Karl Rauschenbach
„Warum wir eure Nächte in Brand stecken.“
„Die meisten Menschen werden, wenn sie am Ende zurückblicken, verwundert sein, daß das, was sie so ungeachtet und ungenossen vorübergehen ließen, ihr Leben war, eben das war, in dessen Erwartung sie lebten. Und so ist denn der Lebenslauf des Menschen in der Regel dieser, daß er, von Hoffnung genarrt, dem Tode in die Arme tanzt.“ (Arthur Schopenhauer)
Schon der Gedanke an eine Verschwörung gegen die kapitalistische Demokratie wird zensiert. Alle klammern sich an das Leben, wie es bislang war. Es gibt Depression, aber kein Aufbegehren, dabei war das Leben bislang auch nicht gut, und die Zukunft verheißt nichts Gutes. Es versteht sich, dass diese Zensur in den seltensten Fällen den direkten Eingriff von Repression braucht. Sie wird vielmehr schon durch das Überich besorgt, welches das Triebleben im Griff behält, in ständiger Sorge, selbst noch die traumlose Zukunft zu verlieren, die man sich ausmalt.
Dabei scheint die Welt um uns herum einmal mehr ihre Unschuld zu verlieren, die sie zumindest in den Metropolen in Friedenszeiten behaupten konnte. Oder man bekommt einfach mehr davon durch das Internet gefunkt. Jedenfalls brannte Paris und Athen. Berlin trinkt Bier, wie immer. Oder noch schlimmer: Sie hören damit auf. Dann brennt es in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien. Alle sind mystifiziert. Arabischer Frühling. Es gibt Debatten, alle reden von Occupy. In London wurde dazu noch geplündert. Alle verschweigen das lieber. Istanbul ist an der Reihe. Jedes Land braucht scheinbar einen Riot. Und jetzt neuerdings gibt es auch in der Ukraine Kuddelmuddel und in Bosnien. Es gibt in all diesen Krisen manchmal Fraktionen, die sich mit den Mächten der alten Welt messen können und wollen, und wenn sie von einer der Groß- oder Kleinmächte unterstützt werden, können sie sogar gewinnen und neues Unheil stiften: Muslimbrüder, Milizen, Djihad, der Rechte Sektor Nur gehört keine organisierte Fraktion dazu, auf die man sich ansatzweise berufen, für deren Unterstützung man werben oder der man sich sogar anschließen könnte. Viele rationalisieren hiermit sogar ihren Konservatismus, indem sie dem Normalvollzug des Kapitalismus viel Glück wünschen, da es ansonsten immer nur schlimmer werden könne. In Deutschland geht diese Ausflucht recht gut.
Mit dem Alter wird es allgemein schwerer, seiner einmal durchaus radikal gefühlten Opposition Ausdruck zu verleihen. Der Praktizismus nutzt sich ab, die Theorie verkommt zur Ausrede, und das Übrige bewirkt das Leben selbst: Beruf, Familie, Hartz IV, relative Vereinsamung oder was auch immer das Leben bereit hält, wenn es ernster wird. Das negative Wesen ist dann noch eine Weile lang edel, will aber partout nicht in Erscheinung treten. Schließlich stirbt es ab, und vorbei ist es mit der Negativität der Jugend. Naiv war diese immer. Übrig bleiben neue Schrullen, Neurosen oder wie man diese Verknöcherungen der bürgerlichen Erwachsenen nennen mag. In jeden Fall wird es deutlich langweiliger.
Immerhin gab es in letzter Zeit einige unangemeldete Demonstrationen in Berlin. Und in Hamburg ist im Januar sogar ein Gefahrengebiet ausgerufen worden: Zu viele Autonome auf einer Demo und dazu ein nächtlicher Angriff auf die Polizei, sagt die Polizei. Schon beeilen sich alle, die Demonstration als friedlich, den Angriff als nicht existent darzustellen, es gebe keine Gefahr, wozu also ein Gefahrengebiet. Demokratische Logik. Aber es gab ja bereits Angriffe auf Polizeiwachen, nicht nur in Griechenland, auch in Deutschland, und so ganz unschuldig ist ein schwarzer Block nie, selbst wenn er mehr so ein Schildkrötenpanzer ist und defensiv eingesetzt wird. Und wenn einer ins Gefängnis kommt, fühlt er sich trotzdem zu Unrecht eingesperrt, alles sei nur als Abenteuer geplant gewesen, und das bißchen Vermummung und Barrikade seien halb so ernst gemeint gewesen.
Die Polizei sieht das manchmal anders, nämlich realistischer. Mitgegangen, mitgefangen. Anderderswo, in Griechenland, gab es einen Banküberfall, Festnahmen und Solitresen + Infovortrag von griechischen Exilanten in Berlin. Ein Kerl, Tasos Theofilou, bekommt 25 Jahre, war aber nicht dabei, sagt die Sprecherin. Auch sei er keineswegs ein Nihilist, sondern anarchistischer Kommunist und mithin respektabel. Stimmt vielleicht, und ärgerlicherweise ist ein Aktivbürger beim Banküberfall umgekommen – in so einem Fall ist man wohl lieber unschuldig. Aber irgendwie hätten viele lieber einem Schuldigen ihre Solidarität zugeprostet. Andererseits war die Stimmung eher klamm, und 25 Jahre sind nicht wenig. Schuldig oder nicht.
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Lange Vorrede, kurzer Sinn, die Leute von der Verschwörung der Feuerzellen sind immerhin schuldig, und sie bekennen sich auch dazu. Kein Anwalt kann mit ihnen zusammenarbeiten, und sie fordern keine Solidarität, außer der aktiven Teilnahme an ihren Scharmützeln. Hier regiert der revolutionäre Voluntarismus, also das, was dem Rest der imaginären Opposition fehlt. Hier hat man den Bruch mit der Gesellschaft effektiv vollzogen, und ungeachtet der eher schwachen Wirkung ihrer Aktionen, bezahlen viele nun ihren Eifer mit lebenslanger Haft, sollte sich nichts am Weltlauf dieser Region ändern. „Die letzten Augenblicke, die wir noch zu leben haben, nehmt sie als Opfer.“ Und dadurch, dass sie schuldig sind, gewinnen ihre Worte. Sie meinen es ernst, und entsprechend klar ist ihr Blick auf die griechische Realität.
Man muß dazu sagen, dass Stadtguerillagruppen in Griechenland keine Seltenheit sind, und auch heute operieren unterschiedliche Gruppen auf dieser Ebene. Die Verschwörung der Feuerzellen hat dabei allerdings ideologisch mit dem Dogma gebrochen, die Aktionen seien dazu da, dem Volke zu dienen, es etwa aus seinem Schlummer aufzuwecken, dass es endlich revolutionär würde. Darin, und weniger in ihren konkreten Aktionen, ist diese Verschwörung originell. Man hat es mit Nihilisten zu tun, die mit den falschen Genüssen der Demokratie längst abgeschlossen haben und für ihre individuelle Negativität keine Krise der politischen Ökonomie brauchen und auch nicht die Projektion ihrer Hoffnungen auf die gegen diese Krise hilflos Protestierenden. Das ganze Durcheinander interessiert sie nur unter dem Gesichtspunkt, wie man Risse im Gefüge erzeugen und vertiefen kann, so dass vielleicht interessantere Polarisierungen entstehen. Im Herzen auf der Suche nach Revolution sind sie sensibel für alles, was ihr entgegensteht, und das ist vielleicht der tiefere Grund für ihre relative Nüchternheit: Indem sie ihre Angriffe auf einige Symbole und Charaktermasken der Herrschaft nicht mit einem imaginären Volkswillen rationalisieren, vielmehr die Verantwortung für ihre Worte und Taten nur aus sich selbst ziehen, können sie erkennen, dass eine vernünftige Revolution momentan vom ganzen Gesellschaftskörper verhindert wird.
So sehen sie wenig Sinn im Jammern der Kleinbürgern, die ihr altes Leben zurück wollen. Dafür sehen sie, dass viele derselben zuvor von der billig zu habenden Arbeit der Einwanderer profitierten, im Rahmen des griechischen Traums. Sie mißtrauen der Masse im Allgemeinen, mit ihren Fahnen bei der Fußballweltmeisterschaft, aber auch der Masse der Arbeiter mit ihren ritualisierten Generalstreiks oder den diffusen Lokalstreiks. Kindergärtner gegen Eltern, Busfahrer gegen Busfahrende, Fährenarbeiter gegen Hotelarbeiter. Dazu die ganzen Facetten des linken politischen Zirkus, Anarchisten, Kommunisten, eine buntscheckige Linkspartei etc. Das System müsse sich modernisieren, tendiere zur Diktatur. Wiederkehrende Polizeirazzien. Diejenigen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung werden in Lager gesteckt. So sieht die Gastfreundschaft des obersten Gottes aus: Zeus Xenios. Dazu die Goldene Morgenröte, die faschistischen Pogrome, der verbreitete Rassismus.
All das wird in den Texten der Feuerzellen relativ nüchtern erwähnt, immer mit Bedacht darauf, den Leuten ihre Illusionen zu nehmen, selbst ihre antifaschistischen. „Wir sind momentan draußen“, schreiben sie. Und weiter: „Ganz sicher sind wir weder im konservativen Abwasserkanal der Faschisten, noch auf Seite der Sozialforderungen und -gesuche. Unsere minoritäre Aktion hat den Krieg bereits vor einiger Zeit erklärt, ohne für bessere Löhne oder bessere Renten zu kämpfen.“ Bei allen formulierten kollektiven Bedürfnissen sind diese Zellen auf den Individualismus zurückgeworfen worden. Sie zitieren selten Marx, dafür Nietzsche und Schopenhauer, sie hassen die Lohnarbeit und das Geld, aber Kapitalanalyse ist nicht ihre Sache. Überhaupt keine Theorie, schon gar keine Soziologie. Stattdessen sollen ihre Analysen als „Mittel zur Streuung einer revolutionären Wahrnehmung dienen“ und auf „die praktische Etablierung kollektiven Widerstands gegen jede Autorität“ zielen. Ausgehend von der eigenen minoritären Situation, dabei die zeitweise aufbrechenden Instabilitäten nutzend, niemals sich irgendwem anbiedernd und immer skeptisch. Manchmal selbst dem eigenen Aktionismus gegenüber. Oder wie eine Zelle dieser Verschwörung schon ganz am Anfang melancholisch und kontrafaktisch zu ihrer Aktion schrieb: „Die Banken können niedergebrannt, die Bullen können geschlagen werden, die Chefs gekidnappt… Aber wie können wir diesen Konsens angreifen?“ Gemeint ist der Konsens der Beherrschten, den sie als stärkeren Verbündeten der Herrschaft wahrnehmen als noch die hochgerüstete Polizei.
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Im großen Scherbenhaufen linker bis radikaler Sekten entspringen diese Zellen dem Anarchismus, dieser letzten Bastion der progressiven Ideologien. Mit dessen Milieu verbindet sie eine Art Haßliebe. Jedenfalls hingen einige ihrer Illusionen an diesem Spektrum. Tatsächlich ist das anarchistische Spektrum in Griechenland nur ein Witz, und alleine die Tatsache, dass es überall sonst ein noch schlimmerer Witz ist, erzeugt einige Mystifikationen über die griechische Szene unter hiesigen Aktivisten. Im Wesentlichen klingt die Beschreibung der griechischen Szene durch eine Feuerzelle wie eine Beschreibung der deutschen Situation: „Im Innenleben von allerlei Gruppen übernimmt die Mehrheit der Teilhabenden keine Verantwortung, und das Vorherrschen dieser Kultur der Desorganisation bereitet allerlei Führern den Boden, die sich von der allgemeinen Inaktivität nur durch Schmus abheben. Zudem wird nach außen keine Arbeit entfaltet, es findet keine wesentliche Entwicklung statt. Nebenbei ähneln die berühmten Amphitheater, in denen die meisten anarchistischen Versammlungen stattfinden, eher einem dekadenten Parlament mit langweiligen Rednern als der Welt, von der wir träumen.“ Und dergestalt depotenziert können sie natürlich keinen wirklichen Kontakt mit auch nur Teilen der Bevölkerung aufnehmen, die sich ihrerseits hoffnungslos in die je eigenen Widersprüche verstrickt. Die eigene Desorganisation zu übertünchen, „phantasieren Sozialanarchisten in Griechenland über malerische Szenarios und reden von einem Erwachen der Gesellschaft und einer magischen Zeit, sobald die objektiven Bedingungen gekommen sind. Aber jeder, der mit Hoffnungen schläft, wacht mit Alpträumen auf.“ Jalla jalla! – und prompt übernehmen erst die Muslimbrüder und dann General Sissi die Macht in Ägypten.
Einmal den Umstand zugelassen, dass auch die Beherrschten die Struktur der Macht in jeder Facette akzeptieren oder reproduzieren, gibt es keinen Platz mehr für solche Träumereien, es sei „absurd, zu glauben, dass eine Änderung in der Welt, eine Weltrevolution einfach so möglich ist“. Lächerlich sei es, irgendwelchen protestierenden Massen „Beifall zu klatschen, wenn sie randalieren, nur, weil es sich um eine große Zahl an Menschen handelt (Fetischismus der bloßen Quantität)“ oder sich ihrer verarmten Sprache anzupassen, „etwa, wenn Anarchisten gegen Lohnkürzungen und die Entlassung von Arbeitern protestieren“. Stattdessen müsse man „schwerwiegende Geschehnisse herbeiführen, die den normalen Ablauf unseres Lebens unterbrechen und in das persönliche Leben der Bürger eindringen, so dass diese zum Zuhören gezwungen sind.“ Für solche Experimente bereite die gegenwärtige wirtschaftliche Talfahrt Griechenlands einen guten Boden, vor diesem Hintergrund könnten solche Verwerfungen interessant sein. Ansonsten glauben diese Nihilisten „ohnehin, dass die erwähnten instabilen Umstände nur manchmal existieren und dann wieder nicht, dass sich die Bedingungen manchmal verschärfen und manchmal einfach auf vielerlei Weise entschärfen, ohne dass es sichtbare Ergebnisse gegeben hätte.“
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Soviel also zu dieser in der verallgemeinerten Hoffnungslosigkeit bemerkenswerten Gruppierung. Im Grunde nur eine Periode im spezifischen Elend Griechenlands und voraussichtlich jetzt schon wieder vorbei und zwar „ohne dass es sichtbare Ergebnisse gegeben hätte.“ Im Grunde scheint überhaupt die kurze Blüte des Anarchismus oder allgemeiner des Aktivismus ein wenig über ihre Zeit hinaus – wie auch die organisierten Proteste gegen die verschiedenen Gipfel der politischen Elite Geschichte sind und man nun es eher mit konfusen Protesten unzufriedener Bürger oder jammernder Arbeiter zu tun hat, ohne dass dort diese letzte Ideologie der alten Welt besonders verfangen würde. Folglich fechten es momentan andere Kräfte miteinander aus…
Karl Rauschenbach