Frank Engster
Die existenziale Haltung des „Kommenden Aufstands“ und die Verlegenheit revolutionärer Kritik
Das Buch „Der kommende Aufstand“ des Unsichtbaren Komitees kann, was immer man von ihm halten mag, der Orientierung dienen, und zwar der Orientierung bei der „Suche nach Wegen zum Kommunismus“ (Sabine Lötzsch). Es zeigt allerdings weniger einen Weg zum Kommunismus, als dass es Ausdruck einer Verlegenheit ist. Es ist Ausdruck der Verlegenheit, den Kommunismus und den Weg zu ihm nicht mehr so auf die kapitalistische Gesellschaft zurückführen zu können, als sei er in ihr objektiv oder gar mit logischer Notwendigkeit angelegt. Es verleiht dieser Verlegenheit, so soll der vorliegende Aufsatz zeigen, Ausdruck durch eine „existenziale Haltung.“
Zehn Jahre nach „Empire“ von Negri und Hardt gibt es mit dem „Kommenden Aufstand“ wieder ein Buch, das eine bestimmte gesellschaftliche und geschichtliche Situation auf den Punkt bringt. Es ist selbst Teil dieser Situation, nämlich insofern, als es sie erklären soll und diesem Bedürfnis aufseiten der Gesellschaft nachzukommen scheint. (Tatsächlich beansprucht das „unsichtbare Komitee“ ja sogar explizit, „unsichtbarer Beobachter der Situation“ zu sein.) „Empire“ war damals zeitgemäß, weil es die Konsequenzen aus dem Informationszeitalter und der Globalisierung zu ziehen schien. Es schien sogar auf der Höhe des globalen Informationszeitalters die traditionelle marxistisch orientierte Gesellschaftskritik zu erneuern, nämlich, vereinfacht zusammengefasst, wie folgt: Die gesellschaftliche Bestimmung und die produktive Kraft der Arbeit sind nicht mehr als körperlich-industrielle Arbeit zu bestimmen, sie sind immaterielle, affektive und künstlerische Arbeit sowie Kommunikation und Vernetzung, zusammengefasst, sie sind der „general intellect“; das Subjekt der Arbeit ist nicht mehr der industrielle Massenarbeiter, sondern die Multitude, also die „Menge Vieler“; der Hauptwiderspruch der Gesellschaft liegt nicht mehr darin, dass die Produktivkräfte durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse einerseits entwickelt und andererseits ausgebeutet und beschränkt und sogar irgendwann gefesselt werden, vielmehr ist nun der Kommunismus in der Produktivkraft und im Universalismus der Multitude einerseits schon angelegt, andererseits durch Empire und Biomacht der Aneignung und Territorialisierung, der Kontrolle und Disziplinierung unterworfen; und Revolution heißt schließlich nicht mehr, am Tag X die Machtfrage zu stellen, um Produktionsmittel und Staat zu übernehmen und die kapitalistisch entwickelte Produktivkraft zu beerben, vielmehr findet durch die Vernetzung, durch Kommunikation usw. eine molekulare Revolution schon innerhalb der Multitude statt, eine Revolution ohne das Zentralorgan einer Partei oder eines Staates, usw..
So wie also auf diese Weise „Empire“ vor zehn Jahren der Globalisierung und dem Neoliberalismus, dem Siegeszug des Internet und des Computers, dem dot.com-Business und überhaupt der Produktion von Bedeutung durch Vernetzung und durch die Kommunikation von Zeichen eine angemessene Gesellschaftskritik zu liefern schien, so scheint der heutigen Situation „Der kommende Aufstand“ eine zeitgemäße Kritik zu liefern.
Er scheint zeitgemäß in zweifacher Hinsicht. Erstens bringt das Buch ironischerweise genau das auf den Punkt, was der globalisierungskritischen Bewegung und dem Interesse an Empire durch 9/11 ein jähes Ende gesetzt hat; denn dem Komitee geht es darum, die gesellschaftliche Entwicklung vom Einbruch eines Ereignisses her zu denken. Ein Ereignis kann eben jenes 9/11 sein, aber auch der Zusammenbruch des Finanzmarktes oder Fukushima. Mit dem „Denken vom Ereignis her“ soll erst einmal nur der Wechsel in der Methode der Kritik benannt werden, der mit dem Denken vom Ereignis einhergeht. Der Wechsel ist einerseits eine Abkehr, nämlich der Gesellschaftskritik keine empirische Analyse und auch keine kategoriale Entwicklung mehr zu liefern, wie man das etwa von der Soziologie oder vom Marxismus her kennt. Die Abkehr ist andererseits eine Hinwendung, nämlich eine Hinwendung dazu, von der „Logik“ des Ereignisses her zu denken (wenn der Begriff „Logik“ hier überhaupt noch passt). D.h. es geht darum, von jenem plötzlichen Eintritt, von jenem gewaltsamen Einbruch her zu denken, der einen Zustand radikal überschreitet und verändert und etwas ganz Neues herstellt, der also schlicht ein gesellschaftlicher Umbruch oder gar eine Revolution ist. Dasjenige Ereignis, auf das der „Kommende Aufstand“ zielt, ist natürlich, wie der Titel schon sagt, der Aufstand. Es ist der kommende Aufstand oder besser, der Aufstand, der im Kommen ist, der also an- und abwesend zugleich ist. (Diese Ambivalenz von An- und Abwesenheit zeichnet ja den Kommunismus überhaupt aus, von Marx’ berühmtem „Ein Gespenst geht um in Europa“ bis zu Derridas dekonstruktiver Schrift „Marx’ Gespenster“ oder auch jener Multitude, in welcher der Kommunismus ebenfalls an- und abwesend zugleich sein soll.)
Es gibt aber noch ein zweites Ereignis, von dem her gedacht wird, nämlich die Entscheidung. Mit ihr ist nicht nur die Entscheidung im großen Ganzen gemeint, also ein Aufstand oder eine Revolution, sondern auch ein buchstäbliches „Aufstehen“ des Einzelnen. Es geht letztlich um eine zutiefst individuelle Entscheidung, nämlich um die rein subjektive Entscheidung für jenes Ereignis im großen Ganzen.
Der zweite Grund dafür, dass „Der kommende Aufstand“ zeitgemäß ist und uns darum der Orientierung dienen kann, ist seine Verarbeitung des radikalen Gehalts der neueren französischen Philosophie, derjenigen Philosophie also, die wie keine andere für die aktuelle Gesellschaftskritik bestimmend geworden ist. Hier sind natürlich jene Philosophen wichtig, die wie etwa Alain Badiou um „das Ereignis“ oder wie Giorgio Agamben und Jean-Luc Nancy um Begriffe wie „Ausnahmezustand“ und die (kommende oder unverfügbare) „Gemeinschaft“ kreisen. Über sie kommen auch die viel bemerkten (und z.T. kritisierten) Anschlüsse an Heidegger, Nietzsche, Benjamin, Jünger, Schmitt, Arendt, Sorel u.a.
Das „Denken vom Ereignis her“ hat den grundlegenden Umbruch, der sich in der Gesellschaftskritik seit den 60er Jahren vollzieht, vielleicht am radikalsten vollzogen. Vom Ereignis her denken heißt nämlich nicht mehr vom Wesen und von der Substanz der Gesellschaft her zu denken, auch nicht mehr von der Entwicklung ihrer Widersprüche und ihres geschichtlichen Fortschritts. Obwohl eine solche Abkehr auch in anderen gesellschaftskritischen Diskursen stattgefunden hat, wie etwa in der sog. Neuen Marx-Lektüre mit ihrer kategorial-systematisch gehaltenen Kritik, unterscheidet sich die Abkehr des Komitees von diesen Diskursen, und mit ihr die Kritik, die sie im Anschluss an die genannte Philosophie eingeschlagen hat. Die Kritik wurde oben bereits als „existenziale Kritik“ bezeichnet, und im Folgenden soll nun geklärt werden, was darunter zu verstehen ist.
Das Existenziale soll an jenem angesprochenen Umbruch in der Gesellschaftskritik festgemacht werden, der sich in den 60er Jahren vollzogen hat und den eigentlich alle neueren Kritiken teilen, so sehr sich ansonsten auch z.B. der Postoperaismus des Empire, die Neue Marx-Lektüre oder eben die „existenziale Kritik“ des Komitees voneinander unterscheiden.
Mit „Umbruch“ ist der Bruch mit der traditionellen Kapitalismuskritik gemeint. Der Bruch markiert, vereinfacht gesagt, den Unterschied zwischen traditionell marxistischer Kritik einerseits (1) und neo- sowie postmarxistischer Kritik andererseits oder, noch weiter und einfacher gefasst, zwischen Kritik in der Moderne und in der Post-Moderne.
Der Umbruch lässt sich an einem bestimmten Begriff festmachen, nämlich an dem der Repräsentation. Die Kritik der Repräsentation, so meine These, ist so etwas wie ein gemeinsamer Nenner all der verschiedenen Gesellschaftskritiken, die aus dem Umbruch hervorgingen. „Der kommende Aufstand“ jedenfalls wird verständlich, wenn man ihn von dieser Kritik her interpretiert.
Um zur existenzialen Kritik zu gelangen, muss also zunächst geklärt werden, was Kritik der Repräsentation bedeutet.
Diese Kritik geht, vereinfacht gesagt, von der Unmöglichkeit der Repräsentation aus und hat dadurch die „postmoderne Situation“ ausgerufen. Das heißt nicht, dass Repräsentation immer Scheitern muss, weil jede Identifikation, jede Aneignung und jede Bestimmung immer ungenügend bleiben und ihnen immer etwas entgeht. Es geht auch nicht darum, die Formen der Repräsentation, etwa die wissenschaftliche Rationalität, das begrifflich-rationale Denken oder auch die Formen der Politik und des Rechts als Herrschaftsformen zu entlarven, als gewaltsame Setzungen oder Reduzierungen, als Nivellierungen oder Abstraktionen etc. In diese Richtung ging vor allem noch die Kritische Theorie, die eher in den Bereich der Vorbereitung jener radikalen Kritik jeder Repräsentation gehört. Zudem kommt die Kritik der Repräsentation weniger von der Kritischen Theorie her als vom Existenzialismus und der Negativen Theologie, von dem von Nietzsche ausgerufenen „Tod Gottes“ und von Heideggers Dekonstruktion der Metaphysik.
Die Kritik zielt auf die Verlegenheit, dass es keine Realität gibt, die als solche repräsentiert werden könnte. Nicht, weil die Realität eben immer schon repräsentiert werden müsste und darum nie als solche präsent werden kann, vielmehr muss umgekehrt die Realität von ihrer Repräsentation her gedacht werden. Entsprechend ist die Repräsentation sozusagen die erste oder eigentliche Realität. Sie ist allerdings eine Realität, in der – und das ist die eigentliche Pointe – die Differenz von Realität und Repräsentation überhaupt anders gedacht werden muss, nämlich von eben jener Differenz her, um einen weiteren zentralen Begriff ins Spiel zu bringen: von einer eröffnenden und ebenso vorgängigen wie unverfügbaren Differenz. Jedenfalls sind alle Gestalten der Repräsentation, ob Begriff oder Bild, ob Gesetz oder bloße Geste, kein Verweis auf einen Ursprung oder ein Original, auf eine authentische Herkunft oder Abkunft.
Es fragt sich natürlich sofort, ob das mit der Unrepräsentierbarkeit nicht immer schon der Fall gewesen sein muss. Oder hat es einst eine Realität gegeben und mit ihr die Möglichkeit der Repräsentation? Wann ist dann diese Repräsentation als solche, als Repräsentation, fragwürdig geworden? Und vor allem: warum?
Wir können die Frage, ob denn jemals Repräsentation möglich war oder nicht, unbeantwortet lassen, denn entscheidend ist, dass sich so verhalten wurde, als ob. Selbst wenn vielleicht schon der deutsche Idealismus als eine radikale Kritik der Repräsentation verstanden werden kann, so waren doch Wissenschaft wie Alltagsverstand, Ökonomie wie Politik und eben auch die Gesellschaftskritik auf Formen der Repräsentation angewiesen, und sie sind es im Grunde noch heute.
Was heißt das nun für die Gesellschaftskritik?
Was die große Vorlage der Gesellschaftskritik schlechthin angeht, nämlich die von Karl Marx, so wird ihr von jener Kritik der Repräsentation interessanterweise ein ambivalenter Status eingeräumt. Einerseits sei Marx’ Kritik noch Teil der „großen Erzählungen der Moderne“ und deren Bildung logischer Systeme gewesen und habe Wissenschaft in einem emphatischen Sinne sein wollen. Andererseits habe sie der Gesellschaft eine ähnliche Enttäuschung und Demütigung bereitet wie Darwin der Vorstellung von Gott und Natur und Freud der Vorstellung vom Ich und vom Bewusstsein. Während Darwin und Freud zeigen, dass der Mensch „nur“ ein Produkt der Evolution bzw. dass das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist, zeigt Marx, dass der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ihr eigenes Verhältnis und ihre eigene Geschichte unverfügbar bleiben.
Doch dieser ambivalente Status konnte Marx’ Kritik eben erst durch den Bruch mit dem traditionellen Marxismus und seiner Gesellschaftskritik zukommen. Der traditionelle Marxismus stand nämlich, so muss es durch diesen Bruch scheinen, aufseiten der kritisierten Repräsentation, ja, vielleicht war er sogar das Projekt einer einzigen großen Repräsentation schlechthin, nämlich der Repräsentation der Arbeit, genauer, der gesellschaftlichen Bestimmung und der produktiven Kraft der Arbeit. Wenn wir daher den Umbruch in der Gesellschaftskritik begreifen und die existenziale Kritik als eine der Konsequenzen daraus verstehen wollen, so müssen wir uns ansehen, auf welche Weise die Gesellschaftskritik des traditionellen Marxismus in der Arbeit eine regelrechte „Logik der Repräsentation“ begründete, diejenige Logik also, mit der in den 60ern radikal gebrochen wurden.
In dieser Gesellschaftskritik wurde die gesellschaftliche Bestimmung und produktive Kraft wie eine Eigenschaft der Arbeit an-sich und wie die Realität der Gesellschaft schlechthin behandelt. Arbeit war Stoffwechsel mit der Natur und das Wesen gesellschaftlicher Vermittlung, sie war der rote Faden der Geschichte und die produktive Kraft ihres Fortschritts, zusammengefasst in der berühmten Formulierung von der „Selbsterschaffung des Menschen durch Arbeit“.
Entsprechend wurde auch Marx’ Wertbegriff interpretiert. Marx’ Kritik des Werts wurde positivistisch wie eine linksricardianische Arbeitswertlehre ausgelegt, derzufolge die verausgabte menschliche Arbeit den Wert der Ware bildet und in ihr quasi an-sich enthalten ist. Die Arbeit bildet die Substanz des Werts aller Dinge; im Tauschwert kommt entsprechend letztlich der Wert der Arbeit zur Erscheinung; und durch das Geld wird dieser Wert schließlich repräsentiert.
Doch dass die Arbeit die Realität der Gesellschaft und ihrer Geschichte bildet, das war nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte war die Negation dieser Realität durch die kapitalistische Anwendung und Ausbeutung der Arbeit. Folgerichtig lag die Idee der kommunistischen Revolution darin, dass die Arbeit sich selbst angemessen wird. Das heißt, die kommunistische Revolution sollte durch die Befreiung von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen dafür sorgen, dass die Arbeit im Kommunismus ihrer gesellschaftlichen Bestimmung und ihrer produktiven Kraft entspricht. Dafür galt es insbesondere die Fremdbestimmung der Arbeit durch den Privatbesitz an Produktionsmitteln sowie die ungeplant-anarchische Anwendung und Vermittlung der Arbeit und ihrer Produkte zu überwinden.
Aus dem Widerspruch, dass die Arbeit im Kapitalismus sozusagen sich selbst nicht angemessen ist, d.h. ihrer (gesamt-)gesellschaftlichen Bestimmung, ergibt sich nun diejenige Logik der Repräsentation, die dazu führen sollte, dass die Arbeit im Kommunismus sozusagen zu sich selbst kommt. Dieser Logik zufolge ist der Arbeiter die unmittelbare Verkörperung der Arbeit, ihrer gesellschaftlichen Bestimmung und ihrer produktiven Kraft, und sein Bewusstsein soll genau das repräsentieren. Entsprechend soll das Bewusstsein der Arbeiterklasse die gesellschaftliche Bestimmung und die Produktivkraft der Arbeit insgesamt repräsentieren. Das Klassenbewusstsein wird wiederum durch eine Partei repräsentiert, die im Namen und im Interesse der Arbeit und ihrer Klasse denkt und handelt; und im sozialistischen Staat soll die Arbeit schließlich ihrer eigentlichen Bestimmung angemessen werden, indem sie einer bewussten und bedarfsorientierten Planung und Organisation unterzogen wird, ganz so, als könnte die Gesellschaft sich selbst durchsichtig werden, wenn sie sich durch die bewusste Anwendung und Planung der Arbeit selbst verwirklicht. Diese Logik der Repräsentation lässt sich auf die berühmte Formel bringen, dass die Arbeit, was sie ihrer gesellschaftlichen Bestimmung nach an-sich ist, im Bewusstsein der Arbeiterklasse, in der Partei und schließlich im Kommunismus für-sich werden soll.
Es war diese Logik der Repräsentation, mit der in der Gesellschaftskritik der 60er Jahre radikal gebrochen wurde. Der Bruch mit dieser Logik der Repräsentation ist für die Gesellschaftskritik in ihrer Gesamtheit einschneidend, denn er betrifft letztlich alle Formen der Repräsentation und der sog. identitären Politik. Der Bruch betrifft also nicht nur die Repräsentation der Arbeit, sondern auch alles, was sich an ihre Stelle setzen ließe, wie etwa Marginalisierte und Ausgeschlossene, Dritte Welt und Peripherie. Der Bruch betrifft zudem nicht nur eine Politik mit revolutionärem Anspruch, sondern auch die öden liberalen „Kämpfe“ um bestimmte Interessen oder um Anerkennung.
Dieser ebenso radikale wie umfassende Bruch bringt die Gesellschaftskritik aber nun in eine Verlegenheit. Einerseits soll die Revolution weiterhin notwendig sein, andererseits lässt sich diese Notwendigkeit nicht mehr begründen; sie lässt sich jedenfalls nicht mehr aus einer bestimmten Realität so ableiten, als sei sie darin im Sinne einer logischen oder geschichtlichen Folgerichtigkeit enthalten oder zumindest aufgrund bestimmter, gar objektiver Widersprüche angelegt. Und genau in diese „Lücke“ springt nun die existenziale Kritik ein, denn der fehlende Grund für die Notwendigkeit des Kommunismus ist der „Grund“, warum die Revolution zu einem Ereignis oder zu einem „kommenden Aufstand“ werden muss: Die kommunistische Revolution denken heißt von nun an, vom Ereignis oder vom kommenden Aufstand her denken.
„Kommunismus“ ist dann nur mehr ein leerer Signifikant, d.h. er bleibt leer und ist doch der Name für nichts weniger als das Universelle, ja, der Name Kommunismus repräsentiert das Unrepräsentierbare schlechthin, nämlich die absolute Gerechtigkeit, die unendliche Vielfalt, die kommende Gemeinschaft, mithin das endgültige Ende aller Formen der Repräsentation.
Genauer betrachtet, ergibt sich aus der Unbegründbarkeit und Unrepräsentierbarkeit des Kommunismus sogar eine gewisse Umkehr der skizzierten Logik, die ja letztlich die objektive Notwendigkeit des Kommunismus in der Realität der kapitalistischen Gesellschaft selbst repräsentieren wollte. Denn gerade weil der Kommunismus nicht aus dem Bestehenden heraus begründet werden kann, gerade weil vielmehr alle Bestimmungen des Kommunismus und alle Wege zu ihm immer unzureichend bleiben, wird es die Subjektivität sein, welche die Differenz schließen muss. Der Kommunismus verlangt eine ebenso radikale wie subjektive Entscheidung, denn was in der Realität fehlt und fehlen muss, weil es sich der Repräsentation entzieht und überhaupt das schlechthin Unrepräsentierbare sein muss, das kann nur durch einen subjektiven Einsatz präsent werden. Ein kommender Aufstand wird sich jedenfalls nicht mehr auf objektive Widersprüche, nicht mehr auf eine logische Notwendigkeit und nicht auf eine historische Mission berufen können. Er kann sich allein auf die Entscheidung zu-sich-selbst berufen, darauf, „die wirkliche Bewegung“ zu sein, wie Marx es einmal formuliert hat, und auf diese subjektive Weise muss die Entscheidung dem zukünftigen Ereignis nicht nur schon jetzt die Treue halten, sondern das Ereignis einer kommunistischen Revolution wird eben gar nicht erst ohne diese subjektive Entscheidung eintreten. Das Ereignis wird erst ein solches gewesen sein, indem es nicht aus dem Bestehenden mit Notwendigkeit folgte, sondern gegen alle Notwendigkeit und überhaupt gegen das Bestehende und vielleicht sogar gegen alle Erwartungen eintrat.
Mit dem Denken vom Ereignis und der Entscheidung sowie von einem radikal subjektiven Akt her tritt zudem eine wichtige Differenz ein, mit der sich die existenziale Haltung zum Abschluss noch einmal deutlich machen lässt, nämlich die Differenz zwischen der Politik und dem Politischen. Die Differenz wird im Buch gleich zu Anfang betont und vor allem am Ende ausgeführt. Demnach ist Politik das, was die demokratischen Parteien, aber auch ihre linken Kritiker und Gegner betreiben. Politik ist auf die oben genannte Analyse und Repräsentation des Bestehenden angewiesen, auf die Interpretation der aktuellen Interessen- und Kräfteverhältnisse, auf bestimmte Schlüsse daraus und führt in konstruktive Kritik, verlangt Organisierung und endet schließlich im „Milieu“, in der „Vollversammlung“ und in der „Anästhesie“, wie es im Buch heißt. Die Frage nach dem Politischen dagegen delegitimiert und dekonstruiert alle Gestalten, die als Repräsentation auftreten und sich etwa durch die Repräsentation Gottes oder der Arbeit, der Nation oder des Volkes oder auch der Vernunft begründen wollen. Dieser Bruch mit allen Versuchen, Politik positiv zu begründen und sie auf einen letzten Grund zurückzuführen oder daraus abzuleiten, eröffnet die Frage nach dem Politischen, d.h. nach der unmittelbaren, nicht mehr repräsentativ vermittelten Verbindung oder besser Vereinigung zwischen dem Denken und Handeln des Einzelnen und dem Eintritt des Universellen, zwischen gesellschaftlicher Praxis und Kommunismus, mithin nach der Kraft eines Ereignisses, nach der Freiheit der Entscheidung, nach dem ebenso öffentlichen wie unverfügbaren Charakter der Sprache.
Die existenziale Haltung, die im „Kommenden Aufstand“ eingenommen wird, gründet in dieser Frage.
(1) Damit ist hier vor allem der weltanschauliche Marxismus der Sozialdemokratie der ersten Stunde, des Marxismus-Leninismus, der II. Internationale sowie der realsozialistischen Staaten gemeint. Es geht also nur um denjenigen Marxismus, der hegemonial und wirkungsmächtig wurde, zumindest insofern, als er die hier beschriebene Abkehr hervorgerufen hat.