Thomas Maul
Das sogenannte Leiden der sogenannten Palästinenser
Ich beginne mit zwei scheinbar harmlosen Zitaten der Außenministerin eines Landes, das die Sicherheit Israels zur – was auch immer das konkret bedeuten soll – Staatsräson erklärt hat, also mit Annalena Baerbock. Keine zwei Wochen nach dem antisemitischen Blutbad vom 7. Oktober „forderten“ [!] Baerbock und ihr jordanischer Amtskollege Al-Safadi „eine Verhandlungslösung für den Gaza-Krieg, an deren Ende eine Zweistaatenlösung stehen müsse“. Rund einen Monat später äußert Baerbock gegenüber dem palästinensischen Regierungschef: „Klar sei aber auch, dass die Zukunft der Palästinenser besser sein müsse als ihre Gegenwart und Vergangenheit.“
Das unterstellt, dass es den Palästinensern in Gegenwart und Vergangenheit nicht gut gegangen sei oder ihnen irgendwie übel mitgespielt wurde, und dass man das durch die Schaffung eines palästinensischen Staates wieder gutmachen müsse. Oder gar, dass das Kollektiv der Palästinenser am Ende für das Massaker der Hamas zu belohnen wäre. Vielleicht so wie die Westdeutschen nach 1945 mit dem „Wirtschaftswunder“ für Auschwitz…
In jedem Fall erwartet die Enkelin eines Wehrmachtsoffiziers und Nazis, die natürlich wegen dieser familiären Verstrickung in die Politik gegangen sein will, dass Israel sich an dieser Belohnung – oder Wiedergutmachung – für die Palästinenser konstruktiv beteilige. Denn stets ist ja Israel (ausgesprochen oder unausgesprochen) der Adressat entsprechender Friedensappelle. Stets wird damit und dabei suggeriert, es gäbe Palästinenser schon länger als erst seit 1967 und Israel würde diesen seit der eigenen Staatsgründung 1948 irgendein Anrecht auf Gebiete, irgendein Anrecht auf einen eigenen Staat, irgendein Anrecht auf eine bessere Zukunft vorenthalten. Schließlich: Israel sei schuld oder mindestens mitverantwortlich für ein sogenanntes Leiden der Palästinenser, über das sich auch der Öffentliche Rundfunk nicht einkriegt.
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, worunter das verhätscheltste Volk der Erde eigentlich leiden soll oder will; nur eines, wenn es denn tatsächlich leiden sollte, dann in erster Linie unter sich selbst, unter der UNO, eventuell auch unter der PLO und unter der Hamas.
Zwei-Staaten-Lösung
Gehen wir kurz auf die sogenannte Zwei-Staaten-Lösung ein. In Wahrheit war das ursprünglich immer eine Drei-Staaten-Lösung. Aus 75% der vormals osmanischen Provinz, dann des britischen Mandatsgebiets namens „Palästina“ wurde in den 1920ern der erste arabisch-palästinensische Staat, Jordanien, gegründet. Die restlichen 25% sollten laut UN-Teilungsplan halbe-halbe an einen jüdische-palästinensischen Staat (d.h. Israel) und an einen zweiten arabisch-palästinensischen Staat gehen. Die Juden haben ihren Staat gegründet. Die Araber Palästinas ihren zweiten Staat nicht. Stattdessen haben sie mit den umliegenden Arabern Ägyptens, Iraks, Syriens, Jordaniens, Libanons den Judenstaat mit dem Ziel der Vernichtung angegriffen. Mit dieser Aggression und erstrecht der ihr folgenden militärischen Niederlage hat die arabische Seite in Hinblick auf den alten UN-Teilungsplan selbstverständlich jeden Rechtsanspruch auf Gebiete und eine zweite arabisch-palästinensische Staatlichkeit verwirkt. Wenn ich ein willkürlich gemachtes Angebot ablehne, wars das. Ich habe kein Recht darauf, dass man mir ein zweites macht. Andererseits wurden Teile der den Arabern zugedachten Gebiete tatsächlich von Arabern besetzt und gehalten, also das Westjordanland von Jordanien und der Gazastreifen von Ägypten. Jordanien und Ägypten hätten sich diese Gebiete einverleiben, damit ihre Territorien vergrößern und die dort lebenden und dorthin geflüchteten Araber mit den jeweiligen Staatbürgerschaften ausstatten können. Oder aber sie hätten dort Vorformen eigenständiger palästinensischer Staatlichkeit bzw. arabische Kleinstaaten etablieren können. Ihr strategisches Ziel war ein anderes. Danach würde es irgendwann schon gelingen, Israel militärisch zu vernichten und dann würde man ganz Restpalästina mit Jordanien vereinigen. Das galt auch noch nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, in dessen Zuge Israel das Westjordanland und den Gazastreifen eroberte. Jetzt erst wurden die arabischen Palästinenser als eigenes Volk erfunden und als seine Vertretung die PLO gegründet, welche die Vernichtung Israels bis Ende der 1980er Jahre im Programm hatte. Diesem Programm folgten Terroranschläge gegen israelische Zivilisten wie bei der Olympiade von 1972 in München oder auch der Jom Kippur-Krieg von 1973.
Im März 1977 diktierte ein PLO-Führer einer niederländischen Zeitung folgendes Statement:
„Das palästinensische Volk existiert nicht. Die Schaffung eines palästinensischen Staates ist nur ein Mittel, um unseren Kampf gegen den Staat Israel für unsere arabische Einheit fortzusetzen. In Wirklichkeit gibt es heute keinen Unterschied mehr zwischen Jordaniern, Palästinensern, Syrern und Libanesen. Nur aus politischen und taktischen Gründen sprechen wir heute von der Existenz eines palästinensischen Volkes, denn die arabischen nationalen Interessen verlangen, dass wir die Existenz eines eigenen palästinensischen Volkes als Gegenpol zum Zionismus postulieren […]. Aus taktischen Gründen kann Jordanien, ein souveräner Staat mit definierten Grenzen, keine Forderungen auf Haifa und Jaffa aufstellen, während ich als Palästinenser zweifellos Haifa, Jaffa, Beer-Sheva und Jerusalem fordern kann. Doch in dem Moment, in dem wir unser Recht auf ganz Palästina zurückfordern, werden wir nicht eine Minute warten, Palästina und Jordanien zu vereinen.“
Erst in den 1990ern strich die PLO die Vernichtung Israels aus dem Programm und deutete an, einen eigenen Staat zu wollen, der friedlich neben einem anerkannten Israel existieren würde. Dafür wurde ihr im Gegenzug die Kontrolle über weite Teile des Westjordanlandes und des Gazastreifens in Form der palästinensischen Autonomiebehörde gegeben – und es wurde ein konkreter Prozess für Friedensverhandlungen und die Entstehung eines palästinensischen Staates begonnen (Oslo-Prozess). Die PLO ließ all das die 1990er über an unerfüllbaren Forderungen – wie z.B. der nach einem Rückkehrrecht für ursprünglich 0,5 Millionen, heute fast 6 Millionen arabische-palästinensische Flüchtlinge nach Israel – scheitern und beantwortete solches Scheitern immer wieder bis in die früher 2000er mit Gewalt (z.B. den Intifadas). Gegen die Korruptheit und die jedenfalls offizielle Mäßigung der PLO gegenüber Israel entstand Ende der 1980er die islamistische Hamas, welche die Vernichtung Israels wieder ins Programm nahm und den terroristischen „Widerstand“ um das Selbstmordattentat „bereicherte“. Unter den Palästinensern gewinnt sie zunehmend an Einfluss, bis sie 2007 – nach Kämpfen gegen die PLO – die Kontrolle über den zuvor von Israel unter Scharon preisgegebenen Gazastreifen übernimmt. 2008 macht Olmert den Palästinensern trotz allem ein erneutes Angebot für einen eigenen Staat, das sogar noch großzügiger ausfällt als die Vorschläge der 1990er. Auch dieses Angebot schlagen die Palästinenser aus. Der palästinensische Chefunterhändler sagte dazu im Gespräch mit einer jordanischen Tageszeitung am 25. Juni 2009 folgendes:
„Erst erlaubte [Israel] uns, eigene Schulen und Krankenhäuser zu leiten. Dann boten sie uns 66 % [der besetzten Gebiete] an. In Camp David [in 2000] haben sie uns 90 % angeboten und erst kürzlich 100 %. Warum sollen wir uns also beeilen nach all der Ungerechtigkeit, unter der wir litten?“
Da ist es wieder: das angebliche palästinensische Leiden. Bevor ich darauf eingehe, sei noch erwähnt, dass die Palästinenser 2020 das nächste Angebot zur Gründung eines eigenen Staates erhielten (inform des Trump-Plans). Ebenfalls abgelehnt. Festzuhalten bleibt daher zur immer wieder beschworenen „Zwei-Staaten-Lösung“: dass es vom UN-Teilungsplan von 1947 bis heute für eine solche Lösung nie einen ernstzunehmenden Ansprechpartner auf palästinensischer Seite gegeben hat. Die alleinige Schuld daran, dass es keinen zweiten palästinensischen Staat gibt, tragen einzig und allein die Palästinenser, ihre Vertretungen PLO und Hamas sowie die umliegenden arabischen Staaten. Indirekt auch: die UNO.
So viel zur Zwei-Staaten-Lösung, die die arabischen Palästinenser umso weniger verdienen, je häufiger sie diese – auch noch durch Krieg und/oder Terror – ablehnen. Nun zum palästinensischen Leiden. Ich werde das hier nicht umfassend, sondern an nur zwei durchaus exemplarischen Themenkomplexen anreißen. Einmal die sogenannte humanitäre Katastrophe, die der gegenwärtige Gaza-Krieg für die Zivilbevölkerung des Gazastreifens als „Freiluftgefängnis“ bedeuten soll, und zum zweiten das angebliche Problem der israelischen Siedler, die palästinensisches Land rauben und eine künftige Zwei-Staaten-Lösung damit torpedieren würden.
Freiluftgefängnis und Humanitäre Katastrophe
Die Palästinenser sollen ja nicht nur in materiellem Elend leben, sondern auch unfrei sein. Da für den Grad an Freiheit im Gazastreifen aber offensichtlich die dort herrschende Hamas verantwortlich ist, geht es hier vor allem um mangelnde Reisefreiheit. Die Palästinenser würden den Gazastreifen weder für einen Urlaub noch für Verwandtschaftsbesuche in Syrien, Libanon, Jordanien und Westjordanland oder im Westen verlassen können. Es ist nur möglich, dass sie aus der Welt besucht werden. Auch das hat allerdings mit Israel nichts zu tun, sondern damit, dass Ägypten, das mit dem Gaza-Streifen eine gemeinsame Grenze hat, Palästinenser nicht nach Ägypten lässt. Und damit sind wir zugleich auch beim Problem palästinensischer Kriegsflüchtlinge im Gaza-Streifen. Da Israel den Gazastreifen vom Norden her aufräumt, und die Bevölkerung zur Flucht nach Süden auffordert, musste irgendwann der Punkt kommen, wo es eng wird, wenn Israel im Süden, in Rafah, also der Grenzstadt zu Ägypten, weitermacht. Aber es wäre niemals eng geworden, wenn Ägypten von Anfang an seine Grenze für Gaza-Kriegs-Flüchtlinge geöffnet hätte, sowie wie die Türkei ihre Grenze für syrische oder Polen seine für ukrainische. Natürlich hätte Polen seine Grenze auch mit dem Argument dichthalten können, dass man die von Russen betriebene ethnische Säuberung und Vertreibung nicht unterstützen wolle. Aber man hat nicht so argumentiert und Syrer wie Ukrainer aus den Kriegsgebieten rausgelassen. Genauso könnten die UNO und der Westen Gaza-Kriegs-Flüchtlinge über den Seeweg nach Zypern evakuieren und von dort aus weiter verteilen. Heißt: im Zuge des Krieges sterbende und leidende palästinensische Zivilisten gehen aufs Konto der Hamas, die diese als menschliche Schutzschilde benutzt, sowie auf die Konten Ägyptens und der Welt (inkl. Baerbock-Deutschland), welche diese Zivilisten nicht aus dem Gaza-Streifen herauslassen. Sie gehen nicht aufs Konto Israels, das bei allem Bemühen, Kollateralschäden zu vermeiden, diese eben nicht 100%ig vermeiden kann.
Siedler-Thema
Nun zum Thema jüdische oder israelische Siedler. Zunächst einmal: Eine unrechtmäßige Besiedlung palästinensischer Gebiete im Westjordanland (und vor deren Räumung auch in Gaza) durch jüdische Siedler fand und findet nicht statt. Ganz einfach, weil es keine palästinensischen Gebiete gibt. Bis zur Annexion solcher Gebiete durch Israel oder ihrer Übergabe an Palästinenser für eine Staatsgründung sind sie herrenlos. Die Briten haben auf diese Gebiete mit Aufgabe des Mandats verzichtet, die Palästinenser wollten sie mit Ablehnung des Teilungsplans nicht und auch Ägypten und Jordanien haben im Zuge der Friedensschlüsse mit Israel darauf verzichtet. Zweitens: Jüdische Siedlungen in einem künftigen arabischen Staat stellen von Vornherein nur dann ein Problem dar, wenn man palästinensische Staatlichkeit judenrein konzipiert (während übrigens 20% der israelischen Staatsbürger arabische Muslime sind). Drittens: Es ist nicht Aufgabe der Juden, auf von ihnen kontrollierten Territorien jahrzehntelang gewisse Plätzchen für den Fall judenrein bzw. freizuhalten, zu reservieren, dass die Araber sich irgendwann einmal in unbestimmter Zukunft dazu bequemen, dem friedlichen Nebeneinander von zwei Staaten zuzustimmen.
Frau Baerbock und Bidens Blinken scheinen das Massaker vom siebten Oktober jedenfalls für eine vertrauensfördernde Maßnahme der Palästinenser zu halten, wenn sie meinen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt sei, Israel permanent mit der Zweistaatenlösung, dem Leid der palästinensischen Bevölkerung oder Kritik an der Siedlerbewegung behelligen zu müssen.
Szenenwechsel
Tatort Internet. Kürzlich auf Twitter. Am Morgen des 21. Februar 2024. Sawsan Chebli. Laut Eigenaussagen (Twitterprofil): „Sozialdemokratin, Feministin, Mutter.“ Manche sagen auch treffender: „Hisbollah-Barbie“. Sie teilt als Video aus einer Knesset-Debatte vom 19. Februar den Redebeitrag der israelischen Ministerin für soziale Gleichstellung und Frauenförderung, May Golan, und zitiert daraus in antisemitischer Absicht verfälschend und ohne Kontext. Das Zitat soll für sich selbst sprechen und geht so: „Ich bin persönlich stolz auf die Ruinen von Gaza und darauf, dass jedes Baby, auch in 80 Jahren, seinen Enkeln erzählen wird, was die Juden getan haben.“ Seht her, mein Chebli, die Juden, jedenfalls die radikalen, geben selber zu, etwas Schreckliches getan zu haben. Immerhin verlinkt Chebli die ganze Rede und verbreitet damit auch, wie sich gegen den Woke- und Clown-Feminismus der deutschen Regierung richtiger Feminismus (echte feministische Außenpolitik) anhören kann. Die Rede geht – adressiert an die linksradikale Opposition – nämlich so:
„Wir schämen uns nicht zu sagen, dass wir sehen wollen, wie die israelischen Soldaten, unsere heiligen Helden, Sinwar und seine Terroristen bei den Ohren packen und quer durch den Gazastreifen schleifen, auf dem Weg in die Kerker der Gefängnisbehörde. (...) Ich bin persönlich stolz auf die Ruinen von Gaza und darauf, dass jedes Baby, auch in 80 Jahren, seinen Enkeln erzählen wird, was die Juden getan haben, als ihre Familien ermordet und vergewaltigt und ihre Zivilisten entführt wurden. Sie und Ihre Freunde können davon träumen, dass wir Ihnen erlauben, eine Regierung zu bilden, denn wenn Sie glauben, dass der Lohn für das Abschlachten von Juden, die Vergewaltigung von Frauen, die Enthauptung und die Entführung von Zivilisten darin besteht, in einer ‚Regierung des Wandels‘ zu sitzen, dann träumen Sie. Sie können weiter ‚Frieden jetzt‘ und ‚Wahlen jetzt‘ rufen. Von Kaplan bis Gaza sollen sie euch hören. Wir haben eine Mission. (…) Und das Letzte, was wir zulassen werden, ist, dass Ofer Casiff mit einer palästinensischen Flagge auf den Tempelberg steigt und Sinwar Verteidigungsminister des palästinensischen Staates wird, wie sein Bruder Arafat. Keine Taube und keinen Olivenzweig, nur ein Schwert, um Sinwar den Kopf abzuschlagen, das wird er von uns bekommen. Ich danke Ihnen sehr.“
Schluss
Wie auch immer die Zukunft des Gaza-Streifens nach dem Krieg aussehen möge, mit Gerechtigkeit wird dies nichts zu haben. Denn leider haben die meisten Menschen keinen intuitiven Sinn mehr für Gerechtigkeit. Nachdem sich Israel und die Juden gut 100 Jahre lang mit den Palästinensern herumärgern mussten, wäre nun wirklich mal Ägypten an der Reihe, also ein entsprechender Bevölkerungstransfer überfällig. Denn wirklich gerecht wäre allein: die Transformation oder Umwidmung des gesamten Gazastreifens in ein einziges großes Festival-Gelände für Goa-Partys. Vielen Dank.