Integration durch Arbeit
Erwin Grave
Um Arbeit dreht sich im Kapitalismus alles. Im Grunde ist sie ein echtes Ärgernis, vor allem wegen ihrer gesellschaftlichen Rahmenbedingung. Der Sozialismus will die Arbeit daher besser organisieren, der utopische Kommunismus sogar aufheben. da es albern sei, all unsere Tätigkeiten unter einen Begriff zu subsumieren, ausser eben im Kapitalismus, der die Arbeit zu seinem Angelpunkt erhebt. Das Problem mit der Arbeit besteht dabei auch darin, dass sie gegenwärtig das einzige Mittel ist, die Leute bei Stange zu halten, mithin in die Gesellschaft zu integrieren. Jeder weiss zum Beispiel, dass etwa die ganzen Menschen, die die letzten Jahren und Jahrzehnte nach Deutschland schwappten, Arbeit brauchen und sonst kaum etwas. Der Rest, etwa die ominöse Integration oder die Übernahme unserer Werten, würde sich schon einstellen, wenn man sie nur in den Arbeitsprozess eingliedern würde. Spätestens bei ihren Kindern. Wo sie herkommen ist oft Krieg, aber im Grunde fliehen sie, da es dort zu wenig Arbeit gibt. Hier haben sie dann im Grunde dasselbe Problem, nur dass sie besser alimentiert werden. Es ist schliesslich überall das Kapital, dass die Arbeit organisiert und so gibt es immer zu wenig davon, wenn die Einzelnen, die arbeiten dürfen, auch eher zu viel davon haben.
Auch die Einheimischen sind teils flüchtig. Sie fliehen aber nicht vor einem Mangel an Arbeit, sondern fürchten vor allem als junge Erwachsene die Arbeit selbst wie einen Fluch. Eventuell rationalisieren sie diese Furcht mit erhabenen Ideen und sie sind dann Kommunisten mit Kritik an der Lohnarbeit, dieser modernen Sklaverei, bei der die versklavenden Subjekte sogar frei bleiben. Aber diese Leute haben einfach panische, wenn auch mehr oder weniger verdrängte Angst vor der Arbeitswelt, bekommen sogar immer wieder akute Panikattacken oder sind latent depressiv und werden phasenweise sogar klinisch depressiv, nehmen dann oder schon davor diverse Pillen. Auch können sie sich keine Stellung im Produktionsprozess vorstellen, die ihnen etwas Befriedigung schafft oder schieben vor, dass sie von keinem Aspekt des Produktionsapparats gebraucht würden. Natürlich gibt es wirklich keine Arbeit für sie, die sie befriedigen kann, aber sie wissen noch nicht, dass sie sich den Sinn ihrer schließendlichen Tätigkeiten auf die eine oder andere Weise einreden werden. Denn auch hier besteht die Heilung nur in der Arbeit selbst und die meisten dieser Kranken bekommen irgendwann die Kurve und arbeiten eben doch. Sie werden von irgendeiner Beschäftigungstherapie im gebildeten Bereich des Staates aufgesaugt, manchmal sogar gut bezahlt. Dann bilden sie sich eben ein, dass würde sie befriedigen, wenn das auch mehr über ihr Leben davor aussagt, so dumm ist das, was sie dann machen. Man kann nämlich viel Zeit mit sinnlosem Seriengucken oder sinnlosem Alkoholtrinken vertändelt und die bürgerliche Beschäftigungstherapie hat dagegen sogar wirklich ihre Reize. Selten dürfen sie jedenfalls gesellschaftlich notwendige, also nützliche Arbeit machen. Sie bleiben Almosenempfänger, selbst wenn sie gut bezahlt werden. Sie verkümmern dann nur leider und sie werden mitunter verträgliche Zeitgenossen. Behäbig und bieder, vielleicht mit einigen Hobbys, einem Einzelkind oder anderen Spleens. Oft werden sie sehr langweilig.
Und da es nun tatsächlich ein schönes Ziel wäre, die Lohnarbeit, die Welt des Profits und überhaupt die kleinliche Vermittlung unserer Güter über das Geld los zu werden, ist diese Integration durch Arbeit fatal. In Deutschland führt sie dazu, dass es keine Kommunisten über 30 gibt. Dann hat selbst der letzte Student eine Arbeit. Speist sich die Kritik nämlich aus der eigenen Überforderung von den irrationalen gesellschaftlichen Ansprüchen und der tief sitzenden Angst, diesen nicht zu genügen, dann fällt sie weg, sobald die Individuen merken, dass sie eigentlich ganz gut auf Arbeit klar kommen, da dort dann auch nur mit Wasser gekocht wird. Und selbst wenn man sich seiner alten Sehnsüche erinnert oder tiefere Gründe entwickelt hat, Kommunist zu sein: Ausgerechnet in der Arbeit? Dann lieber in der Freizeit oder nur als private zunehmend seltener geäußerte Meinung. Einerseits drückt in Lohn und Brot weder die unmittelbare physische Not, die hier durch das Sozialsystem und Eltern eh nur relativ ist, andererseits auch nicht die psychische Not, da man durch die Arbeit im Grunde stabilisiert ist. Man braucht dann eben kein Kommunist zu sein. Zumal eine wirkliche, kommunistische Organisierung am Arbeitsplatz in den meisten Fällen von den Verfügenden und dann auch denn Kollegen nicht erwünscht ist und man seine Stellung schnell verlieren würde.
Erwin Grave
Zu schlecht für die Leser von Brand II, ehemals Aufheben I, gerade gut genug für die Leserinnen des Großen Thiers N°14, in dem dieser Text erschien.