Wider die Realitätsversteherei
Im folgenden ein pauschaler Einwurf gegen einige hier dokumentierte Texte zur militärisch erzwungenen Finnlandisierung der Ukraine. Er ging über eine umstrittene Emailliste der Erreger-Redaktion und diagnostiziert unter anderem, „daß man sich auf magazinredaktion.tk einig ist“, „die zwischen China und Rußland ihr Unwesen treibenden Queers und alle, die von Kyrill I. für solche gehalten werden, möge über kurz oder lang dasselbe Schicksal ereilen wie den aus ukrainischen Ultranationalisten zusammengeschusterten Nazi-Popanz“. Derweil gerät das Assow-Battalion in Mariupul ordentlich unter Druck und der Clown Wolodymyr Selenskyj verweigert immer noch – wenn auch weniger standhaft – die Kapitulation.
Die ganze Sache besteht darin, dass ich aus dem Fatalismus unmittelbar gegen den Fatalismus, und gegen alles, was mit ihm verknüpft ist, schliesse. – Wenn es lauter wirkende und keine Endursachen gibt, so hat das denkende Vermögen in der ganzen Natur bloss das Zusehen; sein einziges Geschäft ist, den Mechanismus der wirkenden Kräfte zu begleiten.
F.H. Jacobi
Auf magazinredaktion.tk ist man sich einig, dass das Böse und der Krieg ausschließlich von innen kommen. Sobald der Faschismus diesseits des Dnjepr einmal als solcher erkannt ist, darf es ihn anderswo nicht mehr geben. Schließlich versohle der Russe fürs erste bloß den bösen Buben des Bataillons Asov den Arsch. Falls er es dabei nicht belässt, ist der Westen selbst schuld, wo er doch, insgesamt ein Waisenhaus ohne Aufsicht, geradezu nach der brutalen Haue schreit oder besser: larmoyant nach ihr quäkt. Derartige Rationalisierungen des Wunsches, die zwischen China und Rußland ihr Unwesen treibenden Queers und alle, die von Kyrill I. für solche gehalten werden, möge über kurz oder lang dasselbe Schicksal ereilen wie den aus ukrainischen Ultranationalisten zusammengeschusterten Nazi-Popanz, lassen jene von diesem tendenziell ununterscheidbar werden. Wer von der richtigen Einsicht, dass junge, hippe Westler ihre ostentativ vor sich hergetragene Verletzlichkeit gern auch mal als Schlagstock benutzen, bloß die abstrakten Extreme festhält und einmal durchs Ressentiment filtert, landet bei der Vorstellung, der Westen sei simultan sowohl im klein endenden Zwerg (Stichwort Degeneration) als auch im säbelrasselnden Nazi-Schlächter (Stichwort Sicherheitsinteressen) angemessen personifiziert.
Eher als die Putinversteherei gilt es die am Grund dieser Darstellung liegende Realitätsversteherei zu denunzieren – wobei in der „aktuellen Situation“ beides mehr oder weniger zusammenfällt. Der Realitätsversteher erhebt den Vorwurf der Realitätsverweigerung und meint damit alles, was noch nicht negativ-hegelianisch, das heißt im Nihilismus, mit der Realität versöhnt ist. Insbesondere in Kriegszeiten tritt er gern als geschichtsphilosophisch versierter Geostratege auf, der die Machtblöcke in seiner Analyse wie Legosteine mit ruhiger Hand auseinander- und neu zusammenbaut: So gehen sie unter, die Weltreiche, und gehen auf… Er plädiert für die blanke Einsicht in die Notwendigkeit und rühmt sich damit, dass er im Gegensatz zu Lauterbach darauf verzichtet, dieser qua Kopula den ideologischen Heiligenschein aufzusetzen. Freiheitsverachtung blitzt auf in seinem schallenden Gelächter über all jene, die das Wort „Freiheit“ noch in den Mund nehmen.
Angesichts einiger unkoordinierter Gesten des Widerstands gegen 2G-Regeln, Ausgangssperren und Kneipenschließungen lächelt der Realitätsversteher matt oder müsste es tun, wenn er konsequent wäre. Schließlich kennt er die als Nächstes anstehenden Tagesordnungspunkte in jener immerwährenden Sitzung anonymer und bekannter Mächte, die da Vorgeschichte heißt: Die Verweigerer müssen lernen, die Spritze zu lieben, sonst wird man es sie lehren. Der Mund muss lernen unwahr zu reden, sonst wird er eben zugenäht. Die Eagles of Death Metal müssen lernen in Paris beschossen zu werden, sonst brauchen sie ihr kalifornisches Nest gar nicht mehr zu verlassen. Der Westen muss verlieren lernen, sonst wird er nicht Teil der neuen Ordnung sein.
Das Jenseits von Gut und Böse ist nur das komplementäre Gegenstück zu einem Diesseits, welches dem Einzelnen zusammen mit dem letzten Hemd auch noch das Bekenntnis zum Guten und die Abgrenzung vom Bösen abpressen will. Der bloß begleitende Blick auf das Erstarken von Kräften hüben wie drüben, welche den Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit und Solidarität an den Kragen wollen, muss deswegen als so falsch erkannt werden wie Olafs und Kamalas aus berauschender Schwäche geborener Taumel der „Freiheit“ und „Solidarität“. Die bestimmte Negation des Moralismus besteht nicht in der Absage an jede Moral, sondern im unbedingten Bestehen auf ihr.
15.03.2022