Totengespräch II
Zum Behufe der Erbauung der Itzigen von ??? aus dem Jenseits geschmuggelt
HEGEL: Man könnte den Gedanken einer Philosophischen Mathematik fassen, welche dasjenige aus Begriffen erkännte, was die gewöhnliche mathematische Wissenschaft aus vorausgesetzten Bestimmungen nach der Methode des Verstandes ableitet.
KANT: In der Mathematik würde Gebrauch meiner skeptischen Methode ungereimt sein, weil sich in ihr keine falschen Behauptungen verbergen und unsichtbar machen können, indem die Beweise jederzeit am Faden der reinen Anschauung, und zwar durch jederzeit evidente Synthesis, fortgehen müssen.
HEGEL: Aber es bleibt immer noch etwas übrig, was zur Befriedigung gehört; bewiesen ist es, aber ich begreife es doch nicht.
DIDEROT: Was die mathematischen Wissenschaften betrifft, so muß uns Ihre Natur und ihre Vielzahl keineswegs imponieren. Der Einfalt ihres Gegenstandes sind sie vorzüglich ihre Gewißheit schuldig. Sogar muß man bekennen, daß, da die verschiedenen Teile der Mathematik nicht einen gleich einfachen Gegenstand behandeln, also auch eine eigentliche Gewißheit, diejenige nämlich, welche auf notwendig wahren und durch sich selbst evidenten Prinzipien beruht, allen diesen Abteilungen weder gleich, noch auf gleiche Weise zukommt. Mehrere derselben auf physische Prinzipien sich lehnend, d.h. an Erfahrungswahrheiten oder blosse Hypothesen, haben sozusagen nur eine Erfahrungsgewißheit oder eine bloße Voraussetzung.
BOLTZMANN: Man kann in der Mathematik die unsinnigsten Begriffe, wie einer ist, aufstellen; man muß es nur so einrichten, daß der Unsinn nicht hervorkommt; die Erfahrung zeigt, daß man da zu richtigen Resultaten kommt.
YODA: Die Mathematiker sind närrische Kerls, und sind so weit entfernt auch nur zu ahnen, worauf es ankommt, daß man ihnen ihren Dünkel nachsehen muß. Ich bin sehr neugierig auf den ersten, der die Sache einsieht und sich redlich dabei benimmt: denn sie haben doch nicht alle ein Brett vor dem Kopfe, und nicht alle haben bösen Willen.
BOLTZMANN: Man rechnet mit diesen komplexen Zahlen genauso, wie man mit irgendwelchen anderen Zahlen rechnen würde, ohne daß man dabei bedenkt, daß es keinen Sinn hat; das ignoriert man vorläufig.
BORDEU: Jede Abstraktion ist nur das leere Zeichen einer Idee. Man hat die Idee daraus entfernt, indem man das Zeichen vom physischen Gegenstand getrennt hat, und nur wenn man das Zeichen wieder mit dem körperlichen Gegenstand verbindet, wird die Wissenschaft eine Wissenschaft von Ideen; daher die Notwendigkeit, in der Unterhaltung und in Büchern so oft auf Beispiele zurückzugreifen. Wenn sie nach einer langen Zusammenstellung von Zeichen ein Beispiel verlangen, dann fordern sie von dem Sprecher nichts anderes, als daß er dem andauerndem Geräusch seiner Worte Körper, Form, Realität, Idee verleiht, indem er ihnen seine erprobten Empfindungen hinzufügt.
YODA: Grenzenlose Zauberformeln.
BOLTZMANN: Damit ist der Mathematiker zufrieden; er hat einen Kreis von Begriffen, er weiß, wie er mit ihnen zu manipulieren hat, er setzt sie wie Schachfiguren. Ob es einen Sinn hat, weiß er zunächst nicht; er weiß, daß es dasselbe ist, ob er Faktoren in der einen oder der anderen Richtung multipliziert… Der Mathematiker freut sich dieser Schönheit und inneren Übereinstimmung, daß alles klappt.
HEGEL: Es ist nur die Trägheit, die, um sich das Denken und die Begriffsbestimmung zu ersparen, ihre Zuflucht zu Formeln, die nicht einmal unmittelbarer Gedankenausdruck sind, und zu deren schon fertigen Schematen nimmt.
YODA: Eben diese Vorliebe für die Anwendung von Formeln macht nach und nach diese zur Hauptsache. Ein Geschäft, das eigentlich nur zu Gunsten eines Zweckes geführt werden sollte, wird nun der Zweck selbst, und keine Art von Absicht wird erfüllt.
ENGELS: Herr Dühring meint die gesamte reine Mathematik apriorisch, d.h. ohne Benutzung der Erfahrung, die uns die Außenwelt bietet, aus dem Kopf heraus fertigbringen zu können.
BOLTZMANN: Auch Cantor sagt, die Macht der Mathematik liege in ihrer Freiheit, daß, wenn etwas auch unmöglich ist, man es doch mit Zeichen versehen und damit rechnen kann.
DÜHRING: Hier befasst sich der Verstand mit seinen eigenen freien Schöpfungen und Imaginationen.
ENGELS: Die reine Mathematik hat zum Gegenstand die Raumformen und Quantitätsverhältnisse der wirklichen Welt, also einen sehr realen Stoff. Daß dieser Stoff in einer höchst abstrakten Form erscheint, kann seinen Ursprung aus der Außenwelt nur oberflächlich verdecken. Um diese Formen und Verhältnisse in seiner Reinheit untersuchen zu können, muß man sie aber vollständig von ihrem Inhalt trennen, diesen als gleichgültig beiseite setzen; so erhält man Punkte ohne Dimension, die Linien ohne Dicke und Breite, die a und b und x und y.
PLUTARCHUS: Platon selbst tadelte die Leute um Eudoxos und Archytas und Menaichmos, weil sie es unternommen hatten, die Würfelverdopplung auf mechanische Einrichtungen zurückzuführen, wie wenn es nicht möglich wäre, für den, der es überhaupt versucht, rein theoretisch zwei mittlere Proportionalen zu finden. Dadurch wird nämlich das Gute an der Geometrie zugrunde gerichtet und zerstört, indem diese sich wieder zum Sinnlichen zurückwendet, statt sich nach oben zu erheben und die ewigen, unkörperlichen Bilder zu erfassen, bei denen verweilend Gott ewig Gott ist.
ENGELS: Und doch ist das Gegenteil der Fall. Für alle diese imaginären Grössen bietet die Natur Vorbilder.
BOLTZMANN: Trotzdem sind gerade für die imaginären Zahlen so viele Analogien mit den wirklichen Dingen vorhanden, mit denen wir in Kontakt kommen, daß gerade die imaginären Zahlen ungeheuer wichtig für die Naturforschung sind. Es scheint eine Harmonie zwischen diesen Begriffen, die wir scheinbar in gezwungener, widerspruchsvoller Weise hervorgebracht haben, und der Wirklichkeit zu bestehen.
ENGELS: Die Tatsache, daß unser subjektives Denken und die objektive Welt denselben Gesetzen unterworfen sind und daher auch beide in ihren Resultaten sich schließlich nicht widersprechen können, sondern übereinstimmen müssen, beherrscht absolut unser gesamtes theoretisches Denken. Sie ist seine unbewußte und unbedingte Voraussetzung.
HEGEL: Was gedacht wird, richtig und klar, das ist so. Es ist also ausgesprochen, daß der Mensch durch das Denken erfahre, was in der Tat an den Dingen ist; Denken ist Sein. Begriff und seine Realität nennen wir Wahrheit. – Dies sind so die Grundbestimmungen.
ENGELS: Aber wie in allen Gebieten des Denkens werden auf einer gewissen Entwicklungsstufe die aus der wirklichen Welt abstrahierten Gesetze von der wirklichen Welt getrennt, ihr als etwas Selbständiges gegenübergestellt, als von außen kommende Gesetze, wonach die Welt sich zu richten hat.
JONAS: Ein anderes Mal dann behaupten dieselben: ihre dürftigen Abstraktionen seien unmittelbar Natur.
ENGELS: Es ist die alte Geschichte. Erst macht man Abstraktionen von den sinnlichen Dingen, und dann will man sie sinnlich erkennen, die Zeit sehen und den Raum riechen. Der Empiriker vertieft sich so sehr in die Gewohnheit des empirischen Erfahrens, daß er sich noch auf dem Gebiet des sinnlichen Erfahrens glaubt, wenn er mit Abstraktionen hantiert.
HEGEL: So Newton die Begriffe wie sinnliche Dinge handhabte und sie nahm, wie man Stein und Holz zu fassen pflegt.
ADORNO: Hypostasis.
HEGEL: Es bleibt dabei immer offen, daß der Begriff ein bestimmteres Bewußtsein, sowohl über die leitenden Verstandes-Prinzipien als über die Ordnung und deren Notwendigkeit in den arithmetischen Operationen sowohl als in den Sätzen der Geometrie begründe.
ENGELS: Der Wendepunkt in der Mathematik war Descartes’ variable Größe. Damit die Bewegung und damit die Dialektik in der Mathematik, und damit auch sofort die Notwendigkeit die Differential- und Integralrechnung.
PLANCK: Freilich kommt durch die Einführung des Zeitintegrals ein besonderer Umstand ins Spiel, der von jeher und auch wohl noch heutzutage bei manchen Physikern und Erkenntnistheoretikern gegen das Prinzip der kleinsten Wirkung, wie überhaupt gegen jedes Integralprinzip, gewisse Bedenken zu erregen geeignet scheint. Es wird nämlich dabei die wirkliche Bewegung zu einer bestimmten Zeit berechnet mit Hilfe der Betrachtung einer späteren Bewegung, es wird also der gegenwärtige Zustand gewissermassen abhängig gemacht von späteren Zuständen, und dadurch bekommt das Prinzip einen gewissen teleologischen Beigeschmack.
HEGEL: Mathematische Bestimmungen, wie das Unendliche, Verhältnisse desselben, das Unendlichkleine, Faktoren, Potenzen usf., haben ihre wahrhaften Begriffe in der Philosophie selbst; es ist ungeschickt, sie aus der Mathematik hernehmen und entlehnen zu wollen, wo sie begrifflos, ja oft so sinnlos aufgenommen werden und ihre Berichtigung und Bedeutung vielmehr von der Philosophie zu erwarten haben.
ENGELS: Die Differentialrechnung macht es der Naturwissenschaft erst möglich, Prozesse, nicht nur Zustände mathematisch darzustellen: Bewegung.
HEGEL: Das mathematische Unendliche ist einerseits interessant durch die Erweiterung der Mathematik und die großen Resultate, welche seine Einführung in dieselbe hervorgebracht hat; andererseits ist es dadurch merkwürdig, daß es dieser Wissenschaft noch nicht gelungen ist, sich über den Gebrauch desselben durch den Begriff zu rechtfertigen.
AKADEMIE ZU BERLIN (Preisausschreiben 1784): Die höhere Geometrie benutzt häufig unendlichgroße und unendlichkleine Größen; jedoch haben die alten Gelehrten das Unendliche sorgfältig vermieden, und einige berühmte Analysten unserer Zeit bekennen, daß die Wörter unendliche Größe widerspruchsvoll sind. Die Akademie verlangt also, daß man erkläre, wie aus so einer widersprechenden Annahme so viele richtige Sätze entstanden sind, und daß man einen sicheren und klaren Grundbegriff angebe, welcher das Unendliche ersetzen dürfe, ohne die Rechnungen zu schwierig oder zu lang zu machen.
STAMMLER: Solch ein Infinitesimales war nun aber bald Etwas, bald Nichts und Etwas, bald keines von Beiden oder Beides oder zwischen Nichts und Etwas; bald war die Infinitesimale selber, bald waren nur die Verhältnisse unendlich kleiner Größen der einzig würdige Gegenstand der Differenzialrechnung. Verwirrung in den Lösungen.
KANT: Sophistiationen, von denen selbst der Weiseste unter allen Menschen sich nicht losmachen, und vielleicht zwar nach vielen Bemühungen den Irrtum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich zwackt und äfft, niemals völlig loswerden kann
CARTESIUS: Was uns von Gott geoffenbart ist, müssen wir glauben, ob wir es gleich nicht begreifen. Es ist nicht zu verwundern, da wir endlich, daß in Gottes Natur als unbegreiflich Unendliches ist, das über unsere Fassung geht. Deswegen müssen wir uns nicht mit Untersuchungen über das Unendliche ermüden; denn da wir endlich, ist es ungereimt, etwas darüber zu bestimmen.
HEGEL: Das unendliche Quantum als Unendlichgroßes oder Unendlichkleines ist selbst an sich der unendliche Progreß; es ist Quantum als ein Großes oder Kleines und ist zugleich Nichtsein dieses Quantums. Das Unendlichgrosse und Unendlichkleine sind daher Bilder der Vorstellung, die bei näherer Betrachtung sich als nichtiger Nebel und Schatten zeigen. Im unendlichen Progreß ist aber dieser Widerspruch expliziert vorhanden.
LEIBNIZ: Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die unvergleichlich kleinen Größen, selbst in ihrem populären Sinn genommen, keineswegs konstant und bestimmt sind, daß sie vielmehr, da man sie so klein annehmen kann, als man nur will, in geometrischen Erwägungen dieselbe Rolle, wie die Unendlichkleinen im strengen Sinne spielen. Will nämlich ein Gegner unseren Sätzen die Richtigkeit absprechen, so zeigt unserer Kalkül, daß der Irrtum geringer ist, als irgendeine angebbare Größe, da es in unserer Macht steht, das Unvergleichbarkleine zu diesem Zwecke hinlänglich zu verringern.
CAVALIERI: Der Unterschied wird dann kleiner als jede nur angebbare Größe
LEIBNIZ: Zweifellos liegt darin der strenge Beweis unserer Infinitesimalrechnung.
HEGEL: Diese unvollendete Reflexion – der Progreß ins Unendliche – hat die beiden Bestimmungen des wahrhaft Unendlichen: den Gegensatz des Endlichen und Unendlichen, und die Einheit des Endlichen und Unendlichen, vollständig vor sich, aber bringt diese beiden Gedanken nicht zusammen; der eine führt untrennbar den anderen herbei, aber sie läßt sie nur abwechseln.
KANT: Denn obgleich alle Teile in der Anschauung des Ganzen enthalten sind, so ist doch nicht die ganze Teilung enthalten, welche nur in der fortgehenden Dekomposition oder dem Regressus selbst besteht, der die Reihe allererst wirklich macht. Bei der Zerlegung der Teile ins Unendliche, trifft man immer neue Kunstteile an, mit einem Wort, daß das Ganze ins Unendliche gegliedert sei, will sich gar nicht denken lassen, obzwar wohl, daß die Teile der Materie, bei ihrer Dekomposition ins Unendliche, gegliedert werden könnten.
HEGEL: Diese Manier aber der Rechnung des Unendlichen zeigt sich durch den Schein der Ungenauigkeit gedrückt, den sie sich gibt, indem sie endliche Größen um eine unendlich kleine Größe das eine Mal vermehrt, diese in der ferneren Operation zum Teil beibehält, aber einen Teil desselben auch vernachlässigt. Dies Verfahren enthält die Sonderbarkeit, daß der eingestandenen Ungenauigkeit unerachtet, ein Resultat herauskommt, das nicht nur ziemlich und so nahe, daß der Unterschied außer Acht gelassen werden könnte, sondern vollkommen genau ist.
MARX: Man glaubte selbst an den mysteriösen Charakter der neu entdeckten Rechnungsart, die wahre Resultate lieferte bei positiv falschem mathematischen Verfahren. Man war so selbst mystifiziert, schätzte den neuen Fund um so höher, machte die Schar der alten orthodoxen Mathematiker um so hirntoller und rief so das gegnerische Geschrei hervor, das selbst in der Laienwelt widerhallt und nötig ist, um den Neuen den Weg zu bahnen.
ENGELS: Sowie die Mathematik von unendlich Großem und unendlich Kleinem spricht, führt sie einen qualitativen Unterschied ein, der sogar sich als unüberbrückbarer Gegenstand darstellt. Denn der Satz der Identität im altmetaphysischen Sinn ist der Fundamentalsatz der alten Anschauung: a = a. Jedes Ding ist sich selbst gleich. Ein Ding kann nicht gleichzeitig es selbst und ein anderes sein. Die Geometrie fängt an mit der Entdeckung, daß Grad und Krumm absolute Gegensätze sind, daß Grades in Krummem und Krummes in Gradem total unausdrückbar, inkommensurabel. Und doch geht schon die Berechnung des Kreises nicht an, als dadurch, daß man seine Peripherie in graden Linien ausdrückt.
KEPLER: Der Umfang eines Kreises hat so viele Teile als Punkte, nämlich unendlich viele; jedes Teilchen kann angesehen werden als Basis eines gleichschenkligen Dreiecks, so daß in der Kreisfläche unendlich viele Dreiekke liegen, die sämtlich mit ihren Scheiteln im Mittelpunkt zusammenstoßen.
ENGELS: Bei Kurven mit Asymptoten aber verschwimmt Grades und Krummes und Krummes in Grades vollständig. Grad und Krumm in der Differentialrechnung in letzter Instanz gleichgesetzt.
HEGEL: Der Gedanke kann nicht richtiger bestimmt werden, als Newton ihn gegeben hat.
NEWTON: Da die Methode des Untheilbaren etwas anstössig ist und daher für weniger geometrisch gehalten wird, so zog ich es vor, die Beweise der folgenden Sätze auf die letzten Summen und Verhältnisse verschwindender Grössen zu begründen. Ich betrachte hier die mathematischen Größen nicht als aus äußerst kleinen Teilen bestehend, sondern als durch stetige Bewegung beschrieben. Die unbestimmten Größen betrachte ich als in stetiger Bewegung wachsend oder abnehmend, d.h. als fließend oder abfließend.
BERKELEY: Und was sind diese Fluxionen? Die Geschwindigkeiten von verschwindenden Zuwüchsen. Und was sind diese verschwindenden Zuwüchse? Sie sind weder endliche Größen, noch unendlich kleine Grössen noch auch nichts. Dürfen wir sie nicht die Gespenster abgeschiedener Größen nennen?
NEWTON: Ich bezeichne die unbestimmten Größen mit z, y, x, v und ihre Fluxionen oder Wachstumsgeschwindigkeiten drücke ich durch dieselben Buchstaben mit Punkten versehen aus, also durch z’, y’, x’, v’. Von diesen Fluxionen gibt es wieder Fluxionen oder mehr oder weniger rasche Änderungen. Man kann sie als die zweiten Fluxionen von z, y, x, v nennen und so bezeichnen: z’’, x’’, y’’, v’’.
BERKELEY: Aber wahrlich braucht jemand, der eine zweite oder dritte Fluxion, eine zweite oder dritte Differenz verträgt, so dünkt mich, in gar keinem Punkt der Theologie etwas am Zeuge zu flicken.
NEWTON: Jene letzten Verhältnisse, mit denen die Grössen verschwinden, sind in der Wirklichkeit nicht die Verhältnisse der letzten Grössen, sondern die Grenzen, denen die Verhältnisse fortwährend abnehmender Grössen, sich beständig nähern, und denen sie näher kommen, als jeder angebbare Unterschied, welche sie jedoch nicht früher erreichen können, als bis die Grössen ins Unendliche verkleinert sind.
EULER: Das leidet keinen Zweifel, daß eine jede Größe so weit vermindert werden kann, daß sie gänzlich verschwindet und zu nichts wird. Eine unendlich kleine Größe aber ist nichts anderes als eine verschwindende Grösse. Es beschäftigt sich also die Differenzial-Rechnung nicht sowohl mit diesen Incrementen selbst, denn diese sind Nullen; sondern vielmehr mit der Erforschung des Verhältnisses, welches sie zueinander haben und da sich diese Verhältnisse durch endliche Größen ausdrücken lassen, so muß man auch eigentlich sagen, daß die Differenzial-Rechnung endliche Größen zum Gegenstand habe
MARX: Hier zeigt sich schlagend, um die ‚Abgeleitete‘ zu erhalten, muss x1 = x gesetzt werden, also im strikten mathematischen Sinn x1 – x = 0, ohne jede Flause von bloß unendlicher Annäherung.
HEGEL: Jenes Unendliche einer Reihe nennt Spinoza das Unendliche der Imagination; das Unendliche hingegen als Beziehung auf sich selbst, das Unendliche des Denkens oder infinitum actu. Es ist nämlich actu, es ist wirklich unendlich, weil es in sich vollendet und gegenwärtig ist. In diesem Begriff des Unendlichen ist das Quantum wahrhaft zu einem qualitativen Dasein vollendet; es ist als wirklich unendlich gesetzt; es ist nicht nur als dieses oder jenes Quantum aufgehoben, sondern als Quantum überhaupt. – Diese Reinigung des quantitativen Verhältnisses ist insofern nichts anderes, als wenn ein empirisches Dasein begriffen wird.
ULJANOW: Die Antwort Hegels ist kompliziert, abstrus etc. etc. Es ist hier von der höheren Mathematik die Rede. Ohne Studium der höheren Mathematik ist dies unverständlich.
PLANCK: In jeder Wissenschaft regiert nicht allein der Verstand, sondern auch die Vernunft.
BOLTZMANN: So mischten sich öfter Philosophen in die Naturwissenschaft hinein. Bereits vor langer Zeit kamen sie mir ins Gehege. Ich verstand nicht einmal, was sie meinten, und wollte mich daher über die Grundlehren der Philosophie besser informieren. Um gleich aus dem Tiefsten zu schöpfen, griff ich nach Hegel; aber welch unklaren, gedankenlosen Wortschwall sollte ich da finden!
HEGEL: Es ist gezeigt worden, daß die sogenannten unendlichen Differenzen das Verschwinden der Seiten des Verhältnisses als Quantorum ausdrücken, und daß das, was übrig bleibt, ihr Quantitätsverhältnis ist, rein insofern es auf qualitative Weise bestimmt ist; das qualitative Verhältnis geht hierin sowenig verloren, daß es vielmehr dasjenige ist, was eben durch die Verwandlung endlicher Größen in unendliche resultiert. Hierin besteht, wie wir gesehen, die ganze Natur der Sache. –
ULJANOW: Die Entwicklung des Begriffes ‚Verhältnis‘ ist erzdunkel.
BOLTZMANN: Mein Widerwille gegen die Philosophie wurde übrigens damals fast von allen Naturforschern geteilt. Man verfolgte jede metaphysische Richtung und suchte sie mit Stumpf und Stiel auszurotten.
MACH: Ich betrachte den metaphysikfreien Standpunkt als ein Produkt der Kulturentwicklung.
PLANCK: Hier schlummert eine bedenkliche Gefahr der Einseitigkeit, welche darin liegt, daß das naturwissenschaftliche Weltbild seine Bedeutung einbüßt und in einen inhaltsleeren Formalismus ausartet.
BOLTZMANN: Doch diese Gesinnung dauerte nicht an.
PLANCK: In Zeiten der Veränderlichkeit und Unsicherheit, wie wir gegenwärtig eine erleben, tritt der Positivismus mehr in den Vordergrund, da der gewissenhafte Forscher dann eher dazu neigt, sich auf den einzig festen Ausgangspunkt, die Vorgänge in der Sinnenwelt, zurückzuziehen. In Zeiten, wo das naturwissenschaftliche Weltbild einen mehr stabilen Charakter zeigt, wie es in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts der Fall war, kommt die metaphysische Richtung mehr zur Geltung.
BOLTZMANN (gähnend): Was geben uns die Schauspieler diesen Abend?
WIELAND: Die Zauberflöte.
BOLTZMANN: Desto besser. Ich gestehe ihnen, unser Gespräch hat mich übellaunig gemacht, es braucht nichts geringeres als einen Dichter wie Schikaneder und einen Tonkünstler wie Mozart, um mir wieder zu einer leidlichen Stimmung zu verhelfen. Lassen sie uns aufbrechen.