Anmerkungen zum Boykottaufruf gegen die linken Buchtage Berlin
Es kursiert im Netz ein Boykottaufruf der linken Buchtage Berlin. Es geht formell um die Verweigerung eines Standes des Laikaverlages auf dieser Veranstaltung seitens der Organisatorengruppe, der Sache nach um die große Spaltung der Linken rund um den Themenkomplex Israel/Palästina. Tatsächlich haben einige von uns mit beiden Seiten losen Kontakt, haben dann und wann auf den linken Buchtagen Veranstaltungen durchgeführt und andererseits dem Laikaverlag geholfen, einige Bücher zu veröffentlichen. Es erschien uns jeweils der Sache nach richtig und es ist uns egal, was diese Leute alles denken, schreiben, machen, solange eine punktuelle Zusammenarbeit klappt. Wir sehen daher keinen Grund, dieses Verhalten zu ändern, nur weil es zu einem vorhersehbaren kleinen Scharmützel zwischen den sogenannten Antideutschen und den sogenannten Antiimperialisten gekommen ist, das weder überrascht noch Neues in die nun schon Jahre währende Auseinandersetzung einbringt. Einige Punkte wollen wir trotzdem anmerken.
I.
Der Laikaverlag hat einige gute Bücher verlegt. Das allgemeine Anliegen dieses Verlages scheint es unter anderem zu sein, die Geschichte der linken Bewegung zu dokumentieren, wie sie in Folge der 60er Jahre existierte. Wenn diese Bewegung auch an ihr Ende gekommen ist, so wird sie nicht verschwinden, bis sie durch irgend eine neue Erscheinung zum Verblassen gezwungen wird. Bis dahin wird man über die Irrungen und Wirrungen der alten Bewegung nachdenken müssen. Die Bibliothek des Widerstandes scheint uns daher ein schönes Projekt und hoffentlich zeigen möglichst viele Leute die dort gesammelten Filme öffentlich. Z.B. die jüngst herausgegebene Dokumentation des Pariser Mai 1968.
Desweiteren publiziert der Laikaverlag einige andere Reihen, die sich auf die eine oder anderere Weise gegenwärtigen Problemen widmen und diese sind so durchwachsen wie es der gegenwärtige Stand der Diskussion ist. Man findet da z.B. Zizek oder Dath. Wir kennen nicht viele Bücher aus dem Programm, aber die, die wir gelesen, übersetzt oder herausgegeben haben, sind unseres Erachtens nützlich: Das Buch über die anarchistische Revolte in Griechenland 2008, der Essaiband über die Riots in London, etwas über die Weatherman.
Der Ausschluss dieses verhältnismäßig wenig sektiererischen Verlags erscheint sehr willkürlich. Man hätte mit besseren oder anderen Gründen auch jeden anderen Verlag ausschließen können, wenn man darauf steht. Mindestens ein schlechtes Buch wird überall dabei sein.
II.
Es gibt keine die Linke, nur sich widersprechende Fraktionen, die sich meist aus der Vergangenheit speisen. Die gesamte Linke ist in der Sackgasse, auch ihre reformierte im weiteren Sinne antideutsche Variante. Wir wollen auch keine neue Linke, misstrauen allen ihren Splittern und mehr noch deren Bündnissen. Linke Buchtage sind daher ein Unsinn, es gibt die Linke nicht und damit auch keinen Anspruch darauf, dabei zu sein, nur weil man sich selbst als links begreift wie der Laikaverlag. Links sind sie alle, die Partei die LINKEN, die Gruppe ARAB, die Zeitungen Bahamas, Jungle World oder die junge Welt, der Laikaverlag, der Verbrecherverlag, die DKP, die FAU etc. pp. Wenn es um irgendwas geht, dann um die Herausbildung einer revolutionären Bewegung und die wird kommunistisch sein müssen und wenig mit der bestehenden (politischen) Landschaft gemein haben. Wichtiger als alle Linken, ihre Gruppen und Bündnisse scheinen uns die, die sich von allen linken Fraktionen abgestoßen fühlen oder die einfach von diesem ganzen Krampf nicht viel mitbekommen und trotzdem der bürgerlichen Welt negativ gegenüberstehen. Einige von denen kann man auch auf den linken Buchtagen treffen und daher mögen wir diese Veranstaltung mehr oder weniger.
III.
Es geht nicht um Demokratie. Niemanden wurde es prinzipiell verboten, irgendwas zu publizieren, zu sagen oder Veranstaltungen durchzuführen. Im Verlagsprogramm des alllinken Laikaverlages fehlen natürlich die Antideutschen, aber wer würde deshalb gleich von Zensur reden. Im Kramerverlag fehlen ja auch die Leninisten. Es geht um einen der zentralen inhaltlichen Konflikte, der nun schon seit Jahren existiert und immer wieder ausgetragen werden muss. Es spielt daher auch keine Rolle, ob sich die Vorbereitungsgruppe dezidiert dazu äußert, ob sie anonym ist oder sich in einem Hinterzimmer trifft. Jeder weiß, dass das Schisma existiert und wenn auch viele meinen, davon genug zu haben, wird dieser Konflikt die nächsten Jahre in der einen oder anderen Form immer wieder hervorkommen. Er betrifft objektive ungelöste Probleme der Gegenwart. Die ganze Boykottsache ist daher nur die übelste Heuchelei eben der Fraktionen der alten Linken, an denen alle Kritik abprallt und die stur weiter an ihrer ererbten Feindschaft zu Israel festhalten, ganz so, als ob der Antisemitismus einfach eine Erfindung wäre. Natürlich sind diese Splitter selbst auch nicht unbedingt demokratisch, aber das ist sicher kein Vorwurf.
IV.
Natürlich sind alle Linken spröde. Jeder schließt jeden aus. Sicher gibt es viel Verdruss über nicht zustande kommende Kooperationen, gerade wenn sie an sich vernünftig gewesen wären. Wir wollten z.B. das im Laikaverlag erschienene Buch über die Plünderungen in England auf den Buchtagen vorstellen, haben aber letztlich darauf verzichtet, weil es uns klar schien, daß dies mit Verweis auf das nämliche blaue Buch abgelehnt würde. Wir fanden das schade, weil wir primär die Aufmerksamkeit auf das Geschehen in London im August letzten Jahres lenken wollten und uns das ein schöner Kontrapunkt zu den friedlichen Campern etwa Barcelonas zu sein schien. Aber so etwas kommt ständig vor und ist bei aller Sprödigkeit immerhin nicht so schlecht, wie der falsche Frieden etwa der großen Bündnismobilisierungen, wo es kaum zu ausgetragenem Streit innerhalb dieser naturgemäß heterogenen Bündnisse kommt. (Zuletzt in Frankfurt bei Bloccupy oder letztes Jahr bei der Mobilmachung gegen den Papst.) Immerhin verweisen Ablehnungen von Positionen immer auf ungelöste Widersprüche und bieten negativ dem Publikum eine Möglichkeit, sich eine Meinung zu bilden, das ist besser als eine pluralistische Veranstaltung, bei der alle Fraktionen stoisch nebeneinander bleiben, wie es ansonsten bei den Buchtagen der Fall ist. Die Standablehung bei den diesjährigen Buchtagen wird sich insgesamt für den Laikaverlag lohnen und das Buch für die Gazaflotte wird sicher neue Abnehmer finden, während der Verbrecherverlag kaum Mehrwert aus der Sache ziehen wird, weil der Verlag kein Buch gegen dieselbe Flotte veröffentlicht hat. Aber in jedem Fall gilt: Konkurrenz kann das Geschäft beleben und alle lesen lieber ein scheinbar verbotenes Buch.
V.
Es geht nicht um Gewalt. Alles Gejammer ist fehl am Platz. Die lächerlichen Boykotteure schreiben: „In Deutschland werden linke Kritiker der israelischen Besatzungspolitik und der als ‚Krieg gegen den Terror‘ verbrämten imperialistischen Kriege seit Jahren diffamiert, bepöbelt, bedroht, zensiert – in einigen Fällen gewalttätig attackiert.“ Mag ja alles sein. Genauso werden seit Jahren diejenigen diffamiert, bepöbelt, bedroht, zensiert – in einigen Fällen gewalttätig attackiert, die auf den weltweiten und oft sogar staatsoffiziellen Antisemitismus verweisen, den Boykott Israels ablehnen oder im iranischen Atomprogramm ein ernstes Problem sehen. Die Auseinandersetzung wird oft scharf geführt und sicher ist sie inzwischen langweilig geworden. Aber andererseits geht es um die Frage von Krieg und Frieden und da wird’s manchmal auch im Hinterland hitzig. In Nordneukölln ist es z.B. gefährlich, mit der Israelfahne unterwegs zu sein, während es nicht so gefährlich ist, die Auslöschung Israels zu propagieren. Zuletzt hatten zum Beispiel einige Aktivisten aus dem Infoladen Lunte die Nordneuköllner Bevölkerung gegen eine antifaschistische Demonstration des Israelsspektrums aufgewiegelt, indem sie sie als „Volksfeinde“ und „prozionistische Imperialistenknechte“ benannt hat und dieselbe wurde dann auch mehrfach unter Rufen wie „Tod Israel“ mit Tränengas angegriffen. Die Demonstranten riefen dagegen „IDF in Ramallah, das ist unsere Antifa“ oder „Das ist keine bestimmte Kritik! Aus der Lunte ’ne Modeboutique“ So ist das halt. Toll ist die Gewalt sicher nicht, aber hier ist noch alles harmlos. In Griechenland verteidigten jüngst die Kommunisten das Parlament gegen einen von Anarchisten durchsetzten Volksauflauf, die Knüppel wurden geschwungen und es flogen die Molotows.
VI.
Es gibt keine Konklusion. Im Prinzip hätte man dem Laikaverlag ohne mit der Wimper zu zucken einen Stand geben können oder sollen. Nachdem dieser aber jetzt eine verlogene und pathetische Kampagne losgetreten hat, bei der sich international Leute und Gruppen gegen einige Wenige richten, die einigen Verlagen ein Forum bieten und anderen halt nicht – frei nach dem Motto: Zusammen Kämpfen gegen das „Hinterzimmer der Zensoren“ – bekommt die Absage des Laikaverlages durch die Veranstalter eine gewisse Berechtigung. Nicht nur gibt es jetzt ein kleines Spektakel, dass den ansonsten ruhigen Ablauf solcher Veranstaltungen unterbricht und die Möglichkeit eines Zusammenbruch der Buchtage in Berlin, vielmehr spricht der grobe Unfug, die Antideutschen – oder die man dafür hält – würden die Linke „kolonisiert“ haben, stark für den Ausschluss exakt der Verlage, Gruppen und Individuen, die sich diesem Quark anschließen. Als ob der Kramerverlag, der Laikaverlag, der Schmetterling, der Unrast, der VSA und wie die ganzen Hinterzimmergruppen heißen, die irgendwelche Bücher ihres Geschmacks herausgeben, irgendwie zusammen oder auch nur in Diskussion kämen, wenn es diese Spalter und Kolonisatoren nicht gäbe. Solche Exterritorialisierung eigener Probleme ist auf Dauer nicht gut.
Einige Individuen, die mit einigen beteiligten Fraktionen recht punktuell zusammengearbeitet haben.