Unsichtbares Kommitee: Jetzt
Rezension und Pdf

Das unsichtbare Komitee hat ein weiteres Buch geschrieben. Es geht in ihm wieder grob darum, dass unsere menschengemachte Welt in jeder Hinsicht unhaltbar ist und dass man jetzt damit beginnen muss, sie vollständig durch eine andere zu ersetzen. Dafür muss natürlich die Eigentumsordnung komplett abgeschafft werden, aber wichtiger als dieser letztlich bürokratische Akt sei die Frage: „Wie wir eigentlich leben wollen“.
Das Buch trägt den Titel „Jetzt“ und schon im Titel spiegelt sich das Unglück des unsichtbaren Komitees, das gleichzeitig sein früheres Glück war. Mit dem schmalen Band „Der kommende Aufstand“ gelang ihm nämlich schon vor zehn Jahren das Kunststück eines revolutionären Bestsellers. Sogar der französische Innenminister wurde darauf aufmerksam und im Fernsehen der USA lief einige Reklame, nachdem Kameraden dieses Buch in einer Filiale von Starbucks vorgelesen hatten. Es kam zu Festnahmen von mutmaßlichen Autoren und so fand es schließlich seinen Weg nach Deutschland, wo das gesammelte Feuilleton den Band besprochen und zum Manifest der radikalen Linken verklärt. Noch heute, zehn Jahr später, wird es von der Lügenpresse bemüht, sobald es, wie zum Beispiel in Hamburg, etwas kracht. Durch die gesteigerte Aufmerksamkeit der Medienaffen hierzulande wurde dann sogar die alt gewordene radikale Linke auf dieses Buch gestoßen und alle Fraktionen dieses vergammelten Haufens haben sich kurz gegen diese Schrift zusammengetan, während das weniger verkrampfte Publikum sich über die Verbindung eines guten Stils, interessanter Gedanken und aufrührerischen Inhalts freute. Damals war Jetzt. Jetzt ist zehn Jahre später. Dementsprechend wird das neue Buch hierzulande unter Linken etwas wohlwollender aufgenommen, die unmittelbare Gefahr scheint gebannt und selbst die offizielle radikale Linke will nun den sogenannten aufständischen Anarchismus diskutieren und den verwechseln sie, wie unser Feuilleton, mit dem unsichtbaren Komitee.
Letzteres liegt einfach daran, dass sich die symbolische Linke kaum für den norditalienischen Anarchismus interessiert, Scharmützel wie im Val de Susa nicht mitschneidet und auch die FAI bzw. die Feuerzellen in Griechenland ignorierte wie sie die französischen Casseurs verdrängt. Ereignisse wie die Plünderung Londons 2012 darf es für dieselbe nicht einmal geben, da sie zu deutlich das nicht zu unterschätzende Potential einer jeden wirklich radikalen Verschwörung offenbaren. Diese Linke wird von Ereignissen wie jüngst aus Anlass des G20 im Schanzenviertel schlicht überrascht und kann sie kaum einordnen, da sie sich selbst für so ziemlich das Maximum des Protests hält und nicht für eine Schwundstufe des Bestehenden. Es liegt aber auch daran, dass der sogenannte aufrührerische Anarchismus sehr maulfaul ist. Wenn man etwa vor ein paar Jahren nicht in Bern war oder Leute von dort kannte: man kennt dann auch nicht die Kinder von Bern und ihre Aktionen. Alle wirklich anarchistischen Kleinbewegungen der Gegenwart sind wesentlich lokaler Natur und kümmern sich kaum um die Parlamente und die demokratische Öffentlichkeit. Allenfalls die Polizei tritt als großes Ärgernis auf, weil sie größere Ausschweifungen naturgemäß verhindert. Darin jedenfalls hat „Der kommende Aufstand“ Recht behalten.
Inhaltlich nur so viel: Schon die Schrift „Der kommende Aufstand“ hieß nicht „Die kommende Revolution“. Es fehlt dadurch der qualitative Drehpunkt der Geschichte, der der Bemühung um eine neue Welt erst den nötigen Schwung gäbe. Das Komitee denkt die Kommune als revolutionäre Zelle der Gegenwart. Sie entlehnen diesen Begriff von Kropotkin, dieser oft verschwiegenen Quelle einer jeden radikalen Bewegung. Bei Kropotkin aber ist die Revolution zentral und die sich nach derselben gründenden Kommunen sind letztlich einfach sich föderierende Bünde für die Organisation der Arbeit und die Verteilung des Produkts. „Kommune“ bezeichnet eine nach der Revolution kommende Zelle der freien Assoziation freier Menschen, wobei es nicht so sehr darauf ankommt, ob diese Zelle über den ganzen Erdboden verteilt, oder lokaler Natur ist, ob sie wenige umfasst oder viele, ob sie von kurzer Dauer ist, oder permanent existiert. Die genaue Organisation und die konkreten Verbindungen der Kommunen wird durch die von ihrem Zweck – irgendein gesellschaftliches Bedürfnis – gesetzten Notwendigkeiten bestimmt; der Begriff dient nur als Platzhalter dieser dann praktisch bestimmten Organisation. Kropotkin hat sicher am meisten dazu beigetragen, wenigstens ein Schattenbild dessen anzugeben, was die Kommunisten eigentlich wollen. Dafür erfährt man wenig darüber wie sie dieses Bild der Zukunft in die Wirklichkeit bringen könnten. Nämlich nichts, – außer, dass wir in einer Minderheit sind, agitieren und dann plötzlich die Mehrheit werden… „Der kommende Aufstand“ nun nimmt diese Kommuneform auf und projiziert sie in die Gegenwart. Die revolutionäre Bewegung selbst muss sich schon in „Kommune“ genannten Bünden organisieren. Man muss beginnen die Organisation der alten Welt mit Keimzellen einer neuen Welt zu durchsetzen und dadurch in der alten Welt die nötige Negativität erzeugen, die dann zu einem Aufstand führt. Und ein Aufstand, der bleibt das höchste der Gefühle. Die notwendig beinahe mittellosen revolutionären Bünde der Gegenwart, die vom Komitee vorgeschlagenen Ad-hoc-Kommunen, werden unmittelbar zur Keimzelle der neuen Welt. Aber so richtig es ist, dass wir uns jetzt organisieren müssen, dass wir im Inneren Beziehungen herausbilden müssen, die einen gewissen Geschmack dessen geben, worauf wir hinaus wollen: Die Revolution, also die reale Aneignung des Werkzeugs, der Maschinen, des Raums mit seiner Infrastruktur, wird erst die Möglichkeit erzeugen, ernsthaft darüber nachzudenken, wie wir leben wollen, da sie uns erst in Besitz der Mittel bringt, die es dafür braucht. Sie ist die Kulmination der untergründigen Notkommunen des Komitees und sie ist auch der Umschlagpunkt, an dem letztere aufhören aus der Not geboren zu sein und beginnen können, ihre wirkliche Aufgabe zu erfüllen. Eine sehr pragmatische Aufgabe versteht sich, da es ja schlicht um die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse geht und darum, die Mittel für dieselbe zu schaffen und zu organisieren. Insbesondere darf man diese Organisationsform nicht mit den berühmten Räten verwechseln, mit denen einige besonders gewitzte Parlamentskommunisten unsere Welt beglücken wollen, als ob unsere Zukunft in einem unendlichen Palaver bestünde und einer unendlichen Ausdehnung der Parlamente ins alltägliche Leben. Die nach der Enteignung der Bourgeoisie entstehenden und von Kropotkin behelfsweise „Kommune“ genannten Vereinigungen unterscheiden sich jedenfalls qualitativ von den vom Komitee behelfsweise mit dem gleichen Namen belegten Mikroverschwörungszellen der Gegenwart. Die einen bilden die Keimzelle der kommenden Welt, die anderen stellen erst die Bedingung der Möglichkeit der kommenden Welt her. Dazwischen liegt eine gehörige Umwälzung der Basis und des Überbaus unserer Gesellschaft. Eben die berühmte kommunistische Revolution. Es versteht sich, dass dieselbe sich nicht auf ein einziges Ereignis beschränkten wird, aber man muß sie als qualitativen Umschlag der Kommuneidee in den Leidenschaften haben, um den ansonsten gleichen Namen zu begreifen und sich nicht von vornherein zu kastrieren. Nicht der permanente Aufstand ist das Ziel, sondern eine Reihe von Aufständen muss in einer Revolution münden. Danach erst beginnt das sich negativ in der revolutionären Verschwörung auftauchende Glück zu entfalten. Der Garten der Lüste kann eingerichtet und bezogen werden.
Soviel nochmal zum kommenden Aufstand, ein wirklich gutes Buch zur richtigen Zeit. Die Folgeschriften dieses Komitees fallen dahinter zurück und sei es nur dadurch, dass die Gedanken stagnieren und dadurch an Frische verlieren. Die Revolution wird immer noch vernachlässigt, aber leider auch die Kommunenbildung der Gegenwart. Letztere kam schon im „kommenden Aufstand“ kaum über die autonome Kultur hinaus, in der neuen Flugschrift erfährt man vollends nichts darüber, – außer, dass in Frankreich die Demospitze der Protestzüge der Gewerkschaften zu einem eigenwilligen Ort wurden, nachdem dort eine radikale Jugend Stellung bezog. Man braucht aber nicht zu lamentieren. Diese Stagnation ist nur ein Hinweis darauf, dass es demselben Kreis von Leuten nur selten gegönnt ist, mehrmals ein relevantes Ereignis zu erzeugen. Selbst ein Marx hat nach dem kommunistischen Manifest keine wirklich wichtige Schrift mehr zustande gebracht.
„Jetzt“ ist natürlich trotzdem um Längen besser als etwa die von Et al. herausgegebene Broschüre zum Protest gegen das französische Arbeitsgesetz. Die revolutionäre Literatur tut sich ähnlich schwer wie die revolutionäre Bewegung. Und dieses Buch kann sicher für einige vielleicht jüngere oder jung gebliebene Zeitgenossen nützlich sein, da es viele gute Gedanken umfasst und wieder in einer gefälligen Sprache geschrieben ist. Erschienen ist es im Nautilusverlag. Es könnte besseres geben, aber auch schlechteres. Da es üblich ist, Schriften des unsichtbaren Komitees frei zu verteilen – wie es überhaupt üblich sein sollte, die der Revolution dienenden Schriften frei zu verteilen -, hier das PDF. Der kommende Aufstand hatte in Deutschland immerhin eine große Auflage billiger bis kostenloser Exemplare gesehen, in einer soliden Übersetzung und noch vor dem offiziellen Druck. Diese freien Ausgaben ließen den bei Nautilus erschienen Band wie einen schlecht übersetzten und dazu noch teuren Raubdruck aussehen. Denn das war er auch. „Jetzt“ wird dagegen eher keine freie Printausgabe haben.
Und es sei noch auf den schönen Text des unsichtbaren Komitees hingewiesen: „An einen Freund“. Er ist schon älter, kürzer und eigentlich nützlicher als die neue Schrift.