Jenny M. Rummikupp: So schön wie Gendersterne
Skizze zu einem Spaltungsdramolett – ein fiktionales und satirisches Psychogramm linker Szenebefindlichkeiten
A6-Booklet (A6)
A6-Booklet (Zum Falten, Schneiden und Tackern)
Seit einiger Zeit trage ich mich mit dem Gedanken, ein Dramolett zu verfassen – ein kurzes Bühnenspiel über alberne Dinge. Es hat ausgedachte, aber deswegen nicht unwahrscheinliche Vorgänge in der linken Szene zum Gegenstand. Für eine erste Skizze habe ich ein paar wichtige handelnde Figuren vor Augen.
Eine dieser Figuren ist beispielsweise Unterstrich. Im siebten Semester des Studiums der Gender Studies erschien ihm Judith Butler im Traum und gab ihm den Auftrag, künftig die Geschlechtslosigkeit in der Welt zu verbreiten. Kaum erwacht, legte er seinen vorherigen Namen ab und taufte sich neu: Unterstrich. Von nun an nannte sich Unterstrich geschlechtslos und forderte seine Mitmenschen auf, ihre Sprache an seine Eingebung anzupassen. Auch legte sich Unterstrich die Angewohnheit zu, bei den Worten „Mann“ und „Frau“ in lautes Geschrei auszubrechen und den Raum zu verlassen. An dieser Stelle tritt der kommunistische Kauz auf. Der mag nicht einsehen, warum man nun nicht mehr von Frauen und Männern sprechen dürfe, obwohl der Geschlechterkampf doch ein Teil des Klassenkampfs sei. Kaum hat sich Unterstrich von einer seiner Schreiattacken erholt, sagt der kommunistische Kauz schon wieder die bösen Worte, woraufhin ein weiterer Rumpelstilzchenanfall folgt. Unterstrich droht, sich für immer in die Schmollecke zurückzuziehen, wo bekanntlich die echten Linken hausen.
Die Umstehenden, wir befinden uns nämlich in Gesellschaft, blicken pikiert zu Boden. Nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung, sagen sie in einer der Schreipausen zueinander, müsse man nur den Kauz entfernen, um wieder Ruhe zu haben. Aber wie sagt man es ihm? Langes Schweigen, dann die Idee. War das nicht Gewalt, was der Kauz mit Worten gemacht hat? Hat er nicht die Existenz von Unterstrich bestritten? Jaja, böse Gewalt war das mit bösen Worten, sagen nun alle im Chor. Was können wir machen, dass sich dies nicht wiederhole, nichts ähnliches geschehe?, fragen sie weiter. Wie wäre es mit einem Verhaltenskatalog? In den schreiben wir, dass kauzige Reden uns dolle in der Seele schmerzen, weswegen wir sie nie wieder dulden wollen. Nie wieder Kauzigkeit! Nie wieder! Nun wird’s dem Kauz zu bunt, er will an der Sache diskutieren, nicht über gewaltfreie Kommunikation. Neinnein, sagen alle im Chor, schon die Diskussion über die Sache ist Gewalt gegen unsere Gefühle. Jawoll, sagt Unterstrich triumphierend. Der Verhaltenskatalog wird auf dem Plenum beschlossen, alle geben sich die Hände und murmeln die neue Parole: Respekt. Mehr Respekt. Und Ausschluss den Feinden des Respekts.
Der Kauz zieht ab. Auch die Unterstützung durch die kluge Cyber-Barbie hat ihm nichts gebracht. Sie machte eines Tages den Fehler, eine gepfefferte Rede über Männer und Frauen zu halten. Die Jungs täten nur so, als hätten sie die Macht, sagt sie, die Frauen sollten sich nicht durch die bitteren Tränen selbstkritischer Männlichkeit und weibliche Betroffensheitsrituale täuschen lassen, sondern selbst anpacken. Moment, ruft da der große Häuptling, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, sind das nicht kauzige Reden, wie wir sie per Plenumsbeschluss verbannt haben? Tut sie nicht unseren Schwestern, die wir zu beschützen angetreten sind, schlimmes Unrecht? Und hat sie überhaupt Gendersterne in ihrer Rede verwendet? Meine Brüder, ich habe keine gehört, das dürfen wir nicht dulden. Der Häuptling ist zwar keiner, führt sich aber auf wie einer. Auf seinem Kopf ist ein bunter Federschmuck. Darunter eine rote Feder, weil er für den Kommunismus ist. Und eine schwarze, weil er zugleich für den Anarchismus ist. Und eine violette, weil er für die Frauen ist. Und eine glitzernde, weil er manchmal sogar queer ist – beim Tanzen am Wochenende. Er ist nicht für das Gute, er ist das Gute selbst. Kritik an ihm verbietet sich von selbst.
Trifft der Häuptling beim Tanz ein junges hübsches Weib, so spricht er: Deine Augen sind so schön wie die Gendersterne in meinen Texten. Was redet der Idiot, denkt sie sich, doch sieht er nicht schlecht aus, ich werde also mit ihm schlafen. Der Häuptling ist nicht nur im Bett mit Haupt- und Nebenfrauen, sondern auch im Politischen mit Haupt- und Nebenwidersprüchen sehr aktiv. Er ist in einer Gruppe, die von Szeneburschen beiderlei Geschlechts bevölkert wird. Insbesondere setzt sie sich für die Vereinbarkeit von Hooliganismus und Beruf ein. Geht es um das Recht auf Schlägerei für Frauen, nennen sie es kurioserweise Feminismus. Ihre wichtigsten Parolen sind Bum-Bum, Baller-Baller und vor allem Kapi-Kacki. Die Gruppe ist für mittelalte Ewigjugendliche, die früher gerne Verstecken spielten: Linksjugend mit konspirativem Charme. Es gibt dort freilich noch größere Häuptlinge mit mehr Federschmuck als den unseren. In bestimmten Teilen des Internets ist die Gruppe sehr bekannt. Ihren Namen zu ehren und zu preisen, ist Aufgabe ihrer Mitglieder. Der darf nämlich nicht beschmutzt werden, denn er steht gegen alles Böse.
Dann gibt es noch die schöne Kosmonautin. Sie hat sich vor einiger Zeit in den outer space verabschiedet und funkt von dort nur noch gelegentlich an die Erdbewohner. Ihr Text ist immer der gleiche: Meine queeren Sisters, ich habe euch gewarnt. Doch sie ist zu weit entfernt, und näher ran möchte sie nicht mehr. Eine weitere Figur ist der Anarchoschluffi. Meist sagt er nichts. Doch wenn, dann kommt seine große Rede vom Bäh. Oder vom Problematischen und vom Bauchschmerzenmachenden. Er ist sehr sensibel. Wenn jemand mal einen Punkt macht, sagt er wieder Bäh. Später erörtert er mit seinen Freunden die Vorzüge der Punktlosigkeit – bei plörrigem Bier und Internetvideos, in denen in fernen Weltgegenden der öffentliche Nahverkehr oder Bildungseinrichtungen in Brand gesetzt werden. Da wird den Schluffis nämlich ganz warm ums Herz. Denn sie sind zwar für gewaltfreie Kommunikation, aber auch fürs Steineschmeißen und Feuerlegen. Und endlich etwas anbrennen, das wär’s, denken sie seufzend, und stecken sich ihre Selbstgedrehten mit einem Feuerzeug an, auf dem der Spruch „Macker anzünden“ steht. Sie haben noch mehr geheime Wünsche. Gib es mir mit dem Verhaltenskatalog, rufen sie der Herrscherin in ihren nächtlichen Träumen zu.
Unterstrich, Häuptling und Schluffi haben große Angst, mit jemanden erwischt zu werden, der kauzig ist. Zum Beispiel mit dem Struwwelpeter. Der nervt nämlich, weil er alles ausplappert – auch das, was man nicht hören möchte. Und er sagt manchmal – wegen der Provokation oder der Gewohnheit – Worte, die man nicht an der Universität, wohl aber auf jedem Schulhof lernt. Der ist ebenso wenig vorzeigbar wie der kommunistische Kauz, der den Umsturz will, oder die schöne Kosmonautin, die Federschmuck generell albern findet, oder die kluge Cyber-Barbie, die sich nicht vor dem generischen Maskulinum beschützen lassen will. Aber, wirft ein Szenebursche männlichen Geschlechts mit Feminist-Shirt ein, das ist doch nicht schlimm, denn wenn ihr immer brav Sternchen sagt, dürft ihr vielleicht doch unter Aufsicht der Häuptlinge unser heiteres Gesellschaftsspiel Ewiges Plenum spielen. Aber wenn nicht, darf ich leider gar nicht mehr mit euch spielen. Das mögen die Oberhäuptlinge nämlich nicht. Und was sollen denn die anderen Szeneburschen sagen? Oder gar denken, falls sie das noch tun?
Das ist es doch, was wir in unserer linken Familie machen, sagen die Szeneburschen, wir passen aufeinander auf, dass niemand nicht mit jemanden spielt, der kauzig ist oder keine Seminarmanieren nicht hat. Könnte ja ansteckend sein, denken sie. Von einem Virus wissen sie da noch nichts, das feiert erst in einer späteren Szene seinen Auftritt. Spoiler: Sie werden es lieben. Weil am schönsten ist es doch unter uns. Bei jeder Gelegenheit sagen sie, meins, deins, bürgerliche Kategorien. Wenn aber jemand etwas sagt, was ihnen nicht passt, rufen sie nach bürgerlichen Manieren. Unterstrich streichelt Häuptling das vom Federschmuck-Tragen müde Haupt und Schluffi glotzt Bähbäh vor sich hin brabbelnd ein bisschen Krawall im Netz. Sollte das etwa das Ende sein? Es gibt noch viele weitere Figuren – wie die kiffende Quasselstrippe, die musizierende Magierin, den depressiven Denkerling, die zaudernde Zündlerin, den flatterhaften Feuilletonisten, die hauende Hure und den motorradfahrenden Minimacho. Und eine dauerbeleidigte Denunziantin, aber die darf gerne außen vor bleiben. Es ist nur eine erste Skizze zu einem Spaltungsdramolett. Die Figuren haben neben ihren offensichtlichen Schwächen sehr viele Vorzüge, die jedoch im Verhaltenskatalog nicht berücksichtigt werden können.
Unsicher bin ich mir nur bei der Handlung. Sie ist einfach zu bescheuert. Könnte man die nicht ändern?
Erste Auflage: Juni 2021
Geschrieben: Frühjahr 2020
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