benrd Volkert
Guy Debord – Ausgewählte Briefe 1957-1994
Aus dem Französischen von Bernadette Grubner, Roman Kuhn, Birgit Lulay, Christoph Plutte. Edition Tiamat, Berlin 2011, 336 Seiten, 28 Euro
Kurz bevor er sich 1994 mit 62 Jahren das Leben nahm, zog Guy Debord anläßlich der bei ihm diagnostizierten „Alkohol-Polyneuritis“ ein letztes Fazit: „Es ist das Gegenteil von der Art Krankheit, die man sich durch eine bedauerliche Unvorsichtigkeit zuziehen kann. Dazu bedarf es im Gegenteil des getreuen Eigensinns eines ganzen Lebens.“ Dies ist auch der letzte Satz in den nun erschienenen Ausgewählten Briefen – und er ist gut gewählt: Faßt er doch einen Eindruck, den man am Ende des Buchs gewonnen hat, angemessen zusammen: Da ist ein Mensch, der jeden Moment dazu verwenden wollte, „das echte Problem von Kultur und Leben“ zu lösen: „praktischer Umsturz des Ganzen oder nichts“, wie er es 1960 ungewöhnlich kategorisch ausdrückte.
Bekanntlich war auch Debord mit diesem Ansinnen nicht erfolgreich. Dennoch enthalten die Briefe etliches von Wert, will man dieses Ziel weiter mit ähnlichem Eigensinn verfolgen. So gewähren sie eine Nahaufnahme der Versuche – und Tücken – eines subversiven Zusammenschlusses jenseits von Partei, Gewerkschaft und sonstigen Institutionen. Die Intensität, mit der der französische Autor dies anstrebte, läßt sich schon daran erkennen, daß er 1974 das Interesse an der von ihm mitbegründeten Situationistischen Internationale – gerade mal zwei Jahre vorher aufgelöst – als nur mehr „archäologisch“ bezeichnet. Er war schon wieder ganz woanders und mit ganz anderen Menschen in Verbindung.
Aus dieser Rastlosigkeit, die Debord unablässig neue Fronten suchen ließ, resultiert ein weiterer Vorzug der Auswahl, die sich nicht auf Einzelmomente wie den Pariser Mai 1968 konzentriert, sondern über drei Jahrzehnte eines tätigen Lebens abzubilden sucht: Die Briefe werfen auf längst vergessene Auseinandersetzungen Schlaglichter, die auch heute erhellend sind. Beispielsweise im Hinblick auf die Wellen der „Demokratisierung“, die man derzeit allerorten entdeckt, das kühle Urteil zur – scheiternden – portugiesischen Revolution von 1974: „Die Modernisierung, die Portugal anstrebt, ist anderswo schon ein Archaismus.“
Ein Archaismus wie Debord selbst in seinen gern ignorierten, im Briefband aber gut dokumentierten späten Jahren: „Da ich alles, was ich zu sagen hatte, gesagt habe“, schrieb er 1988, wolle er sein letztes Werk, Panegyrikus, von vornherein nicht für die Zeitgenossen, sondern als „Klassiker“ verfassen – für verständige Leser in einer imaginären Zukunft.