Felix Perrefort
Warum man im gerechten Krieg Israels gegen die Hamas die Opfer nicht aufrechnen kann
1. Die anfängliche Sympathie, die Israel nach dem Pogrom vom 7. 10. zuteilwurde, an dem nicht nur Hamas-Kämpfer, sondern auch Zivilisten teilnahmen, nahm in dem Maße ab, wie die Opferzahlen auf palästinensischer Seite stiegen. Das war zu erwarten. Seit Jahren nämlich beruft sich die Delegitimierung israelischer Selbstverteidigung auf angeblich immens ungleich verteilte Opferzahlen, womit Israel unterstellt wird, überaggressiv zu reagieren, und die Angriffe auf Israel wiederum zu Gegenangriffen erklärt werden. Gern wird dann das Bild der Gewaltspirale bemüht.
2. Bei diesem routinierten Stumpfsinn wird dreierlei stillschweigend dabei vorausgesetzt: erstens die Belastbarkeit der Opferzahlen, zweitens, dass die Opfer auf beiden Seiten auf gleich unrechtmäßige Weise zustande kämen, und drittens, dass man es mit ähnlich verfassten Gesellschaftsformationen zu tun hätte. In diesem Verblendungszusammenhang gegen Israel verblasst der Terror, dem die Israelis ausgesetzt sind, vor den Gegenschlägen der israelischen Streitkräfte, deren angebliche Maßlosigkeit wiederum zur Ursache des Terrors erklärt wird. So entstehen die Ermahnungen zur Mäßigung Israels, werden Waffenstillstände gefordert oder Israel gleich Genozid vorgeworfen.
3. Es wäre arg verkürzt, es bei dem Hinweis zu belassen, dass die Zahlen auf palästinensischer Seite unbelastbar sind, da selbst realistische Zahlen auf eine quantitative Gleichmacherei hinausliefen. Dennoch finde ich wissenswert, sollte man in der Lage sein, diese Zahlen anzugreifen. Der bei der Nachrichtenagentur Reuters ehemals tätige Journalist Luke Baker, der die Berichterstattung über Israel und die palästinensischen Gebiete von 2014 bis 2017 leitete, sagt heute:
„Die Hamas hat einen klaren Propaganda-Anreiz, die Zahl der zivilen Opfer so weit wie möglich aufzublähen. Jeder Gesundheitsbeamte, der aus der Reihe tanzt und den Journalisten nicht die von der Hamas gewünschten Todeszahlen nennt, riskiert ernsthafte Konsequenzen“. Er forderte die Medien dazu auf, in den Spiegel zu schauen und sich zu fragen: „Woher weiß ich, was ich weiß?“ Falls die Antwort laute: „Weil mir ein von der Hamas geführter Beamter des Gesundheitsministeriums davon erzählt hat“, dann gebe es „ernsthafte Probleme mit der Zuverlässigkeit der Informationen, die sie der Welt als Tatsachen melden.“ Alle Zahlen werden unter diese Bedingungen produziert, auch wenn sie einen UN-Stempel haben.
4. Die Hamas-Zahlen beinhalten sicher auch unschuldige Zivilisten, aber ganz wesentlich getötete Hamas-Terroristen, die Opfer fehlgeleiteter palästinensischer Raketen und frei erfundene Todesopfer. Dass in den Opferzahlen Terroristen und Zivilisten vermengt werden, verweist auf etwas, das Palästinafreunde nicht bemerken wollen. Der Übergang von Terrorherrschaft und Zivilbevölkerung ist in den Palästinensergebieten fließend. Ein bürgerlich-wehrhafter Staat, mit einer arabischen Minderheit, die dort mit allen staatsbürgerlichen Rechten leben kann, steht einem antisemitisch-mörderischen und judenreinen Kollektiv gegenüber.
5. Damit ist ein sprachliches Problem verbunden. Der Begriff der palästinensischen „Zivilgesellschaft“ entspringt dem Vokabular bürgerlich-demokratischer Gesellschaften und trifft auf das, was sich in den palästinensischen Gebieten über Jahrzehnte hinweg gebildet hat, nicht zu. Eine zivile Sphäre lebt von verwirklichten Bürgerrechten und der bürgerlichen Selbstabgrenzung von Staat und Regierung. In Gaza wird jeder Widerspruch brutal im Keim erstickt, pflegt und hegt das Regime einen tradierten Enthusiasmus für den Krieg gegen die Juden, von klein auf wird eine Komplizenschaft mit dem antisemitischen Vernichtungsgeschäft der Führung hergestellt. Solche Verhältnisse produzieren Zivilisten, die am Massenmord enthusiastisch teilnehmen und auf der Straße johlen klatschen, wenn jüdische Frauen halbtot und wie Vieh auf den Pick-Ups durch Gaza gekarrt werden. Eine Zivilgesellschaft, die dem deutlich widerspräche, gibt es dort nicht.
6. Wenn selbt der linke Standard unter abwiegelnder Überschrift („Umfragen deuten gespaltene Meinungen zur Hamas in Gaza an“) in seiner Auswertung verfügbarer Statistiken letztlich resümiert, dass die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung für die Hamas ist, belegt er damit einmal mehr den mörderischen Ungeist, der seit jeher die Palästinenser beherrscht. Zur Erinnerung: Mit der PLO unter Arafat verübte bereits die erste Palästinenserführung Selbstmordattentate, im Jahr 1968 in Gestalt eines Anschlags auf einen von israelischen Kindern besetzten Bus. Weil westlichen Menschen solch ein Ausmaß brutaler Verrohung in ihren eigenen Gesellschaften nicht vertraut ist, sie es jedoch auch woanders nicht wahrhaben wollen, ordnen sie fein säuberlich einer „Hamas-Minderheit“ zu, was sich auf einen großen Teil der palästinensischen Volksgemeinschaft erstreckt.
7. Nachfolgend zitiere ich aus einem lesenswerten Text von Uwe Steinhoff, Professor an der Universität Hong Kong, sein Thema ist die Ethik der Gewalt. Unter der Überschrift „Kriegsrecht: Welchen Spielraum hat Israel?“ schrieb er auf Achgut.com zu der gegenwärtigen Lage:
„So ist aus Sicht des humanitären Völkerrechts, d.h. des Kriegsrechts, die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten hier nicht anwendbar. Die Hamas-„Kämpfer“ sind weder Mitglieder einer anerkannten bewaffneten Streitkraft, noch haben sie sich bei ihren Massentötungen an die Anforderungen gehalten, die die Genfer Konvention an irreguläre bewaffnete Gruppen stellt, darunter „ein festes, aus der Ferne erkennbares Erkennungszeichen zu haben“, „Waffen offen zu tragen“ und „ihre Operationen in Übereinstimmung mit den Gesetzen und Gebräuchen des Krieges durchzuführen“.
Weiter schreibt er: „Das Zusatzprotokoll I (das bestimmte Schutzbestimmungen des Kriegsrechts auf „Befreiungsbewegungen“ ausdehnt) ist weniger strikt, verlangt aber immer noch, dass solche Streitkräfte „einem internen Disziplinarsystem unterliegen, welches unter anderem die Einhaltung der in bewaffneten Konflikten geltenden Regeln des Völkerrechts durchsetzt“. Dies ist bei der Hamas offensichtlich nicht der Fall.“
Steinhoff weiter: „Verhältnismäßigkeit ist das am schwersten zu greifende Prinzip des Kriegsrechts. Da das Gesetz selbst wenig konkrete Anhaltspunkte dafür liefert, was verhältnismäßig ist und was nicht, ist es unerlässlich, ethische Überlegungen heranzuziehen, um eine Bewertung vornehmen zu können. Ein grundlegendes Element der Moral ist der Grundsatz der Gegenseitigkeit (…) Ein Mörder kann sich nicht beschweren, wenn Andere ihm das antun, was er so gerne Anderen antut. Ebenso haben Zivilisten, die dem Abschlachten von Frauen und Kindern applaudieren, wie es viele vor kurzem im Gazastreifen getan haben, ihren Anspruch auf berechtigte Beschwerde verwirkt oder zumindest gemindert, wenn der Gegner sich weigert, ihrem Leben mehr Gewicht beizumessen, als sie selbst dem Leben unschuldiger Anderer zugestanden haben. Dies verschiebt die Verhältnismäßigkeitsbeschränkungen in einer Weise, die den israelischen Verteidigungskräften (IDF) mehr moralischen Spielraum verschafft.“
8. Der fließende Übergang von Kombattanten und Zivilisten innerhalb der Bevölkerung spiegelt sich darin, dass die Hamas die militärische Infrastruktur in die zivile Infrastruktur hinein gebaut hat, Kommandozentralen und Waffenlager unterhalb von Krankenhäusern gebaut werden, Waffenlager sich in Moscheen gefunden werden, usw.
9. Diese Verhältnissen, in denen die Bevölkerung als Schutzschild genommen wird, bekriegen die israelischen Streitkräfte verhältnismäßig, indem sie ihre Angriffe vorher ankündigen, die Zivilbevölkerung warnen, womit sie mehr tun als man von anderen Staaten tun. Diese Verhältnisse zu bekriegen, ist die Bedingung dafür, die Herrschaft der Hamas zu beenden, auf dass dort Besseres gedeihen kann. Diese Verhältnissen zu bekriegen ist aber auch Ausdruck legitimer Selbstverteidigung, die Israel nicht als jüdischer Staat, sondern gemäß allgemeinem Kriegsrecht zusteht. Man muss also nicht vulgär-antideutsch oder moralistisch den Holocaust bemühen, um Israels Krieg gegen die Hamas als einen gerechten Krieg zu beurteilen. Israel verwirklicht in seiner Selbstverteidigung nur die Rechte, die jedem anderen Staat auch zustünden.