Weltwetterkommentar zu Justus Wertmüller: „Wer soll Syrien regieren? Niemand! – Gegen die deutsche Begeisterung für den Endsieg des ‚syrischen Volkes‘“ (Bahamas 74/2016)
Die ehemaligen Antideutschen können einem wahrlich leidtun. Indem sie aufhörten, Kommunisten zu sein, findet sich in ihren Reihen einfach die Konfusion der übrigen Parteien wieder und man kann sich, egal bei welcher Frage, eine beliebige Antwort aussuchen und man wird jemanden aus dem Spektrum der postantideutschen Linken finden, der diese Antwort bevorzugt. Man denke nur an die amerikanische Wahl oder die Fragen rund um die ganzen Flüchtlinge oder auch nur an die AfD oder den weit entfernten syrischen Bürgerkrieg. Justus Wertmüller hat in der aktuellen Bahamas einen Essai über letzteren geschrieben und er soll Anlass zu einigen Kommentaren sein, die mir notwendig erscheinen. Ich bedanke mich bei der AG No Tears For Krauts, dass sie mir dafür ihren Thier-Fakeblog zur Verfügung stellen. Sie schrieben, er sei gut geeignet, „interne Schlammschlachten zu führen, die ansonsten keinen interessieren“.
Wertmüller fängt an: „Briten sind anders als die Deutschen.“ Es geht einmal mehr um den Gegensatz zwischen völkischen Deutschen und bürgerlichen Briten. Genauer geht es darum, dass die Deutschen kollektiv den islamistischen Widerstand in Syrien bzw. momentan in Aleppo unterstützen würden, während die nüchtern-bürgerlichen Briten das nicht täten. Wertmüller zitiert einen pragmatischen Artikel eines Briten, der sogar eine Unterstützung Assads nicht ausschließen möchte, wenn auch am Ende doch verneint. Wertmüller vergisst dabei zu erwähnen, dass die britische Presse den ganzen Schmarren vom syrischen Diktator gegen ein ganzes Volk etc. genauso im Repertoire hat wie die deutschen Qualitätsmedien. Bei genauerer Untersuchung würde man sogar finden, dass die britische Presse diese Propaganda noch vor der deutschen Presse aufnahm, da die britische Regierung an der Destabilisierung Syriens einen größeren Anteil hatte. Und was soll man erst zu Samantha Power sagen, der Botschafterin der Vereinigten Staaten bei den Vereinigten Nationen. Ist die jetzt auch eine Deutsche oder wenigstens Anhängerin der deutschen Ideologie? Hier einen Unterschied der Völker zu konstruieren, ist Wunschdenken oder Demagogie. Es handelt sich hier um eine westliche oder einfach weltweite Seuche und man nennt sie schlicht: Kriegspropaganda.
Weiter – und das ist die eigentliche Stoßrichtung des Artikels, der, wie bei der Bahamas üblich, ad hominem argumentiert – wirft Wertmüller Gruppen wie Stop the Bomb und Individuen wie dem noblen Thomas von der Osten-Sacken vor, sie hätten sich der deutschen Volks- und Medienstimmung gegen Assad angeschlossen und wären vom Endsieg der sunnitischen Islamisten begeistert. Und zwar zusammen mit dem Herzinger von der Welt, dem Broder von der Achse des Guten und dem Djihadi-Julian von der Bild. Es stimmt zwar, dass genannte Gruppen und Individuen den radikalen Islamismus in Syrien publizistisch unterstützen und die Wertmüllersche Polemik gegen den ganzen Gutmenschenkitsch trifft soweit wenigstens zu: Sie alle machen Kriegspropaganda. Das entbindet aber nicht von der Frage, für welche Seite?
Alle wissen, dass Israel vom Iran bedroht wird und die Aussicht, dass dieses Land eine Atombombe erlangt, für Israel nicht besonders rosig ist. Genauso ist bekannt, dass der 12-jährige Krieg der Vereinigten Staaten gegen den Irak unter Hussein nach weiteren 8 Jahren Besatzung seltsamerweise mit einem Sieg des Irans endete, der nun implizit Bagdad beherrscht. Jeder weiß auch vom strategischen Bündnis des Iran mit dem Regime Assads und natürlich mit der libanesischen Hisbollah. Auch das daraus folgende Zweckbündnis der ansonsten offiziell sehr verfeindeten Saudis mit Israel ist kein besonderes Geheimnis und etwa die Bombardierung Jemens findet natürlich von Seiten der israelischen Politik ihre Zustimmung, da die Gegenseite im Jemen auch dem Iran zuneigt. Kurz und bündig formulierte das schon vor einigen Jahren der ehemalige Botschafter Israels in den USA, Michael Oren, zitiert nach der Jerusalem Post: „Der Bogen Teheran-Damaskus-Beirut ist die größte Gefahr“ und daher hätte für Israel der Sturz Assads Priorität, egal wer oder was darauf folge. Oder nochmal anders: Mit den durchaus modernen Staaten Syrien oder Iran malt sich die israelische Verteidigung mittelfristig größere Probleme aus, als mit den ebenso extremen, aber im ganzen leichter handhabbaren Sunnikriegern. Gerade durch eine iranische Atombombe ist die konventionelle Überlegenheit Israels in Gefahr und wie der Abschuss eines Flugzeugs der israelischen Luftwaffe durch das syrische Heer mittels von Russland gelieferten Boden-Luft-Raketen zeigt, kann man sich der eigenen militärischen Dominanz auch sonst nicht auf alle Zeiten sicher sein. Dazu kommt, dass die USA sich dem Pazifik zuwenden. Der asymmetrische Krieg, die kleinen Bomben, die Selbstmordattentate und auch die Messerattacken: Damit kommt man klar, schlimmer ist allemal der Autoverkehr. Aber Iran und Syrien mit Russland und China im Rücken, das ist keine Kleinigkeit, das ist die sogenannte Geopolitik des Antisemitismus.
Es gibt dort zwar auch andere Stimmen und außer an der syrischen Südgrenze hält sich Israel formell aus dem Konflikt weitgehend raus, ein Regimewechsel oder eine Destabilisierung Syriens lag und liegt aber durchaus auch im selbstdefinierten Interesse Israels. Die eigentliche Schmutzarbeit übernahmen die Türkei, Saudi Arabien und Katar. Die damalige Außenministerin Clinton schrieb dazu in einer ihrer legendären Emails: „Die beste Weise Israel zu helfen, mit der wachsenden nuklearen Fähigkeiten des Iran umzugehen, ist dem syrischen Volk dabei zu helfen, das Regime von Bashar Assad umzustürzen.“ Und die Taktik dabei war, „mit den regionalen Verbündeten wie der Türkei, Saudi Arabien und Katar zusammenzuarbeiten, um die syrischen Rebellenkräfte zu organisieren und zu trainieren.“ Stop the Bomb, Osten-Sacken und Konsorten werfen den USA immer wieder vor, nicht genug für die syrischen Rebellen getan zu haben, aber diese von Clinton anvisierte Kooperation hat stattgefunden und Vizepräsident Joe Biden hat später zugestestanden, dass diese Verbündeten alles getan haben, die islamistische Opposition gegen Assad zu päppeln und der ehemalige Chef des amerikanischen militärischen Nachrichtendienstes DIA, General Michael Flynn, hat bestätigt, man habe dies in dem Wissen getan, dass dort im Falle des Erfolgs ein islamistisches Kalifat entstehen werde und keine blühende Demokratie. Obama hat daher auch die Clinton in seiner zweiten Amtsperiode geschasst, um einen „Deal“ genannten Frieden mit dem Iran zu schließen und in diesem neuen Rahmen auch die Position der USA bezüglich Syriens zu ändern. (Nebenbei ist ein guter Teil der Konfusion und Widersprüchlichkeit der amerikanischen Außenpolitik diesem bemerkenswerten Schwenk geschuldet, den nicht alle Apparate der USA gleichermaßen vollzogen haben und schon gar nicht alle verbündeten Staaten.) Es versteht sich, dass Israel sich solchen Schwenks anpassen muss und wird, aber im Prinzip sucht und suchte man dort, wie es jüngst ein anderer ehemaliger Botschafter Israels, Zvi Mazel, in der Jerusalem Post schrieb, das Bündnis mit dem „sogenannten pragmatischen Sunni-Block, der die Golfstaaten, Jordanien und Marokko umfasst und sich mächtiger Unterstützung seitens der USA erfreute. Israel spielte eine maßgebende Rolle hinter der Bühne, weil die Golfstaaten glaubten, es wäre ihm möglich, Druck auf die USA auszuüben, dass sie das iranische Atomprogram stoppen, während sie gleichzeitig hofften, Israel könnte Irans Atomanlagen bombardieren und die Region von dieser Bedrohung entbinden.“
Das ist der Hintergrund der Parteinahme von Gruppen wie Stop the Bomb oder Individuen wie Osten-Sacken für die radikalen Sunniten. Es verwundert so gesehen auch nicht, dass Broder oder Herzinger für den sunnitischen Radikalismus werben. Es handelt sich dabei um keine ideologische Übereinstimmung, sondern um ein taktisches oder gar strategisches Kalkül. Dass dabei derselbe Kitsch reproduziert wird, wie seinerzeit von der gegnerischen Fraktion im Gazakrieg, versteht sich von selbst. Diese Leute sind in der bürgerlichen Denkform verfangen, machen sog. Realpolitik und so treiben sie Propaganda. Man kann schmunzeln, dass die Argumentation bezüglich der Bombardierung des Gazastreifens durch die IDF nun einfach Rollen tauscht und dieselben Leute, die sich über die Hamas beklagten, weil sie Menschen als Schutzschilde benutzt und sich in Krankenhäusern verschanzt habe, nun über den Kindermörder Assad jammern. Wertmüller zitiert etwa eine Stellungnahme gegen den Gazakrieg und ersetzt Gaza durch Aleppo et voilà: Ein Kommentar vom Broder oder Osten-Sacken oder Stop the Bomb. Das ist witzig und sagt einiges über das Gemüt dieser Leute aus, ändert aber nichts am Umstand, dass diese Leute keiner deutschen Grille folgen, sondern der israelischen Außenpolitik gepaart mit einer guten Portion liberaler Russlandfeindschaft. Es folgt deren Parteinahme im syrischen Bürgerkrieg aus der Parteinahme für den Westen und der praktischen Israelsolidarität, auch wenn sie das angeblich von Assads Truppen geschlachtete syrische Volk vorschieben.
Das ist eigentlich schon alles. Bleiben wir abschließend noch einen Augenblick bei den realpolitischen Phantasien. In Wahrheit unterscheiden sich Wertmüller und seine Kontrahenten politisch nicht so sehr wie er suggeriert. Auch er sieht mit den Augen des Westens und lehnt die Herrschaft Assads über Syrien ab, wegen der daraus folgenden iranischen Vorherrschaft. Al Kaida & Friends sollen daher in einigen Teilen Syriens an der Macht bleiben. Er folgt darin seinem britischen Kronzeugen und propagiert eine Dreiteilung des Landes: Die Kurden bekommen ein Autonomiegebiet, in dem es hoffentlich auch gemischtgeschlechtliche Schwimmbäder geben darf. Assads Regime gönnt er Damaskus und wohl auch Aleppo, wo es dann auch säkulare Menschen geben darf, aber auch die ganzen Folterkeller. Dem Kalifat von Al Kaida und Freunden bleibt grob die Provinz Idlib, während der IS ganz verschwinden muss und das ja auch gerade tut. Momentan spricht eher einiges dafür, dass die Syrisch-Arabische Armee zusammen mit nationalen Verteidigungskräften, der russischen Luftwaffe und russischen Logistik und nicht zu knapp auch dank der schiitischen Milizen aus dem Libanon, dem Iran und dem Irak, den Krieg irgendwann gewinnt. In diesem Fall könnte es auch eine kurdische Autonomie geben, aber wohl kein Kalifat. Sollte aber die Interventionistin Clinton den Isolationisten Trump in der US-Wahl besiegen und sich in Folge die USA tatsächlich nochmal stärker in den Bürgerkrieg einmischen und sollte das türkische Militär weiter und erfolgreich die Islamisten im Norden Syriens unterstützen, so wäre Assads vollständiger Sieg vielleicht zu verhindern und die faktische Teilung würde auf unbestimmte Zeit fortbestehen, der Bürgerkrieg konserviert. Osten-Sacken und Konsorten sind derweil ein wenig trotzig weiter für den Sieg der sunnitischen Milizen, die sie weiter für potentielle Demokraten halten müssen. Das wahrscheinlich aus Gewohnheit und weil Osten-Sacken und Konsorten schlichtere Gemüter sind, dagegen Wertmüller zynischer und so auch realistischer. Im Ganzen läuft’s freilich auf dasselbe hinaus, da die sunnitisch-islamistischen Kräfte den Krieg längst nicht mehr gewinnen können und auch Stop the Bomb und Artverwandte das bald vollends akzeptieren werden müssen. Auch sie werden dann die Dreiteilung des Landes dem sich momentan langsam aber sicher abzeichnenden Sieg von Assads Truppen bevorzugen. Analog könnte man auch die Dreiteilung des Irak fordern, indem ein Sieg des Zentralstaates in Mossul ja auch die iranische Vorherrschaft erweitert. Aber dafür ist dann selbst Wertmüller nicht Machiavell genug und Osten-Sacken & Konsorten tun sich mit dem Islamischen Staat schwerer als mit den sonstigen sunnitischen Islamisten.