Eric Ostrich
„…there were times when everything was in turmoil.“
Bericht über eine Zusammenkunft von Nostalgikern, Nachdenklichen und Kämpfern
„Das ist ja ein richtiges Veteranentreffen“, meinte ein Beobachter, der es aufgrund seiner eigenen Biographie wissen mußte: „Till Meyer von der Bewegung 2. Juni ist da, Astrid Proll von der RAF und, und, und…“ Die Rede ist von der Veranstaltung Sonntagabend im Clash, bei der sich mit den ehemaligen Weather Underground-Mitgliedern Bill Ayers und Bernardine Dohrn sowie dem früheren RAF-Mitglied Karl-Heinz Dellwo eine Art transatlantische Expertenrunde zum Thema Bewaffneter Kampf zusammengefunden hatte. Ergänzt wurden die drei noch von dem Filmemacher Darnell Stephen Summers, einem „GI im Widerstand“, wie es auf dem Plakat hieß, von der Stop the WAR Brigade. Verzichten mußte das Publikum – 60, 70 Leute, eher älter als jünger – auf die erhellenden und kundigen Beiträge, die der schön als „ehemals Protest gegen den Vietnamkrieg, heute MdB ‚Die Grünen‘“ angekündigte Hans-Christian Ströbele sicherlich zu Fragen des Kiezkampfs beisteuern hätte können. Allein, der wackere Berufswiderständler von der „Partei des gemäßigten Fortschritts in den Grenzen des gesetzmäßig Erlaubten“ (Jaroslav Hasek) ließ sein Fahrrad leider nicht in den Mehringhof rollen, da er „vermutlich gerade das Grünen-Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen feiert“ (Dellwos Vermutung) oder sich davor drücken wollte, die Unterstützung der Grünen für den Afghanistan-Krieg auf dem Podium verteidigen zu müssen (der vielleicht realistischere Tip von Antikriegsveteran Summers).
Nicht nur Ströbeles Auftritt fiel aus, auch andere Dinge liefen bei der Veranstaltung nicht ganz nach Plan. So wurde der gute Dokumentarfilm The Weather Underground von Sam Green und Bill Siegel, dessen Veröffentlichung in Deutschland bei Dellwos Laika-Verlag einen Anlaß für die Veranstaltung bot, zum einen erst irgendwann nach acht statt um sieben gezeigt und dann auch nicht auf einer Leinwand sondern auf einer der glücklicherweise weißen Jalousien des Clashs. Ebenfalls nicht ganz rund lief die (ohnehin vermutlich überflüssige) Übersetzung aus dem Englischen, bei der die offensichtlich in der Materie nur wenig bewanderte Übersetzerin beispielsweise statt ‚burning of draft cards‘ irgendwas mit ‚bras‘ verstand und so – vielleicht auch im Freudschen Sinne fehlgeleistet – statt Einberufungsbescheiden Büstenhalter vor dem Pentagon verbrennen ließ. Und zuletzt war die deutsche Ausgabe der – übrigens recht lesenswerten – Autobiographie von Bill Ayers, die im Mainzer Ventil Verlag unter dem Titel ‚Flüchtige Tage‘ schon erschienen sein sollte und wegen der sich Ayers überhaupt erst auf Deutschland- und Schweizreise begeben hat, dann doch noch nicht rechtzeitig aus der Druckerei geliefert worden – und wurde eigenartigerweise an diesem Abend auch nicht einmal erwähnt. „Eine Veranstaltung mit sehr, sehr großen Hindernissen“, wie Dellwo zusammenfaßte, um zu ergänzen, es sei ja eine Art linke Tradition, die Form weniger wichtig als den Inhalt zu nehmen, und überhaupt erwerbe die Linke vielleicht noch irgendwann zu seinen Lebzeiten organisatorische und technische Kompetenzen.
Unverdrossen durch all solche Marginalien fand die Veranstaltung am Ende aber dennoch statt – und offenbarte gleich auffällige Differenzen auf dem Podium: Während Dellwo vor allen Dingen über die Vergangenheit – in diesem Fall ‚Das Konzept Stadtguerilla‘ und den ‚bewaffneten Kampf‘ – reden, nachdenken und reflektieren wollte und die Gelegenheit an diesem Abend als günstig sah, da doch Weather Underground eine Art amerikanische Entsprechung zur RAF gewesen sei – schließlich sei auch deren Militanz aus der Stagnation der Linken der 1960er Jahre hervorgegangen, wie er recht gewitzt beobachtete –, ging es Bill Ayers schon in seinem ersten Satz darum, „to have a political disussion in the present tense“. Die 60er Jahre seien für ihn nur Mythos und Symbol, Rückblick und Nostalgie von daher nicht angebracht. Seine Ex-Weatherman-Genossin und heutige Ehefrau Bernardine Dohrn konnte ihm da nur beipflichten, und so wollten beide vor allen Dingen über die USA sprechen – „the greatest purveyour of violence in the world“, wie Ayers mit Verweis auf Martin Luther King meinte, beziehungsweise das „declining empire“, das zur selben Zeit ein ganz besonders „dangerous empire“ sei, wie wiederum Dohrn die Weltlage einschätzte. Kurz gesagt: Auch wenn sich ihre Mittel der politischen Auseinandersetzung geändert haben, sind die beiden Chicagoer Uni-Professoren doch weiterhin dem selben rohen antiimperialistischen Weltbild treu geblieben, das schon bei Weatherman dazu führte, daß man deren Schriften und Erklärungen nicht unbedingt zum Zwecke einer besseren Erkenntnis der Welt lesen konnte. Auch den hauptsächlich moralischen Antrieb für ihr Tun haben sie sich erhalten, verbinden ihre recht kruden Anschauungen dadurch aber immerhin mit einer beinahe kindlichen Naivität, die sich in an diesem Abend in Sätzen ausdrückte wie: „We spent our lives fighting against inhumanity. All our lives we’ve been trying to be good activists“. Zum Beispiel jüngst an der ägyptischen Grenze, die Dohrn und Ayers in einem Freedom March Anfang des Jahres Richtung Gaza durchbrechen wollten, „to shine a light on that prison Gaza“ und um gegen Israels „murderous war of aggression“ zu protestieren – und sich dabei noch Monate später mit leuchtenden Augen darüber freuten, daß Mitstreiter aus Frankreich eine palästinensische Flagge auf den Pyramiden plazieren konnten. Daß dieser Gaza-Ausflug Dohrns Geschenk an Ayers zu dessen 65. Geburtstag war, wie die beiden schelmisch erzählten, verstärkte ein wenig den Eindruck, daß die früheren Bombenleger doch irgendwie auch wohlmeinende Rabauken sind, die leider das Unrecht und die Unmenschlichkeit, gegen die sie permanent „act and resist“ wollen, doch recht selektiv auswählen, so daß sie den Splitter im Auge der Israelis wohl sehen, den Balken bei zum Beispiel Ägyptern und Palästinensern aber geflissentlich ignorieren – oder, wie Ayers an diesem Abend, die Ägypter als reine Erfüllungsgehilfen der USA und Israels darstellen.
Das Podium: Übersetzerin, Bill Ayers, Bernardine Dohrn, Karl-Heinz Dellwo, Darnell Stephen Summers
So weit, so links. Und – trotz der kräftigen Rhetorik und Parolen gegen die USA und Israel – doch so wenig von Interesse für Dellwo, der statt aktueller Agitation immer wieder auf die Aufarbeitung der Vergangenheit hinauswollte: „Warum habt Ihr denn nun aufgehört, kaum daß der Vietnam-Krieg vorbei war? Ihr hattet doch Größeres vor, als nur den Krieg zu beenden. Ihr wolltet doch Revolution machen?“ Gute Frage eigentlich. „Hm, socialism, yes. I guess in this respect we failed“, war die etwas lapidare und fast verlegene Antwort von Dohrn, die dann noch etwas verwundert ergänzte: „Who could imagine how often capitalism can re-invent itself?“ Der bedächtige, reflektierende Blick zurück, den Dellwo wollte, war sichtlich nicht die Sache von Dohrn und Ayers, für die der alte Kampf immer weiter zu gehen scheint. Da wollte selbst Summers, der sich sonst als Paradeaktivist seit mindestens 1967 zeigte, ihnen nicht folgen: „There isn’t anything wrong with nostalgia. It does make sense to look back at the sixties and learn that there were times when everything was in turmoil, everything was in question.“ Mit dieser Einschätzung konnte allerdings außer ihm niemand etwas anfangen, so daß es nicht mehr zu einer Diskussion über Umwälzungen, Revolten und Revolutionen ohne und jenseits von Politik und Antiimperialismus kam.
Stattdessen tröpfelte der Abend ein wenig seinem Ende entgegen. Jemand im Publikum rief zwischendurch einmal zaghaft „Power to the people“. Ein anderer wollte noch wissen, wie es Ayers mit Barack Obama halte, zu dem er qua Nachbarschaft in Chicago während des Wahlkampfs 2008 in Verbindung gebracht worden war. Der sei ohnehin kein Linker und habe dies auch niemals behauptet, stellte Ayers treffend fest. Deswegen habe er auch für die Leute, die nun, da Obama im „chair of the chief of the empire“ säße, von ihm enttäuscht seien, kein Verständnis. Da ging es Ayers wie Summers, der mit kräftiger Stimme ergänzte: Ob Republikaner oder Demokraten, dies sei doch alles egal, im Effekt seien die alle ohnehin heutzutage nur „house nigger in a corrupt system“. Offenbar dem System rief Summers schließlich noch zu: „Time is over! Time is out!“, woraufhin Karl-Heinz Dellwo, der anders als Dohrn und Ayers zwanzig Jahre im Gefängnis saß, den Abend mit dem recht weise klingenden Satz abschloß, der einen Unterschied zwischen dem amerikanischen und dem deutschen bewaffneten Kampf benennen sollte: „Eine Avantgarde ist offenbar in manchen Zeiten schon notwendig. Allerdings sollte sie auch wissen, wann sie wieder aufhören muß.“ So ging der Abend ohne besondere Vorkommnisse zu Ende, das ebenfalls anwesende 3-Sat-Kulturzeitteam packte seine Kameras wieder ein, Till Meyer setzte sich noch mit Ayers für ein junge Welt-Interview zusammen und die Leute, ob Veteranen oder nicht, gingen alle zwar auffällig schnell, aber ruhig und ordentlich nach Hause.
Gastbeitrag auf www.classless.org