Streik in den Raffinerien – Reportage aus Grandpuits
Seit dem Beginn der Bewegung gegen das Arbeitsgesetz hat man oft Aufrufe dazu gehört oder gelesen, die „Ökonomie lahmzulegen“ oder gar „alles zu blockieren“, um Druck auf die Regierung auszuüben. Seit mehr als einer Woche ist es genau diese Strategie, die in den Raffinerien und Häfen, bei der RATP (Pariser Verkehrsbetriebe) oder der SNCF (nationale französische Eisenbahngesellschaft) verfolgt wird.
Eine Team von lundimatin hat sich zu dem Streikposten der einzigen Raffinerie des Departement „Ile-de-France“ begeben. Granpuits beutet ein kleines Erdölvorkommen aus und raffiniert vor allem das Rohöl, das per Pipeline aus Le Havre kommt. Seit dem 17. Mai diskutiert man dort Blockaden und vor allem den Streik. Freitag den 20. Mai wurde für Streik und den totalen Stopp der Fabrik gestimmt; eine Entscheidung, die mit 162 gegen 154 Stimmen letzten Freitag erneuert wurde und die bis nächste Woche gilt.
Der Ort ist beeindruckend: Mitten aus der falschen Landschaft von „Seine-et-Marne“ springt eine enorme Fabrik hervor mit riesigen Schornsteinen, aus denen fast kein Rauch mehr kommt. Eine Kulisse nach traditioneller Art, geschützt wie eine Burg: die Fabrik ist von einem Sicherheitszaun umschlossen, der von einer dicken Stacheldrahtrolle gekrönt ist. Die Infrastrukturen des Kapitalismus schockieren nicht immer durch ihre scheinbare Banalität und Neutralität. Aufgrund unseres neugierigen und etwas zurückhaltenden Blick erklärt uns ein Arbeiter: „Ah, das ist, weil der Standort als Seveso (1) klassifiziert ist, es gibt hier strategische Reserven und auch eine Düngemittelfabrik gleich um die Ecke; wenn das explodiert, geht die ganze Region in Rauch auf.“ Willkommen bei Total.
Es steht natürlich außer Frage, jemand anderes als einen Arbeiter auf das Gelände zu lassen. Das trifft sich gut, denn es sind die Arbeiter, die raus kommen, kurz nachdem sie in der Generalversammlung für die Verlängerung des Streiks gestimmt haben. Sofort nähert sich uns ein Mann mit gelb-oranger Weste von der CGT:
– „Ah, sehr gut, dass ihr vorbeischaut. Es muss endlich Schluss mit der Desinformation sein. Ich ertrage die Medien nicht mehr, die völligen Mist über die CGT erzählen. Sie machen einen glauben, dass nur die CGT streikt, obwohl wir hier alle zusammen stehen, mit der FO (Force Ouveriere, ‚Arbeitermacht‘), den Leuten von SUD (Solidaire, unitaire, démocratique, eigentlich l’union syndicale solidaires, ‚gewerkschaftliche Vereinigung der Solidarischen‘), aber auch nicht gewerkschaftlich Organisierten. Kurz und gut, wir stehen alle zusammen also muss endlich aufgehört werden, von der CGT zu reden; und dabei sage ich euch das, obwohl ich selber von der CGT bin“, schließt er, auf das Gewerkschaftslogo auf seiner Weste zeigend.
Wir befragen ihn also zum Ergebnis der Generalversammlung:
– „Der Streik ist verlängert worden, mit 51% gegen 49%, viel viel knapper als letzte Woche (60/40), aber man muss auch sagen, dass die Gewerkschaftsleitung Einfluss genommen hat, indem sie eine Mail an alle Kader geschickt hat, um ihnen zu sagen, dass sie gegen den Streik stimmen sollen.“
Was soll’s! Der Streik ist für die ganze Woche erneuert. Als wir ihn fragen, ob diese knappe Abstimmung nicht eine Wende für die nächste Woche ankündigt, erscheint ein Mitglied von FO wenig besorgt und versichert, dass, was auch immer passiert, sie noch über andere Spielkarten verfügen, um den Stopp zu verlängern. Man muss sagen, dass diejenigen, die dagegen stimmen, oft „Administrative“ sind, die überhaupt nicht an der Bewegung beteiligt sind und in dem Gebäude gegenüber arbeiten: anders gesagt, nicht allzu viel Grund, sich zu beunruhigen, es sind nicht sie, die die Macht haben, alles anzuhalten. Die Hierarchie scheint eine Zeit umgekehrt.
Als wir sie zu den Presseerklärungen der Regierung befragen, amüsieren sich einige:
– „Zum Beispiel die ganze Sache mit den strategischen Reserven (2) kann man in der Pfeife rauchen. Wir hier, wir sind eine strategische Reserve. Zumindest ein Teil unseres Lagers ist als strategische Reserve klassifiziert. Und ich kann euch sagen, dass hier nichts rauskommt, solange wir streiken. Also das zählt nicht. Ihre 115 Tage Reserve bedeuten gar nichts. Außerdem haben wir 2010 gut gesehen, dass der Treibstoff fehlte“, sagt uns ein Anderer. „Der Staat, Hand in Hand mit Total, hat Lastwagen aus Belgien geholt. Als die Belgier dann auch angefangen haben zu streiken, mussten sie bis nach Rotterdam gehen. Das bedeutet, dass das tausende von Euros für sie darstellt.“
2010: der Kampf gegen die Rentenreform geht natürlich in allen Köpfen rum und lädt zu einem flinken Mundwerk ein. Damals standen die Raffinerien im Scheinwerferlicht: wenige Sektoren streikten, aber sie hielten lange durch. Die Arbeiter von Grandpuits waren besonders involviert:
– „Der komplette Stopp dauerte drei Wochen und da fängt es an, weh zu tun. Ich habe insgesamt 18 Tage gestreikt, andere hielten einen Monat durch. Olivier Azam hat einen Film über uns gedreht ‚Grandpuits & petites victoires‘ (Grandpuits und kleine Siege). Das war wirklich nicht schlecht. Wir sind danach durch ganz Frankreich, sogar nach Belgien, gefahren, um ihn zu zeigen. Dadurch sind wir mit vielen anderen Milieus in Kontakt gekommen.“
Damals wurde ein Streikkasse im Internet geschaffen und das scheint sehr gut funktioniert zu haben:
– „Wir haben damit überhaupt nicht gerechnet. Es gab die Möglichkeit, mit Paypal Überweisungen zu machen und die ganze Welt hat sich daran gemacht: wir haben Spenden aus Brasilien erhalten, aus Polen, es war verrückt. Wir haben uns alle Streiktage, die wir genommen hatten, zurück erstattet, Streikende aus anderen Sektoren ausbezahlt und dann blieb uns sogar noch Kohle übrig, das an das Roten Kreuz und die Tafel (Restos du cœur) floß.“
Aber was ist dann der Unterschied zu der Situation von 2010?
– „Vor allem wurde uns damals viel weniger gefolgt als jetzt. Wir hatten wirklich den Eindruck, die einzigen zu sein, die sich rühren. Glücklicherweise sind uns viele besuchen gekommen und haben uns unterstützt. Heute ist das Interessante, dass die ganze Produktions- und Transportkette blockiert ist: die Schiffe kommen nicht mehr in Le Havre an, das Petroleum geht nicht mehr in die Pipelines und die Fabrik ist angehalten. Dann gab es 2010 auch Dienstverpflichtungen.“
Könnt ihr uns erklären, wie Dienstverpflichtungen funktionieren?
– „Das ist ziemlich einfach: die Polizeipräfekten bestimmen mit den Firmenchefs eine Zahl von Leuten, die die Produktion fortsetzen müssen, sie stellen zufällig Listen von Angestellten auf und die sind dann gezwungen, arbeiten zu gehen. Wenn sie nicht hingehen, gibt’s Gefängnis und enorme Geldstrafen.“
Gibt es keine Möglichkeit, sich dem zu widersetzen?
– „Das letzte mal haben wir 5 Minuten lang den Eingang der Fabrik blockiert, aber das hat nichts gebracht, das war rein symbolisch. Allerdings wurden die Dienstverpflichtung im Nachhinein rechtlich angefochten. Die Gericht hat dann die Entscheidungen der Verwaltung aufgehoben, indem sie gezeigt hat, dass sie im Grunde gleichbedeutend mit einer Aufhebung des Streikrechts sind.“
Also können sie das nicht wiederholen?
– „Theoretisch nicht. Oder das würde einen Skandal geben: man zwingt Streikende nicht, arbeiten zu gehen. Aber man wird sehen.“
Spüren sie den Bedarf einer größeren Unterstützung der Bewegung? Sie antworten nein: sie blockieren nicht, sie streiken nur, es gibt keinen Bedarf, Barrikaden zu halten. Außerdem wissen sie, dass sich überall anderswo was bewegt, sodass sie sich nicht sorgen:
– „Wir kommen hier schon gut zurecht. Außerdem sind es schon mehr von uns, sodass wir uns weniger allein fühlen als 2010. Andererseits macht es immer Freude, Leute zu sehen und Unterstützung zu bekommen.“
Die Diskussion schweift danach zu strategischen Fragen ab: warum treten sie so spät in die Bewegung ein? Ein nicht gewerkschaftlich Organisierter erklärt, dass es sehr schwer für sie ist, einen Streik länger als einen Monat aufrecht zu erhalten.
– „Wenn wir am 9. März angefangen hätten, hätten wir nicht bis jetzt durchgehalten. Während wir jetzt die Dynamik wieder in Schwung bringen und die Möglichkeit haben, bis zum Ende zu gehen. Mit der kommenden EM 2016 könnte das für das Kräfteverhältnis ausschlaggebend zu sein.“
Als sie die Fortsetzung erwähnen, dominiert die Zuversicht: das Scheitern von 2010 gibt alle Gründe, nicht bei den ersten Hindernissen nachzugeben.
– „Die öffentliche Meinung? Gar kein Problem von dieser Seite. Es regt die Leute ein bisschen auf, aber das ist immer so. Es gibt genug, die mit uns sind. Das macht uns keine Angst.“
Von ihrer Seite aus fängt die Bewegung in Wirklichkeit gerade erst an: So wie der Phönix-Einkaufswagen (3), der während der Demonstration am 26. Mai aufzog, scheint diese „Bewegung“ immer in dem Moment wiedergeboren zu werden, in dem man ihre Ende vorhersagt. Zuversicht also: Die Maschinen sind dieses Wochenende völlig gestoppt, die ganze nächste Woche und keinerlei Wiederaufnahme ist in Sicht.
Im Laufe einer Diskussion kommt eine originelle Idee zur Sprache: warum nicht einige Tanklastwagen mit Treibstoff füllen und den gratis verteilen, um die Bewegung zu unterstützen, aber auch um den Staat (der 90% des Preises pro Liter nimmt) und Total zu verhöhnen?
– „Gut, da muss man schon ehrlich sein: Das ist Diebstahl“, sagt einer von ihnen. „Man riskiert noch mehr als mit den Dienstverpflichtungen.“
Ja, sicherlich. Aber wenn sich das Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten verstärkt, dann könnte man das schon mal in Betracht ziehen, oder?
– „Frei heraus, wenn es nur um mich ginge, fände ich das als Idee genial“, sagt ein anderer, jüngerer. „Das würde sie wirklich in die Scheiße reiten und wir hätten die ganze öffentliche Meinung mit uns.“
Die Zukunft wird es zeigen. Die kommenden Tage halten vielleicht einige Überraschungen bereit. Diese Woche wird der Streikposten jeden Tag gehalten, aber auch abends und in der Nacht ohne eine einzige Stunde Unterbrechung – je nachdem wie die Stimmung ist.
lundimatin, 30. Mai 2016
Anmerkungen:
(1) Richtlinie 96/82/EG (Seveso-II-Richtlinie): Die Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996, umgangssprachlich auch Seveso-II-Richtlinie genannt, ist eine EG-Richtlinie zur Verhütung schwerer Betriebsunfälle mit gefährlichen Stoffen und zur Begrenzung der Unfallfolgen.
(2) Die Regierung hatte damals erklärt, sie verfüge über strategische Reserven an Triebstoff für 115 Tage, weshalb der Streik der Raffineriearbeiter wirkungslos sei.
(3) Studentinnen der Universität der schönen Künste hatten für die Demonstration am 26. Mai einen Einkaufswagen in einen Phönix verwandelt, der den Demonstrierenden sowohl Schutz vor den Geschossen der Bullen bot, als auch als Munitionslager diente. Auf seinen Flügeln war zu lesen: Auf zum Sturm auf den Himmel. Mit ihm an der Spitze wurde ein Ausbruchversuch aus der vorgegebenen Demonstrationsrute unternommen, um zur Stadtautobahn zu gelangen, die blockiert werden sollte. Das scheiterte an der Gegenwehr der Polizei und war der Beginn der sich dann bis zum Ende der Demonstration fortsetzenden Straßenschlacht. Auf dem Place angekommen, der von der Bullerei in einen Kessel verwandelt worden war, in dem sie anschließend eine Menschenjagd veranstaltete, wurder der Phönix abgebrannt. Auf der Demonstration am 14. Juni war er aus seiner Asche wieder auferstanden und setzte seinen brennenden Flug gegen die Staatsmacht fort.
Quelle: https://lundi.am/Greve-dans-les-raffineries-Reportage-a-Grandpuits