Die Hafenblockade ist nur das erste von vielen letzten Mitteln
Hafenblockade – 2.November 2011
Nach allen Maßstäben war der Generalstreik vom 2. November 2011 ein voller Erfolg. Der Tag war sicherlich der bedeutendste Moment der Occupy-Saison und deutete die Möglichkeit einer neuen Richtung für die Besetzungen an, weg vom vagen, selbstbezüglichen Demokratismus und hin zur offenen Konfrontation mit Staat und Kapital. Als Antwort auf den ersten Überfall auf das Camp zeigte der Streik auf lokaler Ebene, dass Occupy Oakland in der Lage war, zu wachsen, während es sich verteidigte; es organisierte die Aufrechterhaltung der Besetzungen, während es gleichzeitig ihren Feind direkt angriff. Das ist gemeint, wenn das Camp und die Teilnehmenden als „Kommune von Oakland“ bezeichnet werden, auch wenn eine echte Kommune erst nach einem erfolgreichen Aufstand möglich ist.
Wenn man sich die Ereignisse des Tages anschaut, ist es klar, dass es ohne die Hafenblockade gar kein Generalstreik gewesen wäre, sondern nur ein besonders kraftvoller Aktionstag. Die Anzahl der Menschen, die in den Hafen marschierten – Zehntausende –, übertraf alle Erwartungen. NachbarInnen, KollegInnen, Verwandte – man sah alle möglichen Leute, die sich nie für solche Ereignisse interessiert hatten, deren politische Aktivitäten sich bisher auf gelegentliches verärgertes Schimpfen auf das Fernsehen oder einen jährlichen Ausflug in die Wahlkabine beschränkt hatten. Es war, als ob die gesamte Bevölkerung der Bay Area in ein seltsames industrielles Fegefeuer versetzt worden war, um dort umherzuwandern und sich zu wundern, sich selbst und ihre eigene Stärke zu finden.
Jetzt haben wir wieder die Gelegenheit, die Häfen zu blockieren, am 12. Dezember, zusammen mit den BesetzerInnen entlang der Westküste. Los Angeles, San Diego, Portland, Tacoma, Seattle, Vancouver und sogar Anchorage haben schon beschlossen, ihre jeweiligen Häfen zu blockieren. Das sind auf jeden Fall aufregende Ereignisse. Jetzt, wo die wichtigsten Camps in den USA geräumt sind, brauchen wir eine solche Aktion, um die Bewegung über die Wintermonate aufrecht zu erhalten, und um einen Anknüpfungspunkt für ihr Wiederaufleben zu schaffen. Aus weiter unten dargelegten Gründen glauben wir, dass Aktionen wie diese – direkte Aktionen, die auf die Zirkulation des Kapitals zielen, anstatt auf die Produktion – in den unvermeidlichen Aufständen und Erhebungen der kommenden Jahre eine entscheidende Rolle spielen werden, zumindest in den post-industriellen Ländern. Durch das Zusammentreffen dieser Taktik mit den anhaltenden Versuchen, verlassene Gebäude direkt zu enteignen, könnte sich die Occupy-Bewegung in eine echte Bedrohung der gegenwärtigen Ordnung verwandeln. Aber unserer Meinung nach halten viele GenossInnen diese Aktionen im Wesentlichen für eine Fortsetzung der Klassenkämpfe des 20. Jahrhunderts, ohne genügend zu berücksichtigen, wie wenig der post-industrielle Generalstreik von Oakland 2012 dem Generalstreik von Oakland 1946 gleicht.
Der ortlose Ort der Zirkulation
Die Transportindustrie (und der Transport im Allgemeinen) ist schon lange einer der wichtigsten Sektoren für das Kapital und einer der wichtigsten Schauplätze des Klassenkampfs. Der Kapitalismus entwickelt und verbreitet sich innerhalb der Matrix der großen Handels-, Kolonial- und imperialen Experimente des nachmittelalterlichen Europas, die alle auf den Seeleuten, Schiffen und Handelsrouten basieren. Aber zu dem Zeitpunkt, als der Kapitalismus im 19. Jahrhundert als neues gesellschaftliches System auftauchte, war der wichtigste Motor der Akkumulation nicht mehr der Handel selbst, sondern die Einführung arbeitssparender Technologie in den Produktionsprozess. Durch mechanisierte Produktion erzielte Riesenprofite fließen zurück in die Entwicklung und die Anschaffung neuer Produktionsmaschinerie, ganz zu schweigen von den gigantischen Infrastrukturprojekten, die dieses industrielle System benötigt: Minen, Eisenbahn, Fernstraßen und Elektrizitätswerke, Riesenströme von Holz, Stein, Beton und Metall, während sich die urbanen Zentren ausdehnen und die vom Land vertriebenen Menschen absorbieren. Aber in den 1970er Jahren, gerade als verschiedene Futurologen und Sozialprognostiker eine vollständig automatisierte Gesellschaft des Überflusses ankündigten, ging der technologiegetriebene Akkumulationszyklus zu Ende. Arbeitssparende Technologie ist ein zweischneidiges Schwert für das Kapital. Auch wenn sie vorübergehend erlaubt, enorme Profite zu erzielen: Die Tatsache, dass das Kapital auf arbeitenden Körpern als der Basis seines eigenen Reichtums beruht, bedeutet, dass die Verdrängung von mehr und mehr Menschen aus ihrem Arbeitsplatz schließlich die Überlebensbedingungen des Kapitals selbst unterminiert. Natürlich besteht einer der größten Schrecken des Kapitalismus darin, dass die Überlebensbedingungen des Kapitals auch unsere eigenen sind, wie groß unser Hass auch sein mag. Direkt oder indirekt hängt unser aller Überleben von Lohn und Markt ab.
Seit den 70er Jahren besteht eine der Reaktionen des Kapitals auf die Reproduktionskrise darin, den Fokus von den Orten der Produktion weg, hin zu den (Nicht-)Orten der Zirkulation zu verschieben. Nachdem die Einführung von arbeitssparender Technologie in der Warenproduktion keine beträchtlichen Profite mehr erzeugte, konzentrierten sich die Firmen darauf, die Zirkulation zu beschleunigen und zu verbilligen, sowohl für das Warenkapital (im Fall von Transport und Groß- und Einzelhandel) als auch für das Geldkapital (im Fall des Bankenwesens). Eine solche Restrukturierung macht einen großen Teil dessen aus, was oft als „Neoliberalismus“ oder „Globalisierung“ bezeichnet wird: Akkumulationsweisen, in denen die Transportindustrie und global verteilte Lieferketten eine neue Vorrangstellung einnehmen. Die Erfindung des Versandcontainers und der Containerschiffe ist insofern analog zur Wiedererfindung des Derivatenhandels in den 70er Jahren – eine technische Intervention, die die Menge des zirkulierenden Kapitals auf ein Vielfaches erhöhte.
Deshalb erschien der Generalstreik vom 2. November nicht als freiwilliger Entzug der Arbeit aus großen Fabriken (wo so wenige von uns arbeiten), sondern vielmehr als Massen von Menschen, die in nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben arbeiten, die arbeitslos oder unterbeschäftigt oder auf die eine oder andere Art prekär sind, die die Nadelöhre des Kapitalflusses stürmen. Wo die ArbeiterInnen der großen Firmen – den Häfen, zum Beispiel – ihre Arbeit verweigerten, geschah dies nach der Intervention eines Proletariats von außerhalb. In dieser Situation wurden mobile Streikposten – ursprünglich ein sekundäres Mittel der Solidarität – zum primären Streikmechanismus. Wenn sich das post-industrielle Kapital auf die See- und Landwege konzentriert, die Straßen und die Einkaufszentren, auf die Beschleunigung und Flexibilität seiner vernetzten Ströme, dann müssen seine Gegner ebenso mobil und vielfältig werden. Beim französischen Generalstreik 2010 haben wir gesehen, wie ein paar Dutzend mobile Streikposten eine Millionenstadt zum Stillstand bringen konnten. Solche mobilen Blockaden sind die Methode für eine Zeit und einen Ort, wo die Produktion ausgelagert wurde, eine Zeit, in der die meisten von uns in kleinen und nicht gewerkschaftlich organisierten Firmen arbeiten – wenn sie überhaupt arbeiten – für den Transport, die Verteilung, Verwaltung und den Verkauf von Waren, die anderswo produziert werden.
Wie sein Zerrspiegel, das Finanzsystem, ist das aktuelle System der Warenzirkulation unglaublich brüchig. Komplexe computergesteuerte Lieferketten auf der Basis von Just-in-time-Produktion haben den Bedarf an Lagerhallen reduziert. Das bedeutet oft, dass Firmen und Händler weniger als einen Tag Reserve haben und auf den beständigen Eingang neuer Lieferungen angewiesen sind. Einige wenige taktische Interventionen – in wichtigen Häfen zum Beispiel – können eine ganze Ökonomie in die Knie zwingen. Das ist offensichtlich für uns genauso ein Problem wie für das Kapital: Die Brüchigkeit der Wirtschaft bedeutet, dass es für uns zwar einfach ist, die Mittel unserer Unterdrückung zu blockieren; aber wir haben keinen Zugang zu den Dingen, die sie ersetzen könnten. Es gibt wenige Betriebe, die wir übernehmen können, um dort diese Dinge zu produzieren. Wir könnten den Hafen übernehmen und weiter die Dinge importieren, die wir brauchen, aber es ist fast unmöglich, sich vorzustellen, dass das zu machen ist, ohne die Gewalttätigkeit der bestehenden Ökonomie aufrecht zu erhalten.
Alle Macht den Vagabunden und daher keiner Klasse
Das bringt uns zu einem sehr wichtigen, oben schon angesprochenen Aspekt der aktuellen Situation. Das Subjekt des „Streiks“ ist nicht mehr die ArbeiterInnenklasse als solche, auch wenn ArbeiterInnen immer beteiligt sind. Der Streik tritt nicht mehr nur auf als freiwilliger Entzug der Arbeit vom Arbeitsplatz durch diejenigen, die dort beschäftigt sind, sondern als Blockade, Bekämpfung (oder sogar Sabotage oder Zerstörung) dieses Arbeitsplatzes durch ProletarierInnen, die ihm (und vielleicht der Lohnarbeit im Allgemeinen) fremd sind. Wir müssen unsere Vorstellung über die „richtigen“ Subjekte des Streiks oder des Klassenkampfs über Bord werfen. Wenn es auch immer wünschenswert und manchmal nötig ist, die Unterstützung der ArbeiterInnen zu gewinnen, um einen bestimmten Betrieb stillzulegen, so ist es doch nicht absolut notwendig, und wir müssen anerkennen, dass Vorstellungen davon, wer das Recht hat, zu streiken oder einen bestimmten Betrieb zu blockieren, schlicht Erweiterungen des Eigentumsprinzips sind. Wenn die historischen Generalstreiks sich als koordinierte Streiks in großen Betrieben darstellten, um die herum sich schließlich „die Massen“, einschließlich der Studierenden, der unbezahlt Hausarbeit leistenden Frauen, der Arbeitslosen und des Lumpenproletariats des informellen Sektors zu einer verallgemeinerten Offensive gegen das Kapital sammelten, ist hier die Kausalität genau umgekehrt. Es wurde seltsamerweise selten angemerkt, dass die Camps der Occupy-Bewegung, auch wenn sie sich als die Verkörperung einer überwältigenden Mehrheit – der 99% – ausgaben, zum großen Teil aus Obdach- und Arbeitslosen bestanden, selbst wenn sie bei Kundgebungen und Demonstrationen von einer demographisch vielfältigeren Gruppe aufgefüllt wurden. Dass eine solche Gruppe – mit wenigen Verbindungen zur organisierten ArbeiterInnenbewegung – zu einem Generalstreik aufrufen und ihn erfolgreich organisieren konnte, spricht Bände über den großen Unterschied zwischen der Welt von 2011 und der von 1946.
Wir finden es hier hilfreich, zwischen der ArbeiterInnenklasse und dem Proletariat zu differenzieren. Wenn auch viele von uns Mitglieder der ArbeiterInnenklasse und des Proletariats sind, bedeuten diese Begriffe nicht notwendigerweise dasselbe. Die ArbeiterInnenklasse ist durch die Arbeit definiert, durch die Tatsache, dass sie arbeitet. Sie ist einerseits durch den Lohn definiert, andererseits durch ihre Fähigkeit, Wert zu schaffen. Das Proletariat dagegen ist durch Eigentumslosigkeit definiert. In Rom war proletarius der Name für jemanden, der kein Eigentum besaß außer seinen Kindern und sich selbst und daher oft beide in die Sklaverei verkaufte. ProletarierInnen sind die Eigentumslosen, die deshalb vom Lohn und vom Kapital abhängig sind. Sie haben „nichts zu verkaufen als ihre eigene Haut“. Der Knackpunkt ist hier, dass nicht alle ProletarierInnen Angehörige der ArbeiterInnenklasse sind, weil nicht alle ProletarierInnen für einen Lohn arbeiten. Mit der Intensivierung der Krise des Kapitalismus wird dieses „Leben ohne Lohn“ immer mehr zur Norm. Ausbeutung setzt natürlich Enteignung voraus. Diese beiden Begriffe sind untrennbare Aspekte der Lebensbedingungen unter der Herrschaft des Kapitals, und selbst die ProletarierInnen, die nicht arbeiten, sind – direkt und indirekt – von denen abhängig, die arbeiten.
Uns geht es darum, dass konkrete Kämpfe dazu neigen, die Betonung auf den einen oder den anderen dieser Aspekte zu legen. Kämpfe, die die Betonung auf die Ausbeutung legen – ihre Ungerechtigkeit, ihre Brutalität – und die Arbeitsbedingungen im Kapitalismus zu verbessern suchen, wählen als ihr Subjekt die ArbeiterInnenklasse. Die Kämpfe, die die Enteignung und den Begriff der „Klasse“ hervorheben, und den Unterschied zwischen den Eigentumslosen und allen anderen abzuschaffen suchen, wählen dagegen als ihr Subjekt das Proletariat. Durch die Restrukturierung der Ökonomie und die Schwäche der ArbeiterInnenbewegung haben heutige Kämpfe keine andere Wahl, als proletarische Kämpfe zu werden, wie sehr sie sich auch mit der Sprache und den Waffen einer besiegten ArbeiterInnenklasse schmücken. Deshalb weigert sich die Occupy-Bewegung, Forderungen zu stellen – so gern sie auch vage über die schwächsten Umverteilungsmaßnahmen murmelt, etwa der Besteuerung der Banken. Es gibt einfach keine Forderungen zu stellen. Arbeitskämpfe haben heutzutage kaum Ziele außer der Erhaltung von Arbeitsplätzen oder von Tarifverträgen. Sie kämpfen für ihr Recht, ausgebeutet zu werden, das Recht auf einen Lohn, statt für Lohnerhöhungen. Die Stärke der Occupy-Bewegung – trotz der Schwäche ihres Diskurses – ist, dass sie in die Richtung eines proletarischen Kampfes weist, in dem sich die Menschen nehmen, was sie zum Überleben brauchen, anstatt aussichtslose Bitten an die diversen Herrscher der Welt zu stellen. Anstatt zu versuchen, das Gleichgewicht zwischen den 99% und dem 1% wiederherzustellen, könnte so ein Kampf darum gehen, dass die Menschen direkt für sich selbst sorgen, wenn das Kapital und der Staat nicht mehr für sie sorgen können.
Niedergang der Gewerkschaften
Das bringt uns schließlich zur Frage der Gewerkschaften, insbesondere der ILWU (1), ihrer Bezirksgruppen und ihrer Basis. HafenarbeiterInnen haben in den USA eine enorm radikale Geschichte; sie waren an einigen der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der US-ArbeiterInnenbewegung beteiligt oder haben sie selbst initiiert, vom Generalstreik in Seattle 1919 bis zu den Kämpfen im Hafen von San Francisco 1934 und den Solidaritätsstreiks entlang der ganzen Küste. Die wilden Aktionen der HafenarbeiterInnen in Longview, Washington – die versuchen, den eindringenden antigewerkschaftlichen Getreideexporteur EGT zu bekämpfen –, rufen diese Geschichte lebhaft in Erinnerung. Wilde Streiks, Blockaden von Zügen und das Entladen ihrer Fracht, Kämpfe gegen die Bullen, die das ordnungsgemäße Be- und Entladen des Frachtguts wieder sicherstellen sollen – die HafenarbeiterInnen von Longview erinnern uns an das Beste der ArbeiterInnenbewegung, ihren unvermittelten Konflikt mit dem Kapital. Wir werden in dieser neuen Ära der Sparmaßnahmen, Arbeitslosigkeit und Unruhen wohl mehr solche Aktionen sehen. Dennoch sollte unsere Begeisterung für die mutigen ArbeiterInnen von Longview keine Illusionen über die Bedeutung dieser Kämpfe in der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus aufkommen lassen. Wir glauben nicht, dass diese Aktionen ein Aufleben einer radikalen Gewerkschaftsbewegung versprechen, eher zeigen sie eine reale Krise der etablierten Formen des Klassenkampfs an. Sie geben eine Vorahnung auf eine Situation, in der selbst die magersten Forderungen nicht mehr erkämpft werden können. Diese Bedingungen der Unmöglichkeit werden radikalisierend wirken, aber nicht so, wie viele es erwarten. Sie werden uns die ArbeiterInnen von Longview und anderswo zu Verbündeten machen, aber nicht so, wie viele es erwarten.
Auch wenn sie die Taktiken der historischen ArbeiterInnenbewegung zu ihrer radikalsten Zeit einsetzen, ist der Inhalt der Kämpfe von Longview doch ganz anders: Sie kämpfen nicht für Lohnerhöhungen oder dafür, neue Betriebe gewerkschaftlich zu organisieren, sondern nur noch darum, die Rechte ihrer Gewerkschaft zu erhalten. Es ist ein Verteidigungskampf, genauso wie die Besetzung des Kapitols von Madison, Wisconsin, ein Verteidigungskampf war – ein Kampf für die Erhaltung des zweifelhaften, gesetzlich geregelten Rechts auf Tarifverhandlungen. Es sind Kämpfe für das Überleben der Gewerkschaften an sich, zu einer Zeit, wo Gewerkschaften keinen echten Wind mehr in den Segeln haben; im besten Fall versuchen sie, gegen die fallenden Löhne anzukämpfen, im schlimmsten verbünden sie sich mit den Bossen und verkaufen die ArbeiterInnen. Das soll nicht die Aktionen der ArbeiterInnen selbst schlecht machen oder ihre Teilnahme an solchen Kämpfen – man kann sich genauso wenig aussuchen, ob man an solchen Überlebenskämpfen teilnimmt, wie man sich aussuchen kann, ob man atmen soll; und manchmal können solche Aktionen die Auslöser sein, die einen allgemeinen Widerspruch zum Explodieren bringen. Aber wir sollten uns über die Beschränkungen dieser Kämpfe im Klaren sein und versuchen, sie weiterzutreiben. Zu oft scheint es, dass wir uns auf einer sentimentalen Arbeitertümelei ausruhen, als ob unser Bündnis mit den HafenarbeiterInnen uns eine verlorene Authentizität zurückgeben könnte.
Wir sollten nicht vergessen, dass in diesem Fall die Initiative von außerhalb des Hafens und der ArbeiterInnenbewegung als solcher ausging, auch wenn ArbeiterInnen und Gewerkschaften beteiligt waren. Die Initiative ging hier im Wesentlichen von einem zusammengewürfelten Haufen von Leuten aus, die in nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben arbeiten, oder (aus gutem Grund) ihre Gewerkschaften hassen oder Teilzeit arbeiten oder gar keine Jobs haben. Bündnisse sind wichtig. Wir sollten rausgehen und mit den LKW-Fahrerinnen und Kranführern reden und die Blockade erklären; das heißt aber nicht, dass wir blind den Vorschlägen der ILWU folgen. Es wurde uns zum Beispiel immer wieder erklärt, dass wir, um den Hafen zu blockieren, zu jeder einzelnen Verladestelle gehen müssten, so dass Tausende von Leuten über mehrere Gruppen mehrere Kilometer auseinander verstreut würden. Und zwar deshalb, weil unter dem von der ILWU mit dem Arbeitgeberverband ausgehandelten System nur Streikposten direkt an den Hafentoren es dem örtlichen Schlichter erlauben würden, die Bedingungen am Hafen für unsicher zu erklären, und somit den ArbeiterInnen rechtlichen Schutz für die unerlaubten Arbeitskampfaktionen zu bieten. In so einer Situation blockieren wir nicht wirklich den Hafen. Wir spielen in einem Stück in zwei Akten ein legales Theater, dargeboten zur Belustigung des Schlichters.
Wenn dieses Schlichtungsspiel der einzige Weg ist, gewaltsame Konflikte mit den HafenarbeiterInnen zu vermeiden, dann müssen wir uns vielleicht vorerst damit abfinden. Aber wir finden es mehr als deprimierend, wie wenig über diese Strategie reflektiert, wie wenig sie kritisiert wurde und wie viele Leute diese Routine reflexartig akzeptieren. Es gibt zwei Gründe, warum dieses Theater problematisch ist. Erstens muss man bedenken, dass die Einführung von staatlich sanktionierten Formen der Vermittlung in den Klassenkampf, die Zähmung des Klassenkampfs durch einen riesigen rechtlichen Apparat, der Hauptmechanismus ist, durch den die Gewerkschaften zu Gehilfen des Kapitals gemacht wurden. Ihr Monopol über die Arbeitskraft ist ein idealer Partner für das Monopol des Kapitals über die Produktionsmittel. In so einem System stellen die Gewerkschaften nicht nur sicher, dass das System eine ArbeiterInnenklasse mit ausreichender Kaufkraft produziert (etwas, was heutzutage immer weniger möglich ist, außer durch Kredit), sondern auch, dass der Klassengegensatz sich nur staatlich genehmigt Ausdruck verschafft, durch den bürokratischen Filter der Gewerkschaft und ihres Rechtsapparats, der vorschreibt, wann, wie und warum ArbeiterInnen in ihrem eigenen Interesse handeln dürfen. Das ist die Bedeutung von „Schlichtung“.
Zweitens, von einem taktischen Standpunkt aus gesehen, bringt uns die Aufteilung der BlockiererInnen in kleine, ortsgebundene, über mehrere Kilometer verteilte Gruppen, in eine sehr schwache Position, wenn es darum geht, einen Polizeiangriff abzuwehren. Viele haben schon angemerkt, dass es viel einfacher wäre, den Hafen zu blockieren, indem die zwei Haupteinfahrten gesperrt würden. Tausende von Menschen an diesen beiden Kreuzungen könnten den Verkehr zum Hafen komplett abschneiden, und diese Gruppen könnten viel einfacher verstärkt und versorgt werden (es ist einfacher, Essen, Wasser und Verstärkung an diese Orte zu schaffen). Es wäre jetzt sehr wünschenswert, die Blockade auf mehr als eine Schicht auszudehnen, aus einem vorübergehenden Ärgernis etwas zu machen, das die Reproduktion des Kapitals in der Bay Area ernsthaft beeinträchtigt, da diese wie gesagt vom reibungslosen Ablauf der Just-in-time-Produktion abhängig ist. Aber das würde wahrscheinlich zu einem Polizeiangriff führen. Dadurch, dass wir also den Hafen mit rechtlich-theatralischen Mitteln besetzen, geben wir die (durchaus greifbare) Möglichkeit auf, den Hafen richtig zu blockieren. Wir lassen uns dadurch auf eine taktisch schwache Position auf der symbolischen Ebene abdrängen.
Mit der kommenden Verschärfung der Kämpfe innerhalb und außerhalb der Betriebe werden die im Sterben liegenden Gewerkschaften kaum wieder zum Leben erweckt werden. ArbeiterInnen werden sich an den gleichen Formen der direkten Aktion beteiligen – Besetzungen, Blockaden, Sabotage –, die die Höhepunkte der Occupy-Bewegung in der Bay Area waren. Als am 2. November Zehntausende zum Hafen von Oakland marschierten, um ihn stillzulegen, haben sie es zum großen Teil nicht deshalb getan, weil sie die rechtliche Position der ILWU verteidigen wollten, oder um Stellung gegen die Angriffe auf die Gewerkschaft zu beziehen (die meisten Leute kannten diesen Zusammenhang anscheinend gar nicht). Sie taten es, weil sie die Ökonomie hassen, weil sie den Kapitalismus hassen und weil die Häfen zu den sichtbarsten Knoten im Netz des Elends gehören, in dem wir alle gefangen sind. Lasst uns diesen Gegensatz so nehmen, wie er ist, und ihn nicht mit den Kostümen und Ideologien einer vergangenen Welt verkleiden.
Society of Enemies
Dezember 2011
(1) International Longshore and Warehouse Union: HafenarbeiterInnen-Gewerkschaft an der Westküste der USA
Quelle: http://www.bayofrage.com/from-the-bay/blockading-the-port-is-only-the-first-of-many-last-resorts
Protest der ILWU