Kein Wort zur Ukraine!
Dafür Proteinsouveränität und andere Fragen
Der offene Eingriff der russischen Armee in den lokalen Weltkrieg in der Ukraine bewegt ein wenig die Gemüter. Schon im Grunde einfache Fragen der Frontlinie und unmittelbaren Kriegsziele erscheinen dem spektakulären Bewusstsein als Streit von Pro und Kontra Putin. Wird Mariupol dem Asow-Batallion entrissen oder verteidigen dort Helden die Freiheit der Ukrainer. Nehmen diese fanatischen Kämpfer Teile der Zivilbevölkerung in Geiselhaft, da sie sich im offenen Feld nicht halten könnten, oder bombardieren russische Truppen mutwillig Theater, obwohl sie wissen, dass dort Kinder sind. Wollte Russland Kiew in drei Tagen einnehmen und nun stecken die Russen, angesichts des massiven Gegendrucks der Landesverteidigung, hoffnungslos fest. Oder ist der Vormarsch der Russen im Grunde deswegen für sie sogar verlustreich und eben etwas zäh, weil man gerade nicht wahllos alles pulverisiert, sondern langsam vorgeht? Hier kein Wort zu diesen sicher interessanten Fragen. Der Nebel des Krieges wird sich lichten, und wer es unbedingt wissen will, sollte sich MacGregor anhören, den legitimen Botschafter der USA in Deutschland und retired Colonel der US-Armee, etwa bei Grayzone im Gespräch mit Max Blumenthal. Er redet ruhig und nimmt der Sache einigen sehr verbreiteten Unfug.
Dann die Situation im deutschen Hinterland. Im Ganzen gibt die Simulation einer Solidarität mit der Ukraine vielen Libtards die Möglichkeit, doch auf der richtigen Seite zu stehen, nachdem sie zwei Jahre alles mit sich haben machen lassen und jede Lüge der Medien und der demokratischen Politiker geschluckt und reproduziert haben. Im Grunde sind das einfach „diejenigen“, um die neuere revolutionäre Literatur Frankreichs zu zitieren, „denen es widerstrebt, ihren Herren unlautere Absichten zu unterstellen, weil sie befürchten, dass das kleine Lügenschloss ihrer eigenen sozialen Existenz ebenfalls zusammenbricht.“ Indem man Fahnen mit Kornfeld und blauem Himmel schwenkt, kann man außerdem schon mal für die kommende Zeit üben. Leerer Patriotismus könnte in diesem Altersheim der Renner werden. Und die deutsche Linke mit ihrem gebrochenen Verhältnis zur Nation nimmt den Anlass gerne auf, demonstriert schon mal ukrainischen Neupatriotismus, der dann später auf ihre eigene Nation übertragen wird. Deren Heimatfront hat sie bereits in der „Covid“ genannten Auftaktrunde der neuen Epoche tapfer gehalten, aber die kommenden Runden werden härter, schneller.
Lassen wir auch das und wenden uns der wesentlichen Frage zu. Ein Aspekt des Weltkrieges wurde nämlich bislang vernachlässigt: der Dollar. Wir haben uns hierzulande angewöhnt, zu glauben, diese Währung sei unser Gold, und unser Wohlstand sei so gerecht wie stabil. Aber große Teile der Welt arbeiten länger daran, den Dollar als Weltwährung loszuwerden, ob das der Schweiz gefällt oder nicht. Der Krieg in der Ukraine ist auch Anlass, diese Front härter zu führen. Nachdem der Westen militärisch gesehen nichts Entscheidendes mehr für das Mafiaregime in der Ukraine tun wird, hatte er es doch eilig, einmal mehr sein Finanzsystem als Waffe einzusetzen. Im Rahmen einer Reihe von Sanktionsverschärfungen soll Russland etwa von SWIFT ausgeschlossen werden. Ein sogenannter Experte nennt das „full-scale financial warfare“. (Es handle sich außerdem um einen hybriden Krieg. Wenn man dieses nun auch hierzulande langsam gebräuchliche Wort versteht, versteht man, warum ich hier von Weltkrieg rede.) Der französische Finanzminister gibt sich siegessicher: „Wir werden den Zusammenbruch der russischen Wirtschaft provozieren“. Aber der Guardian muss gestehen: „Russia’s economy is under siege, but will the west break first?“ Oder unser biederes Handelsblatt, ein wenig nervös: „Erst drohte die russische Regierung mit einem Lieferstopp, dann versicherte sie Vertragstreue, jetzt sollen die Rechnungen nicht mehr in Euro oder Dollar, sondern in der Weichwährung Rubel gezahlt werden“. So war das nicht gedacht. Klar, wir dürfen drohen. Denn erst sagten wir, dass wir Nordstream 2 nicht benutzen wollen oder sogar Nordstream 1 abschalten könnten. Das wäre dann natürlich kein Vertragsbruch. Aber so? Wir wollen sie rausschmeißen und boykottieren – und die sagen einfach Tschüss? Das ist dann ein „schmutziger Rubeltrick“ eines neuen Machiavell. Russland hat nämlich auf die neuen Sanktionen geantwortet und verboten, dass man sein Gas in Dollar zahlt. Und so alleine ist dieses enfant terrible dabei nicht. Indien hat ebenso angekündigt, die Sanktionen zu unterlaufen. Brasilien hat ebenso angekündigt, die Sanktionen zu unterlaufen. China eh. Südafrika? Wäre interessant zu googeln. Interessanter aber ist Saudi Arabien, das sich nicht nur, Stichwort OPEC+, verweigert hat, mehr Öl zu fördern, um den USA aus der Energiepatsche zu helfen, es kündigte ebenso an, den Dollar in Zukunft für den Handel etwa mit China nicht mehr zwingend zu fordern. Und Europa? In Frankreich wird man sich erinnern, dass man ihnen den Handel mit dem Iran verbot, und im Ganzen könnte Europa schließlich den Ausgleich mit Russland suchen, so gegenteilig die Propaganda gerade schießt. Aber hier auch keine detaillierte Einschätzung, wie dieser Wirtschaftskrieg ausgehen wird oder wie weit die Akteure ihn schließlich überhaupt eskalieren. Die Richtung sollte ebenso wie in der Ukraine klar sein (egal was die Propheten bei Bloomberg sagen, die immer wieder ihr Mantra wiederholen, es gäbe zum Dollar keine Alternative): das Ende des Dollars, als letzte Bastion der alten Weltordnung. Deswegen ist hier von dem Beginn einer neuen Epoche die Rede.
Vor diesem handfesten ökonomischen Hintergrund sollte man jedenfalls unseren ehemaligen Präsidenten ernst nehmen. Der Antikommunist Gauck verkündete nämlich der durch die Masken und andere Maßnahmen schon mal auf die kommende Disziplin vorbereiteten Jugend die frohe Botschaft bei Maischberger: „Ihr könnt nicht wissen, was ihr später einmal ertragen werdet. Die Lebenssituationen, in die wir geführt werden, statten uns mitunter auch aus mit Widerstandskräften, die wir, heute ungestört und in Wohlstand lebend, noch gar nicht kennen. Wir sind stärker, als unsere Angst es uns einredet, und wir können auch einmal frieren für die Freiheit, und wir können auch mal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben.“ Man kann das als Unsinn abtun oder gar als deutsche Schrulle. In Frankreich aber sind die Sachen entwickelter und Macron daher deutlicher: „Die internationale Ordnung ist stärker denn je ins Wanken geraten. Vor allem, wenn ich das so sagen darf, treten tiefgreifende Veränderungen in nahezu allen Bereichen auf und nehmen historische Ausmaße an. Es ist vor allem eine geopolitische und strategische Neuordnung. Schließlich haben wir eine interne europäische Krise: eine wirtschaftliche, soziale, moralische und politische Krise, die vor 10 Jahren begann, wir erleben eine beispiellose Krise in der Marktwirtschaft. Und diese Marktwirtschaft erzeugt beispiellose Ungleichheiten, die unsere politische Ordnung ebenfalls tiefgreifend verändern. Zunächst einmal stellen sie die Legitimität dieser Wirtschaftsorganisation selbst in Frage.“ Das war schon im August 2019, kurz vor Covid. Aber auch das Bundesinnenministerium sorgte sich, es könne „im Sinne einer ‚Kernschmelze‘ das gesamte System in Frage gestellt werden. Es droht, dass dies die Gemeinschaft in einen völlig anderen Grundzustand bis hin zur Anarchie verändert.“ Das war schon im März 2020, kurz nach Covid.
Also frieren und auch hungern? Noch einmal Macron, diesmal aus einer aktuellen Rede: „Europa wird in Sachen Nahrung tief destabilisiert werden. Wir müssen uns deshalb vorbereiten und unsere Produktionsstrategie reevaluieren, um zuallererst unsere Lebensmittelsouveränität zu verteidigen und unsere Proteinsouveränität als Europäer.“ Man soll sich nicht der Apokalypse hingeben, und unsere Regenten versuchen, den Abstieg stufenweise zu organisieren. Ohne choc. Ganz mild. Wie unser Lockdown. Es sind doch nur zwei Wochen und es ist doch nur ein Pieks. Aber wem die Aussicht auf eine „Delegitimation unserer Wirtschaftsorganisation“ oder auf „Anarchie“ nicht so unangenehm im Ohr klingt, der wird sicher ein wenig klammheimliche Freude verspüren. Oder wenigstens Häme empfinden. Und an die Anhänger der ebenso wohltemperierten wie affirmativkritischen Mitte, die dies dann doch für zu defätistisch halten: Man soll sich ja einmischen. Die Kommunistische Partei könnte noch Mitglieder gebrauchen. In diesem Sinne: Es wird ein gutes Jahr.
24. März 2022
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