Anna Souterre mit Ulla Dunkel
Einleitungsreferat
Seit dem 7. Oktober sind bald fünf Monate vergangen. Was im unmittelbaren Nachgang zum antisemitischen Pogrom für einige aussah wie eine Welle deutscher „Israelsolidarität“, war im Kern schon damals primär das Resultat deutscher Selbstbeschäftigung, die sich in pflichtschuldigen, aber politisch folgenlosen Bekenntnissen ausdrückte: Aus der „besonderen historischen Verantwortung“ Deutschlands rühre Notwendigkeit „für uns als Staat“, an der Seite Israels zu stehen, so formulierte es etwa Robert Habeck. Statt nach dem Holocaust auf der universellen Notwendigkeit zu bestehen, dass sich Israel als Heimstätte des jüdischen Volkes gegen seine Feinde auch militärisch verteidigt, leiten die Deutschen aus dem Gedenken also lediglich eine partikulare „Haltung“ ab, zu der man sich verdonnert fühlt wie Schuljungen, die einmal ungezogen waren und jetzt zähneknirschend ihre Strafaufgaben erledigen. Neidisch schielt man auf Staaten, die, historisch vermeintlich unbelastet, ihrer Israelkritik ungehemmt freien Lauf lassen dürfen. Dies zeigte sich bereits Ende Oktober des letzten Jahres, als sich Deutschland bei der Abstimmung über eine UN-Resolution, die einen "sofortigen, dauerhaften und nachhaltig humanitären Waffenstillstand" im Gazastreifen forderte, feige enthalten hat; ebenso enthielt man sich wenige Wochen später bei der Verabschiedung einer Resolution, die Israel zum Rückzug aus den Golanhöhen aufforderte, was bedeuten würde, die strategisch wichtige Region Assad zu überlassen. Zu dieser äquidistanten Positionierung Baerbocks passt, dass deutsche Medien nur wenige Tage nach dem Massaker vom 7. Oktober anfingen, die Zahl der niedergemetzelten Israelis mit der Zahl der Kriegstoten in Gaza zu vergleichen: Sobald letztere die ersteren überstiegen, kehrte man zurück zu den altbekannten Formeln von der „Gewaltspirale“ und dem „Leid in Gaza“, die seither die Schlagzeilen dominieren. Je länger der Krieg dauert, desto mehr wird indes die propalästinensische Schlagseite derjenigen Politiker und Medien offenbar, die stets betonen, „beide Seiten“ müssten sich mäßigen. So empfing Baerbock am 13. Februar Riad al-Maliki, den Außenminister der palästinensischen Autonomiebehörde, in Berlin; es war bereits das zweite Treffen der beiden „Amtskollegen“ in diesem Jahr. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz ließ die grüne Außenministerin verlautbaren, „wir“ stünden „vor einem unglaublichen Dilemma, dass sich Terroristen ganz bewusst hinter Menschen, hinter Kindern, hinter Müttern, hinter Großeltern verstecken.“ Zwar formulierte sie korrekt, dass die Hamas Menschen gezielt als menschliche Schutzschilde einsetzt, zog daraus aber eine aberwitzige Konsequenz: "Dieses Drehbuch des Terrors darf nicht aufgehen. Der Kampf gilt dem Terrorismus und nicht der unschuldigen Zivilbevölkerung", so Baerbock. Wahrheit schlägt hier in gemeinste Lüge um: Schließlich setzt das „Drehbuch des Terrors“ eben auf die Inszenierung der „unschuldigen Zivilbevölkerung“, der „Kinder, Mütter, Großeltern“ auf der internationalen Bühne, durch die Israel genötigt werden soll, die Waffen ruhen zu lassen. Statt zum Schluss zu kommen, dass auf diesen Erpressungsversuch nicht eingegangen werden darf, mahnt Baerbock Seite an Seite mit Al-Maliki Israel, das Recht auf Selbstverteidigung beinhalte keine Vertreibung, und spielt somit genau die für sie vorgesehene Rolle im Terror-Drehbuch.
Flankiert werden derartige außenpolitische Verlautbarungen durch die von offiziellen Stellen permanent betriebene diskursive Bagatellisierung und Inschutznahme des arabischen Antisemitismus und seiner linksradikalen, queeren und postkolonialen Helfershelfer. Das lässt sich am Fall der Freien Universität Berlin illustrieren, der in den letzten Wochen Schlagzeilen machte. Im Dezember hatten propalästinensische Aktivisten einen Hörsaal besetzt, zu dem sie „Zionisten“, darunter auch Lahav Shapira, zeitweise den Zutritt verweigerten. Drinnen riefen sie zum Stopp des angeblichen „Genozids“ in Gaza auf und ließen verlautbaren, Israel habe kein „Existenzrecht“, was einem höflich an die Sprache des Mainstreams sich anbiedernden Aufruf zur gewaltsamen Zerschlagung des jüdischen Staates gleichkommt. Die Hochschulleitung, die die Besetzer stundenlang hatte gewähren lassen, geriet im Nachgang insbesondere durch die von Antizionisten verhassten Springerpresse unter Druck und lud einige Wochen später zu einer Reihe von Veranstaltungen ein, die unter dem Motto „Aktionswochen gegen Antisemitismus“ standen. Neben dem notorischen Prediger des Dialoges Meron Mendel von der Bildungsstätte Anne Frank war unter anderem ein Projekt mit dem obskuren Namen „Israel-Palästina-Bildungsvideos“ eingeladen, zwei Workshops an der Universität durchzuführen, von denen einer sich ausschließlich an Lehramtsstudenten richtete. Auf der Projekt-Webseite prangt ganz oben der Schriftzug „Was fühlst du, wenn du Israel liest?“ Im Sinne dieses Mottos sollen die Teilnehmer der Workshops dazu ermuntert werden, ihre Befindlichkeiten zum sogenannten Nahost-Konflikt auszutauschen, ohne befürchten zu müssen, mit sachlicher Autorität und begründeter Kritik konfrontiert zu werden. Die Leitbegriffe „Multiperspektivität“ und „Inklusion“ stehen dabei für die ideologische Überzeugung, dass man irgendwie beim Wahren, Guten und Schönen landen wird, indem man möglichst viele diversitätssensible Lügen im offenen Dialog zusammenpanscht und unkommentiert stehen lässt. Dass es den Projektverantwortlichen mitnichten um den Kampf gegen Antisemitismus, sondern vielmehr um den einfühlsamen Umgang mit Antisemiten geht, geben sie selbst zu: „Es ist davon auszugehen, dass eine Thematisierung des Konflikts mit dem ausschließlichen oder vorrangigen Ziel, Antisemitismus entgegenzuwirken, von manchen Teilnehmenden bereits als einseitige Positionierung wahrgenommen wird und somit zu Widerständen führen kann. Antisemitismus und Rassismus werden deshalb ebenso zusammengedacht wie die Präsenz jüdisch-israelischen und palästinensischen Lebens in Deutschland.“ Derselbe Shai Hoffmann, laut Selbstbeschreibung „Sozialaktivist und Unternehmer“, der Initiator dieses Projekts ist, wurde übrigens auch von der Berlinale damit beauftragt, während drei Festivaltagen in einem sogenannten Tiny House am Potsdamer Platz ein Gespräch wechselnder dahergelaufener Passanten über Israel und Palästina zu kuratieren. Der kleine Mann und die kleine Frau erhielten hier die Möglichkeit, in einem trostlosen, aber geschützten Raum ebenjenem antisemitischen Bauchgefühl Ausdruck zu verleihen, das dann auch bei der Berlinale-Preisverleihung am Samstagabend in der großen Halle unter den Eliten des internationalen Kulturbetriebs für Einigkeit und gute Stimmung sorgte. Lahav Shapira wiederum, der sich in den vergangenen Monaten an der FU unermüdlich unter widrigen Umständen für Israel eingesetzt hat, wurde vor einigen Wochen Opfer eines brutalen Angriffs durch einen arabischstämmigen Kommilitonen. Der Täter studiert an der FU Lehramt und gehörte somit zur Zielgruppe der Workshops „Über den Nahostkonflikt reden“.
Ich komme zum Schluss. Der beidseitige „Dialog“, der gerne und wiederholt von staatlicher Seite als Allerweltsheilmittel empfohlen wird, muss als verstrickt ins Verbrechen entlarvt und zurückgewiesen werden. Die Alternative dazu ist nicht Schweigen, sondern die Analyse und Kritik der bestehenden Verhältnisse. Weil sie widersprüchlich sind, tendieren diese Verhältnisse dazu, den Antisemitismus hervorzubringen, der unter anderem Ausdruck von Unfähigkeit und Unwille ist, die Aporien moderner bürgerlicher Staatlichkeit zu reflektieren und auszuhalten. Israel als „Jude unter den Staaten“ übernimmt dabei die Funktion einer Projektionsfläche, auf der das Unbehagen in der Kultur in Gestalt einer monströsen Fratze erscheint, bei deren Anblick man seine Hemmungen fallen lässt und seinen Aggressionen freien Lauf lässt. Dieses heute in der gesamten westlichen Welt verbreitete antisemitische Ressentiment drückt sich primär in der offenen und verdeckten Kumpanei mit arabisch-islamischen Antisemiten aus, die Israel und den dort lebenden Juden seit Jahrzehnten konkret mit Vernichtung drohen und am 7. Oktober zur Tat geschritten sind. Einer nicht unerheblichen Anzahl gerade von jungen Menschen in Europa und Amerika erscheint die Hamas als willkommener Befreier von der westlichen Zivilisation, derer man sich am liebsten auch auf dem eigenen Boden entledigen würde. Diesen Zusammenhang zu erhellen und die Verantwortlichen zu denunzieren, die eben trotz Kontext Verantwortliche sind, ist das Ziel der heutigen Veranstaltung.