten Illuminatenordens praktizierten Programm der Selbstausbildung. Nur, dass man dieses jetzt auf sich allein gestellt, ohne die Rückendeckung einer Gruppe Gleichgesinnter, in Angriff nehmen soll. Knigge rät nunmehr ausdrücklich davon ab, sich einer der modischen geheimen Gesellschaften anzuschließen, die, „alle ohne Unterschied, zugleich unnütz und gefährlich“ seien, „weil sie von ernsthaften bürgerlichen Geschäften ab, zum Müßiggange oder zu zweckloser Geschäftigkeit leiten, weil sie bald der Sammelplatz von Abenteurern und Tagedieben werden, weil sie allerlei Gattung von politischer, religiöser und philosophischer Schwärmerei begünstigen“. Die von den „Aposteln solcher Systeme“ verwendeten „großen Wörter: Glück der Welt, Freiheit, Gleichheit, Rechte der Menschheit, Kultur, allgemeine Aufklärung, Bildung, Weltbürgergeist“ usw. seien meist leere Begriffe, zu denen diejenigen, die sie im Munde führten, weder eine Anschauung noch eine adäquate Praxis zu bieten hätten.
Bei dieser Distanzierung spielte sicher die taktische Zurückhaltung des ehemaligen Illuminatenführers angesichts der verschärften Repressionsgefahr eine Rolle. Andererseits muss man sie jedoch auch als Konsequenz aus dem immanenten Mangel des alten Geheimbundkonzepts verstehen. Der Illuminatenorden hatten eine Vielzahl von Individuen äußerlich zusammengefasst, welche im Grunde kaum mehr einte als der abstrakte Wille zur Vernunft. Er vermochte es nicht, in diesen nachträglich eine substantielle Einheit zu erzeugen und sie zu einem den Zielen des Ordens entsprechenden Handeln zu befähigen. Demgegenüber zielte Knigges neue Strategie darauf, zunächst die individuellen Voraussetzungen zu schaffen, um zu einem späteren Zeitpunkt die Assoziation auf höherem Niveau erneut zu beginnen. Aus diesem Grund ist seine Schrift entschieden anti-romantisch. Angesichts des Hangs zum schwärmerischen Eskapismus unter der gebildeten Jugend hält er zur Einsicht in die Notwendigkeit an. Bevor sie sich mit utopischen Plänen zur allgemeinen Weltreformation abgeben, sollen sie sich zunächst um eine solide Position im bürgerlichen Leben bemühen. Anstatt sich abstrakt und folgenlos über die Dummheit der Leute zu echauffieren, müsse es zuerst darum gehen, deren Ursachen zu verstehen. Besser, als der zugegebenermaßen nicht zum Besten eingerichteten Welt den Rücken zu kehren und sich in esoterischen Zirkeln Gleichgesinnter einzuigeln, sei es, sich in dieser zu tummeln, dabei Erfahrungen zu sammeln und sich so allererst zum handlungsfähigen Subjekt auszubilden. So besteht die Chance – und darin besteht die heimliche Absicht von Knigges Umgang mit Menschen –, dass eventuell ernsthaftere Agenten der Subversion sich bilden, die nicht beim ersten Windhauch unter die Fittiche der alten Autorität flüchten und zum Katholizismus rekonvertieren, nachdem sie einige Jahre lauthals den Vatermord propagiert haben.
JOSEF SWOBODA