Ein Broschüre der antifa-c
Unsere Erde hat uns diese Kinder bloß vererbt
Die an die Freitagskinder ohne Zukunft gerichtete Broschüre lag auch beim Kommunistischen Tresen im September 2019 aus.
Dem Andenken an Walter Benjamin gewidmet
Seit sie Erfolg hat, wird der grünen Bewegung von der Linken Geschichtslosigkeit vorgeworfen. Sowohl Anarchisten als auch Kommunisten waren bereits in den 1980ern fleißig darum bemüht, nachzuweisen, dass die im Aufstieg begriffene Strömung keine neue Idee vertritt, sondern der eigenen Theorietradition angehört. Man wollte das populäre Thema des Umweltschutzes gerne für sich beanspruchen. Selbst die SPD besann sich bald auf die Naturfreunde des Kaiserreichs, die den sozialdemokratischen Reihen entsprungen waren und ging nur deshalb zunächst auf Distanz, weil die Mitte der Gesellschaft nichts mit den bärtigen Grünen anfangen konnte, in deren Unkonventionalität die radikale Linke den zweiten Betrug sah, denn auch das Gegenkulturelle wollte sie lieber für sich gepachtet haben. Der Siegeszug des neuen Kontrahenten wurde somit begleitet vom Neid bei den selbst nicht institutionalisierten Linken, die den Grünen jene Integration vorwarfen, die ihnen die etablierten Parteien lieber verwehrt hätten. Auch die politische Rechte hätte von Anfang an einen Anspruch gehabt, auf das ökologische Ticket zu setzen, umarmte die Grünen aber erst dann als ein Kind des eigenen Geistes, als es machtpolitisch überhaupt nicht mehr anders ging. Insofern die Umweltschutzbewegung immer schon von konservativ-antiindustriellen und reaktionär-antiaufklärerischen Strömungen durchzogen war, begreift sich auch eine Fraktion der AfD als authentische Vorkämpferin derselben und selbst eine neue nationalsozialistische Partei dürfte sich darauf berufen, dass die NSDAP zur politischen Heimat einiger Naturschützer der Weimarer Republik wurde. Das erste Umweltschutzgesetz Deutschlands wurde am 26. Juni 1935 verabschiedet. Gleich der Technik erscheint die Ökologie also historisch neutral. Sie ist mit allen politischen Lagern verwachsen, selbst wenn diese sich ihrer Verwandtschaft mitunter schämten. Ökologie ist daher so progressiv oder kritisch wie ein Hammer, der allen Zwecken dient, da er kein Bewusstsein hat. Wenn sich Kommunisten heute aus taktischen Erwägungen mit dem Klima befassen, mag das opportun sein. Richtig ist es höchstens als ein Zug im Kampf. Der theoretische Blick des historischen Materialisten, in dessen Namen Walter Benjamin schrieb, ist nicht von strategischen Erwägungen diktiert, weshalb sich ihm die triviale Frage nicht stellen kann, ob das Klima in seiner bisherigen Gestalt zu retten ist. Vielmehr schaut er nach dem Sinn der Frage: Warum wird das Klima gerade heute zum Thema, das alle Bereiche dominiert? Nicht um die eigene Tradition dem herrschenden Trend anzupassen, sollten Kommunisten nach geistigen Vorfahren suchen. Geschichtliches Bewusstsein bedeutete ihr einmal zu wissen, wo in der Geschichte sich die Gesellschaft gerade befindet.
Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?
Was eine Produktivkraft ist, versteht sich leicht, die Produktionsverhältnisse zu durchschauen ist hingegen schwieriger. Aus diesem Grund hatten sowohl Marx, als auch Adorno Vorbehalte gegen den Ausdruck Industrie. Er verleitet dazu, die Gesellschaft durch die zur Verfügung stehenden technischen Mittel der Naturbeherrschung zu verstehen und dabei das soziale Gefüge, das dieselben bedingt, außer Acht zu lassen. Die Subsumption aller Lebensbereiche unter das Kapital, die im 18. Jahrhundert begann, wird mit diesem Fokus zur Geschichte der wissenschaftlichen Innovationen, die man auf die Natur losgelassen hat. Marx ahnte, dass besonders faszinierende Erscheinungen an der Oberfläche wie der Wechsel vom Pferdepflug zur Maschinerie das Bewusstsein der Philister ablenken würde und polemisierte deshalb gegen das übertriebene Interesse der Ökonomen an der Dampfmaschine, hierbei die Kritik an den Kulturwissenschaften vorwegnehmend, die sich obsessiv mit einzelnen Erfindungen befassen. Im Begriff der Industrialisierung verschwindet der Unterschied zwischen feudaler und kapitalistischer Produktionsweise. Sein undifferenzierter Blick eignet den gegenwärtigen Klimaschützern. Ihre Analyse dreht sich um den Begriff der industriellen Revolution, die so etwas wie den Sündenfall der Menschheit markiert, da die menschengemachte Erderwärmung hier ihren Ausgang nimmt. Zugleich ist sie der Präzedenzfall dafür, dass die Gesellschaft von einem Energieträger auf den anderen umstellen kann und daher das Vorbild für die große ökologische Transformation, die sie anstreben. Dieser Ambivalenz muss sich die ökologische Bewegung nicht bewusst werden, da sie sich praktisch für das Vorwärts entschieden hat. Zwar gibt es in ihren Reihen durchaus Maschinenstürmer, die hinter die Entwicklung der Produktivkräfte in den Schoß der Erde zurückkehren wollen, so als wäre im Wald des Aussteigers die längst verlorene Ursprünglichkeit zu erreichen. Aber die Fortschrittsfeinde sind längst der realistischen Fraktion unterlegen, die die Technik affirmiert, da diese allein die nötigen Mittel zur Verfügung stellt, um dem Klimaproblem zu begegnen. Was aus der Romantik entsprungen ist, seine Fortsetzung in der Lebensreform fand und auch heute noch Veganismus und Yoga praktiziert, vertritt inzwischen stolz die Seite der Wissenschaft, nicht nur gegen die Leugner des Klimawandels. Die Ökologie heute ist positivistisch in ihrem Bezug auf die faktische Empirie, weshalb sie die empirische Faktizität nicht überschreiten kann. Der Zweck ihrer Bewegung ist die Weiterentwicklung des Kapitalismus, also kein anderer als der Fortschritt, der den Gegner für Benjamins Geschichtsthesen abgab.
Im Fortschritt hat die kaum entwickelte Theorie der Ökologie ihr Ziel. Hier findet sie auch ihren Anfang. Der Begriff der Nachhaltigkeit entstammt der Forstwissenschaft des frühen 18. Jahrhunderts und steht für die Einsicht, dass auch der Einsatz der Technik eine Technik ist. Die maßvolle Nutzung des Waldes ist ein Gebot der unternehmerischen ratio, befindet sich folglich auch im Einklang mit der instrumentellen Vernunft und kann gegen eine kurzfristig orientierte Logik des Raubbaus sogar als deren höchster Ausdruck gelten. Die blinde Abholzung des Waldes mag dem einzelnen Profit bringen, sie steht im Widerspruch zu den Interessen einer kontinuierlichen kapitalistischen Akkumulation im Ganzen, die von anderen klimatischen Katastrophen nicht minder bedroht ist. Hier Einhalt zu gebieten ist die historische Aufgabe der grünen Antikapitalisten, deren Wachstumskritik die Tauschgesellschaft in ihrem Wesen unberührt lässt. Die protestantische Ethik richtete sich zwar gegen die subjektiven Neigungen des Einzelnen, aber dieser musste dabei nicht auf den Genuss schlechthin verzichten, da ihn der Konsum entschädigte, welcher ihm durch die Enthaltsamkeit bei der Arbeit erst ermöglicht wurde. Dieses Geschehen an der Basis fand in Kants Ethik ihren Ausdruck, in der das Unterdrücken von Neigung zum Gradmesser der Richtigkeit einer Handlung wurde. Hiergegen bemerkte Hegel spitzfindig, dass die höchste Form der Befriedigung auch im Verzicht selbst liegen kann. Aus dieser Beobachtung Hegels zieht die gegenwärtige Ökonomie gewissermaßen ihre Konsequenz und dreht den Mechanismus um, der jetzt so erstaunliche Konsumgüter hervorbringt wie tugendhaften Kaffee und moralisch vertretbare Limonade. In ihren Objekten liegt, was Kant den Subjekten zumutete. Das verdinglichte Bewusstsein wurde wiederum in die Konsumsphäre verdinglicht. Nachhaltige Wirtschaft ist der neueste Ausdruck des repressiven Charakters (der asketischen Logik) des Kapitals.
Es zielt auch objektiv auf weitergehende Kontrolle. Der industrielle Kapitalismus dominierte die erste Natur und den Arbeiter, der nachindustrielle merzt die Folgen dieser Entwicklung aus, allerdings ohne die Naturwüchsigkeit der Gesellschaft zu berücksichtigen. In dieser Reflexionslosigkeit ist die ökologische Bewegung dem technokratischen Ansatz verwandt, der zu Hochzeiten des Fordismus die ökonomische Krise durch keynesianistische Globalsteuerung verhindern wollte, deren derzeit noch impotente Nachfolger die großangelegten Klimakonferenzen sind. Nicht nur im Kleinen, wo sie Dieselautos durch Elektroscooter austauscht, ist die grüne Bewegung daher technikaffin. Sie liefert den ideologischen Überbau für die schöpferische Zerstörung der alten Industrien, die bereits jetzt ein einträgliches Geschäft für die fortgeschrittenen Nationen und geschäftstüchtigen Klimaaktivisten ist. Nicht auszuschließen, dass die traditionelle Ökonomie sich ebenfalls der naturwissenschaftlichen Innovation bedient und diesen Wandel verzögert, etwa durch die Erschließung unbekannter Ölfelder oder neuer Techniken wie dem berüchtigten Fracking. Den einmal eingeläuteten Prozess der Transformation aber, für welchen gerade die Rahmenbedingungen geschaffen werden, wird das nicht aufhalten, weil er langfristig einzig die unerlässliche Rendite verspricht. In der Warenform war die Natur als Gebrauchswert immer schon aufgehoben, heute wird diese Einheit mehr denn je benötigt. Klimaschutz widerspricht der kapitalistischen Expansion nicht nur nicht, sondern liefert die Voraussetzung für die Produktion auf erweiterter Stufenleiter: die Entbindung des Prozesses von der fossilen Schranke.
Die grüne Partei übernimmt daher die Aufgabe der Sozialdemokratie des vergangenen Jahrhunderts, die falsche Gesellschaft durch richtige Reformen am Leben zu erhalten, nur das die Gefahr diesmal nicht von einer bestimmten Klasse droht, sondern von der ebenfalls deklassierten Natur. Als in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts schon einmal die Vernichtung der Welt drohte, hielt Benjamin den angepassten Progressiven seiner Zeit vor, den Begriff des Fortschritts von dem der Gesellschaft entkoppelt zu haben. Die Versöhnung der Menschheit sei sowohl Resultat als auch Voraussetzung für die harmonische Beziehung zu dem, was bislang stets der bloße Gegenstandsbereich des produktiven Zugriffs war. Benjamin richtete sich explizit gegen die Sozialdemokratie, die gerade erfolgreich darum bemüht war, die Grenze, die die kapitalistische Akkumulation am Proletariat fand, einzuebnen. Die organisierte Arbeiterbewegung benutze einen „Begriff der Natur, der sich auf unheilverkündende Art von dem der sozialistischen Utopien des Vormärz abhebt. Die Arbeit, wie sie nunmehr verstanden wird, läuft auf die Ausbeutung der Natur hinaus, welche man mit naiver Genugtuung der Ausbeutung des Proletariats gegenüberstellt“. Benjamins Gedanke war, dass der einseitige Fokus auf den Klassenantagonismus das Proletariat blind für die Totalität mache, in der es sich kämpfend befinde, aus welchem Grund die Natur aus den emanzipatorischen Überlegungen der Sozialdemokratie geradezu hinausfallen müsse. Genau in umgekehrter Weise fokussiert sich die grüne Bewegung heute auf die Befreiung der Natur, was nicht nur an schlechter Absicht liegt, sondern daran, dass ihr jeder Zugang zum kapitalistischen Gesamtzusammenhang fehlt. Oberflächlich sieht sie die Folgen des Klimawandels für die Ärmsten der Armen und wähnt sich deshalb sozial, verschleiert aber, dass die Interessen der Unterdrückten auch ohne die Erderwärmung im Widerspruch zu den herrschenden stehen. Was die Arbeiterklasse zu viel hatte, hat die grüne Bewegung zu wenig: die Ausrichtung auf den Antagonismus, in dem sich die Menschen untereinander befinden. Der sich gegen die Auslöschung der Menschheit stemmenden Fraktion (Extinction Rebellion) geht jedes Bewusstsein ab für die notwendige Vernichtung von Arbeitskraft und Menschenleben im Kapitalismus.
Ökofaschismus
Da die Grünen in ihrem Pragmatismus kaum theoretisch auftreten, ist es fraglich, ob die philosophische Kritik sie überhaupt trifft, die man von der Dialektik der Aufklärung aus an ihr üben müsste. Ihr Vorrang ist die Praxis und darum ist der Bewegung jener Begriff der Selbsterhaltung unproblematisch, den die kritische Theorie verdächtigte, in die Vernichtung zu führen. Hierfür stand Odysseus: Sein Überleben fällt der selbsterhaltenden List zum Opfer. Damit verdichtete sich in seiner Person das ganze Dilemma der kapitalistischen Produktion, in der das Überleben der Gattung immer nur das Epiphänomen der Wertverwertung ist, folglich derselben auch zum Opfer fallen kann. Weil sich in seiner Reflexion das survival of the fittest der rohen Natur verkörperte, ist Odysseus alles andere als ein Sympathieträger der Philosophie: „Soweit Verstand, der am Richtmaß der Selbsterhaltung groß wurde, ein Gesetz des Lebens wahrnimmt, ist es das des Stärkeren“ (Dialektik der Aufklärung). Deshalb lässt sich die bürgerliche ratio nicht vom imperialistischen Kampf ums Überleben trennen, den die Faschisten forcieren, aus welchem Grund letztere auch die Klimakatastrophe in Kauf nehmen können; sie gäbe keine schlechte Hintergrundmusik zum nächsten Weltkrieg ab. Zwar bezieht sich die Selbsterhaltung der Grünen ihrer Intention nach auf die gesamte Gattung, aber solche gut gemeinte Allgemeinheit ist nicht weniger zweifelhaft als die der bürgerlichen Gesellschaft: „In der Gesellschaft wie sie ist bleibt trotz der armseligen moralistischen Versuche, die Menschlichkeit als rationalstes Mittel zu propagieren, Selbsterhaltung frei von der als Mythos denunzierten Utopie“. Wie der bourgeoise Begriff der Menschheit, aus dessen partikularer Universalität der Faschismus seine Konsequenzen zog, schließt grüne Solidarität zwar keinen aus, trägt Früchte aber nur für wenige und ist daher logisch kaum zu differenzieren vom Nationalismus, der das explizit macht. Logisch befinden sich die Grünen nur scheinbar in einem Kulturkampf mit der AfD. Der offizielle ökologische Altruismus verdeckt nur schlecht, dass es auch bei ihm um das limitierte Interesse geht, und sei es auch das Interesse einer ganzen Generation. Die Unlust der streikenden Kinder, die Last des Klimawandels zu tragen, unterscheidet sich nicht von der bornierten Forderung, man müsse das solidarische Rentensystem abschaffen, da es die kommende Generation zugunsten der älteren benachteiligt. Durch ihren Begriff von Gesellschaft nehmen sie die Entrechteten und Unterdrückten aus ihrer Solidarität heraus, wie es die Nationalisten mit den Flüchtlingen tun. Die Tatsache, dass die grüne Partei anderswo das preußische, dreigliedrige Schulsystem verteidigt hat, ist die Konsequenz einer standesbewussten Politik, die die Bessergestellten repräsentiert, zu denen auch die Abiturienten der Bewegung in ein paar Jahren gehören. Das Bürgertum blickte auf das Proletariat herab, missbilligte aber auch die Dekadenz des Adels und ebenso ist die ökologische Bewegung demokratisch in der gleichberechtigten Verachtung für Junkfood und Porsche Cayenne. Ihre erpresserische Ethik ist tendenziös wie die bürgerliche Moral, die kein Mittel der Erkenntnis war, sondern eine Waffe im Kampf um die gesellschaftliche Macht.
Jede gemeinte Solidarität, auch die der freundlichen Grünen, ist schlechter Schein, solange ihr ein Begriff davon fehlt, wie derzeit Reichtum produziert wird. Ohne ihn ist auch kein anderer Begriff von Reichtum zu denken, der die Grenzen verlassen würde, die ihm derzeit durch die Warenproduktion gesetzt sind. Alle noch so bunt gemalten Zukunftsvisionen sind daher blind, falls sie nicht durch und gegen die Bedingungen vermittelt sind, die derzeit herrschen. Andersherum wirkt das Glücksversprechen eines Walter Benjamin auf diejenigen anstößig, die dem herrschenden Paradigma verhaftet bleiben. Was er seiner Kritik am Positivismus der Sozialdemokratie folgen lässt, kann nur Beklemmung und Unverständnis bei der heutigen Bewegung hervorrufen. Es birgt in sich die Utopie einer anderen Welt. Gegen den schlechten Utopismus muss Wert auf die materialistische Form gelegt werden, dass Benjamin nämlich nicht über die Zukunft phantasierte, sondern rückblickend einen Traum zitierte, der in einer Generation vor ihm existierte, nämlich bei Fourier: „Nach Fourier sollte die wohlbeschaffene gesellschaftliche Arbeit zur Folge haben, daß vier Monde die irdische Nacht erleuchteten, daß das Eis sich von den Polen zurückziehen, dass das Meerwasser nicht mehr salzig schmecke und die Raubtiere in den Dienst der Menschen träten.“ In den ökologischen Konzeptionen der Gegenwart erscheint die Natur nur als die objektive Grenze, die einen bestimmten Grad von Erderwärmung nicht zulässt, ohne katastrophale Konsequenzen. Von Gesellschaft versteht man so viel, dass sie CO2 ausstößt und von Natur, dass ihr Klima dasselbe nicht verträgt. Konnte Benjamin gegen Dietzgen noch die Einheit von Natur und Arbeit voraussetzen, dabei die „alte protestantische Werkmoral“ im Begriff der letzteren kritisieren und auf die Folgen für deren Objekt hinweisen, ist dieser Zusammenhang im Postmarxismus theoretisch durchtrennt, so sehr er praktisch die fatalen Folgen zeitigt, vor denen Benjamin warnte. Seine dem heutigen Zeitgeist so fremde Forderung, die Pole müssten schmelzen, entfaltet ihren Sinn erst, wenn Natur nicht bloß als zu besänftigende Drohung begriffen wird, die durch Begrenzung und Verzicht gezähmt werden muss, sondern als ein Potenzial, das sich gemeinsam mit der Menschheit entfalten kann. Deshalb ist an der Forderung nach einem wesentlichen Eingriff in die Natur der Natur festzuhalten. Weder Eindämmung noch Entwicklung der Produktivkräfte führen zu Fortschritt, sondern die gesellschaftliche Reflexion auf die Beziehung der letzteren zu den Produktionsverhältnissen, die selber eine Produktivkraft sind. So vermittelt braucht sich der Materialismus seiner Erdverbundenheit nicht zu schämen. Die Natur ist der Springquell allen Reichtums, der aber nur geschöpft werden kann durch die ihm entsprechende Form kollektiver Tätigkeit: „Das alles illustriert eine Arbeit, die, weit entfernt die Natur auszubeuten, von den Schöpfungen sie zu entbinden imstande ist, die als mögliche in ihrem Schoße schlummern.“
Wir haben diese Erde nicht von unseren Kindern geerbt
Zu den impotenten Standardreaktionen auf den Faschismus gehört die Verwunderung über die Unzeitgemäßheit des Phänomens, wozu es in den Geschichtsthesen heißt: „Das Staunen darüber, daß die Dinge, die wir erleben, im zwanzigsten Jahrhundert ,noch´ möglich sind, ist kein philosophisches“. Benjamins Beobachtung richtet sich gegen jenen Antifaschismus des guten Tons, der sich nur aus Standesdünkel von den wilden Horden unterschieden sehen will und daher dieselben als Ewiggestrige denunziert, so als wären diese bloß aus der Zeit gefallen wie die Unmodischen; keinesfalls aber Ausdruck dessen, was bisher Geschichte war und ist. Dieselben Leute, die „im Namen des Fortschritts als einer historischen Norm“ gegen den Faschismus zu sein meinen, brüsten sich im positiven Sinne damit, jener Norm zu entsprechen. Ihre sich dem Lauf der Geschichte einordnende Geisteshaltung ist qua Form verdächtig, unabhängig davon, welchem Inhalt sie sich zufälligerweise fügt. Als dem Begriff nach Angepasste entsprechen sie einem wesentlichen Zug des autoritären Charakters. Aber Benjamin war nicht schadenfroh. Weil seine Kritik den Umständen galt und nicht den Subjekten, die sie hervorbringen und von ihnen hervorgebracht werden, unterließ er die direkte Denunziation der Sozialdemokraten. Ihre Verwandtschaft mit dem Faschismus interessierte ihn als Gesetz. Er kritisierte folglich das allgemeine Einverständnis mit dem historischen Bewegungsgesetz, an dessen Spitze sich die ehemals marginalisierte Bewegung inzwischen zurecht verortete: „Es gibt nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat wie die Meinung ‚sie‘ schwimme mit dem Strom“. Benjamins Kritik des bloß Zeitgemäßen wirft einen Schatten auf alle politischen Strömungen, die sich heute darin überschlagen, ihre Fortschrittlichkeit auszustellen und das Gesetz zu verwirklichen, statt ihm Einhalt zu gebieten. Kämpfen die Kinder heute für die Zukunft und heißt es auf den T-Shirts wohl korrekterweise The Future is Female, ist das kritisch zu verstehen und spricht sowohl gegen Kinder, als auch gegen Frauen und am meisten gegen die Zukunft.
An der Zukunft stellte Benjamin fest, wie in einer Spielweise des naturalistischen Fehlschlusses die herrschende Tendenz zum moralischen Gesetz erhoben wird. Aus der bloßen Beobachtung, dass die industrielle Produktionsweise sich durchsetzte, wurde die ethische Gültigkeit dieses Prozesses: „Die technische Entwicklung galt ihr [der Sozialdemokratie] als das Gefälle des Stroms, mit dem sie zu schwimmen meinte. Von da an war es nur ein Schritt zu der Illusion, die Fabrikarbeit, die im Zuge des technischen Fortschritts gelegen sei, stelle eine politische Leistung dar“. Dasselbe wäre über die ökologische Transformation zu sagen, der sich die Subjekte heute fügen, weil sie an der Zeit ist. Ihre Thesen sind allein schon darum zu kritisieren, weil postindustrielle Produktionsweisen heute allerorten aus dem Boden sprießen wie seinerzeit die Fabriken. Ein Sturm weht vom Paradies her, der das Menschengeschlecht unaufhaltsam in die Zukunft treibt, was keine Erlösung verspricht, sondern bloß, dass sich der Trümmerhaufen der Geschichte vergrößert. So wie Adorno das hegelsche System gerade in seinem Aberwitz auch affirmierte, ist die Klimakatastrophe als Erkenntnisgrund des Bestehenden auch zu affirmieren und hätte eine wahre politische Bewegung ihre Aufgabe daran, zu erkennen, warum „alles, was besteht, verdient, daß es zugrunde geht“ (Adorno). In diesem Sinne ging Benjamins Ansinnen darauf, in der künftigen Katastrophe die gegenwärtige zu erkennen; deshalb wollte er der revolutionären Bewegung die Zukunft austreiben. Die Erlösung liegt darin, den Blick demütig von ihr abzuwenden und der Vergangenheit einzugedenken: Der Engel der Geschichte schaut zurück, die politische Bewegung darf ihn nicht anstarren. Heilslehre im Materialismus kann nur bedeuten, dieselbe sein zu lassen, also nicht „der Zukunft nachzuforschen“. Nichts ist daher weniger revolutionär als die grüne Bewegung, die einen Kult um die Zukunft betreibt. Deren Verrat vorausschauend kritisierte Benjamin die Sozialdemokratie, weil sie sich damit begnügte, „der Arbeiterklasse die Rolle einer Erlöserin künftiger Generationen zuzuspielen. Sie durchschnitt ihr damit die Sehne der besten Kraft“. Denn das materialistische Subjekt der Erkenntnis, die kämpfende Klasse, entwickelt sich am Schicksal derjenigen, die der Gesellschaft zum Opfer gefallen sind, in ihnen ist mehr Potenzial enthalten als in allen kraftstrotzenden Visionen vom Künftigen. Walter Benjamin zu gedenken, der von den Faschisten in den Selbstmord getrieben wurde, und seinen Geist in uns zu erhalten, ist daher unendlich progressiver als sich mit dem Klima der Zukunft zu beschäftigen. Vergangenheitsvergessenheit wird hingen immer opportunistisch sein: „Die Klasse verlernt[e] in dieser Schule gleich sehr den Haß wie den Opferwillen. Denn beide nähren sich an dem Bild der geknechteten Vorfahren, nicht am Ideal der befreiten Enkel.“
im September 2019
antifa-c