10. Planwirtschaft
Wenn es nicht die Kapitalisten oder heute eine dahergelaufene Managerclique ist, die unter Aufsicht der Banken, diesen Hohepriestern der Kapitalakkumulation, die Produktion organisieren, wer dann? Die Gesellschaft höchst selbst ! Mehr hört man eigentlich von Marx nicht wirklich. „Natürlich hat Marx“, schreibt seine Ehefrau Jenny, „keine spezifischen Heilmittel parat, keine Pillen, keine Salben, keine Scharpie, um die klaffenden, blutenden Wunden unserer Gesellschaft zu heilen“. Seine Kritik ist streng negativ und so sehr es stimmt, dass man sich mit utopischen Gedanken zurückhalten soll, da man sich doch nur irrt, ist das natürlich unbefriedigend. Klar scheint zunächst eben nur, dass es kein Privateigentum an Produktionsmitteln geben soll. Doch was bedeutet gesellschaftliche Kontrolle der Produktion und Verteilung der produzierten Güter? Man wird irgendwie die Produktion planen müssen und dass dies die Gesellschaft machen solle, ist gegenüber den bornierten Privategoisten der bürgerlichen Gesellschaft zwar eine Aussage, aber „die Gesellschaft“ ist auch nur eine Abstraktion. Oft bleibt man heute bei der abstrakten Gesellschaft als Organisator der Arbeit im Kommunismus stehen und versteht darunter einfach eine Staatswirtschaft und sei es ein Rätestaat.
Nun hat Marx sich also wenig an die begriffliche Vorwegnahme eines freien Zustands unserer Gattung gewagt und ging mehr nach dem Grundsatz vor, dass eine gelungene Negation des alten, zu überwindenden Zustands die Richtung des künftigen „Vereins freier Menschen“ besser anzeigt, als eine noch so grandiose fouriersche Utopie. Im berühmten Fetischkapitel aus dem ersten Band des Kapitals geht er auf die künftige Organisation immerhin ein. Er projiziert zunächst den Kommunismus in die Privatexistenz von Robinson Crusoe. Dieser muss, auf einer Insel gestrandet, sein Überleben organisieren und bei aller Bescheidenheit „hat er doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und muß daher nützliche Arbeiten verschiedener Art verrichten, Werkzeug machen, Möbel fabrizieren, Lahma zähmen, fischen, jagen usw.“ Er kann dies nicht frei organisieren, da er doch sehr abhängig von den kargen Umständen bleibt und muss deshalb einen gewissenhaften Plan entwerfen: „Die Not selbst zwingt ihn, seine Zeit genau zwischen seinen verschiedenen Funktionen zu verteilen.“ Insbesondere schätzt er die durchschnittlichen Arbeitszeiten ein, die die verschiedenen Zwecke erfordern, führt genaues Buch darüber. Einerseits merkt Marx an, diese Phantasie einer Alleinwirtschaft wäre im Gegensatz zur heutigen Warenproduktion „einfach und durchsichtig“ und das obwohl, auch wegen der aus der Not geborenen Arbeitszeitrechnung, hier dennoch „alle wesentlichen Bestimmungen des Werts enthalten“ seien. Danach stellt sich Marx, und das ist bei ihm wirklich selten, „zur Abwechslung einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben.“ Hier würden sich nun alle Bestimmungen von Robinsons Arbeit wiederholen, nur diesmal als gesellschaftliche Bestimmungen. Waren alle Produkte Robinsons „ausschließlich sein persönliches Produkt und daher unmittelbar Gebrauchsgegenstände für ihn“, ist das „Gesamtprodukt des Vereins“ unmittelbar ein „gesellschaftliches Produkt.“ Das ist es eigentlich auch schon, was uns Marx über unsere Zukunft sagen will: Produktion und Verteilung ist im Kommunismus eine im höchsten Grade pragmatische und vor allem durchsichtige Angelegenheit.
Bemerkenswert ist dabei, dass die Arbeitszeit in Marxens Skizze weiter eine dominante Funktion einnimmt. Sie „würde eine doppelte Rolle spielen“: „Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiedenen Arbeitsfunktionen zu den verschiedenen Bedürfnissen. Andererseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil, des Gemeinprodukts.“ Es ist dies manchmal zum Anlass genommen worden, Marx vorzuwerfen, er würde die kapitalistischen Kategorien in die Zukunft verlängern. Tatsächlich grenzt sich Marx mindestens von letzterer Funktion, der individuellen Arbeit als Maß des Anteils an den Produkten der Gesamtarbeit, ab. Er sagt deutlich, „die Art dieser Verteilung wird wechseln mit der besonderen Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Produzenten“. Er benutze die individuelle Arbeitsleistung „nur zur Parallele mit der Warenproduktion“, gewissermaßen, dass wir besser verstehen können. Aber in seiner Kritik des Gothaer Programmentwurfs der damaligen Sozialdemokratie wird er diese bornierte Form der Verteilung für eine Übergangsphase zum Kommunismus wieder aufgreifen. Die andere Funktion der Arbeitszeit findet sich auf Seiten der Produktion. Marx macht im selben Kapitel überaus deutlich, „in allen Zuständen mußte die Arbeitszeit, welche die Produktion der Lebensmittel kostet, den Menschen interessieren.“ Warum nicht auch nach der Revolution? Aber insbesondere schränkt er die penible Arbeitszeitrechnerei bei unserem Robinson Crusoe ein, indem er die Not als deren Ursache bestimmt. Aber die Not wird durch eine Umwälzung der Eigentumsordnung bekanntlich nicht sofort verschwinden. Und auch ohne jede Not kann es von Vorteil sein, Arbeitsmengen zu kalkulieren, auf Effektivität zu achten etc. Der entscheidende Unterschied zur künftigen, erst praktisch zu entwickelnden Produktionsweise, und das ist zunächst der springende Punkt der Marx’schen Argumentation, besteht darin, dass hier sofort die „gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten durchsichtig und einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution“ erscheinen. Wenn man also annimmt, dass etwa in Bereichen der Rohstoffförderung, des Rohstoffrecyclings oder überhaupt bei der ersten, allgemeinen Verarbeitung der Naturstoffe bis hin zum Maschinenbau, in der gesellschaftlichen Planung auch in Zukunft mit Arbeitszeiten und korrespondierend mit verfügbarer Arbeit gerechnet wird, je mehr die Produkte tatsächlich den Menschen zum unmittelbaren Gebrauch und Genuss dienen sollen, desto weniger wird man sich darum scheren, ob die Naturverarbeitung viel Zeit benötigt oder wenig. Das Essen soll lecker, die Kleider schön oder zweckmäßig, die Gärten, die Häuser und überhaupt all die Mittel des Lebens sollen gefallen und wenn man dafür eine längere Zeitdauer aufwenden muss.