Franza Ranner
Über einige Probleme des Antisexismus im linksradikalen Milieu, besonders in der Antifa
Einige Gründe, warum die linke Szene – insbesondere die Antifa – dem Wesen nach sexistisch ist und der dagegen aufgefahrene Antisexismus mit vielen Widersprüchen zu kämpfen hat, die aus den gesellschaftlichen Widersprüchen selbst rühren. Die Diskussion über eine richtige antisexistische Praxis wird jedoch oftmals stillgestellt durch die so obligatorischen wie wahnsinnigen Vergewaltigungsdebatten.
Anmerkung: Der Artikel wurde 2008 vom Antifa-Magazin Lotta als Sexismus-Grundlagenartikel angefragt, letztlich aber mit der fadenscheinigen Begründung abgelehnt, dass das im Text thematisierte Berliner Antisexismusbündnis in NRW keine Rolle spiele. Vermutlich hatte die Redaktion Sorge, es sich wegen der in dem Text enthaltenen Kritik an der „Definitionsmacht“ mit der Szene zu verscherzen.
Aufgrund der seltsamen Blüten, die die „Definitionsmacht“ in unserem Umfeld in letzter Zeit wieder getrieben hat, haben wir uns entschlossen, eine überarbeitete Variante des damaligen Artikels zu veröffentlichen.
Die Antifa gilt nicht unbedingt als Hochburg antisexistischen Verhaltens. Um in der Szene Anerkennung zu finden, war und ist nicht nur ein bestimmter Style notwendig, der straightness symbolisiert, sondern auch eine gewisse Härte gegenüber sich selbst und eine Überwindung der Angst, die nötig ist, um gegenüber Nazis aufzutreten oder auf Demonstration der Polizeigewalt zu trotzen. In vielen ost-, aber auch in einigen westdeutschen Kleinstädten ist es notwendig, Härte und Stärke zu zeigen, um nicht selber Opfer von Nazigewalt zu werden. Dies wird erkauft durch die Abspaltung der eigenen Ängste, Unsicherheiten, Schwächen und Abhängigkeiten – einem klassisch männlichen Verhalten. In der Antifa selbst gibt es keinen Raum, um über die eigenen Emotionen nachzudenken oder zu reflektieren, das Sprechen über Gefühle gilt schon per se als „unmännlich“ – auch wenn man das natürlich nicht so nennen würde.
Da das Abgespaltene nicht einfach verschwindet, bloß weil man es sich nicht eingesteht, sucht es sich einen anderen Weg. Die verdrängte eigene Schwäche kann in der Verachtung auf dasjenige erscheinen, was das Schwache repräsentiert, gesellschaftlich gesehen ist dies das Weibliche. Aus dem Auftreten und dem Erscheinungsbild muss alles, was ans Weibliche erinnert, getilgt werden, weswegen es bei der Antifa kaum Junges mit langen Haaren gibt. Dies ist ein Grund, weshalb Frauen in solchen Szenen chronisch unterrepräsentiert sind, da sie, um dabei sein zu können, ihre eigene weibliche Sozialisation verleugnen und überwinden müssen, wenn sie nicht nur als „Freundin von“ dabei sein wollen. Nicht umsonst übernehmen Frauen in solchen Szenen männliche outfits und Verhaltensweisen. Auch das Schönheitsideal in der Antifa ist für Frauen androgyn, was sich in kurzen Haaren, androgynen Gesichtern und schmalen Körpern ausdrückt. Nicht nur, weil einzig auf diese Weise Anerkennung zu bekommen ist, sondern, weil sie diese Werte selber internalisiert haben. Es ist sicher ein Schritt der Emanzipation von Frauen, wenn sie sich ebenfalls Durchsetzungsfähigkeit und Stärke aneignen, aber Ziel müsste es sein, dass auch die Männer sich emanzipieren, was für sie genau das Gegenteil bedeuten würde: Schwäche einzugestehen und lernen, über Gefühle zu reden.
Eine Auseinandersetzung über diese sexistische Grundkonstellation in der Antifa gibt es kaum. Das Fehlen einer solchen scheint sich dann Bahn zu brechen in den alle paar Jahre wiederholenden Sexismusdebatten, die jeweils nach Vergewaltigungsvorwürfen innerhalb der Szene erfolgen. Diese emotional hochaufgeladenen Situationen sind wohl oftmals die einzige Möglichkeit, lang aufgestaute Verletzungen und Diskriminierungen, die ansonsten schwer zu greifen sind, fassbar zu machen. Da in der Vergewaltigung das Wesen weiblicher Erfahrung, auf den Objektstatus reduziert zu werden und der damit einhergehenden Verweigerung der Subjektivität, am deutlichsten zum Vorschein kommt, eignet sich die Vergewaltigung als Anlass für eine Sexismus-Debatte offensichtlich besser als z.B. das Redeverhalten, Konkurrenzverhalten in der Gruppe oder die fehlenden Möglichkeiten der Beteiligung für Leute mit Kindern oder gar die Form und der Inhalt der eigenen Politik, die oftmals „männlichen“ Kriterien entspricht. Ob es sich nun um militante Demos oder Podiumsdiskussionen handelt, in der Regel sind die Jungs auf solche Situationen durch ihre Sozialisation besser vorbereitet. Auch können sie besser von ihren Befindlichkeiten abstrahieren, und sich in abstrakten Diskussionen zum Beispiel über den Wertbegriff auslassen und vernachlässigen in Theorie und Praxis die Reproduktionsarbeit.
Nach oder in einer solchen Diskussion um Vergewaltigung gründet sich innerhalb der Szene oft eine Gegenbewegung, zum Beispiel in Berlin im Frühjahr 2005 das Antisexismusbündnis, das sich dadurch auszeichnet, dass sie einige Broschüren herausgegeben haben, die bis heute in Debatten zitiert werden, und auf die ich mich im Weiteren beziehen werde.
Das Antisexismusbündnis legte seinen Schwerpunkt auf Verhaltensweisen bei Partys und Veranstaltungen. Wichtig war ihm zum Beispiel, andere Formen für Diskussionsveranstaltungen zu finden, eine der aktuell beliebtesten Praktiken in der linken Szene. Dies ist oftmals auch bitter nötig. Denn hier ist nicht nur der Referent meistens männlich, sondern diejenigen, die sich an der Diskussion beteiligen, sind es auch. Es ist nötig, eine bestimmte Form von Subjektivität herausgebildet zu haben, um sich zu trauen, auf diesen Veranstaltungen das Wort zu ergreifen. Dazu gehört eine gewisse narzisstische Selbstüberschätzung, die einen befähigt, die eigenen theoretischen Schwächen zu überspielen und gleichgültig gegen das feindlich gesinnte Publikum oder die Mitdiskutanten zu bleiben. Ferner ist ein Geltungsdrang, die eigene Position unters Volk zu bringen zu wollen, nützlich. Diese Voraussetzungen bringt eine männliche Sozialisation deutlich eher mit als eine weibliche, auch wenn die meisten Männer sich durch diese Form der politischen Praxis ebenso zu Zuschauern degradiert sehen wie die Mehrzahl der Frauen. In der Kritik an den üblichen Verhaltensweisen durch das Antisexismusbündnis geht es darum, eine neue Praxis zu etablieren, in der die Beiträge anderer nicht abqualifiziert werden oder sich über sie lustig gemacht wird. Noch solle sich auf Autoritäten bezogen werden und endlose Beitrage im besserwisserischen Ton unterlassen werden. Das Bündnis hoffte in erster Linie auf die Reflexionsfähigkeit der Beteiligten und stellt ansonsten ein paar Methoden vor, wie die quotierte Rednerinnenliste und den Moderator, der unerwünschtes Verhalten unterbindet, sowie das Einführen von kurzen Redezeiten.
Dass es im Antisexismusbündnis erst mal um Sexismus in den eigenen Reihen ging, ist nachvollziehbar. Denn eine politische Szene mit emanzipativen Anspruch, wird diesem kaum gerecht, wenn letztendlich die patriarchalen Verhältnisse in den eigenen Reihen reproduziert werden. Eine revolutionäre Bewegung kann sich auch kaum als solche benennen, wenn nicht schon in der Bewegung versucht wird, mit Verhaltensweisen zu experimentieren, die zu einer freien, solidarischen, d.h. kommunistischen Gesellschaft führen könnten. Mit den Broschüren richtet man sich zuerst an Linke und an Antifas, Separatismus, d.h. Die Absonderung der Frauen von den Männern, predigen sie nicht. Es ist ein Angebot, auf einer anderen Grundlage gemeinsam politisch tätig zu werden. Es soll eine Gleichberechtigung hergestellt werden, die nicht mehr nur die Frauen an die Männer anpasst, sondern vielmehr auch und zuforderst die Männer an die Frauen.
Dies ist tatsächlich eine andere politische Strategie mit der Geschlechterfrage umzugehen als ansonsten in der Linken üblich. Diese hängt nämlich in der Regel einem Gleichheitsfeminismus an, der das männliche Bezugssystem nicht in Frage stellt und die Frauen an ein solches anpassen möchte. Allgemein ging es dieser Strömung des Feminismus um Teilhabe der Frauen an Staat und Lohnsklaverei. In der Linken geht es um Teilhabe der Frauen an militanten Aktionen und dem Schreiben von Theorietexten. Dies wird höher bewertet als das Schnippeln von Gemüse für die Vokü oder der Thekendienst im linken Laden. Form und Inhalt der Theorie und Praxis werden hierbei nicht wesentlich geändert. Der Werte- und Verhaltenskodex der bürgerlichen Gesellschaft wird unkritisch übernommen.
Eine Emanzipationsbewegung, in der nicht mehr klassischerweise die Frauen Durchsetzungsfähigkeit oder einen ungezwungenen Umgang mit Macht lernen sollen, wie es die Frauenbewegung Anfang der 80er Jahre propagierte, sondern die Männer Empathiefähigkeit, Rücksichtnahme und Fähigkeit zum Dialog, nennt man Differenzfeminismus. Die Differenz der Frauen wird zunächst festgehalten und gesagt, dass hier eigentlich bessere oder zumindest ebenso gute Formen des Denkens, Handelns und Fühlens existieren, die der Gleichheitsfeminismus verdrängt und abwertet. So erhalten die als weiblich konnotierten Fähigkeiten eine positive Wertung. Die Frauen sollen auf diese Weise als handlungsfähige Subjekte innerhalb der Bewegung Fuß fassen können, aber nicht nur in dem sich die Frauen, sondern indem sich die Bewegung selber verändert.
Biologisch Frau, kulturell Mann?
Doch so einfach ist es dann doch nicht. Nicht immer sind die Männer die Täter und die Frauen, die Opfer, die Unterstützung brauchen. Täter und Opfer verschwimmen im Mann/Frau-Verhältnis oftmals. Das Problem fängt schon bei den Diskussionsveranstaltungen an. Die Missetäter sind nicht immer Penisträger. Daraus kann eine recht konfuse Diskussion folgen:
Soll nun die sich mackrig verhaltene Frau nicht sanktioniert werden, weil sie aufgrund ihrer Jahrtausende alten Benachteiligung ein Recht auf nachholende Entwicklung hat, die auch überbordende Entgleisungen mit einschließt? Oder muss ich sogar meine Wahrnehmung anzweifeln, weil genau das, was bei Männern als normales Verhalten angesehen wird, bei Frauen als aggressiv gilt, weil man es von ihnen nicht gewohnt ist? Oder müssen Frauen überhaupt erstmal leicht hysterisch auftreten, weil sie sonst in einer männerdominierten Szene nicht beachtet werden? Oder reagieren Frauen aufgrund ihrer deutlich prekäreren Subjektposition oftmals hysterisch, weil sie ihre Aggressionen so lange zurückgehalten haben und müssen deshalb mit Nachsicht behandelt werden? Oder sind die als hysterisch bezeichneten Gefühlsausbrüche nicht auch ein Akt der Menschlichkeit und eine Wiederkehr der aus den rationalen, politischen Diskussionen abgespaltenen Gefühle?
So naiv solche Debatten auch sind, die hier behandelten Probleme sind durchaus dem widersprüchlichen Gegenstand geschuldet, wenn dieser auch selten durchdrungen wird. Man will dabei über den Gegensatz von Mann und Frau hinaus, den man – in dekonstruktivistischer Manier – nur als äußerliche „Maskerade“ begreift und andererseits merkt frau doch immer wieder, dass sich die Gesellschaft in diesen Schein verliebt hat und sehr zäh an ihm festhält. Die Position des Antisexismusbündnis ist dabei ein Differenzfeminismus, der um die Gewordenheit der Geschlechter weiß, aber aufgrund der sich immer noch durchziehenden patriarchalen Verhältnisse glaubt, an der Kampfposition des politischen Subjekts Frau festhalten zu müssen, um der realen Diskriminierung entgegentreten zu können. Das Antisexismusbündnis ist so in der Theorie dekonstruktivistisch und in der Praxis differenzfeministisch. Während die Theorie utopisch die Abschaffung der Zweigeschlechtlichkeit anvisiert, hält die Praxis doch konservativ an ihr fest – da man partout keinen anderen Weg zum Ziel kennt.
Die Schwierigkeiten fangen schon beim Begriff des Sexismus an, den das Bündnis im Namen trägt. Dieser Begriff entstand in US-amerikanischen feministischen Zusammenhängen und ist abgeleitet vom Begriff des Rassismus, der bekanntlicher Weise die Diskriminierung anhand der Kategorie „Rasse“ bezeichnet. Hatte man schon bei dem Begriff der Rassismus das Problem, dass der Begriff die Existenz von Rassen voraussetzt, so stellt sich dieses Problem bei den Geschlechtern ebenso. Der Begriff setzt zwei verschiedene Geschlechter voraus, wovon das eine diskriminiert wird. Doch Frauen, schrieb schon Simone de Beauvoir, werden nicht als Frauen geboren, sondern zu welchen gemacht. Die Gewordenheit der Geschlechter erfasst dieser Begriff nicht, ebenso wenig die Frage, was denn an den Frauen diskriminiert wird.
Dagegen versucht man seit zwanzig Jahren in einigen Kreisen die Zweigeschlechtlichkeit selbst zu kritisieren und nicht allein die Diskriminierung des einen Geschlechts durch das andere. Das Geschlechterverhältnis wird hier als ein Strukturverhältnis gedacht, welches den empirischen Menschen übergestülpt wird und diese in zwei Geschlechter unterteilt. Hier gibt es verschiedene Strömungen:
Die postmoderne bzw. dekonstruktivistische Strömung, wie sie von Judith Butler vertreten wird, erklärt sich die Zweigeschlechtlichkeit aus einer sog. Matrix, die den Menschen bestimmte Formen des Handelns und Denkens vorgibt. Diese der Gesellschaft vorgeschaltete Struktur erzeuge beständig die Zweigeschlechtlichkeit und es gälte nun, diese Matrix sukzessive zu verändern. Wenn man sie auch nie losbekommen würde, so könnte man immerhin durch sog. Verschiebung der Zweigeschlechtlichkeitsdiskurses flexiblere und sich ihrer Gewordenheit bewusste Geschlechtsidentitäten schaffen. Der Zwang zur Herausbildung einer Identität des Subjekts wird dadurch aber ebenso affirmiert, wie die Zweigeschlechtlichkeit selbst. Die Änderung besteht nur in einer Flexibilisierung dieser Kategorien.
Dagegen versucht die aus der Krisis hervorgegangene Zeitschrift EXIT!, vor allem Roswitha Scholz, die Zweigeschlechtlichkeit mit der der Marxschen Wertkritik zu erklären. Laut Scholz wird alles, was in der abstrakten Wertform an sinnlichem Inhalt nicht aufgeht, aber trotzdem Voraussetzung gesellschaftlicher Reproduktion bleibt, an die Frau delegiert. (Daher der diffuse Begriff Wertabspaltung.) Dadurch entstehen verschiedene Sphären, die weibliche, die durch die Hausarbeit bestimmt ist, und die männliche Sphäre, die durch die Lohnarbeit bestimmt ist, wobei die Reproduktionsarbeit die notwendige Bedingung für männliche Sphäre bleibt. Männlich und Weiblich sind hier Strukturkategorien, mit denen sich jeder zwangsweise identifizieren muss. Es kommt der EXIT! darauf an, durch Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft die Sphärentrennung und damit Mann und Frau abzuschaffen. Es geht hier nicht um eine Veränderung eines bei Butler zur metaphysischen Matrix verflüchtigten kapitalistischen Systems, sondern um dessen Abschaffung. Die Unterteilung in männlich und weiblich sei ein für die kapitalistischen Verhältnisse konstitutives Strukturprinzip, da diese notwendigerweise in Antinomien wie Privat-Öffentlich, Natur-Kultur, Vernunft-Emotionalität, Aktiv-Passiv u.s.w. gespalten ist. Dies klärt, warum die jeweiligen Individuen doch in der Regel zu eindeutigen Geschlechtern werden, die sich bis in ihre Körperformen hinein zu Männer und Frauen entwickeln: Der Kapitalismus braucht diese beiden Geschlechter. Als Strukturkategorie hatte man sich gleichzeitig von der Biologie im Sinne einer an sich seienden Natur gelöst, um jedoch diese erworbenen Verhaltensweisen in der so hergestellten menschlichen Natur wieder zu finden, die so tatsächlich zweigeschlechtlich wird. Allerdings ist Natur hier nicht als an sich seiende Natur aufgefasst, sondern als durch die Herschaftsgeschichte gewordene. Insbesondere müssen nicht alle empirische Frauen und Männer diese weibliche bzw. männliche Natur herausbilden.
Bei Diskussions- und Vortragsveranstaltungen sind es ja auch niemals alle Männer, die sich hier besonders hervortun, sondern immer nur ein paar. Nicht nur Frauen, sondern auch Männer bilden das breite Publikum der zuschauenden Masse. Aber auch das Gegenteil kommt vor, dass Frauen sich mackrig verhalten und auch andere Frauen wie auch Männer durch aggressives Verhalten einschüchtern. Manchmal auch mit der moralischen Autorität des Antisexismus im Gepäck, mit der dann Positionen nieder gemacht werden, die vermeintlich als frauenfeindlich gelten – etwa wenn sich in feministischen Zusammenhängen auf Adorno, Horkheimer oder noch schlimmer Freud bezogen wird.
Aber letztendlich ist die Theorie von Roswitha Scholz zu schematisch gedacht. Denn nicht nur geht die Identität des Einzelnen nicht in den Geschlechtszuschreibungen auf, sondern die Zuschreibungen selbst sind schon Ausdruck einer Verdrängung. So endet zum Beispiel die ideologische Vorstellung Passivität und Weiblichkeit in der Realität schon bei der Rolle, die die Gesellschaft für Frauen vorgesehen hat, nämlich die der Mutter. Die Mutter nimmt gegenüber dem Kind selbstverständlich die aktive und machtvolle Position ein, wenn sie sich auch gleichzeitig auf die Bedürfnisse des Kindes einstellen muss. Dass die geschlechtsstereotypen Rollen sich weiterhin an die durch die Natur gesetzte Zweigeschlechtlichkeit anschmiegen, liegt daran, dass es erstens sicherlich immer beruhigend ist, eine gesellschaftliche Spaltung durch eine angebliche Naturbasis zu rechtfertigen und zweitens es nicht eben einfach ist, eine schon seit der Geburt geformte Natur zu ändern. Zumindest innerhalb an Revolutionierung der Verhältnisse interessierten Personenkreisen sollte man sich aber angewöhnen, diese Bindung für weniger bindend zu halten, wie auch die verdrängten eigenen hetero- und homosexuellen Anteile und wechselnde Liebespartner zugelassen werden könnten. Gleichzeitig sollte man aber nicht vergessen, dass die Einteilung männlich/weiblich aufgrund der Sphärentrennung innerhalb kapitalistischer Verhältnisse weiterhin alles durchzieht, und sich auf jeden Fall in der Anfangsphase revolutionärer Bewegungen auch in diesen an die primären Geschlechtsmerkmale heftet.
Sexuelle Gewalt
Die Gemüter erhitzen sich innerhalb der linken Szene meist aus Anlass eines Vergewaltigungsvorwurfs. Hier soll ein anderer Umgang mit sexueller Gewalt durchgesetzt werden als gesellschaftlich üblich. Doch genau um diesen Umgang gibt es erbitterte Kämpfe.
In der kapitalistischen Gesellschaft drückt sich der Sexismus wesentlich, neben der Reduzierung der Frauen auf die Mutterrolle, durch die Reduzierung der Frauen als Sexualobjekt aus, wie es in der Werbung zum Ausdruck kommt, oder wenn für Frauen auf der Straße ständig angemacht werden. Doch Frauen sind nicht nur Verbalattacken ausgesetzt, sondern viele Frauen werden in der Tat Opfer von sexuellen Gewalttaten, zumeist von Tätern aus ihrem Umfeld. Frauen haben nicht nur Schwierigkeiten damit, dass ihnen geglaubt wird, sondern dass das ihnen Widerfahrene erst als Grenzverletzung gilt, wenn es wirklich zum Koitus gekommen ist und selbst das müssen sie noch mit Hilfe von aussagekräftigen Beweisen nachweisen. Dass auch schon die Androhung von körperlicher Gewalt Frauen unter Druck setzten kann, oder dass sie in meist langjährigen Beziehungen so sehr fertig gemacht werden, dass sie jegliche Würde für sich verlieren und alles mitmachen, ist leicht vorstellbar, aber sicher schwer nachweisbar. So haben es Opfer von sexueller Gewalt tatsächlich vor bürgerlichen Gerichten oftmals schwer, die Schuld des Täters zu beweisen und da die Beweislast bei ihnen liegt, werden viele Täter nicht verurteilt.
Um der gängigen Praxis bürgerlicher Gerichtsbarkeit etwas entgegenzusetzen, haben Feministinnen innerhalb der linken Szene das Konzept der Definitionsmacht entwickelt. Das oben schon erwähnte Antisexismusbündnis zählt zu den Anhängern dieses Konzept, bei dem das subjektive Gefühl einer Frau entscheiden soll, ob es zu einer Vergewaltigung gekommen sei und aufgrund dieses Gefühls Sanktionen durchgesetzt werden dürfen. Die Sanktionen der Szene greifen dann aufgrund der Entscheidung der Frau, ohne dass man überhaupt über den Tatbestand reden dürfe und bestehen hauptsächlich darin, für die betroffene Frau einen „Schutzraum“ zu schaffen, dass heißt i.d.R. dem Typen den Zugang zu bestimmten Orten zu verweigern, was heißen kann, dass er insgesamt aus der Szene ausgeschlossen wird. Damit wurde aber das Ziel des Antisexismusbündnisses, eine Auseinandersetzung über Sexismus in der Szene zu forcieren, torpediert, denn das Konzept der Definitionsmacht lässt dafür keinen Raum. Die einen reagieren mit Abwehr auf Vergewaltigungsvorwürfe, da auch schon Kleinigkeiten oder Umstrittenes zu solchen Vorwürfen führen kann (wie das Ausziehen des T-Shirts auf einem Grenzcamp) und setzen sich erst recht nicht mit Sexismus auseinander, die anderen sehen überall Täterschützer am Werk, die, indem sie das Konzept der Definitionsmacht an sich in Frage stellen, schon als Vergewaltigungsbefürworter gelten. In solch einer aufgeheizten Stimmung kann es nicht mehr zu den sicher notwendigen Diskussionen über patriachale Formen in der heterosexuellen Sexualität kommen: Was hindert Frauen daran „Nein“ zu sagen, wenn sie etwas nicht wollen? Warum glauben Männer Manipulationen zu benötigen, um mit einer Frau im Bett zu landen? Warum sind es i.d.R. Frauen, die begehrt werden und Männer diejenigen, die begehren oder deren Begehren zumindest häufiger sichtbar wird? Warum verbinden viele Frauen immer noch Liebe und Sexualität miteinander, während Männer die Trennung viel eher hinbekommen? Wie kann es insgesamt zu freieren und offeneren Formen der Sexualität kommen?
Wird der Begriff der Vergewaltigung im bürgerlichen Recht eng gefasst und meint das erzwungene Eindringen in den Körper, benutzt die Szene den Begriff inflationär. Wenn von Vergewaltigung gesprochen wird, kann es heißen, dass jemand einen blöden sexistischen Spruch gemacht hat, es zu Grabschereien gekommen ist, mit Tricks versucht wurde, die Frau zum Sex zu überreden, der Mann beim Sexualakt nonverbale Zeichen des Widerstandes nicht wahrgenommen hat oder aber mit Gewalt in die Vagina der Frau eingedrungen ist. Die Berliner Gruppe Desperados, die Teil des Berliner Antisexismusbündnisses ist, schreibt, dass die Übertreibung Strategie sei, damit überhaupt jemand reagiert, wenn es zu einem sexistischen Übergriff kommt. Dies könnte jedoch auch nach hinten losgehen, wenn aufgrund des inflationärem Gebrauchs niemand mehr Vergewaltigungsbeschuldigungen ernst nimmt, auch nicht, wenn es wirklich zu einer kommt.
Jede sexuelle Begegnung beinhalte nach den Definitionsmachtbefürwortern sehr viel Gefahr und somit seien nur sexuellen Beziehungen erlaubt, in der bei jeder neuen Berührung um Erlaubnis gefragt wird. Manchmal wird es schon als Vergewaltigung bezeichnet, wenn bei körperlichen Berührungen nicht nach diesem Codex vorgegangen wird. Eine Moral, die, auf jeden Fall in letzter Konsequenz, jede Sexualität verhindert, weil sie jede Erregung und jede Spannung abtötet und in der Realität wahrscheinlich so nie stattfindet. Viel einfacher wäre es doch, wenn man sich darauf einigt, dass, wer unsicher ist, nachfragt und Frauen und Männer lernen „Nein“ zu sagen, wenn ihnen etwas nicht gefällt oder ihnen zu weit geht. Dass beides erst erlernt werden muss, ist natürlich auch klar, deshalb ist ein offener Umgang mit sexuellen Themen notwendig. Den Anhängern der Definitionsmacht erscheint aufgrund des weiten Vergewaltigungsbegriffs die linke Szene als ein Ort, in der es ständig zu sexueller Gewalt kommt. Denn so schreibt z.B. die Gruppe Desperados „Vergewaltigung und andere sexuelle Übergriffe passieren in ‚unserer Szene‘ wahrscheinlich jede Nacht“ und nachdem sie objektive Kriterien für eine Vergewaltigung verneint haben, verkündigen sie ihre Definition von sexueller Gewalt.
„Allgemein gesprochen, beginnt sexualisierte Gewalt oder erzwungene Sexualität, beginnt die Verletzung der eigenen Grenzen schon in dem Augenblick, wo Menschen sich überrumpelt, übergangen oder irgendwie komisch fühlen und nicht erst dann, wenn gedroht oder geschlagen oder sonst mit körperlichen Einsatz gedroht wird.“ Das, was hier als sexualisierte Gewalt bezeichnet wird, geht jedoch nicht nur mit gewaltätigen sexuellen Übergriffen einher, sondern auch mit sexuellen Kontakten, die auf beiderseitigem Einverständnis beruhen, wenn nicht immer die gleichen eingeübten und vorhersehbaren Praktiken mit dem gleichen Partner ausgeübt werden. Wenn Feministinnen „Grenzverletzungen“1 als Vergewaltigungen bezeichnen, dann vergessen sie, dass Sexualität kaum ohne Grenzverletzung zu haben ist, oder sogar stärker: Das das Überschreiten von Grenzen gute Sexualität überhaupt erst ausmacht. Denn in der Sexualität kann die Panzerung der eigenen Subjektivität Stück für Stück aufgehoben werden, und das kann sogar zu Formen der körperlichen und psychologischen Vereinigung führen, in der die Beteiligten für einen Augenblick dem Monaden- und Einzelkämpfertum bürgerlicher Subjektivität enthoben sind. Dies bedeutet auch, in der Hingabe an den anderen, sich der Kontrolle, die das bürgerliche Subjekt über sich und seine eigene Natur ausüben muss, zu entledigen. Dass dabei ein komisches Gefühl aufkommen kann, gehört zur Sache selbst.
Das Verhältnis von Hingabe und Aktivität ist geschlechtsspezifisch konnotiert. Während der männliche Part sich aktiv an der Frau befriedigt und dabei gleichzeitig auch noch für die Lust der Frau verantwortlich ist, hat die Frau sich dem Mann hinzugeben. Das Gebot zur Passivität heißt allerdings nicht dazuliegen wie ein Brett, sondern dem Mann zeigen, dass der Sex ihr Lust bereitet. Auch wenn verbal viele Männer sich sexuell aktive Frauen wünschen, kommen doch nur die wenigsten damit klar, wenn dies zur Realität wird. Der Kontrollverlust, der der Sexualität als Möglichkeit inne wohnt, ist historisch vor allem für den bürgerlichen Mann mit Angst verbunden. In der Rolle des Familienernährers hatte er seine eigene Natur im Sinne der möglichen Verwertbarkeit fürs Kapital herzurichten. Dies bedeutete, die eigenen Bedürfnisse nur kontrolliert auszuleben. Alles ist in Maßen erlaubt. Jeglicher Kontrollverlust kann scheinbar oder auch real dazu führen, dass man zur Arbeit nicht mehr in der Lage ist. Die auf Aktivität ausgerichtet männliche Sexualität bedeutet immer die Leugnung dieses möglichen Kontrollverlusts, sowie die mit der Sexualität einhergehenden Ängste vor der Abhängigkeit von Frauen. Bei manchen Männern drückt sich das darin aus, alle Frauen emotional auf Abstand zu halten. Bei anderen in einer hektischen Aktivität, die verhindern soll, selbst einmal die passive und sich hingebende Rolle zu übernehmen. Dies gelingt jedoch nur vollständig, wenn die Aktivität der Frau unterdrückt wird. Die übersteigerte Form davon ist die Vergewaltigungen: Der Versuch mit sexueller Gewalt die Subjektivität der Frauen zu vernichten, die die eigenen fragile Subjektposition vermeintlich angreift.
Aus der selben Energie speist sich auch die ausgeprägte Angst vor der passiven Position beim Analverkehr und vor der Homosexualität im Allgemeinen, die in Hass und Gewalt auf Schwule umschlagen kann. Für die Frauen dagegen ist die passive Rolle in der Sexualität ihrer Geschlechterrolle angemessen. Allerdings ist mit der fortschreitenden Emanzipation der Frau diese Rolle auch für die Frau prekär geworden. Für die emanzipierte Frau kann jeder sexuelle Akt gefährlich werden, da sie Angst hat, den eben erst errungenen Subjektstatus sofort wieder zu verlieren, wenn sie sich auf eine sexuelle Beziehung einlässt, in der sie in der Regel wieder die passive Rolle einnimmt. Die Ambivalenz zwischen dem durch Sozialisation der Frauen hervorgebrachten Bedürfnis, passives Triebziel zu sein und der durch die weibliche Emanzipation sich herausgebildeten Subjektposition, kann dazu führen, dass die Frau nachträglich den sexuellen Kontakt als Vergewaltigung begreift, zum Beispiel, weil ihr eine passive oder masochistische Position Unbehagen bereitet, weil dies ihrem Selbstverständnis als Subjekt im bewussten Zustand widerspricht.
Das Problem am heterosexuellen Sexualakt liegt darin, dass auch in der Normalversion, sogar wenn Liebe im Spiel ist, dieser nicht das ganz andere zur Vergewaltigung ist. Denn auch beim Sex mit beiderseitigen Einverständnis wird die Subjektivität der Frau oftmals negiert, wenn auch nicht durch Zwang und Gewalt. Deshalb mögen die Grenzen auch beim Vergewaltigungsvorwurf verwischen, auch wenn das wenig hilfreich sein mag, weil so viele andere Probleme, die es beim heterosexuellen Sex und in Liebesverhältnissen gibt, gar nicht mehr zur Sprache kommen. Die Definitionsmachtbefürworterinnen setzen in ihrer Taktik gegen sexuelle Gewalt bei den Männern an, die einen sensiblen Umgang beim Sex erlernen sollen, wie es das „Zustimmungskonzept“ nahelegt. Mag das vielleicht etwas naiv sein, wenn es darum geht, jemanden aufzuhalten, der mit Gewalt die Subjektivität einer Frau auslöschen will, so ist es natürlich nicht falsch, einen anderen Umgang mit der Sexualität zu fordern als den üblichen reflexionslosen Sex, der oft genug nur die Geschlechtsrollenstereotype reproduziert. Reflexionen der Geschlechtsrollen, das Spielen mit diesen Klischees und ihre letztendliche Überwindung, müssten Ziel einer sexuellen Aufklärung sein, die über mehr Probleme in der Sexualität weiß, als dass es zu unerwünschten Grenzverletzungen kommen kann.
Die Grenzverletzungen in der Sexualität können gerade deshalb gefährlich werden, weil durch die Regression, die in diesem Prozess stattfinden kann, auch viele unschöne und schöne, in jedem Fall aber unverarbeitete Erfahrungen an die Oberfläche kommen können. Die Gefahren in der Sexualität sind deshalb vielfältige und Gefahr ist ja nicht immer schlecht. Aber Sexualität ist auch nicht einfach immer schön oder einfach nur ein körperlicher Akt der Lustbefriedigung. Dass muss man sich bewusst machen. In der Definitionsmachtsdebatte wird die ganze Gefahr, die mit der Sexualität einhergeht und der auch Männer unterworfen sind, auf eine einfache Formel von sexueller Gewalt und Grenzverletzung reduziert. Es geht hier eigentlich nur darum, die Grenzen des je anderen als eigene Grenze zu den anderen zu setzen und sich so – zumindest auf der theoretischen Ebene – gegen die Glückseligkeit einer gelungenen Vereinigung zu wappnen. Doch verhindert unter anderem die Idee, bei jedem neuen Schritt zu fragen, ob er erwünscht sei, die Möglichkeit, sich hingeben zu können, denn dies erfordert eine Aufhebung des Bewusstseins, ein vollkommenes Aufgehen in der Situation und somit genau das, was das Gegenteil der Vergewaltigung wäre, sich dem anderen freiwillig hingeben zu können, ohne dass dies ausgenutzt werden würde. Dazu bedarf es Vertrauen und dies ist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bei einem one-night-stand oder bei einer Affaire zu haben. Hier mag das Zustimmungskonzept z.T. ja sogar Sinn machen. Dies gilt für beide Geschlechter: Dafür müssten jedoch gerade Männer das Hingeben lernen und die Frauen die Aktivität und das Begehren erproben. Diese Erweiterung der Sexualität müsste das Ziel sein, so dass es nicht zu den üblichen geschlechtsspezifischen Konstellationen, vom Mann, der immer weitere Körperteile der Frau erobert, und der Frau, die dies zu lässt oder nicht, kommt, eine Konstellation, die das Übergriffige schon quasi in sich trägt. Aber doch deutlich von einer Vergewaltigung zu unterscheiden ist, wenn auch beides der gleichen Grundkonstellationen entspringt. Denn bei letzterer geht es tatsächlich darum, den Willen der Frau zu brechen und mit körperlicher oder psychischer Gewalt den Subjektstatus dieser vollkommen zu vernichten, und nicht um Unsensibilitäten beim normalen schlechten patriarchalen Durchschnittssex. Diesen Unterschied zu negieren bedeutet, die wirklichen Vergewaltigungen zu relativieren und die Opfer zu verhöhnen.
Franza Ranner