7. Geschichte
Um zu überleben muss jede Gattung, ob Mensch oder Tier, wenigstens die unmittelbaren Bedürfnisse befriedigen. Der Mensch unterschied sich dann aber zunehmend von anderen Tiergattungen, indem er die Grenzen dieser einfachen Reproduktion durchbrach und mehr erzeugte, als unmittelbar zum Überleben notwendig wäre. Der unmittelbare physische Zwang beginnt sich durch dieses Wachstum zu lösen. Das Tier „produziert nur, was es unmittelbar für sich oder sein Junges bedarf; es produziert einseitig, während der Mensch universell produziert; es produziert nur unter der Herrschaft des unmittelbaren physischen Bedürfnisses, während der Mensch selbst frei vom physischen Bedürfnis produziert und erst wahrhaft produziert in der Freiheit von demselben“. Letztlich ist die über die einfache Reproduktion, die Befriedigung der elementaren, physischen Bedürfnisse hinausgehende Mehrarbeit die Voraussetzung der menschlichen Geschichte. Erst wenn man nicht alles auffrisst, was man produziert kann man etwa eine Pyramide aus Stein bauen oder gar eine Stadt gründen. Unterm Kapital ist nun diese segensbringende Eigenschaft des Menschen verallgemeinert worden: Die Mehrarbeit ist Voraussetzung der notwendigen Arbeit. Jeder der arbeitet, muss mehr arbeiten als es zu seiner eigenen Reproduktion braucht; das vorgeschossene Geld, die tote Arbeit des letzten Zyklus, muss ihrerseits mehr lebendige Arbeit kommandieren und das so gewonnene Produkt gewinnbringend verkaufen. Die menschliche Entwicklung wurde dadurch enorm beschleunigt und es wurden andere Züge ausgeführt, als die Kreuzzüge, andere Bauwerke gebaut, als Pyramiden. Geschichte wird gemacht, es geht voran! Das Kapital ist also wesentlich ein die Menschheit über sich hinaustreibender, sich fortwährend revolutionierender Prozess. Es muss ewig wachsen und sei es, dass es seine eigene Grundlage, die umzuformende Natur oder die sie formende Arbeit untergräbt. Das Kapital ist notwendig erweiterte Reproduktion, Stillstand heißt schon Krise.
Die Geschichte macht das Kapital aber gerade, indem es die Arbeiter von ihr ausschließt. Diese bekommen nämlich nur den notwendigen Anteil am Produkt, während das Mehrprodukt, also das eigentlich geschichtsträchtige Produkt, in Gewand des Mehrwerts, das neue zusätzliche Kapital bildet und die Arbeiter nichts angeht. Indem aber das Kapital dem Einzelnen nur gibt, was er braucht, um sich individuell zu erhalten, stellt sich der sich stetig erweiternde Produktionsprozess für den Produzenten umgekehrt als einfache Reproduktion seiner selbst dar. Er arbeitet nur, um seine eigenen unmittelbaren Bedürfnisse zu befriedigen, nimmt dafür zwar am Gattungsleben teil, indem er mit anderen den gesellschaftlichen Überfluss produziert, aber über diesen Reichtum verfügen andere. Dadurch wird ihm aber „das Gattungsleben zum Mittel des individuellen Lebens“ und egal wie viel er vom gesellschaftlichen Produkt bekommt, ob das nur die zur Erhaltung des Lebens absolut notwendigen Mittel sind, oder aber durchaus eine Menge von Lebensmitteln, die auch erweiterte Bedürfnisse befriedigen – T V, Computer, Auto, Eigenheim, Urlaub etc. – immer dienen diese Produkte nur der Selbsterhaltung. Das ganze produktive Leben dient ihm „nur als ein Mittel zur Befriedigung des Bedürfnisses der Erhaltung der physischen Existenz“, so „daß der Mensch (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier. Das Tierische wird das Menschliche und das Menschliche das Tierische.“ Statt dass die sogenannten profanen Bedürfnisse aus dem unmittelbaren Naturzusammenhang befreit werden, werden auch die sogenannten sublimen Bedürfnisse in den Kreis des Kreatürlichen gezogen. Das ist der tiefere Sinn der Ausbeutung. Die Produzenten bleiben ausgebeutet, sogar wenn sie ein fürstliches Gehalt beziehen sollten. Sie werden ihrer eigenen Geschichte enteignet. Frech genug, dass sie sich schon die zum Überleben notwendigen Mittel von der Bourgeoisie zurückkaufen müssen, die sich anmaßt alle Produkte zu besitzen, das Produkt ihrer Mehrarbeit eben entzieht sich den Produzenten völlig. Sie bestimmen nicht über die Anwendung derselben, das tun diejenigen, die ihre Arbeit kaufen. Geschichte wird für die Produzenten gemacht. Nicht mal die Kapitalisten und Manager machen sie wirklich, sie sind auch nur Charaktermasken des Kapitals. Auch der Kapitalist interessiert sich, jedenfalls in seiner Eigenschaft als Kapitalist, nicht für die Geschichte und „schnödester Eigennutz ist die einzige Triebfeder“. Die Geschichte stellt sich auch hinter seinem Rücken her, erscheint einerseits als Selbstzweck und andererseits als Zufall. Die bürgerliche Gesellschaft steht damit stärker auf dem Kopf als Hegel jemals, man hat es hier mit der realen Metaphysik des Lebens zu tun. Zwar hat sie die „materielle Grundlage einer neun Welt“ geschaffen, indem sie die Erzeugungskräfte der Menschheit potenzierte, war aber dabei doch nur „unbewußtes Werkzeug der Geschichte“, die wir eben erst noch zu beginnen haben. Der Geschichte der Bourgeoisie fehlt das Selbstbewusstsein, fehlt die Vernunft, sie bleibt daher weiter Vorgeschichte, wenn nicht sogar Naturgeschichte: „Bürgerliche Industrie und Handel schaffen diese materiellen Bedingungen einer neuen Welt in der gleichen Weise, wie geologische Revolutionen die Oberfläche der Erde geschaffen haben.“