Der ANTIKAPITALISTISCHE MARSCH und der SCHWARZE BLOCK
Antikapitalistischer Marsch – 2.11.2011
Zusätzlich zu den Demonstrationen, zu denen die Vollversammlung der Kommune von Oakland aufgerufen hatte, wurden mehrere Demonstrationen außerhalb des offiziellen Prozesses auf dem Oscar Grant Plaza organisiert. Die Organisation dieser und anderer über den Tag verteilten „inoffiziellen“ Aktionen geben Anlaß zur Freude: Die Vollversammlung hat immer Wert auf autonome Aktionen gelegt, und der Streik kann als erfolgreich gelten, weil er solchen autonomen Aktivitäten einen Raum geöffnet hat. Besonders bedeutsam war dabei die Demonstration, die um zwei Uhr Nachmittag von der Kreuzung Broadway/Telegraph aus startete. Diese Demo wurde anonym als antikapitalistischer Marsch angekündigt worden. Sowohl das Aufrufplakat wie auch das Transparent an der Spitze proklamierten kühn: „Wenn wir nicht leben können, werden wir nicht arbeiten. Generalstreik!“ Ein Begleittransparent verkündete: „Das ist Klassenkampf“. Diese Messages entsprachen ganz der erklärten Absicht der Demonstration und den ihr folgenden Taten: diejenigen Geschäfte und Banken zu schließen, die trotz des Streiks geöffnet blieben (ein Versprechen, das auch eingehalten wurde).
Das kleine Betondreieck an der Kreuzung Broadway/Telegraph ist sowohl in der jüngeren Vergangenheit als auch in der längeren Geschichte des Kampfes gegen die Klassengesellschaft in Oakland von großer Bedeutung. 1946 war diese Kreuzung die Bühne des Eröffnungsaktes des bis Mittwoch letzten Generalstreiks der Vereinigten Staaten. Vor etwas kürzerer Zeit haben Anarchisten und antistaatliche Kommunisten der Bay Area diese Kreuzung als Sammelplatz einer Serie von drei antikapitalistischen Demonstrationen in der Oaklander Innenstadt benutzt. Diese Anticuts genannten Märsche waren der bewusste Versuch von Antikapitalisten, einen (anti-)politischen Raum in Oakland abzustecken, von dem aus sich eine nicht-etatistische/nicht-reformistische Antwort auf die Finanzkrise beginnen ließe – und das zu einer Zeit, als noch keine soziale Bewegung in den Staaten absehbar war. Diese Märsche begannen jeweils Broadway, Ecke Telegraph, führten durch die Straßen Oaklands und richteten sich gegen bestimmte Objekte in der Innenstadt, auf die sich der Hass konzentrierte: insbesondere das Gefängnis und gewisse weithin sichtbare Bankinstitute, aber auch die Polizei, wann immer sie mit den Demonstranten in Konflikt kam. Wenn man diese Reihe an ihrem Ziel misst, Raum für Antikapitalisten der Bay Area zu beanspruchen und ihre offensiven Möglichkeiten aufzubauen, so bewies der antikapitalistische Marsch während des Generalstreiks den Erfolg dieser initialen Kampagne. Die Krach-Demonstrationen kamen im Laufe der Besetzungen mehrmals zum Gefängnis zurück und kommunizierten jedes Mal lauter und heftiger mit den Gefangenen als bei der Demonstration davor. Der Zorn dieser speziellen Demo richtete sich allerdings insbesondere gegen die Banken der Innenstadt. Der antikapitalistische Marsch am 2. November muss daher innerhalb eines Zeitkontinuums verstanden werden; er muss als Fortsetzung eines kommunebildenden Fadens angesehen werden, der nun mit mehr Mut und Zorn darauf abzielt, kollektiv Raum innerhalb der Stadt Oakland zu beanspruchen und zu bestimmen.
Die Interpretation der jüngsten anitkapitalistischen Bemühungen auf der Straße hält den Studenten des sozialen Kampfes noch eine weitere dezente Lehre bereit: Kommt gut ausgestattet in den von dir erwarteten Konflikt. Dieser Analyse folgend könnte man die Demonstration allein schon wegen der offensichtlichen mitgebrachten Ausrüstung als hochgradig konfliktgeladen lesen. Von außen betrachtet bestand die Ausstattung des Marsches aus zwei ziemlich großen, verstärkten Transparenten an der Spitze, zahllosen an dicken Stöcken befestigten schwarzen Fahnen, Dutzenden Motorradhelmen und den inzwischen bekannten Buchschildern. Nimmt man die Anonymität hinzu, die durch Hunderte Maskierte erzeugt wurde, die abgestimmte Farben trugen, so besteht kein Zweifel, dass diese Demonstranten gekommen waren, um es an diesem Nachmittag abgehen zu lassen. Die schwarz gekleideten Kämpfer an der Spitze dieses Zuges wurden hinterher als der berüchtigte schwarze Block bezeichnet, auch wenn dies vielleicht eine nur nachträgliche Auslegung der Ereignisse dieses Tages ist. Statt als eine kohärent handelnde Gruppe oder Organisation, die darauf aus wäre, eine gemeinsame politische Position anzubieten, sollte man diese taktische Formation eher als eine Leerstelle denken, als ein subjektives schwarzes Loch, das Leute mit ähnlichen Gesinnungen anzog, um sich gegenseitig zu schützen und zu bestärken. Der sogenannte schwarze Bock schuf denjenigen eine günstige Gelegenheit, die trotz des repressiven Staatsapparates gesetzeswidrige Unternehmungen durchführen wollen. Viele werden die metaphysischen Implikationen oder die momentane Wirksamkeit dieser besonderen Form, Zerstörung anzurichten, in Frage stellen. Aber unabhängig davon ist es wichtig, zu betonen, dass es angesichts der intensiven Überwachung bei jedem offenen Angriff auf kapitalistische Institutionen die beste Taktik bleiben wird, seine eigene Identität zu verbergen und mit Freunden unterwegs zu sein. Außerdem treiben diese Bemühungen das Vorhaben, antikapitalistische Räume in der Bay Area zu etablieren, voran, indem sie den Sozialrebellen einen Weg anbieten, einander zu finden und gemeinsam zu handeln.
Auf dieses Ziel ausgerichtet war der antikapitalistische Marsch recht erfolgreich darin, den Konflikt auf den Straßen Oaklands während des Generalstreiks zu verschärfen. Zur Freude einer großen Mehrheit der vielen hundert Demonstranten griff eine aktive Minderheit dieser Demonstration eine Reihe von Zielen an: Chase Bank, Bank of Amerika, Wells Fargo, Whole Foods, das Büro des Präsidenten der University of California (UCOP). Auf sie entlud sich eine ganze Gewitterwolke aus Hämmern, Farbbeuteln, Steinen, schwarzen Fahnen und mit Farbe geladenen Feuerlöschern. Die Auswahl dieser Ziele erschien jedem, der das politische Klima in Oakland kennt, als intuitiv richtig. Die angegriffenen Banken sind allein in Oakland für Zehntausende von Zwangsvollstreckungen verantwortlich sowie für die Inhaftierung von Oaklandern durch die Finanzierung privater Gefängnisse und von Internierungslagern für Einwanderer. Angeblich hat Whole Food zusätzlich zu seinen alltäglichen kapitalistischen Machenschaften seinen Arbeitern mit Konsequenzen gedroht, sollten sie sich zum Streik entschließen. Abgesehen davon, dass das UCOP das Hauptquartier der widerlichen Kabalen ist, die das kalifornische Universitätssystem bestimmen, war es an diesem Tag gerüchteweise die Operationsbasis des OPD und seiner Kumpanen. Ungeachtet der Vielzahl der Gründe, diese Orte zu zerstören, bestand der bemerkenswerte Punkt der Angriffe darin, dass eine Begründung eben nicht nötig war. Bei jeder zu Bruch gehenden Glasscheibe und bei jedem außer Betrieb genommenen Bankautomat brach zuverlässig Jubel aus. Auf jede Forderung an ihre Feinde verzichtend, spornten sich die Demonstranten gegenseitig an und riefen: Zertrümmert das Eigentum des einen Prozent! und Besetzt / legt es still / Oakland doesn’t fuck around! 1999, auf dem Höhepunkt des neoliberalen Wohlstandes, hatten die Teilnehmer des schwarzen Blocks beim WTO-Treffen in Seattle noch Kommuniqués ausgeteilt, die die Verbrechen ihrer Angriffsziele detailliert auflisteten. Ein Dutzend Jahre und eine weltweite Krise später würden solche Anklagen lächerlich erscheinen. Jeder hasst diese Orte. Das bedeutet nicht, dass es keinen Streit über diese Zertrümmerungen gab. Eine kleine, aber engagierte Gruppe von Idioten versuchte hoffnungslos, das Eigentum ihrer Herren zu verteidigen. Im Namen der Gewaltfreiheit haben diese Rowdypazifisten Demonstranten angegriffen und versucht, den Frieden auf der Straße wieder herzustellen. Zum Glück waren diese Leute zahlenmäßig genau so unterlegen und schlecht koordiniert, wie sie irrelevant sind. Es kam zu Raufereien und Schlägereien um die Führung, aber die Vermummten konnten jedes Scharmützel für sich entscheiden. Der antikapitalistische Marsch und die von ihm umfassten Formationen sollten auch als praktisches Mittel betrachtet werden, eine solche Friedenspolizei auszuschalten und an den Rand zu drängen, genauso wie die an ihrer Seite kämpfenden Zivilpolizisten.
Eigentumszerstörung ist kein neues Element der Kommune von Oakland. In den Wochen vor dem antikapitalistischen Marsch griffen Kommunarden einige Male das Eigentum einer Reihe von Polizeieinheiten an: Ein anonymes Kommuniqué bekennt sich zu einem Anschlag auf einen unmarkierten Streifenwagen, der in der Nähe des Platzes geparkt war; den auf die Räumung des Oscar Grant Plazas folgenden Ausschreitungen fielen noch einige weitere Polizeiautos zum Opfer; Tage später zerschlug eine Demo gegen Polizeibrutalität die Scheiben des Rekrutierungsbüros des OPD neben dem Rathaus. Die Zerstörungen des antikapitalistischen Marsches sollten aus einer Reihe von Gründen von diesen Vorfällen unterschieden werden. Erstens markiert diese Demonstration den ersten großen und koordinierten Akt kollektiver Zerstörung durch die aufkeimende Occupy-Bewegung. Für eine Bewegung, die die (um-)geschriebene Erzählung von der Gewaltfreiheit im arabischen Frühling fetischisiert, dient dieses Ereignis als Akt erzwungener Erinnerung. Während geheime Angriffe – wie liebenswert auch immer – eine Tendenz haben, übersehen zu werden, können Hunderte von maskierten Individuen, die einen Zerstörung anrichtenden Marsch bilden, nicht so leicht ignoriert werden. Zweitens markiert diese Symphonie der Trümmer einen Wendepunkt im ungezogenen Verhalten der Besetzungen. Statt auf Polizeiprovokationen zu reagieren (und auf diese Weise verschiedenen Erzählungen darüber, was Zerstörung rechtfertigt, Nahrung zu geben), entschlossen sich die Demonstranten des antikapitalistischen Marsches, die Initiative für den Angriff zu ergreifen, indem sie ihre Feinde schlugen, ohne darauf zu warten, zuerst mit Tränengas besprüht und verprügelt zu werden. Indem sie das taten, wiesen sie konkret die pazifistische Opferideologie zurück, die den vorherrschenden Diskurs von Kontrolle und Gewalt charakterisiert. Besonders die gefürchteten, von der Occupy-Bewegung so sehr gehassten Banken und Konzerne anvisierend, dienten diese Angriffe schlußendlich dazu, die Bewegung mit den Zähnen auszustatten, die ihr zuvor gefehlt haben. Diese Leute hassen die Banken nicht nur, sie führen auch konkrete Angriffe gegen die Institutionen aus, die sie hassen.
Für Feinde des Kapitals ist die Zerschlagung einer Bankscheibe oder die Sabotage einer ATM-Maschine an und für sich schon schön. Das Demolieren des Eigentums einer Finanzinstitution und die Erzwingung ihrer Schließung ist intuitiv wünschenswert. Manche werden einwenden, dass Glasscheiben ersetzt werden können und dass jedes durch solche Aktionen geschlossene Geschäft wahrscheinlich am nächsten Tag wieder öffnen wird. Die Perspektive dieser Kritik ist auf den ersten Blick gar nicht falsch, aber ihr entgeht oft eine gewisse Menge von Begleiterscheinungen im Zentrum chaotischer Episoden wie dieser. Für diejenigen, die versuchen, die Klassengesellschaft zu zerstören, muss die primäre uns zur Verfügung stehende Strategie im Chaos selbst bestehen. Theoretiker der gesellschaftlichen Kontrolle zitieren oft die broken window theory: Sie beschreibt, wie ein eingeführtes Durcheinander in einem ansonsten perfekt geordneten Umfeld Raum für weitere Unordnung zeugt und schafft. Im Mittelpunkt dieser Theorie der Herrschaft steht die Auffassung, daß die biopolitische Staatsregierung jede Unterbrechung der Ordnung als Bedrohung der Ordnung in ihrer Totalität behandeln muss. Um es anders auszudrücken: Diese Gewalt gegen die Fassaden kapitalistischer Institutionen beschädigt diese Einrichtungen auf eine Weise, die weit über die Kosten einiger Fenster oder die verlorene Arbeitszeit hinaus geht. Eher senden diese Aktivitäten Impulse der Unordnung durch das imperiale System. So wie ein zerbrochenes Fenster die Instabilität einer Umgebung anzeigt, signalisieren die konzertierten Bemühungen, die Scheiben verschiedener Banken einzuschlagen, eine kommende Welle der Gewalt gegen die bestehende gesellschaftliche Ordnung und ihre Finanzverwaltung. Genauso künden Angriffe auf den Polizeiapparat kommende, weit größere Konfrontationen mit den Polizeiinstitutionen an. In einem zukunftsorientierten, wahrnehmungsgetriebenen System wie dem Kapitalismus ist diese Art von wahrgenommener Unordnung katastrophal für das Vertrauen der Anleger sowie für die Schlüsselfunktionen des Marktes. Man braucht nur in die Eurozone zu schauen, um zu sehen, auf welche Weise die Revolte gegen den Sparkurs untrennbar mit dem Zusammenbruch aller Sicherheitsillusionen oder dem Zusammenbruch jeden Vertrauens in den kapitalistischen Produktionsmodus verbunden ist. Letztes Jahr haben während des UK-Uncut-Tages in London hasserfüllte Schwarzgekleidete Fenster eingeschlagen und Banken angegriffen. Monate später haben enteignete Menschen in ganz England Polizeiautos in Brand gesetzt, Polizeiwachen angegriffen, Geschäfte geplündert und ganz allgemein eine Zukunft enteignet, von der sie vollständig ausgeschlossen sind. Auch wenn die professionellen Aktivisten von UK Uncut sich schnell von den Ausschreitungen in London distanzierten, konnte sich doch niemand täuschen: Die Aktionen der Vandalen während der UK-Uncut-Geschehnisse zeigten, dass die Krise angekommen war; dass Unordnung dabei war, sich zu entfalten. Die Linke beklagte die nihilistischen Elemente, die „ihren Protest“ „infiltriert“ hätten: wahlweise Anarchisten, die auf Zerstörung aus sind, oder Hooligans, unterwegs, um sich das Ihrige zu nehmen. Als in den folgenden Monaten große Teile der Londoner Unterwelt sich gegen ihre alltägliche Misere erhoben, bestätigten sie die Ängste der Bourgeoisie; der Krieg war vor ihrer Haustür. In Griechenland und jetzt in Italien korrespondiert die Gewalt der Aufständischen auf den Straßen mit dem durch die Nationalökonomien fegenden Chaos. In jedem dieser Ereignisse drängt sich die Wahrheit in die Gegenwart, dass es keine Zukunft gibt. Um Genossen aus Mexiko zu zitieren, Chaos ist zurückgekehrt, und zwar zu denen, die glaubten, es wäre ausgestorben.
Man kann bereits erkennen, wie sich diese Instabilität ihren Weg durch Oakland bahnt. Die Geschäftsführer der Stadt sind sich der Implikationen solcher antikapitalistischen Aktivitäten in der East Bay nur allzu bewusst. Am Tag nach dem Streik liefen Bürokraten der Oaklander Handelskammer ins Rathaus, um ihren Unmut über die am Vortag angerichtete Zerstörung kundzutun. Ihnen zufolge hätten sich bereits drei Geschäfte aus Vertragsverhandlungen über Neueröffnungen in der Innenstadt Oaklands zurückgezogen. Ein weiterer, hauptsächlich aus Bankinstituten und Konzernen bestehender Unternehmerverband in downtown sorgte sich um die Existenz der Gemeinde. Er behauptete, dass die Aktivitäten der Besetzung und der Streik der Geschäftswelt von Oakland einen enormen Schaden zufügen und viele „lokale Unternehmen“ keinen weiteren Monat überleben würden, wenn es so weiter gehe. Natürlich ist es falsch, den Grund der Finanzkrise dieser Stadt in einem Monat antikapitalistischer Aktivität zu finden, aber unter ihren Verleumdungen liegt trotzdem eine Wahrheit vergraben. Die Oaklander Ereignisse können nicht außerhalb des Krisenzusammenhangs und seines Verlaufs gesehen werden. Nach derselben Logik können die Aktivitäten der Oaklander Kommunarden nicht von dem sie antreibenden gesellschaftlichen Konflikt getrennt werden, von dem sie nur ein kleiner Teil sind. Vor fast zwei Jahren sperrten sich Rebellen in der Bay Area in ein Universitätsgebäude ein und rannten blindlings auf die Autobahnüberführungen, um zu verkünden: BESETZT ALLES und WIR SIND DIE KRISE. Der erste Slogan wurde eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Vielleicht wird der zweite genauso zum Tragen kommen.
ERSTE ANMERKUNG: WIR SIND NICHT FRIEDLICH.
Die dogmatischen Pazifisten reagierten auf den Vandalismus und die Auseinandersetzungen vorhersehbar, indem sie FRIEDLICHER PROTEST und KEINE GEWALT riefen. Als Antwort stimmte die Mehrheit der Demonstranten den Sprechchor WIR SIND NICHT FRIEDLICH an. Seit dem Streik wurde dieser besondere Konflikt in unzähligen Diskussionen durchgespielt. Jedes Mal wird die Bedeutung und Wirksamkeit von „Gewalt“ breit getreten und bis zum Erbrechen diskutiert. In den auf dem Campus der University of California in der darauffolgenden Woche stattfindenden Scharmützeln zwischen Besetzern und der Universitätspolizei eskalierte der um die Gewalt kreisende Diskurs zur reinen Absurdität. Nachdem die UC-Polizei auf dem Campus der UC Berkeley Protestierende geschlagen hatte, erklärten Polizei und Universitätsoffizielle, dass solche Schläge in Wirklichkeit gar nicht gewalttätig seien, während die Studenten, die sich im Angesicht des Polizeiangriffs gegenseitig unterhakten, ihrerseits einen gewalttätigen Akt begangen hätten. Innerhalb der Logik der Macht ist die Gewalt der Polizeibataillone nicht gewalttätig, während die Solidarität und Fürsorge im Angesicht solcher Gewalt gewaltsam ist. Diese Tragikomödie zeigt uns so klar wie nur möglich präzise, warum es uns nutzen würde, Debatten über Gewalt/freiheit zu vermeiden. Die Gewalt wird immer durch die Macht definiert. Diejenigen, die Widerstand leisten, werden als gewalttätig benannt, unabhängig von ihrem Verhalten. Genauso wird die Brutalität in den Händen jener Diener der Macht immer unsichtbar sein.
In dieser Erklärung gegen den Frieden steckt durchaus Vernunft, aber sie kann nicht auf diese oder jene Position über Gewalt reduziert werden. Jeder Versuch, Gewalt zu definieren, wird immer in Abstraktionen zurückfallen. Jeder Versuch, eine solche Definition einzuführen, ist immer schon vergeblich. Statt für oder gegen Gewalt zu sein, obliegt es uns, uns gegen den Frieden zu positionieren. Lasst uns bei der Definition des Friedens die Abstraktionen vermeiden. Wir können jeden erbärmlichen Bestandteil der alltäglichen Funktionsweise des Kapitals Frieden nennen. Unsere schrecklichen Jobs sind Frieden, unser Mangel an einem Job, unsere Arbeitsunfälle, die uns gestohlene Zeit und die Arbeit, die wir nie zurückbekommen. Frieden ist, wenn wir aus unseren Wohnungen geschmissen werden und auf den Straßen frieren. Frieden ist, wenn uns ein Polizeibeamter kaltblütig auf Bahnhöfen und in unserem Viertel erschießt. Frieden ist Rassismus, Transvestitenhass, Frauenfeindlichkeit und Anti-Queer-Angriffe. Frieden ist die Internierung von Einwanderern und die Gefängnissklaverei. Wenn die Apologeten der Klassengesellschaft ihre Absicht verkünden, friedlich zu sein, so verstehen wir das als ihren Wunsch nach Verewigung der alltäglichen Grausamkeiten eines Lebens unter dem Kapital. Wenn man seine zum Friedenszeichen geformten Finger den Gesichtern unserer bewaffneten Feinde entgegenstreckt, so kann das nur als der größte Akt der Kriecherei angesehen werden. Das tragische gemeinsame Singen von FRIEDLICHER PROTEST sollte man wirklich als KEINE URSACHE, GEBT UNS MEHR DAVON verstehen! Es sollte jetzt völlig klar sein, dass wir mit dem Frieden abgeschlossen haben. Wenn man Frieden als Euphemismus für den Schrecken der Gegenwart nimmt, müssen wir unsere Aufgabe in der sofortigen Aussetzung des gesellschaftlichen Friedens sehen.
Der vorherrschende Diskurs des friedlichen Protestes birgt noch eine weitere beunruhigende Implikation. Viele derer, die für den friedlichen Protest eintreten, sind in Wirklichkeit ziemlich zynisch. Sie machen das nicht aus einem Wunsch nach Abwesenheit der Gewalt heraus (wie es ihre gewalttätigen Bemühungen beweisen, andere in Zaum zu halten und ihren Frieden zu erzwingen). Diese Friedenskämpfer gehen vielmehr von der Annahme aus, dass, solange sie nur ausreichend sanftmütig sind, ihre Sache gerecht sein wird. Demzufolge würde die unausweichlich über sie hereinbrechende Polizeigewalt solange illegitim erscheinen, wie sie passiv bleiben. Abgesehen davon, dass das eine törichte Taktik ist, stellt dieser Versuch, sich selbst zum Opfer zu stilisieren, eine konkrete Maßnahme dar, den Widerstand zu annullieren und die Operationen des Polizeistaates zu rechtfertigen. Im Mittelpunkt jeder Kritik am Friedensdiskurs muss die Einsicht stehen, dass diese Sprache vom Staat stammt, von ihm befürwortet wird, seine Position stärkt und in sich schon Staat ist.
Wir weisen die Logik des sozialen Friedens zurück und machen dagegen einen anderen Ansatz geltend: den sozialen Krieg. Der soziale Krieg ist unsere Art, den Widerspruch des Klassenkrieges über die Grenzen der Klasse hinaus zu artikulieren. Statt einer Arbeiterklasse, die danach trachtet, sich im endlosen Konflikt mit dem Kapital zu bestätigen, verlangt es uns danach, das Klassenverhältnis zusammen mit allen Verhältnissen abzuschaffen, die diese gesellschaftliche Ordnung reproduzieren. Sozialer Krieg ist der diskontinuierliche und kontinuierliche Kampf, der durch unsere gelebte Erfahrung geht und sie überwindet. Um es offen auszusprechen: Als Agenten des Chaos versuchen wir, diesen Kampf offenzulegen. Die Frage ist nicht Gewalt oder Gewaltfreiheit. Es geht in diesen Streifzügen gegen das Kapital eher um den gesellschaftlichen Frieden und seine Negation. Um einen Genossen hier aus Oakland zu zitieren: Fenster werden zerschlagen, wenn wir nichts tun, und natürlich werden Fenster zerschlagen, wenn wir etwas tun. Blut wird vergossen, wenn wir nichts tun, und natürlich wird Blut vergossen, wenn wir etwas tun. Sozialer Krieg ist der Prozess, etwas zu tun. Es ist unsere konzertierte Anstrengung, die allgegenwärtige Tödlichkeit des sozialen Friedens zu erschüttern. Es ist eine Reihe von überhaupt etwas, welche dieses Nichts unterbricht.
ZWEITE ANMERKUNG: WIR SIND DAS PROLETARIAT.
Wie schon unzählige Mal vorher versuchten im Verlauf der antikapitalistischen Demonstration viele, den allzu vertrauten Ruf anzustimmen: WIR SIND DIE 99%! Dieser Konsens wurde allerdings schnell zerrissen. Antikapitalistische Demonstranten nahmen schnell einen anderen Sprechchor auf: WIR SIND DAS PROLETARIAT! Aus einer antikapitalistischen Perspektive ist das eine genauso wichtige Intervention wie ein Hammer, der auf irgendeinen Finanz- oder Polizeiapparat einschlägt. Zunächst muss das vorherrschende Konzept der 99% als Maßnahme erkannt werden, welche in erster Linie dazu dient, die Aktivität rebellischer Elemente innerhalb einer Masse zu kontrollieren. Ursprünglich ein Verweis auf die verrückte Verteilung des Reichtums in den Vereinigten Staaten, wurden die 99% zu einem leeren und abstrakten Zeichen für jede dominierende Gruppe. Ein relevantes Beispiel dieses normalisierenden Konzepts ist der letzte Brief der Oaklander Polizei, in dem diese mitteilt, dass auch sie Teil der 99% sei und täglich gegen die kriminellen, aus Dieben, Vergewaltigern und Mördern bestehenden 1% kämpfe. Ein anderer abscheulicher Gebrauch dieses Konzeptes ist die Weise, in der Bankscheibenliebhaber erklären, die Anarchisten seien tatsächlich nur 1% gegenüber den friedlichen 99% der Protestler. Noch absurder ist die Behauptung der Polizeiapologeten, dass eigentlich 99% der Polizeibeamten gute Menschen seien und nur 1% von ihnen sadistische Soziopathen. Alle diese Beispiele verweisen auf den Umstand, dass, wo immer es zitiert wird, dieses Mem der 99% mit einer undifferenzierten Masse gleichbedeutend ist. Bullen und Bürgermeister sind Teil der 99%, Anarchisten und Hooligans sind es sicher nicht. Als ein vereinheitlichendes theoretisches Konzept hat es immer die Funktion, abweichende Elemente auszugrenzen und ihnen Disziplinarmaßnahmen aufzuerlegen. Insofern es eine Referenz auf eine Masse ist – eine abstrakte, friedliche, gesetzestreue Masse –, können die 99% nur die Gesellschaft selbst bedeuten.
Wir können jedoch diesen Gebrauch des Ausdrucks 99% nicht als Zweckentfremdung eines ansonsten korrekten Begriffs nehmen. Für uns war dieses Konzept schon von Anfang an absolut unnütz. Es gibt so etwas wie die 99% nicht, und sie können niemals der Beschreibung unserer Erfahrung mit dem Kapitalismus dienen. Man kann einen solchen Rahmenbegriff nur benutzen, indem man eine ganze Reihe, die wirklichen Strukturen der unser Leben ausmachenden Machtverhältnisse verflacht. In meinem Alltagsleben habe ich weder jemals ein Mitglied dieser mythischen 1% getroffen, noch habe ich dieses 1% als irgendeine Art exklusiven Feind in meinem Handgemenge mit dem Kapital analysiert. Ich wurde niemals direkt von einem Mitglied dieses 1% unterdrückt, aber ich wurde durch die Hände von Polizeibeamten, Tuntenschlägern, sexuellen Angreifern, Hausbesitzern und Bossen unterdrückt. Jeder dieser Feinde kann sicherlich einen Platz innerhalb der 99% beanspruchen, wenn dies auch in keiner Weise unsere strukturelle Feindschaft abschwächt. Die Stärke einer bestimmten anarchistischen Kritik des Kapitals kann in dessen Ortung der diffusen und komplexen Machtverhältnisse gesehen werden, die die materiellen Sehnen dieser Gesellschaft ausmachen. Die Welt ist nicht einfach wegen des 1% der Bevölkerung erbärmlich, das dieses oder jenes Quantum an Eigentum besitzt. Wir leben unter den Bedingungen des Elends, gerade weil die geliebten 99% diese Anordnung in ihrer alltäglichen und durch ihre alltägliche Arbeit immer wieder reproduzieren.
Wir entfliehen diesem elenden Diskurs und versichern, dass, wenn es die 99% wirklich gibt, wir nicht dazu gehören. Eher sind wir das Proletariat. Oft als Synonym für Arbeiterklasse missverstanden, gibt es in Wirklichkeit eine bestimmte Unterscheidung in unserer Bemühung, uns als solche zu definieren. Statt dass wir uns auf eine positive Konzeption von Lohnarbeitern beziehen, soll unser Gebrauch des Wortes Proletariat diejenigen negativ beschreiben, die nichts als ihre Körper und Arbeit zu verkaufen haben. Ohne Besitz und vollständig enteignet, ist das Proletariat der diffuse und doch überwältigende Gesellschaftskörper all derjenigen, die keine Zukunft im Kapitalismus haben. Diejenigen, aus denen diese proletarische Abrissmaschine besteht, vollziehen eine beliebige Anzahl von Funktionen dieser Gesellschaft – Sexarbeiter, Barkeeper, Laborratten für medizinische Forschung, Kleindiebe, Diener, Eltern, Arbeitslose, Grafikdesigner, Studenten –, und trotzdem sind wir namentlich durch die Enteignung unserer Fähigkeit vereint, uns auf würdevolle Weise innerhalb der gegenwärtigen gesellschaftlichen Ordnung am Leben zu erhalten. In einer postindustriellen Wirtschaft muss das Augenmerk auf unsere ökonomische Position im Zentrum unserer Bemühungen stehen, diese Ökonomie zu zerstören. Als in der Vergangenheit das Proletariat in erster Linie aus industrieller Arbeit bestand, war es denkbar, dass die Übernahme der Arbeitsplätze und die Beschlagnahme der Produktionsmittel einen gewissen Sinn ergab. Aber für diejenigen unter uns, die absolut keine Verbindung zu den Produktionsmitteln haben, muss ein völlig anderes Strategiearsenal kultiviert werden. Wirklich außerhalb der lebendigen Reproduktion des Kapitals stehend, muss unsere Methodik die Stellung des Außerhalb aufwerten und Wege erkunden, auf denen dieses Außerhalb vielleicht die Bedingungen seines eigenen Ausschlusses abschaffen könnte.
Für die auf dem Gebiet der Zirkulation Gefangenen bedeutet das eine Unterbrechung dieser Zirkulation und die Enteignung der Produkte, denen unsere Arbeit Wert hinzufügt. Für diejenigen, die an informellen und kriminellen Praktiken beteiligt sind, bedeutet das, neue Methoden der kollektiven Kriminalität zu entwickeln, mit der Absicht, sich eine Zukunft zurückzuerbeuten, die uns nicht gehört. Für diejenigen, die von den wirtschaftlichen Strukturen ausgeschlossen sind, bedeutet das Bemühungen, diese Strukturen zu blockieren und zu sabotieren und zu zerstören, anstatt zu versuchen, die Architektur unserer Ausgrenzung selbst zu verwalten. Für jene, die Wohnungen brauchen, bedeutet das Besetzungen, für jene die Hunger haben, bedeutet das Plündern. Für jene, die nicht zahlen können, bedeutet das autoréduction. Darum stehlen wir Dinge, darum zerstören wir Sachen, die man nicht stehlen kann, so kämpfen wir auf der Straße. Darum bauen wir Barrikaden und blockieren die Flüsse der Gesellschaft. Als Proletarier – die nichts anderes haben als einander – müssen wir uns sofort an die Erschaffung einer Taktik machen, um die Maschinerie zu zerstören, die den Kapitalismus reproduziert, und gleichzeitig Mittel für den Kampf schmieden, die uns für die kommenden Konflikte stärken.
7/12/2011
Quelle: http://www.bayofrage.com/from-the-bay/the-anti-capitalist-march-and-the-black-bloc