Weltwetter in Syrien
Oder: Was macht eigentlich der Thomas von der Osten-Sacken?
Inzwischen ist es ja schon einige Jahre her, dass Teile der sogenannten Antideutschen Linken mit viel Krach und Tamtam begannen, bürgerliche Politik zu propagieren. Wo utopischer Kommunismus war, da sollte Demokratie, Liberalismus oder Konservatismus sein. Die Freunde der offenen Gesellschaft waren damals ein besonders schriller Ausdruck dieses mit den Attentaten vom 11.9.2001 einsetzenden Schwenks, Stop the Bomb später ein besonders seriöser. Vorangetrieben wurde diese Entwicklung allerdings von der Zeitschrift Bahamas. Einer der Leute, die von dieser Zeitschrift plötzlich als Experten über den Irakkrieg präsentiert wurden, war der zuvor schon in der Jungle World aufgefallene Thomas von der Osten-Sacken, der damals ein wenig über die blühenden Landschaften eines demokratischen Iraks labern durfte. Das war alles relativ lächerlich und die Bahamas hat einige Jahre später sogar wieder ihre Position geändert und will nichts mehr mit diesen Neuliberalen, Neudemokraten und Neukonservativen zu tun haben. Von der Osten-Sacken aber macht immer noch Politik. Und Politik, das ist Propaganda. Er betreibt u.a. einen Blog für die stets lahme Jungle World. Und da agitiert er gerade unter anderem gegen den russischen Militärangriff auf Syrien.
Wie sieht das aus?
Von der Osten-Sacken zitiert hauptsächlich irgendwelche seine Linie untermalenden Artikel aus dem Netz und kommentiert sie kurz. Etwa den Spiegel: „Wladimir Putin hat den Kampf gegen den IS angekündigt – doch er bombardiert seither vornehmlich dessen Gegner, die moderaten Rebellen. Und hilft damit Assad“. Und von der Osten-Sacken kommentiert: „Und mehr Worte bräuchte es eigentlich auch nicht“. So einfach ist das also. Im Folgendem einige von Osten-Sackens Fallbeispielen.
I. Er zitiert etwa die Gruppe Adopt a Revolution: „Verdammt! Russland behauptet, in Syrien gegen ISIS vorzugehen. Doch heute morgen wurde Talbasieh bombardiert, wo unser Projektpartner aktiv ist. ISIS wurde in der Stadt bislang noch nie gesehen – dafür wird sie vom Assad-Regime belagert.“
Talbisah liegt nördlich von Homs und hat oder hatte 30.000 Einwohner. Dort herrschen gerade die Rebellen. Tatsächlich nicht der Islamische Staat, sondern andere Verbände, nämlich nach dem Institute for the Study of War der „syrische Al-Kaida-Ableger Jabahat al-Nusra, der strikt islamistische Ahrar al-Sham und eine Anzahl anderer lokaler Rebellengruppen.“ Diese Teilen sich die Herrschaft. Unter anderem gibt es ein Shariagericht, aber auch kleine Demonstrationen gegen dasselbe Gericht: „Mehr als ein Dutzend Einwohner von Talbisa haben gegen ein örtliches Shariagericht protestiert, dass von Jabhat a-Nusra und Ahrar al-Sham kontrolliert wird, da dieses junge Männer einsperrt, ohne ihre Familien über ihr Verbleiben oder die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren.“ Und Adopt a Revolution hat da seit neuestem einen Projektpartner: ein Medienzentrum. Das ist Kronzeuge für die Harmlosigkeit der ansässigen Rebellengruppen: „Auch die Al-Kaida-nahe Jabhat al-Nusra, die auch Ziel der US-geführten Luftangriffe in Syrien ist, ist in der Gegend nicht aktiv.“ Ahrar al-Sham erwähnen sie lieber nicht und so behaupten sie: „Talbiseh wird von der Jaysh al-Tawhid kontrolliert.“ Soweit so schön. Jaysh al-Tawhid ist nach dem Internet ein im Mai 2015 gegründetes lokales Bündnis einiger Gruppen mit, gelinde gesagt, wenig vertrauenserweckenden Logos, die schon zeigen, dass es sich hier keineswegs nur um moderate Kräfte handelt, sondern auch um Bataillone der Islamischen Front. In Reaktion auf die neuerliche Offensive ihrer Feinde haben dann inzwischen nach Syria Direct die FSA, Al Nusra und Ahrar ash-Sham in den ländlichen Gebieten nördlich von Homs ein Militärbündnis gebildet und so kämpfen wie so oft alle Rebellenfraktionen des syrisch-islamischen Widerstandes Seite an Seite gegen das Regime Assads. Die Projektpartner haben die frohe Botschaft aber ihrem Partner Adopt a Revolution bislang nicht gefunkt und auch Thomas von der Osten-Sacken lässt sich durch solcherlei Umstände kaum beeindrucken.
II. Dasselbe Spiel nördlich von Hama. Kronzeuge Osten-Sackens ist diesmal der Guardian und da darf sich ein Kommandeur der FSA-Gruppe Tajamul Ala’Azza über die russische Bombardierung beklagen. Diese Splittergruppe wirbt mit einem coolen Video: Drill zu apokalyptischer Musik aus Hollywood. Harte Jungs, die sich wechselseitig über die Bäuche sprinten können. Sehr empfehlenswert. Diese von der CIA handverlesene Gruppe ist außerdem Teil der Victory Army oder Jaish al-Nasr und dieses FSA-Bündnis kämpft nördlich von Hama gerade an der Seite von Ahrar ash-Sham und Jaysh al-Islam.
III. Nächstes Beispiel. Die Schlacht in und um Aleppo. Kronzeuge Osten-Sackens ist diesmal das Internetportal The Daily Beast: „Die Kampfjets des russischen Präsidenten Wladimir Putin beschossen ein Munitionshaus und zerstörten Artillerie, gepanzerte Truppenfahrzeuge und sogar Panzer, die der Liwa Suqour al-Jabal gehörten oder den Mountain Eagles, einer U.S.-gestützten Brigade der Freien Syrischen Armee“. Diese handverlesene Gruppe ist Teil von Fatah Halab, einen Zusammenschluss zahlreicher islamistischer Gruppen und einiger FSA-Gruppen, etwa der Ritter der Gerechtigkeit, der Islamischen Front und der Sham Legion. Hier eine Liste der ulkigen Logos dieses illustren Bündnisses. Jedenfalls führte dieses Bündnis die legendäre Schlacht um Aleppo Seite an Seite mit einem weiteren Rebellenbündnis, Ansar al-Sharia
Das alles dürfte Osten-Sacken bekannt sein. Bei aller Unübersichtlichkeit der unzähligen Rebellenverbände und ihrer wechselnden Bündnisse ist es nun wahrlich kein Geheimnis, dass seine Freie Syrische Armee im Zweifel zusammen mit sunnitischen Islamisten aller Fraktionen gegen Assad kämpft. Die FSA-Verbände sind dabei selbst nur ein loses Bündnis, gegründet 2011 von einigen desertierenden Generälen der syrischen Armee. Viel mehr, als dass sie moderat seien, hört man über ihre Ziele nie. Politisch werden sie wohl am ehesten vom Syrian National Council vertreten, einer international erstaunlicherweise anerkannten, heute völlig bedeutungslosen Körperschaft, in der die Muslimbrüder schon schnell die Mehrheit stellten. Diese Rebellen sind nur gegen die anderen Rebellengruppen moderat und wollen auch einen islamischen Staat, aber eher wie in Ägypten unter Mursi oder der Türkei unter Erdogan. Seit 2014 wurden sie größtenteils durch den IS, die Nusra-Front und Ahrar ash-Sham verdrängt, dienten und dienen aber weiter als Aushängeschild, um an westliche Waffen zu kommen. Im Falle eines Siegs der Rebellen werden sie aller Wahrscheinlichkeit als demokratisches Feigenblatt ausgedient haben und radikalere Islamisten übernehmen endgültig. In einem Gastbeitrag von David Kirsch wird das indirekt ein wenig deutlicher. Er zitiert nämlich ein ulkiges Gespräch auf Twitter. Ein Julian Röpcke schreibt „Russische Luftschläge in Al-Lataminah wieder aufgenommen, #Hama Prov. Ziele sind Anti-ISIS-Rebellen“. Und ein TheEqualizer antwortet: „Deine Anti-IS-Rebellen sind die Massenmörder von Al Kaida (Nusrafront). Du bewunderst diese Terroristen. Eine Schande“. Darauf unser Kronzeuge für den Jungleblog, Julian Röpcke: „Stimme zu. Aber ich bin ein Pragmatiker. Islamistische Rebellen sind die besten verfügbaren“. Julian Röpcke arbeitet für die Bild, aber diese Tweets sind privat.
Der gegenwärtige Frontverlauf
Putin wird von Osten-Sacken als ein Lügner dargestellt, der unter dem Deckmantel, gegen den IS zu kämpfen, Assad den Rücken stärkt. Mag sein, dass die russische Propaganda ein wenig den IS in den Vordergrund rückt, aber es bestand zu keiner Zeit ein Zweifel, dass die Russen, wenn sie denn intervenieren, zugunsten Assads intervenieren. Russland hat Assad ja schon die ganzen Jahre den Rücken gestärkt. Und so flankiert es aktuell eine Bodenoffensive der Truppen der Zentralgewalt: Einheiten der regulären Syrischen Arabischen Armee, unterstützt von schiitischen Islamisten wie der Hisbollah und zunehmend auch von diversen iranischen Einheiten. Das alles wird von Russland offen gehandelt und es ist vielmehr Osten-Sacken, der sich mit seiner Berichterstattung schon der Darstellung der wirklichen Frontverläufe und des allgemeinen Kriegsgeschehens entzieht. Seine implizite politische Parteinahme für den sunnitischen Gottesstaat sei ihm geschenkt. Wir werden noch sehen, woher sie kommt. Aber das entbindet nicht von eine korrekten Wiedergabe der Kräfteverhältnisse.
Die Offensive läuft buchstäblich an allen Fronten. Wer sich einen heroischen Überblick verschaffen will, sei auf die freie russische Propagandaagentur South Front verwiesen, die wenigstens die Fronten klar darstellt. Sie richtet sich tatsächlich nicht in der Hauptsache gegen den IS. Der IS mag einen großen Flecken der Kriegskarte Grauschwarz einfärben, aber das sind wenig besiedelte Wüstengebiete. Wichtig ist der Westen des Landes und dort insbesondere die Verbindungen von Damaskus, Aleppo und Latakia. Die sind der Grund der Offensiven nördlich von Homs, nördlich von Hama und natürlich rund um Aleppo, denen Osten-Sacken seine Fallbeispiele entnahm. Bei Aleppo wird scheinbar nicht versucht, diese Stadt selbst wieder vollständig einzunehmen. Vielmehr konzentrieren sich die Kräfte zunächst auf die Verbindungsroute nach Latakia und Damaskus. Man versucht passend dazu auch, von Latakia aus in Richtung Aleppo vor zu stoßen. Ferner gibt es Offensiven in Ghouta bei Damaskus und an der Südfront. Das sind alles Kämpfe der Truppen Assads gegen den bunten Mix der untereinander sowohl zerstrittenen wie in permanent wechselnden Allianzen kämpfenden syrischen Rebellen, meist abzüglich dem IS, aber inklusive der Nusra-Front und Ahrar ash-Sham. Es gibt dabei militärisch keinen Sinn, zwischen FSA-Verbänden und radikaleren islamistischen Verbänden zu unterscheiden. Und es tun das weder Osten-Sacken noch die zahlreichen Kriegskarten dieser Region, auf denen die Rebellengebiete mit derselben Farbe gefärbt sind und nur der abtrünnige IS eine eigene bekommt. Inzwischen deutet sich aber auch eine Versöhnung mit dem Islamischen Staat an, der parallel mit anderen Rebellenverbänden die durch die Wüste improvisierten Nachschublinien der Kräfte Assads nach Aleppo angreift. Die relative Aussparung des IS liegt dabei hauptsächlich an den relativ unbedeutenden Gebieten, die in Syrien vom IS kontrolliert werden. Ferner mögen auch Überlegungen eine Rolle spielen, nach denen die anderen islamistischen Kräfte gefährlicher für die Zentralgewalt Syriens sind, da sie stärkere und offenere Unterstützung durch diverse ausländische Mächte erhalten, während der IS weitgehend isoliert ist und insbesondere die USA gegen sich hat. Das alles ist jedenfalls korrekte militärische Strategie und nicht Teil eines von Osten-Sacken unterstellten besonders perfiden Plans. Es stimmt auch nicht, dass der IS gar nicht Ziel der neuen Offensive wäre. Gegen den IS gibt es eine Offensive nordwestlich von Aleppo. Außerdem versucht die irakische Armee eine Übereinkunft mit Russland zu erreichen, damit sie ihrerseits gegen den IS in die Offensive kommt. Das wird aber bislang von den USA verhindert. Die USA wiederum scheint ihre Angriffe auf den IS zu verschärfen und man kann im Grunde davon sprechen, dass die Luftwaffen Russlands und der USA sich die Arbeit teilen. Soweit einige Impressionen des gegenwärtigen Frontverlaufs.
Body Count
Die enorme Zahl der Opfer dieses Krieges ist natürlich Grund genug für jeden moralischen Aufschrei und der Krieg der Zentralgewalt ist grausam. Die Hauptfeindschaft gegen Assad wird von Osten-Sacken dann auch unter anderem damit begründet, dass die meisten Opfer durch die Truppen Assads verursacht würden. Dem ist so. Es ist aber immer etwas schwer, Kriege und Kriegsparteien nach den Opferzahlen zu beurteilen und es ist letztlich immer nur ein Vorwand. Politische Fragen sind wichtiger. Normalerweise geht die Parteinahme dem Verweis auf die Opfer zuvor. Auch bei den sogenannten Antideutschen: 1. Saudi Arabien tötet in Jemen sicher mehr, als die jemenitischen Verbände und die der verbündeten schiitischen Houti, aber letzteren wird vorgeworfen, sie seien mit dem Iran im Bunde und so ist man im Grunde für die Saudis, wenn auch in diesem Falle etwas klammheimlich. 2. Die israelischen Truppen töteten deutlich mehr Palästinenser im Gaza als andersherum. Viele hat das nicht gestört und haben darauf verwiesen, dass die Hamas die eigenen zivilen Opfer in Kauf nimmt und mit ihren recht zielungenauen Raketen direkt auf die Zivilbevölkerung der Gegenpartei zielt. Die Opfer werden im Prinzip der Seite angelastet, die man politisch als die falsche Seite einstuft. So sei die Hamas an der israelischen Bombardierung des Gazastreifens ursächlich schuldig und damit auch an den Ziviltoten, wobei ja – wie in Syrien – die Unterscheidung zwischen Zivilbevölkerung und Kombattanten mitunter nicht so deutlich ist, wie man sich das wünscht. 3. Die Gegner der Muslimbrüder in Ägypten wiederum tolerieren auch deren blutige Unterdrückung durch General Sisi mit Verweis darauf, dass die Muslimbrüder im Allgemeinen eine repressivere Gesellschaft einführen wollen. – Immerhin bemerkenswert, als die sogenannte freie syrische Opposition im mildesten Fall auf so eine Art Muslimbrüderschaftsdemokratie à la Mursi in Ägypten hinausgelaufen wäre.
Assads Unterstützer argumentieren ähnlich, nur halten sie die Diktatur Assads für die bessere Alternative als einen sunnitischen Gottesstaat oder ein in verschiedene Stücke zerfallenes Syrien, analog zu Libyen. Das fürchterliche unmittelbare Leid, dass die gegenwärtigen Offensiven der Syrischen Arabischen Armee verursachen, fällt für sie dagegen nicht ins Gewicht, bzw. wird den Rebellen angelastet, die sich schließlich schwer bewaffnet in großen Teilen Syriens verschanzt haben. Ebenso wenig ins Gewicht fällt der schiitische Islamismus der Hisbollah und des iranischen Regimes. Man hat hier schlicht andere politische Präferenzen.
Trotzdem ist es natürlich sinnig, über die Ursachen der zahlreichen Kriegstoten nachzudenken. Es ist dabei in der Regel nur nicht sinnvoll, damit unmittelbar eine Parteinahme zu begründen. Zunächst ist die hohe Zahl der Opfer dem Umstand geschuldet, dass keine der kämpfenden Parteien überlegen genug war und ist, um den Krieg schnell zu entscheiden. Dies liegt auf der einen Seite daran, dass die Armee Syriens offenbar keineswegs so schlagkräftig war, wie sie auf dem Papier aussah. Angeblich hat sie 80.000 Soldaten verloren und viele sollen desertiert sein. Russland mag froh darüber sein, dass es anders als die USA überhaupt auf eine Bodentruppe zurückgreifen kann, aber die ist – wie auch von offizieller syrischer Seite eingestanden wird – recht abgenutzt. Das ist ja auch der Grund, warum die schiitischen Milizen in Aktion treten müssen, inklusive der iranischen Verbände. Auf der anderen Seite sind die Rebellenverbände nicht nur zahlenmäßig stark, sondern auch noch durch die unterschiedlichsten Haupt- und Nebenmächte (USA, Türkei, Saudi Arabien, Katar und andere) mit modernen Waffen ausgerüstet. Insbesondere sind sie in der Lage, Panzer zu sprengen und so ist es nicht gerade leicht, eine Rebellenstellung zu nehmen. Ferner operieren die Rebellen gerne in Ortschaften, was die Soldaten der Zentralgewalt zu einem blutigen Häuserkampf zwingt, in dem beide Parteien mit automatischen Gewehren ballern. Die enormen Verluste der Syrischen Armee sollten auch darauf zurückzuführen sein, dass sie sich in diesen Häuserkämpfen schwer tun, die Snipers der Rebellen nicht zu vergessen. Also beschießt man die Rebellen mit schwerem Gerät oder aus der Luft. Die Luftwaffe Syriens ist dabei nicht besonders gut gerüstet, weswegen sie die berühmten Fassbomben einsetzt, sehr improvisierte Bomben mit geringer Zielgenauigkeit. Daher die hohen zivilen Opferzahlen und auch die starken Fluchtbewegungen. Und daher auch die Statik dieses Krieges. Auch die gegenwärtige Offensive geht sehr langsam und sollte sie Erfolg haben, so nur durch ein gehöriges Blutbad, weil die russischen Bomber zwar besser zielen mögen, als die syrischen Fassbomber, aber dabei noch größere Explosionen auslösen und sich auch im Falle eines Treffers durchaus Zivilisten in der näheren Umgebung aufhalten können, zumal in besiedeltem Gebiet. Kommen die Bodentruppen dann nicht voran, geht einfach das Gemetzel weiter, ohne dass es substantielle Geländegewinne gibt. Und so sehr sich Russland als game changer inszeniert, die Bodentruppen kommen nur langsam voran und erobern Dorf für Dorf. An die Städte haben sie sich bislang gar nicht erst heran gewagt.
Was soll das Ganze?
Das ist nicht so schwer zu verstehen. Es ging in den Kreisen, für die Osten-Sacken steht, seit jeher um Israel und im Angesicht des überall verbreiteten Antisemitismus, der sich gegen den Juden unter den Staaten richtet, Israel, ist das im Zweifel ein ehrenwertes Motiv. Vereinfacht: Israel sieht im Iran den Hauptfeind, weil dieser mit dem Atomprogramm und sei es auch zunächst zivil – und auch das ist ja alles andere als gewiss – Israels militärische Überlegenheit in Zweifel zieht. Auch zivile Atomprogramme sind bekanntlich von militärischen schwer zu trennen. Man lacht über diese Bedrohung in der Welt, aber es stimmt trotzdem: eine iranische Atombombe wäre fatal, selbst wenn man nicht glaubt, dass diese wirklich zum Einsatz kommt. Und da nun Syrien unter Assad der wichtigste regionale Verbündete des Iran ist und umgekehrt ein sich im Bürgerkrieg befindliches Syrien und auch ein von sunnitischen Islamisten beherrschtes Syrien oder eine Mischung aus beidem den Iran schwächt, so ist man – egal für welche Fraktion – gegen Assad. So einfach ist das.
Kurzer Schwenk: Ein wenig über die Erweiterung des syrischen Bürgerkrieg im Irak
Nur der Islamische Staat wird von Osten-Sacken nicht unterstützt. Das liegt oberflächlich gesehen daran, dass der IS zu sehr den globalen Djihad propagiert und unerwarteterweise im Irak aktiv wurde. Im Irak hatte sich 2014 etwas ähnliches angebahnt, wie in Syrien zuvor. Wir hören die Neue Zürcher Zeitung: „Was sich in diesen Tagen abspielt, ist letztlich ein sunnitischer Aufstand. … Das Fass lief über, als Sicherheitskräfte Ende Dezember das sunnitische Protestlager in der westirakischen Provinz Anbar räumten. Spätestens damals hätte Maliki eine Kehrtwende machen und die Sunniten an den Tisch holen müssen. Stattdessen rief er zum «Kampf gegen den Terror» auf und setzte sogar Fassbomben gegen die Aufständischen ein.“ (NZZ, 12.6.2014) Der IS trifft dabei zunehmend auf den Iran und unsere Geostrategen reden schon davon, dass Bagdad vom Iran kontrolliert werde. Die Achse Teheran, Damaskus, Beirut müsste also um Bagdad erweitert werden. Was spricht also dagegen, auch den IS als das kleinere Übel propagandistisch zu stärken? Möglich wäre das gleiche Argument: „Es spricht Bände, dass Flüchtlinge aus Mossul sagen, sie seien weniger aus Angst vor dem IS als vor einem Gegenangriff der Armee mit Fassbomben geflohen. Mit seiner verfehlten Politik hat Maliki die Extremisten stark gemacht.“ (NZZ, 12.6.2014) Das ist auch deshalb nicht nötig geworden, weil die Armee des Iraks anders als die Armee Syriens kaum Anstalten gemacht hat, den Zerfall des Iraks aufzuhalten und Mossul schließlich anders als Aleppo kampflos an die Rebellen fiel; es war zuvor eh schon in türkischer Hand.
Obama wiederum hat den Angriff des IS auf den Irak zum Anlass genommen, seine diesbezügliche Politik zu ändern. Zuvor hatten die USA und ihre Verbündete einhellig die sunnitischen Islamisten in Syrien mit Waffen versorgt. Danach hat Vizepräsident Joe Biden die Unterstützung der radikalen Rebellen eingestanden, ohne freilich zu viel auf die Rolle der eigenen Regierung und der CIA einzugehen. Seither dämmt man den Islamischen Staat wenigstens ein, wenn auch wegen den durch den Schwenk der USA entstehenden machtpolitischen Konfusionen sehr zögerlich. Da die USA traditionell als Unterstützer Israels gilt, entstand so der Schein, die Bekämpfung des IS wäre mit der Linie gegen Assad vereinbar. Aber in Wirklichkeit kämpfte die USA auf diesem Feld zusammen mit dem Iran und zwar manchmal buchstäblich auf demselben Schlachtfeld, quasi als Exposition zum Irandeal. Dieses neue Bündnis zieht sich bis heute durch und die US-Armee übernahm jüngst die Luftunterstützung bei der Einnahme Baijis durch vom Iran gestützte schiitische Milizen. Die ganze Anti-IS-Propaganda hat so ihr Gutes zur Stärkung des Irans beigetragen. Aber Osten-Sacken ist halt ein linker Gutmensch und es fehlte ihm wahrscheinlich einfach demokratische Projektionsflächen auf Seiten der sunnitischen Rebellen. Es fehlt diesem Realpolitiker der Zynismus der Realpolitiker, zumal die Bevorzugung diverser Kaidafraktionen – und der IS ist wie die Nusrafront ein Kaidaableger, wenn auch die Kaida sich vom Islamischen Staat inzwischen distanziert – immer die Möglichkeit eines höchst unerfreulichen Rückstoßes beinhaltet und der realpolitische Zynismus an dieser Stelle zum Bumerang werden kann.
Die aufgeklärten Realpolitiker
Aufgeklärtere Verteidiger Israels geben sich nicht so naiv, was die Möglichkeiten eines demokratischen Wandels angeht und debattieren die militärische Lage zynisch. Etwa Dan Schueftan, der stellvertretende Direktor des »National Security Center« der Universität Haifa und ehemalige Sicherheitsberater der israelischen Premierminister Yitzhak Rabin und Ariel Sharon gegenüber der Jungle World: „Assad ist ein Barbar, aber ein verantwortungsvoller … Wenn die Sorte syrischer Demokraten, die ich getroffen habe, in Syrien die Macht übernähmen, wäre ich entzückt. Aber momentan ist die einzige organisierte Kraft in Syrien die Muslimbruderschaft. Assad ist nicht gut, aber die Muslimbrüder wären viel schlimmer. … Ein Zusammenschluss von Muslimbrüdern im Nahen Osten könnte insgesamt noch schlimmer sein als Assad und Mubarak.“ Man solle dementsprechend den Verteidigungshaushalt erhöhen. Das war schon am 8. Dezember 2011. Es gibt inzwischen schlimmere Kräfte als die Muslimbrüder. Al Kaida, die Islamische Front, der IS usf. Im August 2013 sagte derselbe Verteidigungsexperte laut Jerusalem Post: „Da ist niemand, den man unterstützen kann… Die Alternative zu Assad ist kein liberales Regime. … Aber wir müssen wissen, dass die arabischen Regimes sehr barbarisch sein können und Wechsel in der arabischen Welt mindern diesen Barbarismus nicht, sondern steigern ihn eher.“ Das ist die eine realistische Position und die Konsequenz ist letztlich schlicht: Assad bleibt und man hätte die Opposition nicht bewaffnen sollen. Es versteht sich, dass diese Konsequenz nicht bedeutet, dass er das syrischen Regime oder auch die gegenwärtige russischen Luftunterstützung besonders rosig sieht. Ein letztes Mal Schueftan, Anfang September 2015 gegenüber Algemeiner: „Israel muß wegen des möglichen russischen Aufmarsches in Syrien besorgt sein, denn wenn man sich im Mittleren Osten keine Sorgen macht, zahlt man den Preis.“ Insbesondere befindet sich die Hisbollah mit Israel im Krieg und die IDF führt daher periodisch Operationen im syrischen Grenzgebiet durch.
Die andere realistische Option wurde nach der Jerusalem Post vom inzwischen abgetretenen Botschafter Israels in den USA, Michael Oren, im Oktober 2013 vertreten: „Der Bogen Teheran-Damaskus-Beirut ist die größte Gefahr“. Dieser Hauptgefahr müssten alle anderen Erwägungen untergeordnet sein und das wäre auch bislang die Position der israelischen Regierung gewesen. Schon beim Ausbruch des sogenannten Frühlings in Syrien 2011: „Die ursprüngliche Aussage über die syrische Angelegenheit war, dass wir immer wollten, dass Bashar Assad geht. Wir haben immer die Bösewichter, die nicht durch den Iran unterstützt wurden, den Bösewichter vorgezogen, die vom Iran unterstützt wurden.“ Das auch dann, wenn diese „anderen Bösewichter mit Al Kaida verbunden sind.“ Natürlich verkleistert er diese Taktik nicht mit dem Unsinn, dass dies irgendwie einen Fortschritt für die Menschen in Syrien bedeute. Es geht um die eigenen Sicherheitsinteressen in einem Land, das sich keine Niederlage leisten kann: „Wir verstehen, dass das ziemliche Bösewichte sind“ – wobei er nicht alle Rebellengruppen über einen Kamm scheren möchte –, „aber die größte Gefahr für Israel ist immer noch der strategische Bogen der sich von Teheran nach Damaskus nach Beirut erstreckt. Und wir sehen das Assadregime als Grundpfeiler in diesem Bogen. Das ist die Position, die wir vor dem Ausbruch der Kampfhandlungen im Syrien hatten. Mit dem Ausbruch der Kampfhandlungen wollten wir weiter, dass Assad geht.“ Das ist die andere politische Option Israels. De facto haben sie sich weitgehend aus dem Konflikt herausgehalten, wenn man die gelegentlichen Bombardierungen der syrischen Armee und der Hisbollah im Süden des Landes vernachlässigt, die ein wenig den Rebellen der Südfront in Syrien zugute kamen, die an der syrischen Grenze zu Israel hocken.
Und die USA?
In den USA denkt man ähnlich pragmatisch und machtpolitisch. Der ehemalige CIA-Chef Petraeus soll nach The Daily Beast Ende August 2015 vorgeschlagen haben, offen mit Al Nusra zusammenzuarbeiten, jedenfalls mit handverlesenen moderaten Leuten dieses syrischen Ablegers von Al Kaida. Der ehemalige syrische Botschafter optiert dagegen in Middle East Institute dafür, mit Ahrar ash-Sham zu verhandeln. Ansonsten hat man die ganze Zeit einige Aspekte der Rebellen unterstützt, während die anderen Aspekte derselben Rebellion von verbündeten Staaten unterstützt wurden. Den wirtschaftlichen Boykott nicht zu vergessen.
Die Administration Obama nun hat sich dieser Linie widersetzt und unterstützt die Russen implizit. De facto übernimmt die USA die Bekämpfung des IS in Syrien, während die Russen dabei helfen, das Kerngebiet Syriens von den Rebellen zu säubern. Pünktlich zum Angriff des russischen Militärs haben sich die Außenminister Russlands und der USA darauf geeinigt, dass Syrien säkular bleiben solle, ein Schlag ins Gesicht für Osten-Sackens Rebellen, die alle – auch die FSA – einen islamischen Staat wollen. Diese Position wurde von der neuesten Runde der Friedensverhandlungen der wesentlichen Mächte in Wien bekräftigt. Am Tisch saß auch der Iran, nicht aber – zum Verdruss von Osten-Sacken – Vertreter der syrischen Rebellen. Die Frage ist nur noch, ob die Person Assad bleibt oder durch eine andere Person ersetzt wird. Die Staatsstrukturen Syriens sollen in jedem Fall aufrecht erhalten werden.
Ob sich an diesem für die Zukunft dieser Region prägenden Wechsel so schnell etwas ändert ist Zweifelhaft. Selbst Trump trompetet, man solle keinen dritten Weltkrieg wegen Syrien anfangen und die Russen gewähren lassen und fordert ergo, „lasst die Russen den Islamischen Staat in Syrien bekämpfen“. Auch er sieht keinen Grund, zwischen Rebellen und IS substantiell zu unterscheiden. McCain dagegen ist mit seinen Vorschlägen isoliert. Obama jedenfalls hatte noch nie einen Hehl seiner Ablehnung der militärischen Regime Changes gemacht, und als er von 60 minutes interviewt wurde, war bei allem sehr unsicher, hat aber einmal mehr bekräftigt dass er nicht daran denkt, eine nennenswerte Zahl von Truppen irgendwohin zu schicken: „Und wenn in der Tat der einzige Schritt für uns wäre, weitere 100.000 oder 200.000 Truppen nach Syrien zu schicken oder zurück in den Irak oder vielleicht nach Libyen oder vielleicht nach Jemen und unser Ziel irgendwie wäre, dass wir nicht nur die Polizei, sondern die Regierung dieser Region wären. Das würde eine schlechte Strategie sein. Und ich denke, wenn wir diesen Fehler nochmal machen, dann Schande über uns.“ Stattdessen hat er mit dem Iran Frieden geschlossen und lässt die Russen Assad stützen. Die Beziehungen zu Saudi Arabien, der Türkei, und Israel haben dadurch durchaus stark gelitten, aber man wird sich damit abfinden und arrangieren müssen. Diese Schlacht ist geschlagen.
Die kurdische Front in Syrien
Was Syrien angeht, übersieht Osten-Sacken eine Front, die ihm gefallen müsste, wenn er nicht gegen die PKK bzw. in diesem Fall die PYD wäre, die sich nicht in die Rebellion gegen Assad einfügen wollte und 2011 einen Waffenstillstand mit dem Regime ausgehandelt hat. Doch die einzigen wirklich moderaten Rebellen sind eben diese Truppen der PYD. Die Vereinigten Staaten haben diese Fraktion schon länger unterstützt und nun lustigerweise auch Russland. Der Anführer der PYD-Truppen YPG gab am 11. Oktober 2015 eine neue Rebellenkoalition unter ihrer Führung im Norden bekannt und wurde sofort von den Amis mit 50 Tonnen Armeematerial beliefert und das, obwohl die PYD jüngst zusammen mit Assads Truppen den IS aus Al-Hasakah vertrieben hatte. Die PYD verhandelte außerdem mit Russland über weitere Luftunterstützung. Ziel ist scheinbar die Eroberung von ar-Raqqah, der größten vom Islamischen Staat kontrollierten Stadt Syriens. Inzwischen sollen für diesen Zweck 60 Mann der Special Operation Forces zum Einsatz kommen. Allerdings ist der IS in Raqqah stark und die kurdischen Milizen nicht unbedingt sehr willig, einen Feldzug außerhalb des von ihnen beanspruchten Gebiets zu führen. Die Türkei hat jedenfalls deswegen unverzüglich sowohl den amerikanischen als den russischen Botschafter einbestellt und gebellt. Es hat nichts genutzt. Wenigstens diese Entwicklung der syrischen Fronten ist einigermaßen erfreulich und die neue Koalition wäre die perfekte Umbrella für alle von Osten-Sacken präferierten moderaten Rebellen, die aber bislang lieber mit den Islamisten zusammenarbeiten und dafür nun eben ins Fadenkreuz der Russen geraten. Das wäre doch dann so etwas wie Realpolitik und auf die scheint ja der Osten-Sacken zu stehen, denn ein Erfolg dieser Allianz würde den Einfluss der USA auf die politische Gestaltung Syrien vergrößern, sollte der Krieg im Verlauf des nächsten Jahrs tatsächlich sein blutiges Ende erreichen.
Schluss
Soweit zum Weltwetter über Syrien. Man kann an all diesen Entwicklungen der syrischen Farce und überhaupt der ganzen arabischen Frühlingsfarce eigentlich nur sehen, dass alle Illusionen der alten Welt nichts taugen. Sich in Konflikte dieser Welt einzumischen, ohne eine eigene, befreundete oder wenigstens unterstützenswerte Bodentruppe zu besitzen, ist dabei Unsinn. Tut man es dennoch, so ist man immer auf zentrifugale oder zentripedale Kräfte der alten Welt angewiesen und im Falle Osten-Sackens sieht man ganz gut, wohin das führt. Und je unausgemachter es ist, ob die unterstützte Seite überhaupt wenigstens zum etwas Besseren führen würde, so sie sich denn durchsetzt, desto mehr braucht es dann eine plumpen Moralismus und das Appellieren an den Augenschein. Berichterstattung wird zur Propaganda, die ihre Scheinwahrheit letztlich allein aus der Gegenpropaganda speist. Vice versa. Dabei wäre so einfach machbar, wenn es nur nicht so schwer zu denken wäre: Kommunismus. Die Strömung, die den Osten-Sacken bekannt gemacht hat, sie war bei allen Fehlern entschieden kommunistisch, bis sie frustriert ihr Heil im Unsinn suchte, mit dem man die Politiker vielleicht besser alleine ließe. Über die Produktion wurde – wie zur Bewahrheitung der Fetischkritik jener Tage – einfach geschwiegen. Die jugendlichen Ideale flohen allerhöchstens noch in eine Art Kunstliebhaberei. Dabei könnte die Aneignung der Produktion, in den reichen Staaten begonnen, bekanntlich leicht exportiert werden und je stärker die kommunistischen Kräfte hier, desto leichter ließe sich sogar so etwas wie vernünftige Außenpolitik denken. Dies im Kopf kann man vielleicht auch wieder dazu übergehen, die politischen Verwirrungen wenigstens darzustellen. Dabei muss man die jeweiligen Seiten zu ihrem Recht kommen lassen, da eine abstrakte Distanz zum Geschehen – „Wir sind gegen alle Seiten des Konflikts“ – sicher nicht weiterführt, so unmittelbar plausibel diese Abstraktion im gegenwärtigen Weltunsinn auch ist. Man muss vielmehr die konkreten Konfliktlinien kennen, um irgendwann wirklich, dass heißt jenseits der gegenwärtigen staatlichen und nichtstaatlichen Akteure, Einfluss nehmen zu können. Die Frage der Verfügung über die Produktionsmittel, die aus immanenten Betrachtungen des Weltbürgerkrieges momentan herausfallen, wird dann wesentlich werden.
2.9.2015