Karl Rauschenbach
Kritik an der Guerilla kommt nur aus der Guerilla.
Wolfgang Pohrt wurde Ende der 1960er durch Che Guevara politisiert und nicht durch Karl Marx. Revolution war ihm stets eine praktische Frage, aber keine der aus dem Zerfall der ursprünglichen 1968er-Bewegung entstandenen Strömungen war ihm gut genug. Er trauerte der Leichtigkeit der Demonstrationen und Versammlungen der ersten Zeit nach, „mit denen durchaus nicht zu spaßen war“ und die deshalb „um soviel vergnüglicher waren, als heute selbst die Linken Feste sind.“ So wenig Pohrt in einen der praktischen Flügel der damals sehr vielschichtigen radikalen Linken paßte, er paßte noch weniger in den akademischen Flügel derselben. Dabei hatte er sogar einen Beitrag für den von den Universitäten damals meterweise produzierten Marxismus geschrieben und seine Theorie des Gebrauchswerts ist einer der besten Beiträge dieser Gattung. Aber dennoch ist sie nur eine Dissertation, „der die Herkunft aus dem Wissenschaftsbetrieb anzumerken ist, gegen den sie sich sträubt.“ Er hat sie für eine Neuauflage daher überarbeitet, aber ohne Erfolg. Nach diesem erfolglosen Debüt an der Akademie und einem Intermezzo als Assistenz an der pädagogischen Hochschule von Lüneburg reduzierte sich seine Praxis schnell weitgehend auf freie Schriftstellerei, publiziert vom Rotbuchverlag und später von Tiamat und Konkret. Er begleitete seine Bewegung scheinbar distanziert mit Kommentaren und Essais, seine Politik wurde primär Feuilleton und jeder wirklichen Kraft beraubt. Aber er thematisierte diese Depotenzierung und so bezogen seine Texte ihre Kraft durch Bezug auf eine eingestandener Weise imaginäre, aber doch jederzeit mögliche und absolut nötige Praxis, gerade indem er die real existierende Praxis negierte, ohne sich selbst dabei jemals auszunehmen. Seine Beiträge blieben so immer auch politisch: Alle nach 1968 dessen Erbe antretenden Splitter oder gar Bewegungen bekamen ihre Halb- und Nichtigkeiten um die Ohren gehauen. Aber immer, indem sie mit der Idee einer kommunistischen Umwälzung gewogen und für allzu leicht befunden wurden und nie, weil er das durch Dutschke und Genossen damals in größerer Minderheit erzeugte sozialistische Pathos verraten hätte. Sein Werk ist daher ein mustergültiges Beispiel solidarischer Kritik an der revolutionären Bewegung und wurde nur von den Gegnern derselben als unsolidarisch wahrgenommen.
Man kann das am besten an seinem Verhältnis zum bewaffneten Kampf sehen, der damals unter anderem von der RAF, der Bewegung 2. Juni und später den Revolutionären Zellen propagiert und aufgenommen wurde. Pohrt war zu klug für solche „Knallereien“ oder auch nur zu ängstlich. Vielleicht hinderten ihn auch schlicht biographische Zufälle daran, als man damals in den bewaffneten Kampf leicht hineinstolpern konnte und sei es nur, indem man sich verliebte. Pohrt erkennt jedenfalls die Armeefraktion als Fraktion der Linken an und verleugnet nicht, dass sie Fleisch vom Fleische der Bewegung war und einer breiten Diskussion derselben entwuchs. Und man merkt seinen Texten durchaus den Neid an, dass diese Leute es wirklich wagten, dass sie wirklich Bonnie und Clyde spielten, dagegen seine Guerillatätigkeit nur in Essaiismus bestand. Die direkten Angriffe auf die Kriegsmaschinerie der USA wurden von ihm jedenfalls offen befürwortet und auch beim Schleyer äußerte er mehr als nur klammheimliche Freude. Überhaupt sei die frühe RAF „die einzige Vernünftige unter tausend Wahnsinnigen“ gewesen. Als 1977 der Himmel über dem Kopf der Linken zusammenbrach und sich alle panisch vor der RAF versteckten, verließ er seinen Posten nicht und denunzierte den Konformismus der sich distanzierenden Linken. Auf dieser Grundlage kam er sogar mit einem schon eingefangenen und eingesperrten Mitglied der RAF ins Gespräch und überzeugte diesen Genossen eines Besseren. Dieser Mann, Christoph Wackernagel, distanzierte sich prompt von seiner Gruppe und kam als Belohnung früher raus, zum Verdruss der Hardliner, die das nicht gerne sahen. Aber als dann der ehemalige Guerillero sich in Freiheit dem Interview Pohrts stellen musste, rechnet dieser ihm vor, dass er ja jetzt vom Establishment gefeiert wird, gerade weil er medienwirksam abgeschworen hat. Der Genosse hatte sogar eine Stelle am liberalen Theater bekommen und durfte wieder in Filmen mitspielen. Als Unterpfand des neuen Friedens diene gerade die Ersetzung der Revolution durch ein wiedergefundenes und aktiv bejahtes Kleinkünstlertum. Pohrt griff damit die Argumente der Hardliner auf und zitierte zur Untermalung seines Gedankens sogar einen Satz aus dem RAF-Text Dem Volke dienen, der sich ihm damals unvergesslich eingeprägt hatte.
Der angeblich immer so arrogante bewaffnete Kampf hat Pohrt ein kleines Denkmal gesetzt: Die Revolutionären Zellen zitieren ihn in der 6. Nummer ihres Revolutionären Zorns und danach nochmal in einer ihrer Kommandoerklärungen. Kommentarlos als eigene Meinung. Man muß es dieser Gruppe hoch anrechnen, dass sich diese Zitate dabei von ihrem Text stilistisch kaum abheben und überhaupt muss man sagen, dass die Nummern des Revolutionären Zorns zu den besten und ehrlichsten Schriften dieser Bewegung gehören. Pohrt hatte daher auch öffentlich vorgeschlagen, den Mitgliedern der Revolutionären Zellen die Redaktion der Taz zu übergeben, während die dort anzutreffenden Schafsköpfe dann ein wenig Guerilla hätten machen müssen. Die zahllosen existentiell begründeten kleinen Anschläge der Revolutionären Zellen waren dabei gerade die Voraussetzung dafür, dass sie sich von den Verhältnissen nicht dumm machen ließen. Der in der Praxis erzeugte Schein der Radikalität führte zu wirklich radikalen Texten. Erst als die Zellen sich 1992 auflösten wurden sie ihm dumm, denn sie haben erstmals „ein Papier publiziert, das man im vollen Wortlaut dokumentieren kann, ohne Schikanen durch irgendwelche Strafverfolgungsbehörden befürchten zu müssen. Statt wie gewohnt zur Militanz aufzurufen, nur diesmal mit plausibleren Gründen, zieht die Gruppe selbstkritisch, fast reumütig Bilanz.“
Er selbst hat wiederum das legendäre Gründungspamphlet und andere frühe Diskussionsbeiträge der RAF bei Tiamat veröffentlicht, natürlich mit einem wie immer sehr reflexiven Essai seiner selbst und zu einer Zeit, in der man auch diesen ursprünglich durchaus anrüchigen Text bereits ohne Gefahr drucken durfte. Auch danach gesteht er immer wieder seine Liebe zum bewaffneten Kampf. Sein 1997 erschienenes Buch Brothers in Crime enthält als einziges Bild prominent das Logo der RAF, der Stern mit einer von dieser Gruppe nie benutzten Kalaschnikow (1) und auch in einem Gespräch mit Gremliza 2014 träumt er vom russischen Sturmgewehr, obwohl er im wirklichen Leben nur noch gegen einen Stuttgarter Bahnhof demonstrierte. Zu alt dafür.
Heute sind seine gesammelten Schriften und Vorträge zunehmend in einer durch den braven Verleger Klaus Bittermann besorgten Gesamtausgabe erhältlich, so dass man sie nicht antiquarisch zusammensuchen oder von der Konkret-Archiv-CD herunterkratzen muss. Natürlich betreffen die meisten Sachen längst vergangene Zeiten und sind nur unter parteigeschichtlichen Aspekten interessant, wobei diese nicht zu vernachlässigen ist, da die Revolutionäre zu jeder Zeit an ihrer Geschichte interessiert sind. Ausserdem belebt sein Denken Geist und Stil. Für Künstler gibt es dazu noch ein Buch über Balzac, dass ihm sogar die Verehrung einer Schauspielerin eingetragen haben soll. Wichtiger sind dann aber seine Analysen des Jugoslawienkrieges, die zusammen mit seinen anderen Texten aus den 1990ern bereits in die Zukunft weisende Berichte aus der Vorkriegszeit sind. Sie wurden wieder klarer, nachdem der durch den Zusammenbruch der Sowjetunion erzeugte kurze Choc etwas abgeklungen war. Mit Brothers in Crime liegt schließlich ein halbwegs auf die Gegenwart bezogener Versuch vor, die Gedanken neu zu sortieren, vom Rang her durchaus mit den späten Schriften Guy Debords vergleichbar. Falls noch von Interesse, ist auch seine in FAQ veröffentlichte Abrechnung mit dem ihm fälschlich zugeschriebenen antideutschen Lager aller Geschmacksrichtungen gut, da es einige falsche Freunde trifft und einige seiner Eskapaden direkt nach der Wiedervereinigung gerade rückt. Aber das ist wieder viel Zoff im Altersheim. Erst in den allerletzten Schriften und Vorträgen widmet Wolfgang Pohrt sich wieder unmittelbar den brennenden revolutionären Fragen unserer Zeit. Sofern man diese Beiträge beachtet hat, wurde Pohrt einmal mehr des Revisionismus bezichtigt, der sich andererseits deutlich schon durchs ganze Werk zieht: Der Form nach weißt er schon in der Theorie des Gebrauchswerts genauso wie dann in seinem Buch Kapitalismus forever die Unabschaffbarkeit des Kapitalverhältnisses nach. Einmal wissenschaftlich, einmal mit der seltenen Primärerfahrung. Man nimmt aber den Geist dieser Gedanken ganz falsch auf, wenn man sie als endgültige Abkehr von der Emanzipation des von ihm stets geliebten Menschengeschlechts liest, da durch jede seiner vielleicht etwas alterssarkastischen Reflexionen immer und unverhüllt der Wunsch durchscheint: „Vielleicht geschieht das Wunder, dass diese Revolution doch noch kommt.“
Karl Rauschenbach (März 2019)
Text aus dem Großes Thier N°14
(1) Es handelt sich bei der Waffe auf dem Logo der RAF in Wirklichkeit um das Polizeigewehr MP 5 von Heckler und Koch