An die Studenten
Zur Cause Andre Holm
Einige Studenten haben es unternommen, das Institut für Sozialwissenschaften der Humbold Universität zu besetzen. Warum nicht? Das Leben ist trist genug! Anlass ist die Kündigung einer halbwegs vernünftigen und – wie es heißt – sympathischen Lehrkraft aus dummen Gründen. (Näheres dazu siehe Rückseite.) Der Anlaß sei dahingestellt, es ist in jedem Fall eine gute Gelegenheit. Es gibt ja immer noch einige offene Fragen in unserer Gesellschaft. Leute frieren im Winter, obwohl es ja andererseits auch ganz solide Minicomputer gibt, mit denen man auch noch telefonieren kann. Dem Obdachlosen kann man trotzdem kaum helfen, nur spenden. Der Widerspruch von Produktionsverhältnissen und Produktivkraft sozusagen. Es gibt zwar noch keine Antworten, aber jede weiß schon jetzt: Das Eigentum wird nicht ewig währen. Man kann ja auch produzieren, weil man es will und braucht und nicht weil man für Lohn arbeitet oder arbeiten wird. Die Frage ist eher: Wie?
Das sogenannte Studium ist gemeinhin die Zeit, in der man den Leuten die Möglichkeit gibt, über solche Fragen des Lebens zu lesen, reden und nachzudenken. Universitätsbesetzungen geben dieser Reflexion neuen Raum und ein gewisses Flair der Ernsthaftigkeit, weil man verschiedene Meinungen sich kreuzen lassen kann und schon ein einfacher Snack-Apparat einen über den Sinn und Unsinn von Gewaltmonopol und Eigentum nachdenken lassen kann. Also kommt alle in das besetzte Gebäude. Die Besetzung ist soweit sogar geduldet und so kann man da ganz gut spielen. Und eben diskutieren! Vielleicht sogar handeln. Nicht zu krass versteht sich. Man ist Aware und geraucht wird nur wo es kalt ist.
P.S.: Es braucht kaum erwähnt zu werden, dass ein etwas andauernder und anschwellender Protest einigen Leuten in Athen und Madrid, in Rom und Paris sehr gefallen könnte.
Kommt ins Institut für Sozialwissenschaften, Universitätsstrasse 3b.
Zur Causa Andre Holm
Zu Andre Holm selbst ist eigentlich wenig zu sagen. Er ist ein ehrlicher Sozialdemokrat, der den Kontakt zu seiner politischen Basis nicht scheut. Daher hat er unter Linken ein gewisses Ansehen. Holm hat ihnen sogar einen Begriff populär gemacht: Gentrifizierung. Vor ca. 10 Jahren wurde er daher von einem Spezialkommando aus seiner Wohnung entführt. Er hätte angeblich einige Fahrzeuge der Armee zerstören wollen und das im Rahmen einer militanten Zelle. Großer Frevel! §129. Hatte er aber gar nicht und so konnte er in der Folge an der Humboldt Universität lehren, etwa über die Probleme, große Städte zu bauen.
Nun sollte er Staatssekretär für den rot-rot-grünen Senat der europäischen Hauptstadt werden. Ausgerechnet im Ressort Stadtentwicklung. Man versteht, dass es Leute gibt, die das nicht wollen. Also nimmt man die Stasi zum Anlass, diesen Politiker los zu werden. Darin liegt das eigentliche Politikum und dass er danach auch von der Universität gefeuert wurde, das war nur ein Nachtreten. Die Formalität, an der man Holm scheitern ließ, spielt keine Rolle. Es wurde kein Stalinist, sondern ein Sozialdemokrat gefeuert. Und man muß – was man auch immer über die Sozialdemokratie denkt – zugeben, dass dieser Mann der Bourgeoisie ein kleiner Dorn im Fuß war.
Es spricht also wirklich nichts dagegen, dass Holm Staatssekretär wird, wenn er das wirklich will!
Wegen uns kann er auch an der Universität lehren. Rot-rot-grün wird sich schnell abwirtschaften. Flughäfen können die auch nicht planen und die Miete: sie wird weiter steigen. Holm hätte ehrenhafterweise wahrscheinlich irgendwann zurücktreten müssen, da er gewisse Maßnahmen nicht hätte mittragen wollen etc. Politik ist weniger interessant als man denken könnte. Also warum nicht Professor. Immerhin gibt es sogar einige Studenten, die ihm zuhören wollen und das kann nicht jeder Professor von sich behaupten. Aber auch das ist nicht besonders wichtig. Es gibt bessere Stellungen als an Universität oder in der Stadtverwaltung. Man könnte ihm auch ein ordentliches Existenzgeld geben oder ihn bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung seine Zeit vertrödeln lassen. Wie dem auch sei: Er macht das schon und wir wünschen ihm Glück.
Seine kritische Lehre kann auch von Studentinnen fortgesetzt werden, im Rahmen von Veranstaltungen, die – bis zur Abschaffung des Geldes natürlich bezahlt! – von Studenten vergeben und organisiert werden. Vorlesungen über Caracass und was die Regierung Hugo Chavez sollte und wollte. Natürlich unter besonderer Berücksichtigung von Mike Davis. Oder man gewinnt Einsichten in die Lösung der Wohnungsfrage, indem man Engels einschlägige Schrift zum Thema studiert und sich gemeinsam der Bedingung der Miete widmet: dem Eigentum.