Zum revolutionären Gehalt der Arbeiterbewegung
Oder: Warum wir Arbeiterlieder singen
Auf dem Kommunistischen Tresen im Februar 2018 verteilts Flugblatt
Der Aufständische, sein wahrer Name ist Mensch.
(Eugène Pottier, Kommunarde und Dichter der Internationale)
Nur dem Geschichtsschreiber wohnt die Gabe bei, im Vergangenen den Funken der Hoffnung anzufachen, der davon durchdrungen ist: auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.
(Walter Benjamin)
Jeder der proletarischen Aufstände und jede der großen Massenbewegungen hat, auch wenn sie geschlagen wurden, sich in Sackgassen verliefen, isoliert blieben und unter das Joch von Usurpatoren fielen, einen vorläufigen Höhepunkt der Bewusstwerdung der Klasse bezeichnet. Nach dem Rückfluten solcher Bewegungen wird deren revolutionäre Erfahrung von Minderheiten (Sekten) tradiert. […] Im Bewusstwerdungsprozess der jeweils nächsten Phase sozialer Kollisionen sind die aus früheren Kämpfen überlebenden illegalen Gruppen und Sekten, Quasi-Parteien und Verschwörerzirkel unentbehrlich ‚Umwälzungsfermente‘ (Marx).
(Helmut Dahmer)
Spätestens mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der sich durchsetzenden Ideologie vom Kapitalismus als dem alternativlosen Ende der Geschichte, wurde die Arbeiterinnenbewegung zum blinden Fleck der radikalen Linken. Sie wurde teils mit der sowjetischen – insbesondere der stalinistischen – Realpolitik, teils mit einer zahnlosen Reformbewegung innerhalb der kapitalistischen Durchsetzungsgeschichte in Eins gesetzt. Jedenfalls wird sie als toter Hund behandelt. Indem wir beim kommunistischen Tresen gemeinsam Arbeiterlieder singen, möchten wir diesem Missverständnis entgegenwirken und die Arbeiterbewegung wieder in den Fokus einer revolutionären Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart rücken.
Geschichte gegen den Strich zu bürsten, heißt für uns vom kommunistischen Tresen, an den revolutionären Anspruch dieser Bewegung zu erinnern und das Unabgegoltene in ihr als noch zu Erkämpfendes aus den Fängen der Geschichtsschreibung der Sieger zu befreien. Die konstitutive Losung der Arbeiterbewegung, ein gutes Leben nicht nur für wenige Herrschende, sondern für alle Menschen dieser Welt zu erkämpfen, eint auch in der heutigen Welt – in der das Kapitalverhältnis zur ‚zweiten Natur‘ verklärt und das Glücksversprechen vollends individualisiert wurde („You can get it if you really want“) – alle Menschen, die sich weder von der Macht der anderen, noch der eigenen Ohnmacht haben dumm machen lassen.
Dass Stalinisten und Sozialdemokraten die Realisierung dieses universalen Glücksversprechens im Namen der Arbeiterbewegung opfern konnten, um die eigene Macht im Bestehenden zu sichern, macht eine kritische Auseinandersetzung mit ihr notwendig. Die zum Teil fließenden Übergänge zur Reaktion sind einer rücksichtslosen Kritik zu unterziehen. Bspw. die weit verbreitete Verwechslung der Befreiung der Arbeiterinnenklasse von der Lohnsklaverei mit einer Befreiung der Arbeit, die antisemitische Fixierung auf das abstrakte Finanzkapital oder die kraftstrotzenden Männlichkeitsbilder. Begreife, wer kann. So wenig wie sie als an sich revolutionäre Bewegung idealisiert werden kann, darf sie dabei jedoch einem linearen Geschichtsbegriff einverleibt und als an sich herrschaftskonform verklärt werden. Es waren die Kommunistinnen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die der ersten SPD-Regierung zum Opfer fielen; es waren die Kronstädter Matrosen, die von der Roten Armee unter Trotzki niedergemetzelt wurden, weil sie das Ziel der Revolution – alle Macht den Räten – gegen die bolschewistische Parteidiktatur verteidigten; es war die anarchistische Münchener Räterepublik, die von der SPD entsandten Reichswehr und den von ihr unterstützten Freikorps zertreten wurde; es waren kommunistische Teile der Arbeiterinnenbewegung, die als erstes vom Nationalsozialismus liquidiert wurden, während ihr reaktionärer Teil sich in der Volksgemeinschaft auflöste; und es waren libertäre Arbeiter und Bäuerinnen, die im Spanischen Bürgerkrieg im Kampf gegen den Faschismus ihr Leben ließen, um später von der stalinistischen Reaktion zerschlagen zu werden. Die Liste der Widersprüche innerhalb der Arbeiterinnenbewegung ließe sich beliebig fortsetzen. Fakt ist, dass der heute – in weiten Teilen der Welt – vorherrschende soziale Frieden, in dem Gewerkschaftsfunktionäre und Sozialdemokraten als Sprachrohr der arbeitenden Klasse erscheinen können, nicht allein mit Hilfe des reformistischen Lagers der Arbeiterinnenbewegung durchgesetzt wurde. Er war und ist immer auch Resultat der blutigen Niederschlagung ihres revolutionären Flügels. Diese Toten zu vergessen, hieße sich selbst auf die Seite der Reaktion zu schlagen. Denn diejenigen, die im Kampf für die Emanzipation starben und derer nicht gedacht wird, lässt man ein zweites Mal Opfer der Reaktion werden.
Dass im Namen des Kollektivs, auch dessen der Arbeiterschaft, die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen wurden, nötigt zur Vorsicht im Umgang mit massenpsychologischen Phänomenen. Es ändert jedoch nichts daran, dass es einer revolutionären Assoziation bedarf, um das Bestehende durch eine vernünftige Einrichtung der Gesellschaft zu überwinden. Dass eine solche Assoziation sich nicht gänzlich neu erfinden muss, sondern an vergangene Ideen und Kämpfe anknüpfen kann, ergibt sich durch eine revolutionär-dialektische Betrachtung von Geschichte. Die Benennung von Frantz Fanons Hauptwerk im Kampf gegen den Kolonialismus Die Verdammten dieser Erde nach der ersten Zeile der Internationale, zeugt von einem solchen Geschichtsbewusstsein.
So erinnern die Lieder der Arbeiterinnenbewegung an das erfahrene Leid, die Mühen des Kampfes sowie den flammenden Wunsch nach einer Welt ohne Ausbeutung und Hunger. Mal mehr, mal weniger verstellt. Sicherlich immer so widerspruchsvoll, wie diese Bewegung war. Aber sie verweisen auch heute noch ungebrochen auf die Hoffnung, eine historische Konstellation zu erkämpfen, in der die Verwirklichung einer herrschaftsfreien Gesellschaft nicht bloß Wunsch einzelner Splittergruppen, sondern die Losung einer revolutionären Assoziation ist, die mit der ganzen alten Scheiße endlich Schluss macht.
Kommunistischer Tresen
16.02.2018
Berlin