Terror in Jerusalem
Rede auf der Kundgebung vor der Berliner Vertretung der palästinensischen Autonomiebehörde, 12. 8. 2001
Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Genossinnen und Genossen,
Wahrscheinlich lässt sich schwer jemand finden der sich von dem Massaker in Jerusalem, bei dem 20 Juden von einer lebenden Nagelbombe getötet wurden, nicht auf irgendeine Art und Weise zunächst zumindest distanzieren wird. Dennoch muss man nicht besonders genau hinschauen, um ein äußerst vielsagendes Phänomen wahrzunehmen: ein Nichts, eine Leere, ein Schweigen. Daß hier heute keine Vertreter des anderen Deutschlands stehen verwundert nicht. Sie wären Fehl am Platz. Erfreulich ist, daß sich heute etwas mehr Menschen eingefunden haben als beim Assad- Besuch. Das immer noch fast vollständige Fehlen der Linken verlangt aber nach einer Erklärung. Darum soll es im Folgenden gehen.
Die grundfalsche Prioritätensetzung der Linken scheint geradezu Methode zu haben. So kloppt man sich beispielsweise in Salzburg mit den Bullen, aber nicht etwa, um die sich formierende Volksgemeinschaft und ihre Avantgarde, die von ihrem Führer Haider so bezeichnete österreichische PLO anzugreifen. Nein, das Treffen der Bonzen war Objekt des Hasses.
Und während über Monate hinweg das Kosovo unter Bundeswehraufsicht von den Feinden des albanischen Volkes: den Juden, den Serben, den Roma gesäubert wurde, demonstrierten dagegen ungefähr so viele Linke wie jetzt gegen den bevorstehenden Mazedonieneinsatz. Man muss sie mit der Lupe suchen. Statt dessen setzten sie sich mit Ökopfaffen vor die Züge der ‚Atommafia‘.
Aber nirgendwo zeigt sich dieses erschreckende Missverhältnis offensichtlicher als in der fehlenden Solidarität mit Israel, wenn es so bedroht ist wie selten in seiner Geschichte, seine Einwohner in permanenter Angst leben müssen und Polizei und Militär immer öfter eingestehen den Schutz nicht mehr garantieren zu können. Anstatt gegen die palästinensischen Antisemiten und ihre Freunde auf der ganzen Welt zu demonstrieren, rennt die Linke zu den gleichzeitigen Massenprotesten in Göteborg und Genua. Diese Diskrepanz lohnt sich festzuhalten.
Die offenen Bezüge von Globalisierungsgegnern auf die Intifada sind vielfältig. Ihre Vordenker Bourdieu und Chomsky unterschreiben Aufrufe gegen Israel, ihr verwurzelter Lieblingsbauer Bové fühlte sich in Genua wie in Ramallah und eine ganze Reihe von NGOs betreibt auf der Antirassismuskonferenz in Südafrika die Gleichsetzung von Zionismus und Rassismus. Wer erleben möchte, wie die Globalisierungsgegner zu Israel stehen, fahre zu ihrem nächsten Event mit einer wehenden israelischen Fahne. Er sollte dabei Helm und Schienbeinschützer nicht vergessen. Nicht nur wegen der Bullen.
Mögen die verschiedenen Gruppen nun mehr oder weniger offen antizionistisch sein oder nicht, sie alle eint das Fehlen einer radikalen Kritik der Al- Aksa Intifada. Diese bleibt selbst dann aus, wenn 68% der Palästinenser keinen Hehl daraus machen die andauernden Selbstmordattentate für richtig zu halten und Arafat den Massenmörder von Tel Aviv als heldenhaften Märtyrer preist.
Dafür scheint es nur eine Erklärung zu geben: Das ideologische Selbstbild der meisten Linken ähnelt viel zu sehr ihrem Bild von der palästinensischen Gesellschaft, und ihre üblichen Feindbilder viel zu sehr ihrem Bild von Israel.
Man will sich gar nicht zu genau ausmalen, was da in den Hirnen alles rumspukt: „Sind die Palästinenser nicht auch eine Art eingeborener Stamm, kämpfend für indigene Rechte? Sind die barfüssigen, jugendlichen Steineschmeisser nicht so romantisch wie die Gedichte des Subcommandante Marcos? Und ist die israelische Gesellschaft, in ihrem Reichtum und den Wolkenkratzern in Jerusalem nicht arrogant? Ist sie nicht taub für die in Flüchtlingslagern lebenden Palästinenser? Sind die Juden nicht so elitär abgeschottet und an die Zähne bewaffnet wie die Politiker des G8 in ihrer roten Zone, in der sie sich vor der Bevölkerung, deren Sorgen und deren im Genua Social Forum artikulierten Protest einigeln? Verschliessen die dekadenten Israelis, die sich an den Strand legen, in die Disco wollen oder eben in die Pizzeria nicht ihre Augen vor der Unterdrückung des aufrecht kämpfenden, palästinensischen Volkes? Sind sie nicht so egoistisch wie die Herrschenden, die sich nur noch der Macht des globalen Marktes andienen, ums Goldene Kalb des Geldes, des Profites, der puren Gier tanzen und dabei daß Allgemeinwohl, die einfachen, rechtschaffenden Bürger und die sterbende Umwelt vergessen?“
Kein Zweifel: was so viele Globalisierungsgegner mit so vielen Palästinensern verbindet ist ihre neidbeisserische Moral und ihre Wut, die nach der Abstrafung der Gegner giert. Die Moralappelle der Politiker entlarvt man als pure Heuchelei, mit der dieses arbeitsscheue Gesindel nur seine Profitgier und seinen gemeinschaftsschädigenden Egoismus zu verbergen suche. Wenn etwa Scharping gegen die Serben als Missachter der Menschenrechte hetzt, so meint die Linke sofort zu wissen, worum es ihm in Wirklichkeit gehe: um Macht und Geld für die verschwörerischen, unheimlichen Kreise, denen er als Marionette zu dienen habe. Als die echten Bewahrer der Menschenrechte fühlen sich die Linken schließlich selbst.
Anstatt Moral als Zwangsmittel zur Aufrechterhaltung menschenunwürdiger Verhältnisse zu kritisieren, spielen sich die Linken als die wahren Moralisten auf. Sie wollen nicht Paläste für alle erkämpfen, sondern die für sie unerträgliche Ungerechtigkeit beseitigen, daß einige Schufte mehr haben als ärmliche Hütten, luxuriöser leben als die Massen in ihren Mietskasernen.
Wenn es nun während der Intifada verpönt ist, Schokolade zu Essen, Picknick zu machen oder unehelichen Geschlechtsverkehr zu treiben, dann um zu werben für den Aufstand der Anständigen und sein reines, unbeflecktes Anliegen, das sich selbst feiert in der öffentlichen Hinrichtung von Sittenstrolchen und vermeintlichen oder tatsächlichen Kollaborateuren.
Angesichts solcher Zustände, wo ungebrochen die Tugend durch den Schrecken herrscht, wird einer Linken, die gegen Konsumterror wettert, veganes Essen fürs Volk kocht und Menschen verprügelt, weil sie zugeben, mal den Playboy angeschaut zu haben, kein Wort der Kritik einfallen. Eine solche Linke, die sich unter Kommunismus, wenn sie denn von ihm noch redet, nur eine Art radikalen Kommunitarismus, die freiwillige Fügung ins Kollektiv vorstellen kann – Eine solche Linke wird die Intifada niemals konsequent kritisieren, aber diejenigen als antiarabische Rassisten, als Beschmutzer der palästinensischen Würde beschimpfen, die es tun. Als ob nicht die gepredigte Enthaltsamkeit eine Verhöhnung sondergleichen ist für die Millionen ‚Verdammten dieser Erde‘, die sicher gerne einmal in einem Mc Donalds essen würden. Auch den vom Weltmarkt abgehängten Palästinensern wäre es zu gönnen.
Diese Linke wird in Israel nur den hochmilitarisierten Staat sehen und verschweigen, wer dafür verantwortlich ist, daß es momentan leider wohl nicht anders überleben könnte. Sie wird sich nicht darüber wundern, daß es dennoch eine bürgerliche Demokratie und eine sehr liberale Gesellschaft ist. Sie wird über die Besetzung der Gebiete schimpfen, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, welche Gefahren für Juden von dem antisemitischen Terror ausging, der sich dort vor dem Einmarsch israelischer Truppen frei austoben konnte. Sie wird auch jetzt noch die Grenzkontrollen der Palästinensergebiete als Apartheid geißeln, wenn jede Woche gleich mehrere Selbstmordattentäter versuchen zu den ihnen versprochenen Jungfrauen zu gelangen und möglichst viele Juden mit sich in den Tod zu reissen. Und sie wird nicht begreifen, warum Israel völlig zu Recht das aberwitzige Rückkehrrecht aller Flüchtlinge und ihrer Nachkommen ablehnt, daß auch in der Jungle World gefordert wurde. All diesen Linken muss die Sicherheit der israelischen Juden ziemlich egal sein.
Ob die Unverbesserlichen immer noch Israel eindeutig als den Aggressor brandmarken oder die Differenzierten sich in gleichgültiger Äquidistanz üben und von der Spirale der Gewalt faseln, ein Tabu soll unantastbar bleiben: die konsequente Ablehnung der palästinensischen Konterrevolution.
Man wird sich von den so offensichtlich grausamen Attentaten auf Nachfrage distanzieren, aber die simple Wahrheit empört von sich weisen, daß die Mörder inzwischen, so traurig und schockierend das ist, zur islamisierten palästinensischen Gesellschaft genauso gehören, wie Sebnitz zu Deutschland.