Der Zuschauer
Typologie der verschiedenen ökonomischen, politischen,
psychologischen, sexuellen und besonders intellektuellen Rollen,
unter denen die Kontemplativität des Zuschauers personam aufzutreten pflegt sowie über einige Mittel, ihnen abzuhelfen
I. Die vollendete Trennung. Die generalisierte Passivität. Der Weg der Bildung. Die Vollendung der Trennung erkennen heißt die Zersplitterung der Allgemeinheit denken.
Die vollendete Trennung
Die Produktionsbeziehungen und die Produktivkräfte haben einen Punkt radikaler Unvereinbarkeit erreicht, denn das bestehende Gesellschaftssystem hat sein Schicksal mit der Fortsetzung einer buchstäblich unerträglichen Verschlechterung aller Lebensbedingungen verknüpft: „Es ist also jetzt so weit gekommen, daß die Individuen sich die vorhandene Totalität von Produktivkräften aneignen müssen, nicht nur, um zu ihrer Selbstbestätigung zu kommen, sondern schon überhaupt, um ihre Existenz sicherzustellen.“ (Marx, Dt. Ideologie)
Genau diese Aneignung der Produktionsmittel bleibt jedoch aus. Die Individuen verharren in generalisierter Passivität und zittern in ihren Rollen wie Kaninchen in einem Bau. Aber im Unterschied zum Kaninchenbau bieten ihre Rollen nurmehr einen trügerischen Schutz: Im faulenden Spätkapitalismus verfaulen auch die Formen, unter denen die passiven Individuen als Typen verfaßt sind. Wo in der Epoche des Hochkapitalismus manchmal hinter den Charaktermasken das Menschliche hervorlugte, mithin das bürgerliche Individuum in seiner Rolle nicht ganz aufging, ist es heute so, daß das nachbürgerliche Individuum die Angst, mit seinem Arbeitsplatz auch das letzte ihm noch verbliebene Quentchen Leben zu verlieren, mit der totalen Bereitschaft beantwortet, jede auch nur denkbare Rolle anzunehmen, welche ihm die Herrschenden gerade anzubieten scheinen. Nie war die Trennung der Individuen – nicht nur voneinander, sondern auch von ihren restlos unglaubhaft gewordenen Rollen – offenkundiger als jetzt, wo sie schon nicht einmal mehr Anstalten treffen, ihre Monadenhaftigkeit vor anderen und sich selbst zu verstecken. In dem Moment, in dem die Trennung der Einzelnen total gemacht und also vollendet wird, entgrenzen sich die verschiedenen Rollen/ Typen und zerfließen in einem typistischen Brei.
Die generalisierte Passivität
Aber doch ist es dabei geblieben, daß die Inszenierung der Verdinglichung und Entfremdung als Spektakel innerhalb des Spätkapitalismus jedem eine – „seine“ – Rolle in der generalisierten Passivität aufzwingt. Niemand entgeht diesem Gesetz. „Wer stets nur zuschaut, um die Fortsetzung nicht zu versäumen, der wird nie handeln: und genauso hat der Zuschauer zu sein.“ Der Typus des Ich-Schwachen, den sich die total gewordenen Verhältnisse als perfekten Zuschauer ihrer Konzentrationsbewegung herangezogen haben, ist zwar unfähig zur Erfahrung, weil eine jede seine allzu brüchige Subjektivität im Innersten erzittern läßt. Dennoch weiß er, daß er wie jeder um sein Leben betrogen wird: und deswegen ist seine Langeweile mit Angst perforiert. Aber es ist ihm unmöglich, seine existenzielle Bedrohung auf den Begriff zu bringen, denn das würde das Verlassen seiner Zuschauerposition voraussetzen – die Misere auf den Begriff zu bringen wäre bereits dieses Verlassen. Das ist aber verbunden mit Schmerzen, den Schmerzen der Selbstausbildung – was mit der Negierung der Identität auch die Negierung der Schutzillusion bedeutete, welche die Zugehörigkeit zu einem Typus bietet. So müßte sich our average man aufs freie Feld begeben – wo man bekanntlich sehr leicht vom Blitz getroffen werden kann. Solange der Zuschauer jedoch keine Anstalten macht, sich zu bewegen, ist es so, als wäre seine prekäre Verfaßtheit immer nur virtuell in Gefahr. Es ist ja doch meistens nur ein Bekannter, der in die Psychiatrie eingewiesen wurde oder gleich sich selbst eingewiesen hat.
Der Weg der Bildung
Heute entscheiden sich alle unbesehen und ganz ohne Aufhebens dafür, zu ignorieren, daß sie nichts zu verlieren, sondern nur zu gewinnen haben, wenn sie nur die schüchternsten Vorbereitungen für den schon so lange ausstehenden Eingriff in die Zeit träfen, der eben nirgendwo anders als bei ihrem eigenen Leben einsetzte. Identität scheinen einzig die vorfindbaren, vorgegossenen Rollen zu verleihen. Jedoch ist es tatsächlich so, daß Individualität gerade die Negation dieser Rollen bedeutete.
Diese Negation liegt jedoch bereits jenseits des Zuschauertums. Denn des Zuschauertums enthebt man sich allein durch die radikale Negierung aller Formen des Zuschauertums. Das kommt einer Münchhauseniade gleich; es ist wirklich das, daß man sich am eigenen Schopfe aus dem Sumpf zieht.
Es sind nur wenige, die diesen Weg einschlagen, und von diesen Wenigen erfahrungsgemäß wieder die meisten, die, gerade erst aufgebrochen, mitten auf dem Weg müde werden. Diese und alle anderen fallen in die angeblich mannigfaltigen, tatsächlich jedoch erbärmlich kargen Rollen (zurück), welche die spektakuläre Gesellschaft für einen jeden von ihnen bereithält.
Die Vollendung der Trennung erkennen heißt die Zersplitterung der Allgemeinheit denken
In der geschichtslosen Zeit der vollendeten Trennung muß die Allgemeinheit als Schimäre erscheinen. Ob die Geschichte als die allgemeine Geschichte der Gattung in den homogenen und leeren Zeitverlauf der Gesellschaft der vollendeten Trennung zurückkehrt, hängt davon ab, ob die reale Bewegung, der Zusammenschluß von Menschen, welche der Vernunft durch die Aneignung der Produktionsmaschinerie zur allgemeinen Verwirklichung verhelfen will, in die herrschende Raum-Zeit-Ordnung zurückkehrt.
Bis dahin muß jede Erkenntnis als bloß von privatem Interesse und bloß partikularer Gültigkeit erscheinen. Denn die Realität einer Erkenntnis wäre einzig ihre Kommunikation und Verwirklichung. Aber mit der Partikularität jeder Erkenntnis erscheint ihre Kommunizierbarkeit und damit erst recht ihre Verwirklichung von vornherein ausgeschlossen. „Die Menschen meinen gewöhnlich, wenn sie etwas denken sollen, so müsse es etwas Besonderes sein; dies ist Täuschung. (…) Nur das Bewußtsein als Bewußtsein des Allgemeinen ist Bewußtsein der Wahrheit; Bewußtsein aber der Einzelheit und Handeln als einzelnes, eine Originalität, die eine Eigentümlichkeit des Inhalts oder der Form wird, ist das Unwahre und Schlechte.“
Freilich, es hat wenig Sinn, einem Gehbehindertem zu sagen, er solle seine Krücken von sich werfen und ihn anschließend zum Stabhochsprung anzustiften. Aber zu einer Zeit, als der Volksmund Philosophie offenbar noch in schöne Kalendersprüche zu verwandeln wußte, hätte er gesagt, daß der Mensch an seinen Aufgaben wachse. Bei der Inangriffnahme dieser Aufgaben „verlangt nur die Ungeduld das Unmögliche, nämlich die Erreichung des Ziels ohne die Mittel.“
II. Typologie
Wir haben uns vorgenommen, die Rollen/ Typen, unter denen die Subjekte verfaßt sind, um überhaupt Subjekte zu sein, vors Auge zu stellen, indem wir eine Klassifizierung geben. Gelesen werden kann diese Typologie wie es gerade gewünscht wird: Lexikalisch oder zur Erbauung, zur Information oder zur Erbauung, zur Einschätzung einzelner Personen/ Gruppierungen oder zur Erbauung. Bei der Anwendung dieser Typologie ist es geboten, Vorsicht walten zu lassen; unbedingt zu beachten ist dabei folgender Grundsatz: „Sachte ins dorf, die pawern seind trunken!“ (Alte Weisheit)
Behandelte Typen:
– Mischformen
– Der Private alias Normale
– Der Konsument alias Kulturgenießende
– Der Romantiker
– Der Phlegmatiker
– Der Wanderprediger
– Das Fußvolk
– Suchendes Fußvolk
– Aktives Fußvolk
– Volk
– Das Proletariat
– Der Psycholog
– Der Logiker
– Der Theoretiker alias Philosoph
– Der aktuelle Kritiker
– Der Skeptiker
– Die Dauersuchenden
– Der Modedenker alias Meisterschwätzer
– Der Künstler
– Der Homosexuelle
– Der Bübische
– Der Hypochondrische
– Der Berufsirre
– Der Nerd
– Der Groupie
– Der Linke
– Der Gewerkschafter
– Der Student
– Christen
– Mischformen
treten immer und überall auf. Bei der Klassifikation der Individuen oder Gruppierungen, mit welchen wir es in dieser oder jener Weise zu tun bekommen, ist unbedingt zu beachten, daß die hier gegebene Typenlehre immer nur Typen-Reinformen, in keinem Falle aber Mischformen vorstellig machen kann. Dies versteht sich leicht aus dem vorhin zum „typistischen Brei“ bereits erhellten. Alle Typen können in allen Kombinationen in einer Person oder auch Gruppierung auftreten. Fast nie hat man es mit der Reinform eines Typs zu tun, sondern meistens nur mit Momenten desselben, die in einer persönlichen Auswahl zu einer Geschmacksrichtung zusammengestellt sind. Dennoch läßt sich feststellen, daß ein Typ meistens der beherrschende ist, daß einem Typen die anderen noch vorhandenen untergeordnet sind. Und das übrigens, dieses Rollenspiel, ist denn auch schon die Essenz dessen, was man sich heute Individualität zu nennen angewöhnt hat.
Zu beachten ist auch, daß es provisorische Rollen gibt, die auf die endgültigen vorbereiten. Provisorische Rollen sind der Einführungsritus in die endgültige Rolle, die ein jeder nach der ihm zugedachten Façon als positives und bewahrendes Element im Getriebe des Warensystems zu erfüllen hat.
– Der Private alias Normale
will wie der Konsument/ Kulturgenießende betrogen sein, im Unterschied zu diesem aber besonders komfortabel, weil besonders abgeklärt kontemplieren. Wie ein stoischer Sklave glaubt der Private sich umso freier, je mehr alle Ketten der Autorität ihn fesseln. Er meint, individuell genug zu sein und ist deshalb zu ambitionslos, als daß er auf die Idee käme, sich noch in eine andere Rolle einzuarbeiten; seine Rolle ist eine endgültige.
Gibt sich einen Anschein von Bescheidenheit bzw. Genügsamkeit. Hält viel auf seine Spontaneität. Dabei ist nichts in seinen Bewegungen auszumachen, das es wert wäre, tatsächlich spontan genannt zu werden. Je unmittelbarer vielmehr das private, normale Individuum „seinen Ausschlag gibt, desto tiefer hat in Wahrheit Vermittlung sich niedergeschlagen: in den prompt antwortenden, widerstandslosen Reflexen ist das Subjekt ganz gelöscht. […] Je näher Organismen dem Tod, um so mehr regredieren sie auf Zuckungen.“ (Sheriff McLennon in Night of the living dead) Einfacher ausgedrückt: „Ach, mit denen ist nicht viel los. Ziemlich vergammelter Haufen.“ (Adorno)
– Der Konsument alias Kulturgenießende
kann auch einfach Clubber genannt werden. Er ist der Vertreter eines Typus, der sehr weite Verbreitung gefunden hat. Er ist in allen Klassen zu finden; als Charakterzug kommt er bei allen anderen Typen vor. Der Kulturgeniessende hat sich zum Spezialisten der mannigfaltigen und doch sämtlich gleichen Vergnügungen ausgebildet, welche das Spektakel zur Zerstreuung anbietet: Er weiß alles über den neuesten Film, den angesagten Regisseur, die Untergrundmusikströmung à la mode, zu besuchende Kunstausstellungen, abgedrehte Parties und Shops und chice Clubs.
Man darf annehmen, daß das Bewußtsein der Konsumenten selbst gespalten ist zwischen dem vorschriftsmäßigen Spaß, den ihnen die spektakuläre Gesellschaft als „Kultur“ in Filmen, Theaterstücken, Musik und mit dieser Musik beschallten Zappelschuppen oder Parties verabreicht, und einem nicht einmal sehr verborgenen Zweifel an ihren Segnungen. Aber nicht nur fallen die Konsumenten auf Schwindel herein. Sie wie überhaupt alle wollen bereits einen Betrug, den sie selbst durchschauen; sperren krampfhaft die Augen zu, und bejahen in einer Art Selbstverachtung, was ihnen widerfährt. Uneingestanden ahnen sie, ihr Leben werde ihnen vollends unerträglich, sobald sie sich nicht länger an Befriedigungen klammern, die gar keine sind. „This is very disgusting.“ (Donald Duck)
Der Typus des Konsumenten/ Kulturgenießenden ist als Rolle in den allermeisten Fällen ebenso wie der Normale/ Private die Endstation für alle anderen Typen.
– Der Romantiker
ist mit sich selbst nichtidentisch, aber gerade deswegen nicht aktiv, sondern im Gegenteil tief antriebslos. Er zieht mit hängenden Schultern und auch sonst schlechter Haltung wie eine geschlagene Katze durch die Welt. Er gehört „zu jenen idealistischen Naturen, die, plötzlich von einer mächtigen Idee getroffen, gleichsam auf der Stelle von ihrer Wucht erdrückt werden, manchmal sogar für immer. Ihre Kräfte reichen nie aus, um sie je zu bewältigen, deshalb beginnen sie, leidenschaftlich an sie zu glauben, und so vergeht ihr ganzes späteres Leben in den letzten Zuckungen unter dem auf ihnen lastenden Felsbrocken, der sie bereits zur Hälfte zerquetscht hat.“ (Dostojewskij)
Nichts in diesem Individuum, das aufgrund seiner relativen Verständigkeit gegenüber dem, was das „Hohe“ wäre, in seiner Form klappert, treibt es dazu, auch wirklich Maßnahmen zu seiner Ausbildung zu ergreifen. Der Romantiker hat ja schon versucht, den fremden Gedanken zu denken, und weiß daher, daß es Schmerz bedeutet; er weiß, daß Maßnahmen, die zur Ausbildung von Individualität taugen, eben gerade nicht solche sind, die immer nur die Bestätigung der als ureigen erfahrenen Meinung bringen, sondern vielmehr ihre ständige Selbstinfragestellung.
Das ist ihm zu schmerzhaft. Kaum weniger schmerzhaft aber dürfte die schier unerträgliche Spannung sein, die wegen seiner bis ins Absurde überzogenen Vorstellung der Distanz zwischen Idealischem und Tatsächlichem in ihm wühlt und an der er zu zerbrechen droht.
Die spezifische Form des romantischen Zuschauertums besteht also darin, den Weg der Bildung als nur von Heroen und sonstigen Gottgleichen zu begehen anzusehen. Deswegen nimmt er eine besonders beharrliche kontemplative Haltung ein, beachtet und bewundert mit großen Augen, was er selbst, wenn er sich doch nur einmal ins Handgemenge mischen würde, unter Umständen sogar besser als so manch anderer, zu Bedeutsamkeit aufgeplusterter Nichtsnutz (Künstler; Philosoph) hinbekäme. Aber er hat nun einmal solch wahnsinnige Angst, Fehler zu begehen, und steckt den Kopf in sein Unglück wie der Vogel Strauß den seinen in den Sand.
– Der Phlegmatiker
ist ein Romantiker, allerdings ohne den Hauch einer Idee. Von diesem Typus gilt noch immer, was Adolph Knigge von ihm sagte: „Faule und phlegmatische Menschen müssen ohne Unterlaß getrieben werden, und da noch fast jeder Mensch irgendeine herrschende Leidenschaft hat, so findet man zuweilen Gelegenheit, durch Aufrührung derselben solche schläfrige Geschöpfe in Bewegung zu setzen. Es gibt unter ihnen solche, die bloß aus Unentschlossenheit die kleinsten Arbeiten jahrelang liegenlassen. Auf einen Brief zu antworten, eine Quittung zu schreiben, eine Rechnung zu bezahlen – ja, das ist eine Haupt- und Staatsaktion, zu welcher unbeschreibliche Vorbereitungen gehören. Bei ihnen muß man zuweilen würklich Gewalt brauchen, und ist das schwere Werk einmal überstanden, dann pflegen sie sich recht dankbar zu bezeugen, so übel sie auch anfangs unsre Zudringlichkeit aufnahmen.“
– Der Wanderprediger
oder einfach: Guru. Sofern er nicht im Bereich des Geistes umtriebig ist, auch: Rockstar, Cliquenchef etc., jedenfalls Führungsfigur. Obwohl er viele Anhänger zu haben pflegt, ist er sehr einsam.
Ist er Geistesarbeiter, repräsentiert er den höchsten Stand der geistigen Produktivkräfte. Diese entwickelt er wie der Philosoph überwiegend in seinem wohltemperierten Schreibzimmer. Da er jedoch das bloße in sich kreisende Theoretisieren haßt, auch unterwegs zum mündlichen Vortrag in allen Landen. Seine Schriften als auch das in der Hitze des Gefechts oft ziemlich heiser mündlich Vorgetragene umgeben sich mit dem Anschein von Aufklärung, dienen in Wirklichkeit jedoch eher dem Heranziehen seines Fußvolkes. Dieses Heranziehen von Adepten, Nachplapperern, Mitläufern, zuweilen aber auch ein oder zwei im Argumentenkrieg brauchbaren Mannen mithilfe erstaunlich wirksamer Taktik und Strategie (welchselbige man auch als Pädagogik benamsen kann) ist die Weise seines Wirkens. Obwohl er viele Schüler hat, fallen eine nicht geringe Zahl von ihnen immerzu von ihm ab, und nicht die schlechtesten!, sodann er sehr traurig wird. Er weiß das dann als „Vatermord“ zu beschreiben und hat damit meistens auch nicht ganz unrecht. Allein – ist er kein Vater, hat keine Kinder, sondern verhält sich immer nur vaterisierend. Einer tragischen Komik, die nur sehr wenig tragisch ist, entbehrt daher nicht, was ein Heimleuchter ihm einst von ihm unbemerkt in sein Stammbuch geschrieben hat: „Was? du suchst? du möchtest dich verzehnfachen, verhundertfachen? du suchst Anhänger? – suche Nullen! –“
So ist die Pädagogik des Wanderpredigers ineins seine Stärke als auch die spezielle Weise seines Zuschauertums. Denn statt daß er seine Nachplapperer und Mitläufer hin und wieder ohrfeigte, wenn sie allzu offensichtlich nachplappern und mitlaufen, kommt es nur allzuoft vor, daß er sie bebauchpinselt. Insofern es seiner Einsamkeit zuzuschreiben ist, ist das nicht verwerflich, weil es nur allzu menschlich ist.
Ein weniger mildes Urteil ist jedoch am Platze, wenn er solchermaßen sein eigenes Fußvolk gibt. Das tut er zum einen aus ganz praktischen, in der Ökonomie seines Wirkens zu suchenden Gründen: weil er viel wanderpredigen und schreiben muß, um seinen Platz im oft kaum über Jahresfrist reichenden Gedächtnis seines Fußvolks zu behaupten. Zum anderen aber auch, um diesem seine Nähe zu beweisen: Er übertrifft sich dann selbst in der Vereinfachung der Darstellung seiner vormals mühsam entwickelten Thesen. Zum Behufe der Verständlichmachung derselben dampft er sie ein, bis nur noch ein lächerlicher Bodensatz übrigbleibt. Das hat aber zumindestens das Gute, ganz billig und hinreichend sein Falsch aufzuzeigen, wodurch sich, da er sich selbst dementiert, mühsame Widerlegungen erübrigen.
Es tritt aber auch das entgegengesetzte Phänomen auf: zuweilen umgibt sich der Wanderprediger mit dem Nimbus von Weisheit, indem er besonders abstrakt daherredet, so daß es, obgleich oft unverständlich, sehr beeindruckend wirkt. Wenn er jedoch aufgefordert wird, dies oder jenes unverständlich Daherpostulierte zu erklären, wird er hektisch und fängt an zu stottern. Auch daran wird deutlich, daß er nicht der Herr über seine scheinbar bis ins Letzte durchdachte Kritik ist, der zu sein er sich stets präsentiert.
– Das Fußvolk
auch bekannt als Spitz der Hund. Ein wunderlich Ding. Es mangelt den dem Fußvolk Zugehörigen nie an Einfällen, aber selten passen ihre Einfälle auf die Gelegenheit, wo sie angebracht werden, oder kommen erst, wenn die Gelegenheit vorbei ist. Sie sprechen viel, aber immer, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, was sie sagen wollen, oder wie sie es sagen wollen. Die natürliche Folge hiervon ist, daß sie selten den Mund auftun, ohne etwas Albernes zu sagen. Zum Unglück erstreckt sich diese schlimme Gewohnheit auch auf ihre Handlungen; denn gemeiniglich schließen sie den Käfig erst, wenn der Vogel entflogen ist. Um diesen Effekt zu mildern, wird von Seiten der Wanderprediger manchmal gefordert, daß das Fußvolk gar nicht erst frei rede.
Die Aktivität des Fußvolkes besteht dann in der Hauptsache darin, möglichst vernehmlich und mit allem Nachdruck die vom Wanderprediger formulierten Thesen bei passender alswie unpassender Gelegenheit aller Welt ins Gesicht zu krähen. Es verhält sich wesentlich bewundernd sowohl gegen seinen Wanderprediger als auch gegen sich selbst; sein lächerliches Nichtstun baut an Mythen von Wichtigkeit des Wanderpredigers als auch sich selbst; es verhält sich, mit einem Worte, kontemplativ. Das fußvölkische Milieu besitzt nichts als seine guten Absichten, und möchte sofort von deren Zinsen leben, in der alleinigen Form der Stellung seiner gehaltlosen Ansprüche. Panisch fürchtet es die Anwendung des Wanderpredigerdenkens auf seinen eigenen Fall.
Alles in allem ist über das Fußvolk zu sagen, daß es trotz aller wunderlicher Eigenschaften dennoch oft dorthin gleich Eisen an einen Magneten sich anziehen läßt, wo Geist (oder zumindest geistige Regung) zu finden ist. Daher kann es, sofern es nicht Mißbrauch als Wünschelrute erfährt, als Indikator für Vernunft to come up angesehen werden.
Das Fußvolk, sofern es revolutionären Individuen bzw. Ideen auf dem Fuße folgt, ist die Kinderkrankheit des Erscheinens einer jeden neuen revolutionären Bewegung. Man versteht daraus die gewisse Notwendigkeit, die dem Fußvolk als reales Moment von geistiger Bewegung innewohnt.
– Aktives Fußvolk
Die Ehrgeizigsten des Fußvolks verspüren die Notwendigkeit zu schreiben und ihre Schriften sogar zu veröffentlichen, um abstrakt ihre abstrakte Existenz bekanntzugeben, wobei sie glauben, ihr dadurch einigen Bestand zu verleihen. Sie nähern sich dadurch dem Typus des Wanderpredigers an.
Aber nur zum Schein. Denn man muß, um schreiben zu können, selbst gelesen haben, und um lesen zu können, muß man zu leben verstehen. Der Fußvölkische kann jedoch das wirkliche Leben nicht kritisch betrachten, weil seine ganze Haltung gerade bezweckt, seinem trübsinnigen Leben zu entgehen, indem er es sich zu verheimlichen versucht, und besonders, indem er vergeblich versucht, die anderen diesbezüglich irrezuführen. Um zu der ihn sehr reizenden Behauptung einer persönlichen Autonomie zu gelangen, fehlt ihm nur die Autonomie, die Persönlichkeit, und das Talent, auch nur irgendetwas zu behaupten. Er muß postulieren, daß sein Verhalten wesentlich gut ist, weil „radikal“, ontologisch revolutionär. Mit dem Blick auf diese eingebildete zentrale Garantie hält er seine tausend gelegentlichen Irrtümer und Unzulänglichkeiten für unwesentlich. Er tröstet sich über sie hinweg und entschuldigt sich, indem er versichert, daß er diese Irrtümer nicht wieder machen wird, und daß er sich überhaupt prinzipiell verbessert. Aber mit der gleichen Blöße steht er den folgenden Irrtümern gegenüber.
Wenn es nicht selber theoretisiert, so übt das aktive Fußvolk auch mannigfaltige andere, oft für das Dasein des Wanderpredigers notwendige Tätigkeiten aus (z.B. Wasserglasträgertätigkeit auf Podiumsdiskussionen). Kann auch einfach als Zellteilung des Wanderpredigers verstanden werden.
– Suchendes Fußvolk
frei zwischen verschiedenen Wanderpredigern flottierendes Fußvolk, daher noch nicht zur Aktivität entschlossen. Kann – vergleichbar den Wechselwählern in der offiziellen Welt – als das Hauptagitationsobjekt angesehen werden. Oft aber auch prinzipiell parteiuntauglich.
– Volk
„Unbewußter Teil der Gesellschaft“ (Hegel)
–Das Proletariat
„ist revolutionär oder nichts.“ (Marx. Wenn: „nichts“, so siehe dazu Volk.)
In der Geschichte sind immer nur Ansätze zu seiner Bildung zu finden; diese sind ausnahmslos gescheitert und vergessen. Heute gibt es nur Arbeitermassen, kein Proletariat. Indes wird es niemand anderes als das Proletariat sein, welche die Gattung zum historischen Subjekt macht. Dazu bildet es sich zunächst als Klasse – dies jedoch nur, um die herrschende Klasse aufzulösen und das bestehende Gesellschaftssystem aufzuheben. Es hat kein anderes Ziel, als die befreite, d.h. klassenlose Gesellschaft einzuführen. Mit dem Erreichen dieses Ziels löst es sich selbst auf.
– Der Psycholog
hat wirkliche Einsichten in die Psyche und macht den antagonistischen Charakter der gesellschaftlichen Realität offenbar, soweit innerhalb der vorgezeichneten Arbeitsteilung seine Theorie und (therapeutische und aufklärerische) Praxis reicht. So kennt er aus seiner Beobachtung der seelischen Reaktionsformen oft recht genau die verheerenden Wirkungen, welche das Leben in der täglichen Entfremdung im von der Verdinglichung umzingelten Subjekt anrichtet.
Da er sich aber leider oft fast ebenso ignorant gegenüber dem Allgemeinen – d.h. der Objektivität der Ware und der warenförmigen Objektivität – verhält wie der Logiker gegenüber dem Einzelnen, der Realität des Psychischen, des Somatischen und der zwischen diesen wirksamen Dynamik, münden seine wirklich brisanten Erkenntnisse in eine eigenartige Leere, in das diffuse Jenseits der empfindenden Subjektivität. „In der bestehenden Verfassung des Daseins gehen die Beziehungen zwischen den Menschen weder aus ihrem freien Willen noch aus ihren Trieben hervor, sondern aus sozialen und ökonomischen Gesetzen, die sich über ihren Köpfen durchsetzen. Wenn in ihr die Psychologie sich menschlich oder gesellschaftsfähig macht, indem sie so tut, als wäre die Gesellschaft die der Menschen und von ihrem innersten Selbst bestimmt, so leiht sie einer inhumanen Realität den Glanz des Humanen.“ (Erkenntnisstand: 1952)
Am ehesten Potential hat der Psycholog, insofern er unter die orthodoxen Freudianer zählt; die Anhänger der revisionistischen Schule der Psychologie (C.G. Jung, Erich Fromm und Konsorten) sind dagegen keinen Heller wert.
– Der Logiker
hat die Rolle des um die Katastrophe angeblich Wissenden meisterlich eingeübt. Sein Verhalten ist das der durchdachten Kontemplation der Verhältnisse, und sein Denken ist nichts als der durchdachte gesunde Menschenverstand.
Erkennbar ist er an der Haltung: „Man widerlege mich, so ich je etwas Falsches gesagt haben sollte (was ich nicht glaube, denn sonst hätte ich ja gar nichts gesagt).“ Seine Widerlegungen leitet er mit einem triumphierenden und festen: „Falsch!“ ein. Er ist Meister im Deduzieren und kann ewigwährende Vorträge halten, in denen ganz ohne jeden Irrtum der Beweis für die Richtigkeit dieses oder jenes wissenschaftlich erwiesenen Arguments erbracht oder zweifelsfrei nachgewiesen wird, daß dieses oder jenes Ding nicht richtig eingerichtet ist.
Sein Lieblingswort ist „Zweck“. Diesen sollen sich die Menschen endlich setzen, und sich nicht die ganze Zeit von Irrtümern („Fehlschlüssen“) ablenken lassen. Er ist Positivist und von einem unerschütterlichen Glauben an die Naturgesetze; als solcher haßt er mit Leidenschaft die psychischen Realitäten und insbesondere das Unbewußte, welches er einfach verleugnet.
Obwohl er vorgibt, den akademischen Wissenschaftsbetrieb zu kritisieren (wie er als Sonderform des Skeptikers überhaupt alles zu kritisieren weiß), ist er in Wirklichkeit tief wissenschaftsgläubig – und also genau das, als dessen Gegenteil er sich selbst immer vorstellt: Metaphysiker. Denn er betreibt selbst unermüdlich Wissenschaft, erbringt Beweise für andere Beweise, die er an anderer Stelle jedoch bereits hinlänglich bewiesen hat, und beweist so nichts anderes als daß er – ein meist recht hilfloser Axiomatiker, ein verbohrter Dogmatiker ist. Das wird daran erkenntlich, daß, wenn man nur einmal nachfragt (am besten im Stile des Sokratischen Gespräches), er zwar gern erklärt, aber irgendwann nicht mehr weiterkann, weil er schnell bei seinen starren Axiomen, die auf Glauben, verknöcherter Überzeugung und einer gehörigen Portion Ressentiment fußen, anlangt.
Jedoch erfüllt der Logiker eine gewisse Funktion, indem er seinerseits die Unzulänglichkeit des Philosophen vorführt. Sein gesunder Menschenverstand ist gewitzigt genug, um durch wenige pseudonaive Nachfragen oder den einen oder anderen formallogischen Kniff die abstrakten Gedankengebäude manches aufgeblasenen Theoretikers zum Einsturz zu bringen und diesen dadurch vor versammelter Mannschaft der Lächerlichkeit preiszugeben. Der Logiker wird in dem Maße überflüssig, in dem es dem Philosophen gelingt, in Prosa über die Welt zu reden, also seine intellektualisierende Zuschauerrolle zu verlassen. – Aber dennoch: Das Fortbestimmen des Logikers ist bloß ein Fortbestimmen seines Autismus; seine Kategorienarbeit bloß eine Arbeit an seinem gegen die Welt hermetisch abgeschlossenen Denkereisystem; sein Bild von der Welt bloß ein Weltbild.
Hinter der streng und zwingend anmutenden Verstandestätigkeit des Logikers halten sich infantile Hängemattenideologien versteckt. Im Privatleben kommt er meistens auch nicht so gut zurecht, da Gefühle für ihn unwissenschaftlich und daher so gut wie inexistent sind. Sein Konterpart ist, es liegt auf der Hand, der Psycholog. Tritt oft als Wanderprediger auf, und hat sich dann ein besonders dummes Fußvolk herangezogen.
– Der Theoretiker alias Philosoph
beherrscht die Begriffe und macht keinen Hehl daraus. Er wirkt zunächst als recht freundliche Natur, kann aber sehr schlecht gelaunt bis ungehalten werden, wenn ihm irgendein Dahergelaufener die eine oder andere Unstimmigkeit in seinen bereits geschriebenen oder auch ungeschriebenen, jedenfalls immer sehr dicken Büchern nachweist.
Obwohl er ein außer der Welt hockendes Wesen ist, gießt er manchmal einen kleinen Teil seines immensen Wissens nach essayistischer Manier in eine wohlfeile Form, welche er vermittels Publikationen mit wohlklingenden Titeln oder Untertiteln der Öffentlichkeit zu kommunizieren gedenkt.
Da er abgeschieden von der Welt lebt, kann es vorkommen, daß aktuelle Entwicklungen gänzlich an seinem ausgefeilten Apparat von Deduktionen, Induktionen u. dgl. mehr (je nach der Art des heute freilich antisystematischen Systems) vorbeigeht. Aber das macht ihm nur wenig aus, da er ein sehr gelahrter, und zugleich, ganz ungeachtet seiner Gelahrtheit, sehr beschränkter und in allen Sachen, die das praktische Leben betreffen, höchst einfältiger Mensch ist.
Man soll ihm eine gewisse Redlichkeit aber nicht durchweg absprechen; er bemüht sich immerhin und liest – wenn auch unbrauchbares Zeug von seinesgleichen – und schwatzt – wenn auch unbrauchbares Zeug mit und über seinesgleichen – viel.
Alles in allem ist er zu gelahrt, um ein Wanderprediger zu sein. Außerdem ist er zu gelahrt, um dem Fußvolk anzugehören. Ein Künstler, obwohl mit viel und famosem Eigendünkel versehen, ist er auch nicht. Es ist ein Risiko, ihn mit dem Meisterschwätzer zu verwechseln. Geschieht dieses, macht es freilich nichts. Denn mit zunehmender Häufigkeit fällt er sogar in eine Person mit ihm.
– Der aktuelle Kritiker
ist ein Etikettenschwindel. Verfaßt Schriften, welche sowohl von Dauersuchenden als auch Angehörigen des Fußvolks und anderen aktuellen Kritikern, manchmal von Philosophen und sogar von Wanderpredigern unter dem Trademark Kritik auf der Höhe der Zeit gekauft und sodann von ihnen eilends verschlungen oder auch „rezipiert“ werden. Schreibt und beschwert sich zumeist über Linke, welche jedoch ebenfalls einen nicht geringen Teil seines Publikums ausmachen, wenn auch in abnehmender Zahl, weil er sie, als selber gewesener Linker, schon sehr lange kritisiert. Sind alle Linken von dannen gezogen, so muß es der aktuelle Kritiker verstanden haben, im akademischen Betrieb untergekommen oder aber Autor diverser (meistens linker) Blättchen geworden zu sein, sonst endet seine Karriere.
Seine Tätigkeit unterliegt weniger Modeerscheinungen, als sie es, oberflächlich betrachtet, vermag, diese selbst hervorzubringen. Entdeckt in seinen Schriften „zwingende“ Punkte und beweist mittels ihrer, weshalb es ebenso zwingend vonnöten ist, diese zu beachten. Gibt also gern Handlungsanweisungen – welche dann aber sehr platt ausfallen: aus dem einfachen Grunde, weil die Punkte, die er als zwingend in seinen Schriften und Reden vorstellt, einerseits so zwingend gar nicht sind, und andererseits, weil sie, so etwas Wahrhaftes in ihnen entdeckt ist, bereits dermaßen hinlänglich bekannt sind, daß das alles fast schon Schnee von gestern ist. Seine Schriften sind nie originell, in der großen Mehrzahl lauwarme Aufgüsse von Bekanntem, jedenfalls auffällig oft um ein Gehöriges schlechter als das, was der aktuelle Kritiker zu kritisieren vorgibt.
Er ist journalistisch sehr aktiv; seine Schriften erschöpfen sich gern in der endlosen Widerlegung eines anderen aktuellen Kritikers, mit dem er früher manchmal einiglich zusammenarbeitete. Spickt seine Texte je nach Gusto mit Zitaten aus meist toten Denkern und v.a. aus der Tagespresse, um ihnen so das gewünschte Quantum Objektivität zu verleihen.
Da er die Welt nach seinen Maßstäben am liebsten sofort ummodeln will, sitzt er auf heißen Kohlen und wird deswegen gern Wanderprediger. Zu dünkelhaft und selbstüberzeugt (aber auch zu informiert), um dem Fußvolk anzugehören. Vielleicht noch mehr als den Logiker charakterisiert seine Zuschauerrolle, daß er durchdacht kontempliert, wobei gerade auf der Herausstellung dieser scheinbaren Durchdachtheit sein mehr oder minder großer Erfolg basiert.
– Der Skeptiker
ist ein Herdentier (obwohl er sich wie der Private als Individuellster unter allen Individuellen glaubt). Wenn jemand zu verstehen gibt, er sei kein Skeptiker, so hört der Skeptiker das ungern; er sieht diesen Jemand darauf an, mit einiger Scheu – und bald heißt er ihm gefährlich. Es ist den Skeptikern, als ob sie, bei Ablehnung der Skepsis, von ferne her irgendein bedrohliches Geräusch hörten, als ob irgendwo ein neuer Sprengstoff versucht werde, ein Dynamit des Geistes, vielleicht ein neuentdecktes russisches Nihilin, ein Pessimismus, der nicht bloß Nein sagt, Nein will, sondern – schrecklich zu denken! – Nein tut. Gegen diesen tätigen Pessimismus gibt es anerkanntermaßen heute kein besseres Schlaf und Beruhigungsmittel als Skepsis, den sanften holden einlullenden Mohn Skepsis; und Hamlet selbst wird heute von den Ärzten der Zeit gegen den Geist und sein Rumoren unter dem Boden verordnet. „Dies unterirdische, bestimmte Nein ist fürchterlich!“ sagt der Skeptiker, als ein Freund der Ruhe und beinahe schon als eine Art von Sicherheits-Polizei: „Stille endlich, ihr pessimistischen Maulwürfe!“ Der Skeptiker nämlich, dieses zärtliche Geschöpf, ist darauf eingeschult, bei jedem Nein, ja schon bei einem entschlossenen harten Ja zu zucken und so etwas wie einen Biß zu spüren. Ja! und Nein! – das geht ihm wider die Moral; umgekehrt liebt er es, seiner Tugend mit der edlen Enthaltung ein Fest zu machen, etwa indem er spricht: „Hier traue ich mir nicht, hier steht mir keine Tür offen.“ Oder: „gesetzt sie stünde offen, wozu gleich eintreten?“ „Hat die Zeit nicht Zeit?“ Also tröstet sich ein Skeptiker; und es ist wahr, daß er einigen Trost nötig hat. Skepsis nämlich ist der geistigste Ausdruck einer gewissen vielfachen physiologischen Beschaffenheit, welche man in gemeiner Sprache Nervenschwäche und Kränklichkeit nennt. Deswegen weist sein Typus Ähnlichkeiten mit dem des Romantikers auf. Er ist die allgemeine Erscheinungsform sowohl des Dauersuchenden als auch des Logikers.
– Die Dauersuchenden
sind zumeist schon älteren Baudatums. Ewige Studenten oder ewige Privatstudenten, deren Stimme aus den Weiten der studentischen oder privatstudentischen, schlechten Unendlichkeit schwach zu uns dringt. Betreiben jahrelanges skeptizistisches Studium, welches nichts besser charakterisiert, als daß sie zuerst die Kritik an einer Kritik als diese Kritik selbst überhaupt je lesen (bevorzugt von aktuellen Kritikern, aber auch Wanderpredigern). In dieser eigenartigen Verfahrensweise ist wahrscheinlich der Schlüssel zu ihrem Dauersuchendentum zu finden; denn wie sollten sie so jemals zu dem gelangen, was politisch versierte Fußvölkische „Position“ zu nennen pflegen?
Ihr naseweiser Skeptizismus gibt ihnen das Gefühl, über alles erhaben zu sein, über allem zu stehen; virtuell die Gewißheit, mit der Sache selbst in enger Fühlung sich zu befinden – während es doch in Wirklichkeit so ist, daß ihr Dauersuchendentum sie buchstäblich aller Lebendigkeit des Gedankens enthebt. Abstraktheinis. Deshalb stünde es ihnen nicht schlecht zu Gesichte, wenigstens einmal versuchsweise eine „Position“ einzunehmen: Was würden sich diese armen verhinderten Philosophen wundern, was alles sich ihnen auf einmal aufschließen würde, wie wenig blutarm der Gedanke tatsächlich sein kann – wenn er mit dem Ziel gedacht wird, seinen Gegenstand endlich zu verändern statt immer nur zu betrachten!
Der Grad ihrer Verkrachtheit ist unterschiedlich weit fortgeschritten. Man trifft auf vollendete Wirrköpfe ebenso wie auf philosophisch Anmutende. Ihre Existenz ist deswegen durchweg so augenfällig jämmerlich, weil sie, wahrscheinlich wegen der beachtlichen Dauer ihres Suchendentums, schon einmal an Gedanken vorbeigekommen, des Gedankens also nicht abhold sind. Gerade deswegen wissen sie oft heimlich um ihre Jämmerlichkeit. Aber die Welt entwickelt ihr Unwesen immer weiter zum vollendet Falschen fort, bis schon das Wahre zu einem Moment des Falschen geworden ist: Dieses wissen sie; damit rechtfertigen sie ihren Skeptizismus.
Sofern sich die Dauersuchenden überhaupt je fortentwickeln, ist es in ihrem Dauersuchendentum teleologisch angelegt, daß sie einfach sang- und klanglos aus jedermanns Blickfeld verschwinden und dann eine ruhige Alltagsexistenz führen (als Konsument oder Privater) oder sich suizidieren (das aber nur in besonders schlimmen Fällen). Oder sie gehen über in den Typus des Philosophen.
– Der Modedenker alias Meisterschwätzer
produziert vom Fließband Theoriekonglomerate, welche nur noch die vollendete Immanenz kennen. Erkennt ganz folgerichtig überall nur noch Zeichen, denen nichts entspricht.
Beeinflußt erstaunlicherweise manchmal den Wanderprediger (wahrscheinlich, weil er auch gerne so omnipräsent wäre wie der Modedenker), obwohl er ihn heftig zu kritisieren pflegt. Feiert große Erfolge bei künstlerischen Linken, manchmal auch bei linken Künstlern und Künstlern. Eigentlich selbst ein Künstler, namentlich ein Denk-Künstler: Star der Nicht-Intelligenz, der endlos über Scheinprobleme daherschwätzt und dabei genau die Rolle erfüllt, welche die Gesellschaft für ihn vorgesehen hat: die wirklichen Probleme zu verschleiern.
Im Modedenker und seiner Allgegenwart in den Medien und Feuilletons, kurz: an seiner hohen Wirkung in der Öffentlichkeit ist augenfällig, daß der dialektische Gedanke sich allgemeingesellschaftlich zurückbegeben hat ins vordialektische Stadium: in die mit dem Anschein von kritischer Elaboriertheit versehene Darlegung, jedes Ding habe seine so mannigfach vielen Seiten, daß über es schlicht gar nichts mehr ausgesagt werden könne. Postuliert, daß einzig noch über einen gewissen „Diskurs“ geredet werden könne. Da dieser aber, wie die „Macht“, überall vorhanden sei und sich deswegen in der eigenen Rede vom Diskurs selber der Diskurs durchsetzt, weiß der Modedenker Wahrheit immer als ideologisches Konstrukt und Geschichte als „große Erzählung“ zu denunzieren. Proklamiertermaßen abhold jeder Systematik, schließt sich seine zuerst nur für Philosophen, heute jedoch in jedem Fall für Konsumenten/ Kulturgenießende tief faszinierende Denkwelt so zwangsläufig-systematisch zu einem theoretischen (Wahn-) System wie eine hydraulische Presse. „Das Ganze erscheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen.“ (Kafka)
– Der Künstler
hält sich in so gut wie allen Fällen mehr für einen solchen als er es tatsächlich ist; eitler Hanswurst.
„Diese Zeit geht nicht in die Kunstgeschichte ein / als weißer Schandfleck ja / als Katastrophe ja / als Kunstkatastrophe / als ein riesiger Kunstkrater / in den die Leute in hundert Jahren hineinschauen / und aus dem es nur herausstinkt / sonst nichts / sonst nichts / sonst nichts.“ Seitdem die Kunst tot ist, ist es bekanntlich kinderleicht geworden, irgendeinen beliebigen lethargischen Zuschauer als Künstler zu verkleiden. Da sein Talent nicht vorhanden ist, und er zudem sich weitaus öfter immer gut zuredet als er sich ganz im Stillen an die jahrelange Ausarbeitung seines möglicherweise doch in minimalen Maßen vorhandenen Talentes machte, verrät er sich selbst, wenn er, wie so oft, mit Genugtuung und Zufriedenheit von seinen Erzeugnissen salbadert. Jedoch muß zur Gerechtigkeit erwähnt werden, es kommt nicht selten sogar vor, daß ihm sein Heiligenschein von anderen berufenen Künstlern oder sonstigen Kulturschaffenden auf den Rücken gepappt ward und er dadurch selber irgendwann anfing, an seine Größe zu glauben.
So ist der Künstler nur ein ganz normaler Zuschauer, welcher es jedoch verstanden hat, seine Person mit dem Glanz des Individuellen, Eigenen und Schöpferischen zu versehen, um die Mattheit der Langeweile seiner traurigen Alltagsgestalt mit ein bißchen Flitter und Tand aufzupolieren und blinken und glittern oder auch hupen zu lassen.
Da er nicht nur zum Eigendünkel neigt, sondern diesen in seiner Überspanntheit zu einer Perfektion forttreibt, ist es angezeigt, sich seiner Borniertheit gegenüber gar nicht anders als mit einem höflichen Lächeln oder – je nach Laune und Situation – auch Spott zu zeigen, um ihn in seine Schranken zu weisen. Er ist durch und durch eigen, weist jedoch aufgrund seiner tatsächlichen Blässe und schwatzhaften Nichtsnutzigkeit öfter gewisse Ähnlichkeiten mit dem Zuschauertypus des Konsumenten/ Kulturgenießenden auf. Beeindruckt Private/ Normale, aber auch Dauersuchende. Kann auch einfach Pseudo-Bohémien genannt werden.
– Der Homosexuelle
baut seine bestimmten sexuellen Vorlieben zu einer Identität aus – während es doch allein darauf ankäme, zu begreifen, daß er damit nur eine Nische bezieht, welche das sexuelle Spektakel in den letzten Jahrzehnten für spektakuläre Sexualität mit großartiger Geste eingeräumt hat. Aber er spürt sehr genau die Vorteile: Wo er früher noch als Kranker und Perverser eingesperrt oder getötet wurde, darf er sich heute sogar in fetzige Fummel hüllen und mit Regenbogenfahnen wedeln.
In dieser Nische verspürt er aber schon Klaustrophobie. Diese Klaustrophobie ist nichts anderes als die Ahnung, daß er sich mit allzu billigen Zugeständnissen zufrieden gibt und sich so seine Sexualität abmarkten läßt. Denn Sexualität ist natürlich keine Frage der Entscheidung oder identitären Festlegung, sondern unterliegt Dynamiken, die den Formen bürokratischer Verwaltung, welche die Gesellschaft ihnen ermöglicht, notwendig zur Gänze entgehen müssen. – Ansonsten ist gegen den Homosexuellen nichts einzuwenden.
– Der Bübische
ist ein Floh, der meint, den Elefanten durch seinen Spott überlegen zu sein – während er natürlich doch von ihm zertreten werden kann. Versucht Witze, die sich der Bübische zusammen mit seinen Freunden ausgedacht hat. Daher mit mäßigem Erfolg, weil sie oft verschroben und nur für Eingeweihte sind. Kann getrost ignoriert werden.
– Der Hypochondrische
redet fast immer von seinen Empfindungen, welche – weil der Hypochonder nicht zu leben vermag – Schmerzempfindungen sind. Im Extremfall Todesfurcht bei der kleinsten (selbständigen) Regung des Körpers, und wenn auch nur die Herzfrequenz steigt. Verdrängt selbst seinen Blutkreislauf und bekommt einen Schrecken, wenn er sich versehentlich mit der Nadel piekst oder mit dem Küchenmesser ritzt. Mal melden die Nerven nichts an sein Hirn, dann wieder übermäßig viel. Christian Buddenbrook. „Es ist kein Schmerz, es ist eine Qual, weißt du, eine beständige Qual. Doktor Drögemüller in Hamburg hat gesagt, daß an dieser Stelle alle Nerven zu kurz sind… Stelle dir vor, an der ganzen linken Seite sind alle Nerven zu kurz bei mir!…“
Der Hypochonder spürt seinen Körper, kann aber schlecht eingrenzen, wo der Schmerz seinen genauen Ort hat und verwechselt beständig Ursache und Wirkung. Macht lieber Krankengymnastik als Gymnastik. Bleibt immer bei sich, ist dort aber höchst unglücklich. Vor der Welt hat er Angst. Es kann vorkommen, daß er ein schönes, empfindsames, überaus kluges Wesen hat – dieses wurde dann jedoch vom Monopolkapitalismus zumeist so sehr eingeschüchtert, daß es sich nicht mehr aus der Haut traut.
Der Hypochonder fällt seinem Umfeld deswegen auf die Nerven, weil dieses durch ihn an die eigenen Schmerzen erinnert wird, die selbst der funktionstüchtigste Bürger dank seinen notwendig schlechten Sublimierungs/ Verdrängungsbemühungen doch auch hat (auch deswegen auf keinen Fall mit dem Berufsirren zu verwechseln). Spezialfall dieses Typus – nämlich strebsamer Hypochonder – war Goethe, der zahlreiche Bücher gegen die Hypochondrie verfaßte, ohne diese jedoch jemals restlos loszuwerden.
– Der Berufsirre
ist eine katilinarische Existenz, aber nicht so, wie er selbst es für sich proklamiert. Im Grunde ist er recht normal und meistens auch liebenswert, er hat jedoch eine besonders ausgefallene Nische der Kontemplativität bezogen.
In einer Gesellschaft, die auf Gewalt basiert, hat der Verfolgungswahnsinnige mit seinem Wahnsinn insofern recht, als er eben die Verfolgung aller durch alle spürt: Sein Problem besteht so vielleicht nur darin, daß er diese Verfolgung ausschließlich auf sich bezieht, während ihr alle unentwegt ausgesetzt sind. In einer Gesellschaft, die von einem Individuum, das sich gesund an Leib und Seele benimmt, libidinöse Leistungen verlangt, die nur vermöge der tiefsten Verstümmelung vollbracht werden können, einer buchstäblichen, tagtäglich sich wiederholenden und daher verinnerlichten Kastration, in einer solchen Gesellschaft besteht die zeitgemäße Krankheit in Wirklichkeit gerade im Normalen.
Aber ähnlich wie der Künstler seine „Kunst“, so baut der Berufsirre seine Schrullen und Mucken, Puschel und Neurosen konsequent zu einem „Wahn“ aus, d.h. er baut sich seine Identität aus Abweichung von dem, was als psychische Normalität angesehen wird. So meint er, sich in seinem gesamten Umfeld eine Extrawurst herausnehmen zu können, indem er mit Geschichten über seine Symptome hausieren geht. So kauft er sich Mitleid ein und Beachtung (obwohl er, wenn man ihn darauf anspräche, eine solche Vermutung mit Verve als Ungeheuerlichkeit zurückweisen würde). Sein Bewußtsein benutzt er dazu, sich tiefer in seine Misere hineinzuarbeiten statt alles daranzusetzen, aus ihr herauszukommen.
Manchmal schafft er systematisch Situationen, in denen er mit seiner Schwäche erpreßt. Dann hat man es mit der Demagogie der Schwäche zu tun, eine Demagogie, die aufgrund ihres Herkommens kaum noch Zugang zu irgendeinem Bewußtsein von Maß oder Verträglichkeit mehr hat. Dieser Form der Demagogie muß man umso entschlossener Einhalt gebieten, da sie eben von selbst nicht in Grenzen zurückfindet.
So straft man den Berufsirren am besten mit der für ihn schlimmsten Reaktion auf sein Theater: mit Nichtbeachtung. Man könnte ihn auch, wie den Künstler, belächeln, aber da seiner überzogenen Komitragödie reale Konflikte zugrundeliegen, ist es ein Gebot des Takts, so rücksichtsvoll mit dem Berufsirren umzugehen, wie er es nur zuläßt. So auch, wenn er als Philosoph oder Psycholog auftritt. Wenn er jedoch als Sonderform des aktuellen Kritikers, Logikers oder sogar Gewerkschafters auftritt, dann muß er doch aggressiv belächelt werden.
– Der Nerd
übt sich seit seiner frühesten Jugend hobbyförmig in einem Bereich, in dem sich aufgrund der Komplexität nur Spezialisten mit außergewöhnlich hoch spezialisierten Kenntnissen bewegen können (Informatik, Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Technik). Kann daher vom Kapital ohne Verzögerung und dazwischengeschaltete provisorische Rolle verwertet werden: Indem es sein Hobby einfach im professionellen, von den Herrschenden gesteckten Rahmen für seine Zwecke, also der Betreuung und Fortentwicklung der unter Kontrolle der Herrschenden stehenden maschinellen und geistigen Produktivkraft nutzbar macht.
Verfügt über erstaunliche Kenntnisse auf seinem Gebiet, aber gar keine auf einem anderen. Ist freundlich und liebenswert, wenn er nicht zu verschroben und eigenbrötlerisch ist. Oft verblüffend vorurteilsfrei gegenüber historischen oder auch gegenwärtigen avantgardistischen Bestrebungen.
Aber aufgrund seiner Desinteressiertheit und Gleichgültigkeit gegenüber allem, was außerhalb seines Gebietes liegt, wird erst in einer wirklich revolutionären Situation sein Potential für die Revolution gehoben werden können: also dann, wenn das entstehende Proletariat die Maschinerie wenigstens teilweise unter seine Kontrolle gebracht hat und zur Aneignung der verschiedenen Sektoren der Gesellschaft die speziellen Fähigkeiten des Nerds dringend benötigen wird (zur Energieerzeugung, Aufrechterhaltung der Infrastruktur, logistischen, v.a. medizinischen Versorgung der Bevölkerung, technischen Organisation, z.B. der Kommunikation zwischen den Revolutionären etc.). In einer solchen Situation wird die revolutionäre Bewegung aller Voraussicht nach auf seine erstaunliche Vorurteilsfreiheit zählen und also damit rechnen können, daß er seine hochspezialisierten Kenntnisse schon längst in den Dienst der zu schaffenden Freiheit gestellt haben wird, wenn sämtliche Schwätzer und Nichtskönner (Modedenker, Philosoph etc.) gemäß ihrem zur Perfektion ausgearbeiteten Opportunismus noch hin- und herüberlegen, welches die stärkere Seite darstellt, der sie sich und ihre modrige Denkerei andienen könnten.
Ansonsten beschreibt die Rolle des Nerds ausreichend das Wort „Nintendo“: „Nin“-„ten“ ( = japanisch für: „Arbeite hart, aber überlasse den Rest dem Schicksal“) –„do“ ( = japanisch für: „Laden“).
– Der Groupie
ist so gut wie immer weiblichen Geschlechts. Dies aus dem einfachen Grund, weil der Wanderprediger ( = Theoriephallus) so gut wie immer dem männlichen Geschlechte zuzurechnen ist. Der Groupie ist ein besonders wirksames Remedium zur Linderung der schmerzlichen Einsamkeit des Wanderpredigers. Deswegen selten, aber dennoch regelmäßig der einzige Grund für einen Zwist zwischen zwei Wanderpredigern, dessen besondere Heftigkeit alle Fußvölkischen mangels des Wissens um virulente Groupieintrigen baß erstaunt.
Der Groupie schwört auf die von den Wanderpredigern zur Einschätzung und Erziehung ihres Fußvolks lancierte Unterscheidung zwischen „Soft-“ und „Hardcore“. Da der Groupie selbstverständlich der Kategorie „Hardcore“ zugehören will, aber in den meisten Fällen nicht das Zeug dazu besitzt, sich über die Rollen suchendes/ aktives Fußvolk mühsam zum harten Kern des Fußvolks hinaufzuarbeiten, ist er gezwungen, sich die so sehnlichst begehrte väterliche Anerkennung des Wanderpredigers auf anderem Wege zu erkämpfen. Das geschieht in derselben Weise wie es schon bei Rockgruppen zu beobachten war, namentlich vermittels des Sexus. Wenn der Groupie sich dabei ungeschickt anstellt, sinkt der Ballon seiner Reputation ebenso schnell wieder in sich zusammen, wie er sich durch seine Nähe zum Wanderprediger aufgeblasen hatte. Ist der Groupie in seinem Groupietum jedoch erfolgreich, so kann er es bis dahin bringen, selbst Wanderprediger zu werden – jedoch nur genau so lange, wie die Gunst des entsprechenden Wanderpredigers andauert.
Der Groupie ist eine bemitleidenswerte, aber dennoch nicht weniger lächerliche Gestalt. Da er seine spezifische Form von Kontemplativität durch rege Aktivität im privaten Bereich des Sexus zu überdecken und zu verstecken sucht, dies aber für alle außer dem Wanderprediger und dem Groupie selbst so unglücklich durchsichtig ist, haben wir uns entschlossen, den Groupie hier nicht zu kritisieren.
– Der Linke
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– Der Gewerkschafter
muß nicht in Gewerkschaften organisiert sein. Hat zur objektiven Aufgabe die Vermittlung zwischen Herrschenden und Volk, wenn letzteres sich seines erbärmlichen Daseins als Arbeitermasse ein bißchen innewird und auch nur die kleinsten Anstalten trifft, sich den Zumutungen der herrschenden Organisation ihrer Arbeitskraft in einer noch so kleinen Unbotmäßigkeit entgegenzusetzen. Der Gewerkschafter ist eine schmierige sozialdemokratische oder auch linksradikale Politcharaktermaske: Antagonismenausbügler. So kann er als Seismograph für die Heftigkeit gesellschaftlicher Beben genommen werden: Je hysterischer er die Arbeiter auf die Rückkehr zum business as usual drängt, desto wirksamer und also bei den Herrschenden unerwünschter und also prärevolutionärer waren/ sind die bis dahin getroffenen Maßnahmen der Arbeiter. Auch: Telos des Linken.
– Der Student
ist in jedem Falle eine nur provisorische Rolle. Blaß. Unsympathisch. Interessiert sich im Rahmen seiner umfassenden Recherche zur Heranholung von Material für seine objektive Aufgabe – die Ideologieproduktion – für alles, und daher natürlich für nichts.
Als studentischer Linker studiert er revolutionäre Bewegungen der Vergangenheit einzig zum Zwecke des Fortredens ihres revolutionären Gehalts; sein Auftrag ist dann die Würdigung oder Apologie der revolutionären Momente des Geschichtsverlaufs. Diese Sonderform des Studenten hat niemals ein anderes Ziel als die Herstellung von Kontinuität; Agent des Staates.
Fällt ansonsten oft ineins mit dem Privaten, dem Konsumenten oder Philosophen oder auch Volk.
– Christen
gehören einer bürokratischen Institution an, die von der Geschichte sofort nach ihrem Entstehen schon wieder aufgelöst worden ist. Weder diese Institution noch die Christen haben es je bemerkt. Riechen süßlich.
Tragen Mon-Chi-Chi-Frisuren, und darunter kaum mehr als abstruse Vorstellungen vom Messias als in der Gestalt eines Pfaffen, der lauwarm von Balkonen heruntermenschelt. Besuchen Kirchentage wie das Fußvolk Podiumsdiskussionen. Könnten sich ihrer Konstitution nach Wanderpredigern als suchendes Fußvolk anschließen. Weil sie meistens einer Freikirche angehören, tun sie es jedoch niemals.
III. Die Negation der Typen ist die Bewegung der Aufhebung der typenproduzierenden Gesellschaft
Die Negation aller dieser Typen erscheint aufgrund der Verfaßtheit alles Menschlichen in Rollen bzw. Typenform und dero zu verstehenden Klassifizierbarkeit notwendig selbst als Typus. Dies ist falscher Schein. Denn der Typus des Negierenden aller Typen ist nichts als die Bewegung der Aufhebung der typenproduzierenden spektakulären Gesellschaft, welche in einer konkreten Person zur Anschauung gerät.
Da es nicht weniger als ein heikles und wahrscheinlich ganz nutzloses Unterfangen ist, unterlassen wir es, eine Charakterisierung dieses Typus, der kein Typus ist, mitzuteilen. Wir erwähnen nur noch, daß diese revolutionäre Avantgarde – „Avantgarde sein heißt mit der Wirklichkeit Schritt halten“ – unter verschiedenen Namen operiert, sie ein Geheimnis umgibt und sie gleichwohl nichts zu verstecken hat.
„Man würde etwas, wo nicht Unmögliches, doch gewiß Ungereimtes von uns verlangen, wenn man erwartete, daß wir uns über das Geheimnis der Kosmopoliten noch deutlicher herauslassen sollten. Denn es gehört zur Natur der Sache, daß alles, was man davon sagen kann, ein Rätsel ist, wozu nur die Glieder dieses Ordens den Schlüssel haben. Das einzige, was wir noch hinzusetzen können, ist, daß ihre Anzahl zu allen Zeiten sehr klein gewesen und daß sie, ungeachtet der Unsichtbarkeit ihrer Gesellschaft, von jeher einen Einfluß in die Dinge dieser Welt behauptet haben, dessen Wirkungen desto gewisser und dauerhafter sind, weil sie kein Geräusch machen und meistens durch Mittel erzielt werden, deren scheinbare Richtung die Augen der Menge irre macht. Wem dies ein neues Rätsel ist – den ersuchen wir, lieber fortzulesen, als sich mit einer Sache, die ihn so wenig angeht, ohne Not den Kopf zu zerbrechen.“
Diese Informationen stammen von der Führung der Planetarischen Hierarchie, also jenen Wesenheiten der geistigen Welt, die für die Erde und ihren Weg tätig sind. Sie wollen uns Menschen Hilfsmittel in die Hand geben, damit wir unseren Weg durch die Zeit des Wachsens einfacher finden. Ebenfalls sollen uns die vielen praktischen Hinweise helfen, unsere Aufgaben anzunehmen und sie zu erfüllen. Da diesen Wesenheiten unser Wohl sehr am Herzen liegt, sprechen sie uns in ihren Informationsbriefen direkt und in Liebe an. Es liegt also an uns, daß wir uns auch direkt ansprechen lassen, daß wir uns diesen Hülfen aus der geistigen Welt gegenüber öffnen.