Die BRDigung des Erregers
Vortrag auf der Abschlußveranstaltung nebst PDFs der beiden Ausgaben
Die anläßlich des Ausnahmezustands 2020ff notwendige kleine Fronde ist ebenso notwendig wieder zerfallen, da die alte Welt mit neuen Kriegen eine lange Weile wieder so tut, als ob nichts weiter wäre. Zur endgültigen Beendigung dieser interessanten Periode gab es pünktlich zum dreijährigen Erscheinen der ersten und besseren Ausgabe am 27. Juli eine letzte Veranstaltung des Erregers im Laidak. Hier die beiden Vorträge diese Veranstaltung und außerdem die PDFs beider Ausgaben dieser vorzüglichen Zeitschrift.
Erster Vortrag
Sich mit der Operation „Königsgrippe“ nochmal zu befassen, fällt nicht leicht. Viele Widerstände und Widersprüche kommen dabei hoch. Zu unangenehm, schmerzhaft, peinlich und schambehaftet sind die Erinnerungen an diese 3 Jahre Psychoterror. Die Überreste dieser Zeit aus dem Bewusstsein verdrängt finden sich gut dokumentiert auf meinem Smartphone: Hunderte von Bildern und Dokumenten, darunter eine SMS der Bundesregierung, die mich zur Einhaltung der Quarantänepflicht auffordert; Fotos von Demonstrationen von Querdenkern gegen die Impfpflicht; ein Foto von einem zuversichtlich drein guckenden Tagesschaumoderator, der seinen hochgekrämpelten Ärmel inklusive Pflaster zeigt; oder zahlreiche Facebook-Post von Jungle World Autoren, die u.a. behaupten, dass „Impfgegnerschaft“ und eine „wissenschaftliche Weltauffasung“ sich nicht vertragen.
„Der Erreger“ war ein Produkt jener Zeit des Gesundheitsterrors und soll nun seinem eigenen Anspruch gemäß zu Grabe getragen werden. Wenn schon der Freedom Day in der BRD ausblieb, soll diese Veranstaltung einen offiziellen Anlass zur Verarbeitung und Verabschiedung geben. Wir wollen trauern, aber nicht klagen. Wir wollen beerdigen und nicht Zombies am Leben halten, davon gibt es schon zu viele in dieser Gesellschaft. Als Freud-Leser wissen wir: Uns darf keine Melancholie übermannen, Selbstgeißelung und Selbstbestrafung liegen uns fern; dieser Kelch wird nicht an uns vorübergehen.
„Der Erreger“ war eine Sammel- und Suchbewegung, er ist Archiv von verteilten Flugblättern, Protestaktionen, Happenings, Kritzeleien, Übersetzungen, Stickern oder musikalischen Entgleisungen. Die Autoren waren ein buntscheckiger Haufen, ein temporärer Zusammenhang von Atemlosen, eine geistige Seuche in einer sterilen Welt, vom Ex-DDR-Anarchisten, Springerverlagsautoren über den notorischen Philosophiestudenten bis zum klassischen Linksradikalen durfte jeder mitmachen: Die einzige Linie bestand darin gegen die ganze Corona-Scheiße zu sein. Das brachte dem ganzen Vorhaben doch eine gewisse Aufmerksamkeiten von halb-professionellen Schlüssellochguckern ein, die uns der Querfront bezichtigten. Zum Beispiel findet sich auf einem linken Online-Pranger unter dem Eintrag „Laidak“ folgende Diffamierung: „Autor(en) des (sic) MagazinRedaktion.tk haben auch in der bizarren Schwurbel-Zeitschrift „Der Erreger“ geschrieben. Die Zeitschrift wurde im Laidak beworben.“ Über das Laidak finden sich einige Beiträge im Netz, zumeist von arbeitslosen Antifas verfasst, die uns teilweise bis heute noch stalken. Dazu heißt es auf Twitter: „Die bei Antifaschist:innen teils beliebte Neuköllner Kneipe ‚Hashtag Laidak‘ ist nun ein Treffpunkt von Antisemitischen und rechten Coronaleugner:innen der ‚Freie Linke’ und ‚Freedom Parade‘“. Illustriert war der Post u.a. mit einem Bild vom Erreger-Cover.
Das Vorhaben „Erreger“ wurde geboren aus der Unzufriedenheit mit dem Totalversagen einer Szene, die in dem Virusspektakel entweder eine Rettung der Menschheit durch Staat und Politik oder business as usual unterm Kapitalverhältnis sehen wollte. Die Keimzelle der Redaktion bildete ein Lesekreis von 5-6 Personen. Getroffen wurde sich während des permanenten Lockdowns 2020-21 in Berliner Wohnzellen oder der Flüsterkneipe in der Manteuffelstraße, man rauchte Kette und trank lauwarmes Bier, das Ziel war in alten Texten nach Antworten auf die plötzlich fremd gewordene Welt zu suchen. Da eine Direktive des Regierungspersonals die nächste jagte, war der erste Ansatzpunkt, sich erneut oder überhaupt erstmalig mit radikaler Staatskritik zu befassen. Doch schnell merkten wir, das war nicht genug. Der Plan wurde gefasst, sich selbst im Schreiben und am besten im Kritisieren des virologischen Ausnahmezustands zu versuchen.
„Der Ausnahmezustand enthüllt den Kern des Staates“, hatte Carl Schmitt irgendwo geschrieben. Für einige von uns hatte durch und im Seuchenstaat die BRD nun ihr unter dem Schlamm von Vergangenheitsbewältigung, sozialer Marktwirtschaft, Westbindung und Grundgesetz verborgenes Wesen zum ersten Mal offenbart. Als ein aus dem Kalten Krieg geborener postfaschistischer Frontstaat, der gegen den sozialistischen Osten etabliert wurde, war der Ausnahmezustand ein integrales Mittel der Herrschaft. Angespornt durch politische Krisen hatte die BRD jedes Mal enorme Fortschritte in Sachen Durchschlagskraft seines Repressionsarsenals machen können.
Da Hitlers Weg erfolgreich durch den Artikel 48 der Weimarer Verfassung geebnet wurde, dauerte es danach einige Jahrzehnte bis die westdeutschen Elite endlich wieder ein Ermächtigungsgesetz durchsetzen konnten (auch wenn das Verbot von KPD dieses nicht mal benötigte). Im Mai 1968 wurde ein erster entscheidender Schritt gemacht, als die große Koalition unter Führung der CDU die sogenannten Notstandsgesetze verabschiedete und damit das Provisorium Grundgesetz endlich seinen verfassungsgemäßen Ausnahmezustand bekam. Zahlreiche Eingriffe in Grundrechte wurden nun durch eine innere und äußere Gefahrenabwehr legalisiert und durchgeführt.
Die Änderungen des sogenannten Infektionsschutzgesetzes von 2021, das von da an mit wahllosen Inzidenzen und Zahlen argumentierte, um eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“ zu erfinden, war gewissermaßen die Aktualisierung an das Zeitalter der biopolitischen Totalkontrolle. Diese wird heutzutage bewerkstelligt wird durch ein Verschmelzen von Pharmazie, Medien, Politikerkaste, Finanzkapital und dem entsprechenden Militär- und Polizeiapparat. Durch die Simulation von Gefahren und Katastrophen, durch das Austreiben von Realität und subjektiver Erfahrung versucht ein verrottendes System sich weiter am laufen zu halten. Da die Lockdowns und Zeitenwenden, das Drucken von frischem Geld und die Hochrüstung Europas kein Gegengift gegen die immanenten Krisen zeitigen, bleibt zu befürchten, dass sich der wildgewordene Überlebenstrieb einer verfaulenden Zivilisation noch weiter ins destruktive steigert. Doch – ich komme zum Schluss - vielleicht kommt alles anders und die Horrorfahrt endet wie in dem Trash-Action-Thriller Speed mit Keanu Reeves von 1994, indem der Linienbus mit der eingebauten Bombe am Ende doch ohne seine Passiere in die Luft geht.
Zweiter Vortrag
Die Viren machen weiter, das Immunsystem macht weiter, das mRNA macht weiter, die globale Transformation macht weiter, der Krisenprotestantimus macht weiter, die Digitalisierung macht weiter, der Ukraine-Krieg macht weiter, der postideologische Totalitarismus macht, Lauterbach macht weiter, Bill Gates macht weiter, Big Pharma macht weiter, Blackrock macht weiter, die Delegitimierungen und Dämonisierungen machen weiter, die Hausdurchsuchungen und Verbote machen weiter, Staat und Kapital machen weiter, die Rauch-Hysterie macht weiter, Kamala Harris macht weiter, die Antischwurbelte Aktion macht weiter, die Bahamas macht weiter, das Syndikat macht weiter…. Der Erreger hingegen macht nicht weiter. Oder er hat, genauer gesagt, schon vor geraumer Zeit aufgehört, weiterzumachen.
Schaut man sich die beiden Hefte nochmal an, die wir gemacht haben, muss man eigentlich sogar sagen: Bereits das zweite Heft hat ein Ende der ursprünglichen Konstellation markiert. Am Anfang von Erreger #1 stand ein Lesekreis, einige Leute, die sich während des zweiten Lockdowns im Winter 2020/21 regelmäßig zum Diskutieren getroffen hatten, halb aus verzweifelter Vereinzelung, halb entschlossen, sich intellektuell zur Wehr zu setzen; mit ähnlichen Gedanken im Kopf, kamen wir doch alle im weitesten Sinne aus der Tradition der orthodoxen Kritischen Theorie bzw. dem, was man gemeinhin „Ideologiekritik“ zu nennen pflegt. Vor allem aber mit vagem Bezug zum Laidak, in dem man bei Kerzenschein zusammenhocken konnte wie in einigen WG-Küchen und -Zimmern. Die Kritik am Corona-Ausnahmezustand speiste sich damals vor allem aus den Texten, die bis dahin auf magazinredaktion.tk erschienen waren, wir standen im Windschatten der frühen Interventionen von Thomas Maul und anderen und verdanken diesen die entscheidenden Impulse. Erreger #1 war gewissermaßen der Versuch, die in unserem Kreis zirkulierenden Ideen nochmal zu sammeln, zu vertiefen oder an anderen Gegenständen zu demonstrieren. Zum Gutteil ist dieses erste Heft Ausdruck eines kleinen, durch den gemeinsamen geistigen Widerstand gegen den Lockdown verschworenen Kreises gewesen. Was uns oder mir erst beim Layouten richtig klar geworden ist, schon damals bahnte sich der Streit an zwischen dem Drängen auf inhaltlicher Schärfe und der Intention, möglichst vollständig eine Mini-Tendenz abzubilden. Das spiegelte sich genauso in der Frage, wie stark man in die Beiträge eingreifen will.
Dieser interne Widerspruch verschärfte sich mit dem zu Beginn gar nicht projektierten zweiten Heft, die unterschiedliche Bewertung des Ukraine-Krieges tat ihr Übriges und es verblieben von den ursprünglichen fünf eigentlich nur zweieinhalb. Erreger #2, allein vom Umfang schon doppelt so dick, war nicht im selben Sinne mehr Ausdruck des kleinen Kreises, sondern viel stärker davon geprägt, darüber hinausgreifen zu wollen, sowohl was die Themen, als auch was die Autoren betraf. Es schien nur natürlich, die neuen politischen Kontakte, die uns gelesen hatten und mit denen wir in Diskussion standen, mit im Heft abzubilden, – bei gleichzeitiger Beibehaltung der dogmatischen Ablehnung des Covid-Regimes. Die Folge davon war allerdings ein Abfall der Dichte, die Breite der dargestellten Positionen variierte genauso deutlich wie die Qualität der Texte. Auch ging es jetzt verstärkt darum, die praktischen Aktivitäten, die einige von uns versucht hatten, aber intern immer umstritten waren, ebenfalls zu dokumentieren. Parallel gab es dazu die Übersetzung des Konspirationistischen Manifests, in dem einige mehr, andere weniger fanden, und im Zuge dessen auch einen stärkeren Bezug auf Dinge nicht deutschen Ursprungs, die sich ebenso im Heft niederschlagen sollten. Einige haben das sicher als einen Abfall von einer wünschenswerten theoretischen Reinheit und einer vielleicht mal zugespitzteren Kritik empfunden, andere eben als notwendige Öffnung. Letztere Fraktion hat sich durchgesetzt, erstere sich zurückgezogen. Bereits die Zusammenstellung des zweiten Heftes war ein Krampf und schon vor der Veröffentlichung war klar, dass es nicht weitergehen würde. Die vielen Fehler in der ersten Auflage geben als freudsche Fehlleitung darüber Auskunft. Nach einer kurzen Zeit von ungefähr einem Jahr ist uns also die Puste ausgegangen und wir sind an unseren Widersprüchen gescheitert. Oder, ein bisschen optimistischer ausgedrückt: zu mehr hat die Kraft eben nicht gereicht.
Neben den bereits angesprochenen Fragen, also inwiefern Notwendigkeit und Möglichkeit besteht, Kritik auch in Form von praktischen Interventionen zu üben; inwiefern man zu einer radikalen Ablehnung der Kriegsvorbereitung im Westen übergehen muss oder inwiefern man sich allein dem Kanon der Kritischen Theorie verpflichtet fühlt, gesellen sich weitere oder leiten sich von ihnen ab. Insbesondere die Frage, ob man aus der Erfahrung des Ausnahmezustands die Konsequenz zieht, konservativ zu werden, sich also, vereinfacht gesagt, auf den Standpunkt stellt, eine wie auch immer „funktionierende“ bürgerliche Gesellschaft gegen ihre Entartung im Maßnahmenstaat in Anschlag zu bringen, oder ob man im Gegenteil aus dem erlittenen Schock durch diese beispiellose Formierung der Gesellschaft den Schluss zieht, wieder grundsätzlicher zu werden und nach einer kommunistischen Position auf verlorenem Posten zu suchen. Damit zusammen hängt weiter die Frage, inwiefern man innerhalb des laufenden Kulturkampfes Stellung beziehen und sich der Gegenfraktion innerhalb der aktuellen Dichotomie von linksliberal/grün versus rechts-konservativ, anschließen und so in einen „Dialog mit der Macht“ treten sollte. Und um als Letztes zwei Konfliktlinien nicht auszulassen, die auch konkret von ehemaligen Erreger-Leute in der vergangenen Zeit öffentlich bearbeitet wurden: Muss man nach dem Hamas-Pogrom vom 7.10. zu einer radikalen Antisemitismus-Kritik zurückkehren? Oder darf einem angesichts der Brutalität der israelischen Kriegsführung nicht doch auch ein bisschen mulmig werden? Was ist mit den immer wieder aufflammenden Riots in den Banlieus der europäischen Metropolen, handelt es sich dabei um gefährliche „islamische Marodeure“ oder können wir in der zielgerichteten Zerstörung der herrschenden Infrastruktur nicht doch einen Ansatz zu einem neuen Klassenantagonismus entdecken? Fragen jedenfalls, die mittelbar alle um das grundlegende Verhältnis zur staatlichen Macht kreisen mögen, mit dem wir es die vergangenen 4 Jahre ständig zu tun hatten, die aber erstmal anders strukturiert sind als die Notwendigkeit des Widerstands gegen die Covid-Maßnahmen, weil sie nicht unmittelbar mit fast jeder Lebensäußerung zusammenhängen, wie das bei Lockdown, Ausgangssperre, Maskenzwang, 2G etc. der Fall war.
Und ich möchte auf sie auch in diesem Rahmen nicht im Einzelnen eingehen, sondern einen etwas anders gelagerten, für mich aber zentralen Aspekt herausheben, der eher von metapolitischer Art ist. Wie im Ankündigungstext bereits angedeutet, war der Erreger ja zu einem gewissen Teil eben auch eine Anti-Geste, die darin bestand, eben nicht nur auf inhaltlicher Ebene zu kritisieren, sondern auch abseits irgendwelcher Gedanken klarzumachen, dass wir tatsächlich den lange tief verinnerlichten, pandemischen Imperativ ignoriert haben. Nicht wir haben politisiert, indem wir unsere Ablehnung von Kontaktsperre, FF2P oder Impf-Injektion zur Schau gestellt und danach teils Freund und Feind bemessen haben, sondern wir alle wurden in unseren alltäglichen Handlungen zwangspolitisiert, weil das, was gestern noch völlig selbstverständlich war, heute schon ein halbes Menschheitsverbrechen gewesen sein soll. Wenn man nochmal zurückblickt, fällt ja auf, dass die linken Denunziationen gegen das Laidak nicht mit den ersten Texten losgingen, sondern exakt in dem Moment, wo wir vor ihren Läden Stunk gemacht haben, also unseren Widerspruch praktisch beglaubigt haben. Und umgekehrt gilt genauso, dass das Laidak nicht bloß als irgendeine Eck-Kneipe wahrgenommen wurde, die zu faul war, sowieso gefälschte Tests zu kontrollieren, sondern dass uA. die Existenz des Erregers dafür steht, dass wir das alles durchaus mit Überzeugung gemacht haben und dafür auch gute Gründe anführen können.
Anders gesprochen: Eine Zeit, in der nashornmäßig alles niedergetrampelt wurde, was auch nur im Entferntesten nach Geselligkeit, Lust, Genuss, Sinnlichkeit und Individuum roch, hat es damals erfordert, auch das miteinzubeziehen, was im nervigen, postmodernen Jargon „Subjektivität“ genannt wird. Das kann man sicher triftig kritisieren, gerade, wo wir, trotz der Kontrollen und Bußgelder, es nie wirklich mit der Staatsmacht zu tun bekamen. Aber dass wir offensiv geschrieben haben: „Wir wollen zeigen, dass wir nicht aufgehört haben, zu leben“ hat uns teils auch den dummen Vorwurf eingebracht, wir würden auf authentisch, lebensreformerisch und existentialistisch machen. Und das auch noch von Leuten, die jede Maßnahme auf Facebook brav abgenickt haben. Dabei wird ja ein jeder, der sich nicht vom eigenen Covid-Trauma blind machen lässt, sich erinnern, dass es wirklich eine existentielle Situation war, die an die Substanz von uns allen ging; dass wir es wirklich mit einer gegen uns gerichteten, megalomanischen Lebenreform zu hatten; dass es, in einer Zeit von Newsspeak, unlogischer Herrschaft und universeller Verlogenheit natürlich darauf ankommt, authentisch in dem Sinne zu sein, dass man versucht, nach eigener Maßgabe Konsistenz anzustreben zwischen dem, was man sagt und dem, was man tut. Und zwar sowohl politisch als auch alltäglich. Die Erfahrung des Erregers war deshalb auch eine Rückbesinnung auf das, was zB. die Situationisten proklamiert haben: Dass Worte und Taten sich nur gegenseitig bewahrheiten können.
Von Anfang an hatten wir also als Reaktion auf den Ausnahmezustand auch Sekundäres, der Sache des Denkens nicht unmittelbar Zugehöriges, für Primär erklärt. Dazu zählt auch, der Genosse hatte es schon kurz angerissen, dass das ganze Projekt des Erregers, das ja selbst nur ein Teil eines größeren personellen Zusammenhangs war, getragen war von einer Suchbewegung, die eben jene Kompromisslosigkeit in der C-Frage mit einer öffnenden Bewegung vereinte. Das schlägt sicher im zweiten Heft stärker durch als im ersten, war dort aber ebenso bereits angelegt. Dass wir als kleines DIY-Magazin, ohne jegliche Werbung, quasi aus dem Stand vom ersten Heft eine Auflage im niedrigen vierstelligen Bereich erzielt haben, spricht schon für die Tatsache, dass wir damit eine offensichtliche Leerstelle gefüllt haben, die weit über den Kreis einer bestimmten Sub-Szene der Linken hinausgeht. Die große, zwanglose Verbreitung von Erreger #1 beruhte auch darauf, dass wir fast auf sämtliche sachfremden Codes und Bekenntnisse verzichtet haben, die uns als Mitglied einer Polit-Sekte ausweisen – mit dem Ergebnis, dass vielen wohl gar nicht aufgefallen ist, dass wir eigentlich Antideutsche waren.
Im Editorial des zweiten Heftes hatten wir versucht, das mit der Parole „So dogmatisch wie möglich, so pluralistisch wie nötig“ auf den Punkt zu bringen. Die Notwendigkeit zum partiellen Pluralismus ergab sich dabei aus einem Zustand der objektiven Verwirrung, einem überdeutlichen Gefühl davon, dass niemand eigentlich weiß, wo es lang und wie es weitergehen könnte. Ohne den Unbedingtheitsanspruch der Wahrheit damit zurückzuweisen, ging es um das Eingeständnis, dass es keine Bewegung, keine Theorie und keine Tendenz gibt, der man sich, wenn auch zweifelnd, guten Gewissens anschließen könnte. An diesem Zustand konnten wir natürlich auch nicht kratzen, haben daraus aber teils den Schluss gezogen, doch ein wenig demütiger und aufgeschlossener auf kritische Gedanken anderer Denkschulen zu reagieren, die uns vormals eher fern lagen. Keine Strömung hat es eben geschafft, wirklich adäquat auf die Ereignisse 2020 ff. zu reagieren – und keine Strömung ist danach wieder auferstanden. – Natürlich verfolgt man bis heute die Texte derjenigen, die zum Covid-Spektakel deutliche Worte gefunden haben, und liest gerne mal nach, was Leute wie CJ Hopkins, Tove Soiland, Fabio Vighi, Andreas Urban oder die Nachfolger des Comité invisible zur Gegenwart schreiben. Selbst in der Casa Blanca, auf NON.copyriot, bei der Aktion 4.0 oder auf bonustracks findet sich sicher der ein oder andere gute Hinweis, wie an vielen anderen Stellen auch. Aber eine wirklich umfassende Deutung der Welt, die in der Lage wäre, wieder eine subversive Kraft zu entwickeln, ist weit und breit nicht in Sicht. Avantgarde zu sein, so könnte man deshalb formulieren, bedeutet heute eben anzuerkennen, dass es keine Avantgarde gibt, weil der Zustand selbst der analytischen Ohnmacht auch heute noch fortbesteht. In den Straßburger Thesen heißt es:
„Diejenigen, die behaupten, es gäbe irgendwo eine bestehende Kraft, eine bestimmte Bewegung, auf die sich die Möglichkeit einer Revolution stützen könnte oder die auch nur in der Lage wäre, den Machenschaften der Regierung ein Schnippchen zu schlagen, belügen sich nicht nur selbst, sondern auch die anderen. Indem sie so das Feld besetzen, verunmöglichen sie die Entstehung von etwas Neuem, das in der Lage wäre, die Epoche in den Griff zu bekommen und ihr den Hals umzudrehen.“
Eine Voraussetzung dafür, dass dieses Neue einmal wieder entstehen kann, besteht darin, nicht wieder in Szene-Gehabe zurückzufallen, das sich auf der Fetischisierung von isolierten Teil-Wahrheiten gründet, falsche Spaltung produziert und falsche Hierarchien hervorbringt; wo alle das Gleiche im Kopf haben und man sich nicht streiten kann, weil alle ständig wegen irgendetwas eingeschnappt sind. In der schlimmsten Variante ist eine linke Szene gleich ein Verfolgungs-Kollektiv, das sich bloß im Ausschluss einzelner überhaupt noch zusammenraufen kann, wie man jüngst wieder am Beispiel des Neuköllner Fußball Kneipen Turniers beobachten konnte. Zu dieser Art von Polizei-Linken sind wir einerseits in einen noch größeren Gegensatz geraten, als wir es vielleicht vorher schon waren. Andererseits sind wir aber paradox auch mit einigen ihrer klügeren Scherben und Splitter in Kontakt gekommen. Das war genauso oft mühsam wie lohnend, und manchmal hat sich erst hinterher gezeigt, dass auch ganze schöne Trottel gegen das Maßnahmenregime waren. – Jedenfalls, um diese prekäre Selbsthistorisierung kurz zu resümieren: Wenn man von einem relativen „Erfolg“ des Erregers sprechen kann, der außerhalb davon liegt, dass er vielleicht mit dazu beitragen konnte, dass wir einigermaßen aufrecht durch diese Zeit gekommen sind, dann liegt er wohl am ehesten darin, zeitweise die bleierne Logik der Szene außer Kraft gesetzt und Menschen assoziiert zu haben, die politisch und auch sonst durchaus sehr verschieden sind, was in der heutigen Welt wohl eher eine Seltenheit sein dürfte.
27. Juli 2024