Parolen auf der anarchistischen Bibliothek La Discordia
Wie schon lange geplant, fand am Dienstag, den 26. Januar, in der „Discordia“ eine Veranstaltung mit dem Titel: „Islamophobie: du racket conceptuel au racket politique“ (Islamophobie: von der begrifflichen zur politischen Erpressung) statt. Wir wollten uns und andere mit einem Thema konfrontieren, das im Zentrum der gegenwärtig weit verbreiteten Verwirrung bezüglich der Verdammung des Rassismus und der Verteidigung der Religion steht. Die gemeinsamen Diskussionen waren interessant und die gut 60 anwesenden Genossen und Kameraden (wir versprechen, nächstes mal mieten wir einen größeren Raum mit mehr Stühlen!) zeigten, dass viele Leute ein Bedürfnis nach revolutionärer Kritik der Religion haben – jeder Religion, sogar des Islam, den andere gern als die „Religion der Unterdrückten“ ausgeben wollen.
Als wir jedoch am Dienstag Nachmittag ankamen, sahen wir, dass die Hauswand der „Discordia“ beschriftet worden war: Mit einigen umkreisten A’s (danke schön!) und einigen selten schlecht geschriebenen und gedachten Schmähungen („Faschisten“ und „Rassisten“) in schwarzer Sprühfarbe. All dies war von einem Flugblatt mit „Forderungen“ begleitet, das behauptet, wir würden „islamophobe und rassistische Theorien“ verbreiten und seien ein „Antriebsriemen für Ideologien der Macht“, etc. Wir werden euch jedenfalls nicht deren ganzen Unsinn wiederholen, der alle kräftig zum Lachen gebracht hat. Wenn Ihr das lesen wollt, kommt in der Bibliothek während unserer Öffnungszeiten oder Diskussionen vorbei und lacht mit uns (oder greift uns selbst anstatt unserer Wände an).
Die Antwort auf diese Beschimpfungen war der Erfolg der Diskussion am Dienstag, dem 26., aber auch der aller anderen Veranstaltungen.
Um es kurz zu machen: Die beleidigenden (und schwer lesbaren) Aufschriften haben wir binnen fünf Minuten entfernt (was die Praxis angeht, müsst Ihr noch einiges lernen, Kinder!), aber die eingekreisten As werden bleiben! Unsere Nachbarn haben auch sehr über Euren Schwachsinn gelacht, da Eure Heldentat mit nichts und niemand in irgendeinem Zusammenhang steht, außer mit Euch selbst und Eurem stinkenden Saftladen. Übrigens, noch ein Hinweis für die mutigen Sprayer/Komödianten: Dass Ihr nicht nicht vom DGSI (Zentraldirektion für Inlandsaufklärung – der französische Inlandsgeheimdienst) gefilmt wurdet, liegt daran, dass wir die auf uns gerichtete Kamera entfernt und zerstört haben (lange bevor der Ausnahmezustand verkündet wurde). Jeder wird den Unterschied zwischen denen erkennen, die sich (jämmerlich) eine ohnehin schon von Repression bedrohte anarchistische Bibliothek als Opfer auswählen und denen, die sich ernsthafteren Problemen widmen.
In der Gegend gibt es keine anderen Sprühereien, weder auf Banken, noch an der Polizeistation, noch an den Schulen, die mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten, noch an Kirchen, Synagogen oder Moscheen. Was für ein großartiger revolutionärer Angriff ist dies also – und auch noch gegen Anarchisten. Wenn wir „Aufmerksamkeit“ dieser Art erwartet haben (wir dachten an etwas ein bisschen „Konsequenteres“), dann wird uns das nicht von unseren Bemühungen abhalten, eindeutig revolutionäre Diskussionen zu entfachen, zu teilen und zu verbreiten, ohne mit irgendeiner Macht Kompromisse einzugehen, auch nicht mit der Religion. Es wird uns auch nicht davon abhalten, ohne Gewissensbisse die Kompromisse der Politiker innerhalb einiger Teile des „Milieus“ zu kritisieren – ganz im Gegenteil!
Ein Gedanke für die atheistischen „Faschisten“, die Ungläubigen, die heute von Teheran bis Saint-Denis als „Islamophobe“ behandelt werden – von furchterregenden Mächten genauso wie vom aufstrebenden französischen Kleinbürgertum der Universitäten, das nur den Rassismus seiner eigenen Klasse kennt und das gezeigt hat, dass seine einzige Praxis über die letzten 10 Jahre in der Fähigkeit besteht, einen unleserlichen Spruch an die Wand einer anarchistischen Bibliothek zu schmieren und mit religiösen Autoritäten Konferenzen zu organisieren. Eine Praxis, die sich auf dem selben Niveau wie ihre Theorie befindet.
Wenn man nüchtern betrachtet, wie der Staat revolutionäre Atheisten einerseits und „rassistische“ und religionskompatible Linke andererseits behandelt, so wird schnell klar, wer in Wirklichkeit als „Antriebsriemen für Ideologien der Macht“ bezeichnet werden kann: diejenigen, gegen die sich gewöhnlich die Repression richtet? Oder eher diejenigen, denen der Staat Lehrstühle an den Universitäten und Führungspositionen in seinen Institutionen Führungspositionen in seinen Institutionen anbietet (in der Tat besteht diese Galaxie hauptsächlich aus Akademikern und Kadern der mittleren und großen Bourgeoisie, seien diese nun Migranten oder nicht). Es ist daher auch kein Wunder, dass die politische Zielgruppe dieses postmodernen Bordells diesem weder zuhört noch Respekt entgegenbringt, wie alle Aufstände der letzten Zeit bewiesen haben, die sich einen Dreck um das aufgeblasene Geschwurbel unserer frommen Akademiker scherten – von Bahrain über Durban bis Baltimore.
Zum Schluss möchten wir allen danken, die vorbeigekommen sind und die wieder vorbeikommen werden. Wir sind auch dankbar für jede Information über unsere Künstler, die zwar engagiert, aber ein wenig feige sind, da sie es nicht schaffen, uns ihre Gedanken ins Gesicht zu sagen.
Wir rufen alle, denen revolutionäre Gedanken und Praxis etwas bedeuten, dazu auf, die Offensive gegen diese neue Reaktion zu verstärken und sich mit denen zu solidarisieren, die sich im Visier dieser frisch geborenen Reaktionäre befinden, indem sie ihren Teil zu deren Kritik beitragen und das dafür nötige Bisschen Mut aufbringen. Und indem sie die Versuche, antireligiöse Revolutionäre (das ist also keine Tautologie mehr?) zu isolieren, ins Leere laufen lassen.
Gegen alle Formen der Herrschaft, gegen alle Religionen und jeden Rassismus, lang lebe die Revolution! Lang lebe die Anarchie!
29. Januar 2016
Einige Bibliothekare der Zwietracht
http://ladiscordia.noblogs.org
ladiscordia@riseup.net
Das Kommuniqué im französischen Origial: Des „tags“ sur la bibliothèque anarchiste La Discordia