Das Elend im Studentenmilieu
Die dritte Classe wird von den speculativen Köpfen eingenommen, die einen beträchtlichen Theil des menschlichen Geschlechts ausmachen, von jenem Grammatiker an, welcher ausrechnete, wie oft ein jeder Buchstabe im Homer vorkommt, bis zu jenem Fakir, der sich bemüht, über den tiefsinnigsten Betrachtungen des Nichts, als des Ursprungs aller Dinge, selbst zu Nichts zu werden. diese Leute scheinen nur Zuschauer dieser Welt zu seyn, sie gaffen sie an, als ob sie weiter keine Verbindung mit ihr hätten; und zu allem Unglück verschwenden die meisten ihre Aufmerksamkeit nur auf das, was ein weiser Mann kaum eines flüchtigen Anblicks werth hält.
Diese Classe theilt sich, gleich den vorigen, in viele besondere Gattungen ein. Einige, denen die Erde zu klein vorkommt (denn sie ist ja nur ein Sonnenstaub gegen das ganze Himmelssystem), haben sich gänzlich dem Himmel gewidmet, ob sie gleich an demselben fast nichts als Unordnung und Abweichungen von ihren Regeln sehen, welche sie sich bestmöglich aufzulösen bestreben. Man könnte glauben, sie besorgten von den Sphären Feuer zur Erweckung und Nährung der Andacht und der Richtung der Seele gegen das Ewige; sie gewöhnten sich an eine höhere und reinere Denkart, als die anderen Sterblichen, und an ein lebhafteres Gefühl der hohen Bestimmung der menschlichen Natur. Aber das ist es nicht. Sie rechnen nur aus, in was für einer Art von Linien sich die Planeten um die Sonne herumdrehen, oder wie weit der Hundsstern von der Erde absteht. — Andere nicht so hoch fliegende Geister begnügen sich demüthig an der Contemplation der Sommervögel und aller Arten von Ungeziefer; sie wissen ihre Zahl und nennen sie mit Namen. Andere kriechen unter dem Schutt der Ruinen herum, sie verstehen sich auf Sprachen, die verloren gegangen sind, und erklären die geheimnißvollen Figuren auf dem Tisch der Isis. Andere zerquälen sich, den ganzen Umfang der Sittenlehre aus einem einzigen Grundsatz zu demonstrieren; Andere Beweisen die Unsterblichkeit der Seele aus der Vernunft; Einige erfinden neue Lehrgebäude, um Anderen die Mühe zu machen, sie wieder umzuwerfen. Einige speculieren so lange, bis sie an Allem, was ist, zu zweifeln anfangen; Andere beweisen durch eine lange Reihe von Schlüssen, daß es Mittag ist, wenn uns die Sonne auf dem Wirbel brennt. Viele verbrauchen ihr Leben mit der Bemühung, alle Meinungen, Erfindungen, Träume und Wahrheiten, Gutes und Böses aller anderen Scribenten zusammenzulesen, ohne darauf zu sinnen, was sie mit diesem Schatz anfangen wollen. ——— Der größte Theil dieser wunderlichen Leute ermüdet sich in Kleinigkeiten, und die Wenigen, die sich mit wichtigern Dingen beschäftigen, haben das Unglück, die Wahrheit für einen bloßen Gegenstand der Betrachtung zu halten, für ein Ding, das, wie der Baum des Erkenntnisses, lieblich zum Anschauen ist. Sie gleichen den Hütern der schönen Sklavinnen eines Sultans, welche zwar die Erlaubnis zu sehen, aber nicht das Recht zu genießen haben, oder den bezauberten Drachen in den alten Romanen, die in unterirdischen Höhlen große Schätze bewachen, deren Werth oder Gebrauch ihnen unbekannt ist.
CHRISTOPH MARTIN WIELAND