Pamphlet gegen die Meisterschwätzerin Prof. Dr. Rahel Jaeggi
„Kritische Wissenschaft“ geht nur gegen die Professoren!
Da innerhalb der Besetzung des ISWs der Ruf nach kritischer Lehre immer lauter wurde, weisen einige Studenten der Philosophie darauf hin, dass die berechtigte Kritik der Lehre zuallererst die Kritik des Denkens unserer Professoren ist! Wir fordern alle Studenten zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit der geistigen Scharlatanerie dieser Universität auf, wollen mit gutem Beispiel vorangehen und beginnen deshalb den theoretischen Klassenkampf mit einem Aushängeschild kritischer Lehre an der Humboldt-Universität:
Prof. Dr. Rahel Jäggi
Rahel Jäggi gehört, was die Professorinnen und Professoren der HU angeht, sicherlich zu den Politischsten. Sie hält Vorlesungen über Adorno, positioniert sich zu tagespolitischen Themen und der ein oder andere hat sie vielleicht sogar mal auf einer Demonstration gesehen. Obwohl es stutzig machen könnte, wie eifrig ihr manch einer nachrennt (die Anbiederung muss sich hier natürlich ganz „kritisch“ geben), so ist es doch verständlich, dass ihre Seminare voll sind und sie einen gewissen Ruf in der linken Studentenschaft errungen hat. Diesen Ruf hat sie zu Recht, aber es liegt nicht an ihr: big fish, little pond! Rahel Jäggi strahlt, weil die HU nichts Besseres zu bieten hat. Wo kritische Theorie drauf steht, ist meistens etwas anderes drin. Wir möchten es uns herausnehmen, alle Studenten vor der Theorie Rahel Jäggis zu warnen! Ihr Denken ist Teil des Verblendungszusammenhangs und das ist perfide, weil es gleichzeitig so tut, als würde es aus diesem herausführen. Wer sich für Philosophie interessiert; wer deshalb die Kritik dieser Gesellschaft für ein Gebot der Vernunft hält; der sollte mit der „Kritik der Lebensformen“ keine Zeit verlieren.
I. Das liegt in aller erster Linie daran, dass die „Kritik der Lebensformen“ im engeren Sinne überhaupt keine Philosophie ist. Es mag unangebracht erscheinen, Jäggi mit Hegel zu vergleichen, denn wer kann sich schon mit dem König messen, aber Hegel war schließlich auch Angestellter dieser Universität. Kann sein, der menschliche Geist ist in den 186 Jahren seit seinem Tod nahezu verreckt und wir sind heute nicht mehr in der Lage, auf dem Level von Hegel zu spekulieren. Aber eine Frage sei hier doch einmal gestellt: Wieso muss sich Hegel den Kopf über die Frage zerbrechen: „Womit muss der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?“ und Rahel Jäggi darf ganz fluffig voraussetzen, dass es so etwas wie „Lebensformen“ überhaupt gibt, um die sie ihre Theorie aufbaut: „Das erste Kapitel dient der ersten Eingrenzung und Bestimmung dessen, womit wir es bei der Rede von ‚Lebensformen‘ überhaupt zu tun haben“. Damit ist einfach etwas eingeführt, wird schwach begründet (der Alltagssprachgebrauch!), aber niemals wirklich eingeholt. Natürlich ist so ein Einwand nicht gerecht. Und wir wollen nicht den Begründungszusammenhang ihrer Theorie in Frage stellen, denn wir sind keine Kantianer. Aber das eklatante Qualitätsgefälle zwischen Hegel und Jäggi, das zu artikulieren Probleme bereitet, lässt sich vielleicht erahnen in der Tatsache, dass die selbstgewählten Kriterien an Kohärenz und Konsistenz des einen, obwohl er demselben Beruf angehört, für die andere nicht einmal spaßeshalber angenommen werden können. Weil sie dem Anspruch und dem Reflexionsniveau nach so weit auseinander sind, klingt es wie ein Witz, Jäggi und Hegel zu vergleichen.
Nun ist es keine Blamage, schlechter als Hegel, Marx oder Adorno zu sein. Und man kann Jäggi auch nicht vorwerfen, dass sie mit ihrer lauen Theorie Karriere macht. Allerdings ist es den Studenten vorzuwerfen, wenn sie sich für dumm verkaufen lassen! Wer sich für den Gegenstand wirklich interessiert, der kann mit der von ihr gutierten Depotenzierung der Philosophie nicht zufrieden sein, müsste vielmehr Heulkrämpfe kriegen, wenn Jäggi die urphilosophische Frage nach dem inneren Zusammenhang der Gesellschaft des Menschen als „Paternalismus“ bezeichnet oder die nach dem guten Leben eine „Sahnehäubchenfrage“! Fürchtet sie sich vor der „Sittendiktatur“, weil Philosophen (also Wahrheitslieber) sich vor der Wahrheit nicht fürchten, dann müssen wir vielleicht daran zweifeln, es überhaupt mit einer Philosophin zu tun zu haben. Natürlich tritt Jäggi „wider die ethische Enthaltsamkeit“ an, will also paternalistisch und deshalb mutig nach dem guten Leben fragen, aber sie tut das mit zu großem Respekt, noch im stillen Einverständnis mit dem allseitigen Skeptizismus der Postmoderne, obwohl sie diesem – dem Buchstaben nach – doch den Kampf angesagt hat. Diese Auseinandersetzung gelingt ihr deshalb nicht, weil der Kniff ihrer Philosophie die Kritik ist, womit sie zur Kantianerin wird, die nach „Bewertungskriterien“ fragt. Die Kantianerin ist aber immer ein Doppelwesen, halb idealistische Dogmatikerin (Kategorien, Ideen), halb materialistische Skeptikerin (Ding-an-sich). Im Fall von Jäggi heißt das: Lebensformen werden zwar dogmatisch vorausgesetzt, deren wahre Erkenntnis soll aber ein Ding der Unmöglichkeit sein:
„Dass ich die Frage nach dem Gelingen von Lebensformen dabei aus der Perspektive der Kritik stelle, ist kein Zufall. Es soll nämlich nicht darum gehen, die Generalkonzeption einer richtigen Lebensform am grünen Tisch zu entwerfen – solche ethischen Gesamtentwürfe scheinen mir weder wünschenswert noch aussichtsreich.“
Bei dieser schüchternen Zurückhaltung, die eigentlich Verlegenheit ist, wünschte man sich, Jäggi würde das Bilderverbot einmal brechen und am Reißbrett eine befreite Gesellschaft planen. Dann würde sich die vermeintliche Rücksicht auf alternative Lebensentwürfeentlarven als die Angst vor dem blamablen Resultat, das dabei herauskäme. Wie sehr unterscheidet sich ihr dogmatischer Skeptizismus vom sich selbst vollbringenden Hegels, der wusste, dass die Angst vor der Falschheit nichts anderes ist, als getarnte Unlust an der Wahrheit:
„Inzwischen wenn die Besorgnis, in Irrtum zu geraten, ein Mißtrauen in die Wissenschaft setzt, welche ohne dergleichen Bedenklichkeiten ans Werk selbst geht und wirklich erkennt, so ist nicht abzusehen, warum nicht umgekehrt ein Mißtrauen in dies Mißtrauen gesetzt und besorgt werden soll, daß diese Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist“. Hieraus ergibt sich, dass „das, was sich Furcht vor dem Irrtume nennt, sich eher als Furcht vor der Wahrheit zu erkennen gibt.“
II. Was diese philosophische Fehlentscheidung für Kant bei der Kritik der Gesellschaft bedeutet, beweist sich an der Art, wie Jäggi das Kapitalverhältnis behandelt:
„Ausgehend von der Frage, auf welcher Grundlage der Kapitalismus sich heute kritisieren lässt, ordnet der Text Argumente der Kapitalismuskritik drei Argumentationswegen (funktional, moralisch, ethisch) zu und untersucht diese in ihren argumentativen Vorgehensweisen.“
Wie bei der Kritik der Lebensformen tollkühn vorausgesetzt wurde, dass es so etwas gibt und dass es kritikwürdig ist, ist auch hier vorausgesetzt, dass der Kapitalismus etwas ist (ohne, dass man sagen könnte, was genau) und dass man ihn zu kritisieren hat. Dadurch wird – wie bei Handreichungen à la „10 Argumente gegen rechts“ – das Interesse vom Gegenstand, hier: dem Kapitalverhältnis, abgezogen, weil man der Kritik den Vorrang gibt. Diese kann dann zwar nichts treffen, weil sie den Gegenstand nicht kennt, aber das eben auch nicht will: Es geht nicht um den Gegenstand, Kritik ist Selbstzweck. Mit Marx hat das freilich nichts zu tun, denn der hat im Kapital die politische Ökonomie in erster Linie systematisch dargestellt. Weil Jäggi die Systematik Marxens nicht kennt, ist es für sie „nicht so selbstverständlich“, „das(s)[?] am Kapitalismus [etwas] intrinsisch falsch ist“, was wieder nicht ihre redliche Ergebnisoffenheit beweist, sondern schlechte Marx-Lektüre. Die unbeholfene Art, wie sie im Einleitungs-Aufsatz des Buches „Karl Marx – Perspektiven der Gesellschaftskritik“ die Dimensionen Politik, Ökonomie und Philosophie im Denken von Marx „wie beim beliebten Spiel Stein Schere Papier“ gegeneinander ausspielen möchte, ohne den Begriff der Totalität zu erwähnen, entlarvt ihr falsches Verständnis von Marx eben so sehr, wie der Umstand, dass in dem Referat, welches sie auf dem Marx-Kongress gehalten hat, der Fetischcharakter der Ware nicht erwähnt wird. Diese Ignoranz folgt direkt aus ihrem philosophischen Ansatz: Das Spezialinteresse für die Kritik verunmöglicht ihr, die Gegenstände (Marx, Kapital) wirklich in Augenschein zu nehmen.
Fleißig ist sie bemüht, Kapitalismuskritiktypen voneinander zu trennen, die eigentlich zusammengehören, denn Kritiktypen sind ihr Geschäftsfeld: je mehr es davon gibt, je verwickelter es ist oder man es sich macht, desto mehr gibt es darüber zu schreiben, desto länger lässt sich davon zehren. Sie weiß Bescheid: man kritisiert heute die verkürzte Kapitalismuskritik, die auf die Gier der Banker abzielt und doch reproduziert Jäggi diesen Kritiktypus wieder, wenn sie in ihren eigenen Vorschlag einer Kapitalismuskritik eine „institutionalisierte Gier“ aufnimmt, die kaum treffender ist, als die personalisierte Kapitalismuskritik, die gegen Banker hetzt. Pfadfinderisch schlägt sie vor:
„Die Entfremdungs- und Versachlichungskritik beispielsweise bekommt eine ganz andere, viel weniger nostalgische Pointe, wenn diese Elemente als Unterlaufung des modernen Versprechens auf Freiheit und Selbstbestimmung selbst analysiert werden.“
Als hätte Marx den Glauben an die bürgerlichen Werte nicht für Ideologie gehalten, weil diese ihre volle Verwirklichung schon erreicht und deshalb kein Potenzial mehr haben. Hier existiert kein Rest, den man normativ mobilisieren könnte und doch geht Marx über das Kapitalverhältnis hinaus, aber eben nicht durch die Kritik an demselben, sondern durch den Aufweis seiner vollständigen Rationalität. Marx’ Umgang mit der bürgerlichen Gesellschaft ist contraintuitiv: im „Kapital“ erfindet er die Vernunfteinsicht gegen die Vernunft.
III. Weil Jäggi Marx für einen Kritiker hält und nicht für einen Philosophen, muss sie glauben, Adorno sei Theologe. Sie erkennt bei dem einen nicht, dass der höchste Punkt seines Buchs die Dialektik der Aufklärung bereits in sich enthält, und nimmt deswegen die Entwicklung dieses Gedankens bei dem anderen für Mystik:
„So gilt die Dialektik der Aufklärung Habermas als ‚totalisierende, ans Andere der Vernunft apellierende Vernunftkritik‘, die im Umfeld poststrukturalistischen Denkens eine Fortsetzung gefunden hat.“
Niemand, der die Dialektik der Aufklärung gelesen hat, darf so etwas sagen! Lassen wir die Feigheit, mit der sie sich auf ihren geistigen Großvater Habermas bezieht, um die Verantwortung für die Verdammung Adornos nicht selbst tragen zu müssen, bei Seite: was Jäggi hier sagt ist schlicht und ergreifend falsch. Es ist falsch, weil sie (hier zeigt sich wieder der Kantianismus) das Andere der Vernunft nur als das ganz Andere denken kann; es ist falsch, weil es Adorno mit der Postmoderne in Verbindung bringt, also der Absage an die Vernunft, die dieser wie kein zweiter außer Hegel bekämpft hat; und es ist falsch, weil es sagt, (Adornos) Denken ließe sich (durch Butler oder Habermas) einfach „fortsetzen“ und müsste nicht in der Weise aufgehoben werden, wie Adorno den Marx und wie Marx den Hegel aufgehoben hat. In einem: es ist falsch, weil es kein dialektisches Denken ist.
Wir hoffen, die scharfen Worte strapazieren das Gemüt unserer Leser weniger als ihre Hirnrinde. Für den polemisierenden Ton wollen wir uns entschuldigen: vielleicht mangelt es uns an Konstruktionstalent, aber wir nehmen derzeit an, dass der Gegenstand, die Theorie Rahel Jäggis, so flach ist, dass er eine andere Art der Widerlegung als die Blamage nicht zulässt. Für uns besteht kein Zweifel daran, dass sie von ihrem Aufgabenbereich, der Kritischen Theorie, nichts versteht. Lasst Rahel Jäggi ruhig auf ihrem Lehrstuhl, bis sie endlich nach Frankfurt kann – über Hegel, Marx und Adorno sollte sie schweigen!
Wenn im ISW also Rufe nach „kritischer Lehre“ laut wurden, muss uns klar sein, dass wir das nicht einmal von den kritischsten Professoren geliefert bekommen: es gibt in Deutschland seit Adorno keinen kritischen Wissenschaftler auf einem Lehrstuhl, abgesehen davon, dass „kritische Bildung“ keine Dienstleistung ist, die man einfach empfangen könnte. Stattdessen gilt es für die Studentin und den Studenten, sich das, was es nicht zu kaufen gibt und was man sich deshalb auch nicht schenken lassen kann, selbst zu nehmen. Erster Schritt dazu ist, die Abwesenheit qualitativer Lehre an der Hochschule zu akzeptieren. Der zweite Schritt, dem Professor, der, einmal als Taugenichts entlarvt, keinen Respekt mehr verdient, theoretisch zu attackieren! Fühlen wir uns nicht in unserem Narzismus gekränkt, wenn Professoren auf hochdotierten Stellen sitzen, die wir besser ausfüllen könnten? Jeder weiß, dass die guten Seminare an der HU die Projekttutorien sind.
Wir rufen daher dazu auf, den Professoren die Gefolgschaft zu kündigen und die Lehre selbst in die Hand zu nehmen! Lasst euch nicht länger verblöden! Wer die Welt verstehen will, geht dafür nicht zum Professor.
Auf in den theoretische Klassenkampf!
Lang lebe die Wahrheit!
Nieder mit der Universität der Professoren!
(Etwa Anfang Februar 2017)