Lilly Lent
Liegen bleiben
Überbewertet: der Moment des Aufstands. Grund für eine fällige Abwertung ist nicht, dass dem Aufstand meist die Niederschlagung folgt. Sondern: Wenn Leute sich erheben, was wollen sie dann tun? Es gibt – neben vernünftigen, belanglosen und ehrenwerten – auch miserable Anlässe aufzustehen. Zur Arbeit fahren zu müssen ist nur einer davon.
Zugegeben: Ich bin da nicht wirklich kompetent. Ich muss zwar früh aufstehen und hasse das wie die Pest, verfüge aber über keine relevante Aufstandserfahrung. Zwar habe ich eine beglückende Erinnerung an unsere Rebellion in der Garderobe des evangelischen Kindergartens. Wir skandierten: „Wir protestieren, auf allen vieren!“ – Und das war auch ganz richtig, viele von uns waren ja noch eher im Krabbelalter. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir keine radikalen Forderungen gestellt und Fräulein Sitzler hat uns mit Bonbons beruhigt. Später, bei einem Unistreik, gab es weitaus verächtlichere Reaktionen, z.B. auf die Besetzung der Räume KL 23/17 bis KL 31/11 und zwar von Seiten des Mittelbaus: „Hoho, die Bürgertöchterchen proben den Aufstand!“. Das fand ich ein wenig kränkend; auch wenn ich mich durchaus nicht für eine revolutionäre Kämpferin gehalten hatte. Ich hatte die Aufgabe, eben diese Mittelbauler davon abzuhalten, sich in ihre Büros zu schleichen, um an ihren ebenso wenig weltbewegenden Dissertationen zu schreiben. Warum spielten sie nicht einfach mit?
Wie soll man aber auch in einer durch und durch befriedeten Gesellschaft in Berührung mit Aufständen kommen? Unter GenossInnen gaukelt einem die Lektüre von Berichten aus anderen Ländern zwar regelmäßig vor, dass man fast schon international organisiert sei. Und es tut wohl, von der Wut anderer zu lesen. Dadurch wird aber nicht klarer, was man selbst Aufständisches tun könnte. Wie viele andere habe ich mich lange Zeit damit befasst, anderen den Aufstand zu empfehlen. Als Studentin meinte ich, die Lohnarbeiter hätten doch allen Grund dazu. Allein das frühe Aufstehen! Als Lohnarbeiterin erhoffte ich mir dann eine Zeitlang einen Aufstand von Prekären. Ich selbst war viel zu müde dazu. Von wem könnten ihn Prekäre erwarten? Von Hartz-IV-Empfängern? Diese wiederum vermutlich von den Lohnabhängigen: Die stehen eh so früh auf, da können sie doch auch mal was Vernünftiges machen? Damit wären alle gesellschaftlich relevanten Gruppen irgendwie beteiligt. Wie zu erwarten, führte das zu keinem Aufstand, und ich stehe immer noch früh auf.
Immerhin: Die Enttäuschung darüber, dass die anderen nicht mal mitspielen, gibt es in politischen Zusammenhängen nicht. Auch die Polizei nimmt ihren Part ernst. Ich hatte nie militante Ambitionen und schloss mich bei Demonstrationen stets dem Hasenfußblock an. Dennoch konnte man sich am späten Abend seine Hautabschürfungen zeigen und bei einem Bier redlich erschöpft die Strategie der Bullen diskutieren. Man wusste natürlich von Anfang an, dass man am kürzeren Hebel ist, hatte aber trotzdem weitergemacht und war damit auch ganz zufrieden. Das änderte sich, als ich wieder damit anfing, Flugblätter zu lesen. Herrje – immer noch Völker vom Aggressor befreien oder ihnen zumindest gut zuhören? Oder keine Ahnung weshalb, aber irgendwie super wütend? Es hört sich vielleicht sehr einfach an, aber da empfehle ich nun, sich ins Bett zu legen und ein bisschen fernzusehen. Es gibt da so interessante Sendungen.