Totengespräch VI
VON RUMOHR: Die Franzosen, vornehmlich die Pariser, bedienen sich zum Auflockern ihrer Semmelbrote des Taubenmistes, welche sie mit Luft erfüllt, die, nachdem sie im Ofen sich ausgedehnt hat, die Teigmasse auf die Oberfläche treibt, wo sie alsdann zu einer hohlen Kruste oder Rinde ausgebacken wird. Diese Rinde wird hierdurch freilich sehr trocken, ausgebacken und eben deshalb sehr schmackhaft und verdaulich. Übrigens mögen die Ärzte entscheiden, ob nicht der hitzige Taubenmist bei fortgesetztem Genusse die Gesundheit beeinträchtigen könne.
FORSTER: Weit entfernt, ihnen folgen zu können, scheint uns vielmehr alles hinieden so ineinanderzugreifen und wechselweise bald Wirkung, bald selbst wieder Ursache zu sein, daß die Verfeinerung der Sinnlichkeit, mithin auch selbst die Leckerei, so wie sie nur bei kultivierten Völkern entstehet, auch wieder ihrerseits die allgemeine Aufklärung befördern muß. Ohne noch auf irgendeine Lieblingshypothese Rücksicht zu nehmen, geben rein historische Fakta schon dieses Resultat. Die dümmsten Völker nähren sich auf die allereinfachste Art; die Lebensart der klügsten ist am meisten zusammengesetzt.
FEUERBACH: Wir sehen zugleich hieraus, von welcher wichtigen ethischen sowohl als politischen Bedeutung die Lehre von den Nahrungsmitteln für das Volk ist. Die Speisen werden zu Blut, das Blut zu Herz und Hirn, zu Gedanken und Gesinnungsstoff. Menschliche Kost ist die Grundlage menschlicher Bildung und Gesinnung. Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamationen über die Sünde bessere Speisen. Der Mensch ist, was er ißt. Wer nur Pflanzenkost genießt, ist auch nur ein vegetierendes Wesen, hat keine Tatkraft.
DEBORD: Seit den Physiokraten war das explizite Projekt der Bourgeoisie die quantitative und qualitative Verbesserung der Früchte des Bodens. Dieses Projekt wurde während des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus tatsächlich verwirklicht. Den Kritikern des Kapitalismus lag größere Qualität zuweilen noch mehr am Herzen. Namentlich Fourier, den Freuden und Leidenschaften sehr zugetan und ein großer Birnenliebhaber, erwartete von der Herrschaft der Harmonie einen baldigen Fortschritt der geschmacklichen Vielfalt dieser Frucht. An diesem Punkt irrte er.
FEUERBACH: Daher auch bei uns der Sieg der Reaktion, der schmähliche Verlauf und Ausgang der sogenannten Märzrevolution; denn auch bei uns besteht der größte Teil des Volkes nur durch und aus Kartoffelstopfern.
DEBORD: In der Zeit, die der Revolution von 1789 unmittelbar vorausging, kam es bekanntlich zu zahlreichen Arbeiterunruhen infolge damals noch mäßiger Versuche, Brot zu verfälschen, und viele dreiste Pfuscher wurden sofort gehängt, bevor sie ihre Gründe erklären konnten, die sicherlich sehr gut waren. Andere Zeiten, andere Sitten; oder, besser gesagt: der Nutzen, den die Klassengesellschaft aus ihrem hochgerüsteten spektakulären Apparat zieht, wiegt die unvermeidlichen Kosten vollkommen auf. Als man daher vor beinahe zehn Jahren das Brot aus Frankreich verschwinden sah, welches fast überall durch Pseudo-Brot ersetzt wurde (zur Brotherstellung ungeeignetes Mehl, chemische Hefe, elektrische Öfen), führte dieses traumatische Ereignis nicht zu irgendeiner Form von Protest- und Verteidigungsbewegung – wie etwa kürzlich zur Unterstützung der so genannten freien Schule – sondern es verlor buchstäblich niemand ein Wort darüber.
FEUERBACH: Sollen wir aber deswegen verzweifeln? Gibt es keinen Stoff, der die Kartoffel auch bei der ärmeren Volksklasse ersetzen, der zugleich dem Volk männliche Gesinnung und Tatkraft einflößen kann? Ja! es gibt einen solchen Stoff, einen Stoff also, der Bürge einer besseren Zukunft ist, den Keim zu einer neuen, wenn auch langsamen und allmählichen, aber umso solideren Revolution enthält: es ist der Erbsenstoff. Er zeichnet sich durch seinen Reichtum an Phosphor aus: das Gehirn aber kann, wie wir bereits wissen, ohne phosphorhaltiges Fett nicht bestehen. Indes ist es nicht genug, daß wir unter dem Volk Propaganda für den Erbsenstoff machen, um durch die Salze und phosphorsauren Alkalien, die in den Hülsenfrüchten in so reichlicher Menge enthalten sind, das faule Kartoffelblut des deutschen Volkes wieder in Bewegung zu setzen. Auch wir, die wir unverdienterweise so glücklich sind, nicht allein von Kartoffeln zu leben, müssen die Lehre der Nahrungsmittel zu unserer Richtschnur nehmen, wenn wir einen guten Grund zu einer neuen Revolution legen wollen.