Editorische Notiz – Warum wir eure Nächte in Brand stecken
In Griechenland existiert seit Jahren die Praxis kleiner Nadelstiche, indem Gruppen von Anarchisten losziehen und eine kleine Bombe oder einen Brandsatz in ein ungeliebtes Gebäude schmeißen. Diese Minderheiten tun das offenbar mit der Absicht, „Impulse der Unordnung“ in der befriedeten Gesellschaft zu erzeugen, und das wieder in der Hoffnung, dass sich doch einige Risse auftun und Polarisierungen ergeben: „Selbst wenn die meisten Leute aktuell diese Angriffe ablehnen, nisten sie sich in ihr Bewusstsein ein, und in einem Augenblick gesellschaftlichen Aufruhrs eignen sie sich diese Formen und Mittel an, um ihre Wut auszudrücken, wenn alle traditionell gültigen Formen politischer Aktivität unzureichend sind.“ (A. G. Schwarz – Signals of Disorder: Sowing Anarchy in the Metropolis) Insbesondere im Laufe des Jahres 2008 kam es zu zahllosen solcher Anschläge, und nachdem im Dezember desselben Jahres ein anarchistischer Jugendlicher von der Polizei erschossen worden war, schien diese Taktik aufzugehen: Es kam zu wochenlangen Ausschreitungen mit einigen improvisierten Besetzungen, bei dem sich die anarchistische Szene für einen Augenblick inmitten einer verallgemeinerten Erhebung befand. Von dieser Erhebung geschockt, flohen der Erzählung nach viele der gesellschaftsverträglichen Anarchisten in die Wirtschaftsschule, um dort ihre altmodische Szenepolitik zu betreiben, während sich das Polytechnikum zum Ausgangspunkt zahlloser Angriffe entwickelte. Die Stunde des sog. „aufständischen Anarchismus“ hatte geschlagen.
Letzterer weiß um die Komplizenschaft der griechischen Gesellschaft mit den bestehenden Verhältnissen, und hat auch ein Gespür dafür, wenn diese, wie aktuell, in Scherben fallen. Daher präsentiert er sich in seinen Worten meist als individualistisch, nihilistisch und antigesellschaftlich, zielt aber auf eine freie Assoziation der selbstständigen Individuen und eine allgemeine Revolution. Aus diesem Widerspruch Kraft speisend, fuhren Anhänger dieser Strömung auch in den Jahren nach dem Dezemberaufstand und inmitten der einbrechenden Wirtschafts- und Staatskrise, der Polizeirazzien gegen Migranten, der konfusen Protestbewegungen und der ritualisierten Streiks darin fort, derlei kleinere Angriffe durchzuführen und manchmal zu koordinieren, manchmal zu intensivieren. Bis etwa zum 5. Mai 2010 schien sich auch die allgemeine Proteststimmung zuzuspitzen. Seither setzt aber eine zunehmende Repression ein, und hunderte Anarchisten unterschiedlicher Richtung wurden eingesperrt, zahlreiche Zentren geräumt. Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich weiter, die Selbstmord- und Depressionsrate steigt, die Nazis feiern Wahlerfolge und kontrollieren Teile der Straße, rassistische Angriffe greifen um sich, Pogrome finden statt, und niemand weiß Bescheid, wie es weiter gehen soll. Griechenland könnte derart ein Bild der Zukunft sein.
In diesem Buch sind einige Schreiben einer der anfangs erwähnten Gruppierungen dokumentiert. Es handelt sich um die Verschwörung der Feuerzellen. Dieses informelle Netzwerk hat beschlossen, einen einheitlichen Namen zu benutzen und längere Kommunikees zu schreiben. Mittlerweile hocken viele der Mitglieder der „ersten Generation“ im Knast. Die Texte enthalten, bei all dem den gewählten Mitteln geschuldeten Pathos, sicher einiges von Interesse.
Et al., Januar 2014