Was wollt ihr mit Kurdistan?
Ein Debattenbeitrag verzweifelter Kommunisten
Auf dem kommunistischen Tresen Ende November ist eine kleine Flugschrift aufgetaucht, die den diffusen anarchistischen Flügel dieses Tresens aus der Deckung locken soll, da dieser sich vor den Karren der PKK spannt. Diese Anarchisten seien „kleinkariert“ und entsprechend große Karos malen ihre Kritiker. Außerdem sei der Tresen eine „Ansammlung von Lämmern“, unsere Kritiker dagegen kokettieren mit Stalin und der Guillotine. Und sie behaupten, ihre Gegner keck verspottend, die Anarchisten seien in der Minderheit, aber unsere Kritiker sind dann trotz ihrer behaupteten Mehrheit arg verzweifelt, ob des Zustands dieses Tresens. Hier noch eine nur im Netz erschienene Aktualisierung der Lage sowie eine Antwort auf das Novemberflugblatt und weitere unbeantwortete Fragen an die Tresenanarchisten.
Stellt euch einmal vor, wir würden einen stalinistischen Tresen organisieren – der Aufschrei wäre sehr wahrscheinlich recht groß. Die Genossen, die den Tresen organisieren, scheuen sich ja bereits vor dem Jugendwiderstand. Wie also an Stalin denken? Weil sie die Gewalt scheuen, für die Stalin und der Jugendwiderstand stehen, hatten einige aus dem Kreis, der unsere monatliche Zusammenkunft vorbereitet, im Mai auch Bedenken, einen Vortrag über den Begriff der Arbeit auf dem Tresen zuzulassen. Zu sehr fürchtete man sich, er könnte in die Richtung zeigen, in die ein Sticker der radikalen Linken zur selben Zeit wies, auf dem eine Guillotine zu sehen war. So friedfertig sind sie. Selbst Gewalt, die von argumentativer Polemik oder nicht gegenderten Begriffen ausgeht, unterziehen sie einer in ihren Augen vernünftigen Zensur. Wer will schon Gefahr laufen, dass zartbesaitete Zeitgenossinen verletzt werden?
Wir können nicht anders, als zu dem Schluss kommen, dass es sich beim kommunistischen Tresen um eine Ansammlung von Lämmern handeln muss.
Umso mehr muss es wundern, dass auf dem vergangenen Tresen die Solidarität mit dem bewaffneten Kampf der Kurden verkündet wurde. Sogar vom Märtyrertum und vom großen Führer Öcalan war da die Rede. Aber haben die Volksverteidigungseinheiten keine Waffen in der Hand? Zweifelsohne sagt bereits ihr Name, dass sie sich in der Defensive befinden. Aber verteidigt sich nicht auch das revolutionäre Proletariat gegen die Herrschaft der Kapitalisten? Uns leuchtet nicht ein, warum bei ihm nicht von Notwehr die Rede sein sollte. Abgesehen davon verstehen wir nicht, weshalb die Kurden nicht auch eine Welt zu gewinnen haben sollten, und ob unsere Genossen ernsthaft der Auffassung sind, dass hierfür die Anwendung von Gewalt illegitim wäre. Dann stellt sich aber die Frage: Was unterscheidet die YPG von der RAF? Was unterscheidet Kurdistan von der Sowjetunion, die sich gegen den Faschismus verteidigte? Schlossen die Kurden nicht soeben mit Assad ihren eigenen kleinen Hitler-Stalin-Pakt?
Solange wir auf diese Fragen keine Antworten haben, müssen wir unseren eigenen Kopf anstrengen, um zu erklären, warum sich unsere vermeintlichen Genossen für das weit entfernte Kurdistan so resolut interessieren sollten. Wir kommen zu dem Schluss, dass dies das Resultat einer Abweichung ist, die wir mit allen uns zu Verfügung stehenden theoretischen Mitteln bekämpfen wollen.
Unsere Freunde interessieren sich für Kurdistan, weil sie kleinkarierte Anarchisten sind. Der bewaffnete Kampf der Unterentwickelten war schon für Lenin das Feld, auf dem die unzureichende revolutionäre Kraft des Proletariats ausgeglichen werden sollte. Ab 1968 ist die Dritte Welt das Thema derer, die dem Kommunismus den Rücken gekehrt haben. Wer sich für Che Guevara begeisterte tat das immer auch gegen die Sowjetunion. Bommi Baumann hat das auf die Formel gebracht: „Als Vorbild Kuba oder China!“ Denn: „Rußland oder die DDR hatten mir immer weniger gesagt zu der Zeit“. Sich heute für Kurdistan zu interessieren erfüllt genau diesen Zweck, sich vom Kommunismus abzuwenden. Es bietet den Trumpf des von der Moderne unberührten Volkes, das sich tapfer gegen den faschistischen Goliath erwehrt, dabei die ehrliche Gewalt von Frauen einsetzend. Hierüber kann man Öcalans Antimarxismus schon einmal vergessen. Wer sich für Kurdistan einsetzt, erhält den lebendigen Beweis, dass die 4 Ideologien, von denen die Linke derzeit bis zur völligen Abdichtung des Denkens durchdrungen ist, Wirklichkeit sind: Antifaschismus, Feminismus, Ökologie und Basisdemokratie.
Gerade letztere trifft das Wesen unserer anarchistischen Freunde aufs Genauste. Sie sind nämlich in Wirklichkeit nicht mehr als sehr, sehr demokratisch. Vom Kommunismus, der die Demokratie hinter sich lassen wollte, also keine Spur. Der kurdische Konföderalismus passt hierzu wie die eine Hand in die andere. Auf der Fusion gilt das gleiche wie in Rojava: Solange einer sich freundlich einbringt, darf er machen, was er will. Hauptsache er beansprucht nicht, für die anderen zu sprechen. Das ist in hohem Maße anschlussfähig für die in Kleinprojekte balkanisierte Linke, die nichts weniger ist als eine Partei, die auf das Allgemeine, gar den Staat abzielte. Das ist aber auch anschlussfähig für die Grünen, die heute mit dem anarchistischen Begriff der Alternative zum Kapitalismus große Politik machen. Wer muss vom Kommunismus sprechen, wenn er das gute Leben im Hier und Jetzt, auf dem Weg in die Utopie bereits vorwegnehmen kann? Wie unsere kurdisch-anarchistischen Freunde streben auch die Grünen eine im Herzen liberale Bewegung der vielen kleinen kreativen Projekte an. Wir wundern uns nicht, aus Öcalans Feder ein Lob der marktwirtschaftlichen Kreativität zu erhalten, das auch von Robert Habeck stammen könnte: „Wenn lediglich das vorhandene Kapital auf gegebener technischer Basis zur entsprechenden Investition in Bereichen wie Grundbedürfnisse, Umwelt, Gesundheit, Bildung und Arbeitsbeschaffung umgewandelt würde, könnte einerseits der Klassenunterschied auf ein Minimum schrumpfen und andererseits wäre eine gewaltfreie Lösung aller aktuell oder potenziell auftauchenden Widersprüche aufwandfrei möglich.“
Jürgen Habermas, der Jesus der Sozialarbeiter, ist in Wirklichkeit auch die Inspirationsquelle unserer vermeintlich kommunistischen Freunde. Streben sie keine gewaltfreie Kommunikation an? Und wollen sie nicht über jede noch so geringfügige Sache am liebsten gleich plenieren? Es überrascht also nicht, dass Öcalans Schriften, insbesondere Gilgameschs Erben, eine deutliche Nähe zu Jürgen H aufweisen, von dem der große Kurde das undialektische Sowohl-als-auch gelernt hat. Dieser ideologische Hintergrund erklärt seine nervtötende Rede von Werten, Moral und der Ethik seiner phantastischen, 10000 Jahre alten Zivilisation zwischen Euphrat und Tigris. Die Kurden sind stolz darauf, im Sinne der Kommunikationstheorie normativ zu sein. Laut Öcalan versuchen sie, ein „ideales Gleichgewicht in der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft einzurichten“.
Hier antworten wir: Erst wenn sich die Extreme finden, wird die Menschheit versöhnt werden. Nur wo der radikalste Individualismus, für den Theodor W. Adorno stehen mag, mit dem objektiven Totalitarismus im Einklang ist, für die Hegel oder Stalin eintreten, sind wir als Kommunisten zu Hause. Diese Weihestätte schafft aber nur die Philosophie. Wir erdreisten uns, für diesen Gedanken auf ein Konzept der Kurden selbst zurückzukommen. Dieselben Leute, die sich im Bunde mit der PKK wähnen, haben unser Flugblatt vom vergangenen Mal verworfen, auf dem wir in aller Kürze die Revolution als eine geistige Angelegenheit ausgezeichnet haben. Gegen diese falschen Freunde Apos rufen wir zur von Öcalan propagierten „mentalen Revolution“ auf. Denn „die Zerstückelung des Intellekts, ja sein Verlust, ließe sich nur mit einer solchen ideologischen Revolution aufhalten“ (215). Den Intellekt haben unsere Genossen wohl schon etwas länger nicht mehr beisammen. Nur ein Flugblatt auf dem nächsten Tresen, das auf die Fragen antwortet, die hier aufgeworfen wurden, könnte das Gegenteil beweisen. Sagt uns: Was wollt ihr mit den Kurden? Oder seid ihr in Wahrheit Anarchisten? Werdet Teil der mentalen Revolution!
In diesem Sinne: Lang lebe Öcalan!
Nieder mit der anarchistischen Minderheit im kommunistischen Tresen!