Club für sich: Ausflug zur Buchvorstellung – Ausgewählte Briefe von Guy Debord
Anstelle des Clubs in dieser Woche der Hinweis auf eine Buchvorstellung und Lesung: Guy Debord: Ausgewählte Briefe 1957-1994
Es lesen: Bernadette Grubner, Roman Kuhn, Christoph Plutte
2. Mai – 19:30
Café Morgenrot, Kastanienallee 85, Prenzlauer Berg
veranstaltet vom Buchladen Schwarze Risse
„Ich zähle nicht zu den Bewunderern der SI“, schrieb Guy Debord am 11. November 1971 an den Anarchisten Juvénal Quillet. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Situationistische Internationale bereits in einem Auflösungsprozess, der 1972 zu ihrem Ende führte. Dass Debord nicht nur kein „Bewunderer“, sondern ihr schonungslosester Kritiker war, zeigen die im Band versammelten ausgewählten Briefe. Sie setzen mit der Gründung der SI 1957 ein, dokumentieren die Spaltungen, die die Entwicklung von einem Zirkel experimentierender Künstler, Architekten und Philosophen zu einer politischen Avantgarde begleiteten, und lassen erkennen, dass Debord die Aufl ösung der Gruppe als zwingende Konsequenz aus den geschichtlichen und politischen Entwicklungen begriff. Deren konsequente Analyse ist der rote Faden, der sich über das Ende der SI hinaus bis zu Debords Tod 1994 durch die Korrespondenz zieht. Von der Machtübernahme de Gaulles, dem Algerienkrieg und der Revolte im Mai 1968 über die politischen Krisen in Italien, Spanien, Portugal und Polen bis hin zum Ende der Sowjetunion werden geschichtliche Ereignisse in Hinblick auf ihre Bedeutung für die revolutionäre Bewegung betrachtet und beurteilt. In den achtziger Jahren kommen neue gesellschaftspolitische Themen wie Ökologie und Migration hinzu. Die Perspektive ist stets strategisch und parteiisch – also das Gegenteil vom aseptischen Blick des Berufshistorikers. Vielmehr zeigen die Briefe den Zusammenhang von gedanklichem Austausch und Freundschaft, Werk und Leben, Fleiß und Vergnügen. Sie zeichnen über einen Zeitraum von fast 40 Jahren die Bemühung um eine In-Begriff-Nahme der Gegenwart nach – und die Entwicklung eines Denkens, das unbeirrt auf den Umsturz der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung zielte. Im April 2011 ist erstmals eine Auswahl der Briefe von Guy Debord auf Deutsch erschienen. Diese Auswahl soll an diesem Abend vorgestellt und ein Überblick über die Korrespondenz gegeben werden. Dabei werden insbesondere Briefauszüge gelesen, die einen Einblick in bisher wenig bekannte Aktivitäten von Debord gewähren, wie beispielsweise Artikel über den Verfall der Nahrung oder die „Immigranten-Frage“ oder ein von ihm verfasstes Untergrundfl ugblatt, mit dem 1980 die Freilassung von 50 spanischen Anarchisten erwirkt werden konnte.
Guy Debord: Ausgewählte Briefe 1957-1994, übers. v. Bernadette Grubner, Roman Kuhn, Birgit Lulay, Christoph Plutte, Berlin,
Verlag Klaus Bittermann
http://www.edition-tiamat.de/Gesamtverzeichnis/critica_diabolis/181-190/debord_briefe.html